Fremd unter den Seinen

Fremd unter den Seinen

Dies ist die Geschichte eines Emigranten, der in einer deutschen Siedlung in der Ukraine geboren wurde, fast sein ganzes Leben in Russland verbrachte und als Spätaussiedler nach Deutschland ausgewandert ist. Es geht nur um das Schicksal meines Opas, der Kriegsfolgen, Repressalien und auch Hass ertragen musste.

Von Daria Chuftaeva

Es war ein heißer schwüler Sommer. Man saß den ganzen Tag zu Hause und erst am Abend wurde man etwas lebendig, um mit angeschwollenen Knöcheln herauszukommen. Wir erholten uns mit der ganzen Familie im Süden, und abends ging ich oft mit Großvater am Rande des Dorfes spazieren. Ich zerdrückte jedes Mal mit dem Fuß halb vertrocknete Aprikosen, die zuvor vom Baum gefallen waren. Ich bin im Norden aufgewachsen, deshalb dreht sich mir anfangs, wenn ich in den Süden komme, immer der Kopf, und mir wird leicht übel von der Südluft, in der sich die Aromen verschiedenster Früchte mit den Gerüchen von Meersalz, getrocknetem Fisch, des stinkenden Marktes und gebräunter Haut zugleich vermischen. Großvater ertrug den Frost und die Schneewinter nicht, er klagte immer über Kopfschmerzen, und nachts wanderte er in Schlaflosigkeit durch die Wohnung. Wir waren schon etwa zwei Wochen am Meer, als Opa sich zu entspannen begann. Er lächelte viel, egal, ob es passte oder nicht und sang Lieder von Wyssozki. Er erzählte mir oft von der Familie, ihren deutschen Wurzeln und seiner Kindheit, an die er sich bis ins kleinste Detail erinnerte.

Aus dem Wunsch nach Abwechslung heraus beschloss ich, Opa über seine Familie und seine Vergangenheit genauestens auszufragen, was er mir natürlich nicht abschlug. Opa hatte sich auf die knarrende Bank unter dem Brombeerbusch gesetzt. Es war Abend, deshalb konnte ich seine Gesichtszüge in der Dunkelheit kaum erkennen, sah nur seine dicken Augenbrauen und deutlich eine weiche lange Vertiefung auf seiner Stirn.

