Country und Kunst im Gotteshaus

Country und Kunst im Gotteshaus

Einmal im Jahr strömen nicht-gläubige Berliner in die Gotteshäuser ihrer Stadt. Dann ist Lange Nacht der offenen Kirchen. Sie wollen in dieser Zeit nicht beten, sie möchten Johnny Cash singen, einen Ort für ihre Hochzeit finden oder einfach nur alte Architektur genießen. Für erfolgreich hält der Organisator Hans-Joachim Ditz seine Veranstaltung trotzdem. Er hat sich längst damit abgefunden, dass die meisten Berliner nicht mehr religiös sind.

Von Anna Laletina

Beim Eintritt in die St. Matthäus-Kirche ist Musik zu hören. Schönes klares Singen, das von oben kommt. Auf der Empore singt ein kleiner Chor. Die Sänger bereiten sich auf den festlichen Gottesdienst vor. Es ist der Abend vor Pfingstsonntag, dem Tag, der als Geburtstag der christlichen Kirche gilt.

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Besucher der syrisch-orthodoxen Kirche (Foto: A. Laletina)

Mittlerweile versammeln sich in St. Matthäus die Menschen. Sie bleiben aber nicht zum Gottesdienst. Sie sind hierher zur Nacht der offenen Kirchen gekommen, und die St. Matthäus-Kirche ist die erste Station beim Kirchenspaziergang von Tiergarten nach Schöneberg. Danach geht es weiter die Potsdamer Straße hinunter zur syrisch-orthodoxen Kirche von Antiochien, dann zur Zwölf-Apostel-Kirchengemeinde und schließlich zur American Church in der Bülowstraße.

„Nicht wegen des Gottesdienstes besuche ich die Kirche. Nur wegen der Geschichte oder einer Führung“, erklärt Lena, eine große schlanke Frau mit deutlich russischem Akzent. „Ich bin keine Gläubige. Es gibt jetzt wenige Gläubige in Berlin“, sagt sie überzeugt.

Eine andere Besucherin der Führung, die 46-jährige Programmiererin Patrizia, bekennt, dass sie evangelisch ist und zu einer Gemeinde gehört. „Aber ich gehe dort nur Weinachten und Ostern hin, und das war’s“, teilt sie mit. Zwei Männer sagen, dass sie die Kirche nicht so oft besuchen und gekommen sind, weil sie die Vielfalt der Konfessionen kennenlernen möchten.

Das durchschnittliche Alter der Leute, die hier versammelt sind, liegt zwischen 40 und 55 Jahren. Die einzige Ausnahme ist ein junges Paar, Judith und Robert. Es stellt sich heraus, dass sie nach einem schönen Gebäude für ihre Hochzeit suchen. „Wir dachten, wir könnten ein paar Kirchen anschauen. Meine Familie ist evangelisch. Also gehe ich ab und zu in die Kirche mit meinen Eltern, aber ich möchte nicht in dieser Kirche heiraten, weil ich sie zu schmucklos finde“, sagt Judith.

Außer der Führung gibt es viele andere Veranstaltungen in der Nacht der offenen Kirchen. Über 90 christliche Gemeinden aller Konfessionen bieten etwas an, unter anderem Konzerte, Führungen, Lesungen und natürlich Gottesdienste. Was die Höhepunkte sind, ist schwer zu bestimmen.

Für den 39-jährigen Jens ist das Orgelkonzert in der katholischen Kirche Herz-Jesu in Prenzlauer Berg der Höhepunkt. Letztes Jahr war er auch hier bei der Nacht der offenen Kirchen, weil er die Kirche schön fand und das Programm ihm gefiel. Dieses Jahr hat er seinen Freund René mitgebracht. Beide Männer erklären, dass sie gern in eine Kirche gehen, wenn sie schön ist und wenn es dort gute Musik gibt. Ansonsten ist es ihnen egal, ob die Kirche evangelisch, katholisch oder was-auch-immer ist. Sie würden auch gerne mal eine Synagoge und eine Moschee besuchen.

In einer solchen Nacht kann es sich lohnen, sich auf eine einzige Veranstaltung zu konzentrieren. Barbara, ein „Berliner Nachkriegsjahrgang“, wie sie sich selbst vorstellt, hatte Lust, am Pfingstsonntag Lieder des amerikanischen Country-Sängers Johnny Cash zu hören und zu singen. Diese Möglichkeit bietet das Projekt Mitte des Gemeinschafts-Diakonieverbandes Berlin an.

„Es gibt solche, die wirklich keiner Kirche angehören und die sagen, dass sie einfach das Gebäude interessieren würde und dass man sich das mal anschauen müsste“, erklärt Hans-Joachim Ditz, Geschäftsführer des Ökumenischen Rates Berlin-Brandenburg, der die Lange Nacht der offenen Kirchen organisiert. „Die Menschen, die glauben, werden immer weniger. Der Normalfall in Berlin ist, dass man nicht gläubig ist“, sagt er.

Dennoch hält Ditz die Lange Nacht der offenen Kirchen für eine erfolgreiche Initiative. Der Beweis ist für ihn, dass diese Veranstaltung schon zum 13. Mal stattgefunden hat, trotz der Konkurrenz mit den anderen offenen Einrichtungen, wie zum Beispiel der Langen Nacht der Religionen. Doch in Zukunft wird vielleicht die Nacht der offenen Kirchen in diese Veranstaltung integriert. Ditz erklärt den Grund: „Für die, die an Gott nicht glauben, sind Gläubige, egal ob sie Christen, Muslime, Buddhisten, Hindu oder Juden sind, eine Gruppe. Und sie werden als eine Gruppe wahrgenommen. Aus Sicht dieser Menschen, macht es keinen Sinn, das noch mal aufzuteilen“. •


P1030394Anna Laletina ist in Kirow, Russland, geboren. Sie studierte Journalistik an der Moskauer Staatlichen Lomonossow-Universität und wohnt jetzt auch in Moskau. Neben dem Studium war sie freie Journalistin bei der Zeitung Moscow News. Von 2010 bis 2013 arbeitete sie beim Internetportal Lenta.ru. Anna schreibt gern über Politik und Kultur. In Berlin hat sie ihr Praktikum bei ZEIT ONLINE gemacht und dort beispielsweise über den Whistleblower Edward Snowden und über neue Anti-Homosexuellen-Gesetze in Russland geschrieben.

Internationales Journalisten-Kolleg ǀ  Journalisten International ǀ Sommer 2013

2017-07-06T12:18:16+02:00 Kategorien: Gefühl + Glaube, IJK, JIL '13, Lesen|Tags: , , , , |