Großvater hatte sich ein wenig vorgebeugt und aufmerksam die Finger seiner Hände betrachtend, begann er: “Also, was soll ich dir erzählen? Es ist viel zu lang her und zu viel passiert, oh weh…! Na, ja … ich erinnere mich, wie wir als Familie im Dorf lebten, also, es war eine deutsche Siedlung im Westen der Ukraine, ja. Dort, musst du wissen, hatten wir ein Haus. Wir waren nicht reich, aber es reichte zum Leben. Wir hatten Vieh, auch einen Garten mit Kirschen, Aprikosen, Pfirsichen. Es war schon Krieg, im Jahre dreiundvierzig anscheinend. Und später kamen die Nazis und trieben uns nach Polen. Ich war damals sehr klein, begann zu weinen, habe aufgeschrien: „Die Ferkel werde ich nicht weggeben, ich nehme sie mit!“ Oh, ja, wie ich mich daran erinnere! Wir hatten nur einen Tag, um alle Sachen zu packen. Nichts haben wir ordentlich zu packen geschafft! Das Fleisch haben wir kurz bevor wir uns auf den Weg machen mussten zubereitet. Und so sind wir aufgebrochen, die Mutter, der Vater, der Bruder drei Schwestern und ich. Wir verstanden damals nicht, warum sie uns von der Siedlung wegschickten. Wir waren doch auch Deutsche wie sie, warum vertrieben sie uns? Man hat uns nach Polen geschickt. Der Weg war sehr schwer, wir fuhren die ganze Zeit mit dem Pferdewagen. Unterwegs begann der erste Frost, zwei Schwesterchen haben es nicht ertragen, wir haben sie unterwegs begraben. In Polen haben wir uns ungefähr ein Jahr aufgehalten. Ich begann sogar Polnisch zu sprechen und fing an Deutsch zu vergessen. Die Mutter ärgerte sich sehr deswegen. Ja, ich sprach damals noch nicht einmal Russisch. Unsere Mutter war sehr streng – sie war wie das Oberhaupt der Familie, aber die Zeiten waren so schwer, dass wir anders einfach nicht überlebt hätten. Ich erinnere mich fast nicht an Polen. Ich verstand nicht, was Krieg ist und dachte, so wie es gerade ist, sei es normal und es müsse immer so sein. Später sind die deutschen Soldaten wieder gekommen und haben uns nach Deutschland geschickt. Dort haben wir bis Ende des Krieges gelebt. Ich erinnere mich, wie einmal die Soldaten gekommen sind und uns Schokolade gebracht haben. Das war ein echtes Wunder! Wie wir diese Stückchen verschlangen, fast mit der Folie! Damals war das alles neu für uns. Ich hatte nie zuvor Schokolade gesehen. Der Vater wurde zur Zwangsarbeit geschickt. Von dort ist er nie zurückgekommen, er galt als verschollen. Wie schwer war das für die Mutter! Verstehst du, sie hatte drei Kinder. Rose, meine Schwester, war die Älteste von uns und beschäftigte sich mit meiner Erziehung. Aber von welcher Erziehung oder Ausbildung kann schon die Rede sein, wenn doch Krieg ist? Gott sei Dank, ich habe lesen gelernt! Später sind die russischen Soldaten gekommen und haben uns nach Russland vertrieben, in den Norden. Das war einer der schwersten Schicksalsschläge. Der russische Winter war mit seinen Frösten unter -40°C ein Härtetest für uns! Wir wurden in die Republik Komi vertrieben. Ich wurde sofort in ein Kinderheim für vertriebene deutsche Kinder gesteckt. Die Mutter schrie, wehrte sich mit Händen und Füßen, damit man mich ihr nicht wegnahm. Aber wer hörte sie schon!

Die Mutter wurde zusammen mit der Schwester und dem Bruder zum Holzfällen in den Wald geschickt. In der Kälte schleppten sie schwerste Bäume. Am Morgen waren die Hände taub und gefühllos und schmerzten stark. Nur mit Mühe konnte sie sich vom Bett erheben und wieder zur Arbeit gehen. Jeder Baum wurde von etwa zehn Menschen geschleppt. Hauptsächlich waren es Kiefern. Und einmal, als sie keine Kraft mehr hatten, sind sie einfach stehengeblieben und standen schweigend, alle gleichzeitig. Sie konnten einfach nicht mehr: weder Widerstand leisten, noch versuchen, mit dem russischen Aufseher zu streiten. Sie vegetierten nur noch. Deshalb war es ihnen in diesem Moment völlig egal, was man mit ihnen machen würde, wohin man sie verbannen würde, weißt du, wie im Gedicht bei Wyssozki:

Nicht ohne Grund, nicht ohne Grund

Winken uns von den heimischen Pappeln

Rauhe Gegenden herbei.

Als ob es dort lustiger sein,

Nicht ohne Grund, nicht ohne Grund…

Bist du noch nicht müde von Opas Erzählungen? Wie? Noch nicht? Dann werde ich weiter erzählen. Mich, musst du wissen, hat man ins Kinderheim geschickt. Oh, ich hab das schon gesagt. Rose erzählte, dass ich gefragt habe, bevor man mich dorthin fortgebracht hat: «Gibt es dort auch Brot? Ja! Also dann werde ich gehen.“ Jetzt scheint es natürlich lächerlich, wenn man sich daran erinnert. Aber damals war der Hunger schrecklich! Kam man zum Mittagessen, versteckte man das Brot sofort in der Jacke, damit niemand es stehlen konnte. Und die Suppe – das war nur eine dünne gelbliche Flüssigkeit. Man trank sie in einem Zug – und das war das Essen für den ganzen Tag. Das Schrecklichste dort aber war unsere Erzieherin. Kann sein, du meinst, dass ich das jetzt dramatisiere, aber es ist doch die reine Wahrheit. Sie hasste uns, die deutschen Kinder, so sehr. Wahrscheinlich kann man sie verstehen, der Krieg war zu dieser Zeit gerade zu Ende, und an allen Nöten, die die Menschen erlebt hatten, waren plötzlich wir Schuld. Ich will niemanden beschuldigen, das ist die Geschichte der Welt und der Politik, aber unsere Geschichte, die der einfachen Menschen, ist ganz anders. Und das war wirklich so. Ich habe mich dort anderthalb Jahre aufgehalten, später hat Mutter einer Erzieherin zugeredet, und sie hat mich von da heimlich fortgebracht zur Familie. Sie lebte in einer Baracke, dort waren so viele Familien, dass in der Nacht kein Platz für alle zum schlafen war. So mussten einige im Sitzen schlafen. Wir haben dort etwa zehn Jahre gehaust. Am Ende blieben nur drei Familien, die anderen hielten es einfach nicht aus und starben vor unseren Augen. Dann haben wir uns entschieden, wegzuziehen, aber wir durften uns nicht mehr als sieben Kilometer entfernen. Deshalb haben wir noch 8 Tage im Gefängnis gesessen. Ich weiß nicht, wie wir überlebt haben. Es war wie ein Wunder. Ende der fünfziger Jahre hat man uns Pässe ausgehändigt, und wir konnten beginnen, unser Leben zu ordnen. Meine Geschwister und ich haben die russische Sprache erlernt, Mutter sprach bis zum Lebensende nur deutsch …

Mein Opa mit meiner Mutter. Syktywkar, Republik Komi, 1964

Mein Opa mit meiner Mutter. Syktywkar, Republik Komi, 1964.

 Interessiert dich vielleicht, was danach war? Später ich habe begonnen, als Schlosser zu arbeiten (und hatte das ganze Leben diesen Beruf), habe deine Oma meine einzige Liebe, gefunden, und habe zwei Töchter großgezogen. Seit diesen Zeiten ist alles gut und ruhig, deswegen ist es kein besonders faszinierender Teil meines Lebens“ – lachte Opa…

Es war acht Jahre später, als ich Opa im Rollstuhl mit Mühe einen steinigen Weg entlang schob. Es war wieder Sommer, aber es war schon in Deutschland. Opa hatte schon seit langem aufgehört zu lachen und wie früher zu schwatzen. Er schwieg den ganzen Spaziergang. Wir sind in den Park gegangen, um die Enten zu füttern. Aber Opa hat mir plötzlich vorgeschlagen, weiter seine Geschichte zu erzählen. Es war so unerwartet, als ob wir die ganzen Jahre nicht miteinander gesprochen und uns erst jetzt getroffen hatten, um seiner Erzählung wieder Leben einzuhauchen.

Und so begann seine Erzählung:

– Opa, warum hast du dich entschieden Russland zu verlassen? Zuerst bist du in die Ukraine, danach nach Deutschland umgezogen. Und wie geht es mit deiner Familie, meiner Oma, deinen Töchtern, mir und meiner Schwester ?

– Oh, du stellst zu viel Fragen. Wir sehen uns trotzdem mehrmals pro Jahr. Und mit den Übrigen von unseren Familie auch. Ich bin in die Ukraine umgezogen, weil ich starke Kopfschmerzen im Norden hatte. Du warst damals gerade geboren, meine Töchter waren schon erwachsen.

– Und meine Oma?

– Deine Oma hatte einfach keinen Wunsch ihr Leben zu verändern. Und ich redete ihr damals noch zu, später auch, mit mir nach Deutschland zu fahren. Aber du weißt, dass sie niemals umgezogen wäre… Als ich in die Ukraine gekommen bin, habe ich das Haus gekauft, habe dort die vollständig Sanierung gemacht. Du kannst dich wahrscheinlich nicht daran erinnern, du warst so klein.

– Ich erinnere mich, wie weit es zum Meer war. Du hast mich auf Schultern bis zum Strand getragen.

– Ha-ha, ja, du warst viel zu klein für dein Alter, es war für mich leicht.

– Aber du bist später in eine andere Stadt umgezogen.

– Ich wollte aus meinem Wohnort weg, so bin ich nach Berdjansk gezogen. Und alles begann von vorne: ich habe dort ein Haus gekauft, es renoviert und einen neuen Obstgarten gepflanzt. Und ich habe dort bis zur Übersiedlung nach Deutschland gewohnt.

– Doch hat dir die neue Stadt gefallen?

– Ja, aber der Weg zum Meer war noch weiter.

– Und du trugst mich nicht mehr auf den Schultern?

– Nein, du warst schon groß.

– Erzähle mir von deiner Übersiedlung nach Deutschland. Das sind doch ganz verschiedene Dinge: aus Russland in das Nachbarland Ukraine umziehen, wo man russisch spricht und die Mentalität kennt, oder nach Europa,, und dort neu beginnen.

– Mein endgültiges Ziel war Deutschland: Ich plante das mein ganzes Leben. Als ich noch jung war, ist eine Familie, die auch aus der deutschen Siedlung kam, aus der Republik Komi nach Deutschland übergesiedelt. Meine Eltern pflegten die Freundschaft mit den Eltern dieser Familie. Ihre Tochter wurde meine Braut. Wir planten zu heiraten und ich sollte nach einem halben Jahr auch nach Deutschand übersiedeln. Aber der Wegzug aus der UdSSR war mit großen bürokratischen Schwierigkeiten verbunden.

– Und was war danach? Wie war es mit meiner Oma?

Na eben, deine Großmutter! Ich bin einmal zum Tanzen gegangen, deine Großmutter hatte mich zum Tanz aufgefordert. Das war’s! Seit dieser Zeit waren wir unzertrennlich. Meine ehemalige Braut hat mir später von Deutschland eine Postkarte geschickt und mich darin einen «Dummkopf» genannt… Das war`s und ich bin nicht zu ihr gezogen. Dann habe ich meine eigene Familie in Russland gegründet und Deutschland schon vergessen. Meine Schwester Rosa ist bald darauf mit ihrem Mann und ihren Kindern nach Würzburg gezogen. Mein Bruder blieb mit mir in Syktywkar und lebte dort bis zu seinem Tod. Rosa lud mich ständig ein, auch nach Deutschand zu kommen und versprach mir, bei der Erledigung der Formalitäten zu helfen. Als ich schon in der Ukraine lebte, habe ich mich noch einmal entschlossen, mein Leben zu ändern und meinen Jugendtraum zu verwirklichen.

– Wie war das mit dem Traum und seiner Verwirklichung?

– Weißt du, die Erwartungen sind immer groß. 2001 hatte ich alle Unterlagen für die Spätaussiedlung zusammen. Danach wartete ich die fünf Jahre auf einen Termin. 2006 habe ich endlich einen Einladung der Deutschen Botschaft in Kiew zu einem Gespräch und der Überprüfung meiner Deutschkenntnisse bekommen. Als ich in Kiew ankam war ich sehr aufgeregt und fürchtete mich zu dem Gespräch zu verspäten. Es sollte doch über mein zukünftiges Leben entscheiden. Ich hatte auch Angst, mir etwas einzubilden.

– Wie war dein Gespräch? Es ist doch alles gut gegangen.

– Ja, ich hatte einen sehr lustigen Prüfer. Ich habe mit ihm über Fußball gesprochen. Ich habe ihm sofort gesagt, dass ich mit dem FC Bayern mitfiebere. Und er war Fan einer anderen Mannschaft, deren Namen ich vergessen habe. Wir diskutierten ziemlich lange, aber alles ist gut verlaufen. Ich war so aufgeregt, dass ich plötzlich viele deutsche Wörter vergessen hatte… Nach dem Gespräch kam die offizielle Genehmigung zur Einreise nach Deutschland ziemlich schnell. Während ich die Formalitäten für die Ausreise erledigte half mir meine Schwester am Telefon beim Ausfüllung einiger Papiere. Ohne ihre Hilfe hätte das nicht geklappt, sie machte sich um mich Sorgen.

– Bist du sofort nach Würzburg gefahren?

– Natürlich nicht. Erst bin ich nach Friedland gefahren. Dort befindet sich das Grenzdurchgangslager für Spätaussiedler. Gleich nach der Ankunft hat man mir ein Appartement zur alleinigen Nutzung überlassen. Normalerweise lebt man dort zu zweit. Die Bedingungen waren sehr angenehm, einensolchen Empfang hatte ich nicht erwartet. Im Lager habe ich auch andere Spätaussiedler aus Russland kennengelernt. Mir ist sofort aufgefallen, das diese Menschen voller Erwartungen waren.

Beim Spaziergang im Park, Würzburg, Deutschland, 2015.

Beim Spaziergang im Park, Würzburg, Deutschland, 2015.

– Und wie lange warst du dort?

– Nur fünf Tage. Am dritten Tag hatte ich einen Sprachtest. Wer nur wenig deutsch sprach oder gar keine Sprachkenntnisse hatte, sollte weiter im Lager bleiben und dort Sprachkurse besuchen. Mir wurde gesagt, dass ich keine extra Kurse brauche. Dann habe ich meine Fahrkarte nach Würzburg bekommen. So einfach war es. Ohne Schwierigkeiten oder andere Probleme.

– Wahrscheinlich war es schon Routine, wenn alles so einfach abläuft?

– In Würzburg haben mich meine Schwester und ihr Sohn Rudolf abgeholt. Sie hatte bereits im Voraus mit der Stadtverwaltung Kontakt und eine Unterkunft in einer Wohnung für Spätaussiedler besorgt, in der ich ein Zimmer hatte. Die anderen Zimmer der Wohnung waren mit einer Familie aus Russland belegt, die einem Monat später eine fest Bleibe gefunden hat und dorthin umgezogen ist. Ich habe dann das ganze Jahr die Wohnung für mich allein gehabt. Nach den Vorschriften für Spätaussiedler blieb man solange in der Behelfsunterkunft, bis man etwas anderes gefunden hatte. Die Wohnungssuche war kompliziert. Zum Glück konnte ich nach einem Jahr in eine freie Wohnung im Haus meiner Schwester unterkommen. Alles hat sich so gut getroffen!

– Opa, bist du heute mit deinem Leben zufrieden?

– Du weißt, die letzten vier Jahre war ich im Rollstuhl. Aber mir gefällt mein heutiges Leben: diese Stadt, ihre wunderbare Natur und Architektur. Ja, ich bin zufrieden.

– Was hättest du geändert, wenn du könntest?

– Geändert? Ich hätte deiner Großmutter zugeredet, mit mir umzuziehen…

Opa schwieg. Ich hatte das Gefühl, dass er über etwas nachdachte. Dann bemerkte ich, dass er im Rollstuhl eingeschlummert war. So endete stets unserer Spaziergang. Wir fuhren nach Hause, Opa trank eine große Tasse Tee, und am Abend bat er, dass wir ihm Wyssozki auflegen sollten, weil er sich mit der Bedienung des CD-Spielers nicht zurechtfand. So war dieser Sommer einer der längsten meines Lebens. Ich ärgerte mich hin und wieder, dass Opa viel schwieg und viel schlief. Ich wollte, dass alles wieder wie früher war: seinen Anekdoten zuhören, dass er mich kitzelte, und ich mit lautem Lachen davonlief, dass er wie früher wäre und nicht so wie heute. Und wenn man ihn fragte: « Wo geht es dir besser – in Russland oder jetzt in Deutschland?» antwortete er: «Man glaubt immer, dass es woanders besser ist». Das ist sein persönlicher Kummer, seiner und der aller anderen, die ein ähnliches Schicksal teilen. Sie haben keine neue Heimat mehr gefunden und sind irgendwo auf der Strecke geblieben.


Daria Chuftaeva ist in Syktywkar im Norden Russlands geboren. Mit diesem Artikel teilt sie uns eine sehr persönliche Geschichte ihrer Familie mit – das Schicksal ihres Opas.

2017-07-06T12:18:06+02:00 Kategorien: Gefühl + Glaube, IJK, JIL '15, Lesen|Tags: , , , , |