Denn sie wissen nicht, was wir fürchten

Denn sie wissen nicht, was wir fürchten

Terrorangst, Panik im Mittelstand, Zukunftsangst, Angst vor Gentechnik und Chlorhühnern: überall scheint uns die Angst entgegenzutreten. Sind wir eine Angstgesellschaft? Was macht die Angst mit uns und wer bestimmt, wovor wir Angst haben? Ein Versuch, die richtigen Fragen zur Angst in unserer Gesellschaft zu stellen.

Von Alexa Keinert

Spätestens seit dem Parteitag der FDP Mitte Mai in Berlin-Kreuzberg lässt es sich nicht mehr leugnen: Die Angst in Deutschland stellt ein Politikum dar. German Mut statt German Angst, fordert die blau-gelb-magentafarbene Partei. Markig stellt sie sich damit gegen das „Regime der ewigen Gegenwart“, wie der Soziologe Heinz Bude den politischen Stil des Schweigens und Ignorierens der Kanzlerin kritisch bezeichnet. Sie greift damit auf, was ein Trendthema zu sein scheint. Buchveröffentlichungen und Sonderausgaben drehen sich um die Angst in der Gesellschaft und auch die Medien kommen keinen Tag ohne die Angst in den Schlagzeilen aus. Darin lassen sich die vielen Facetten und Dimensionen der Angst ablesen: die existenzielle Angst beispielsweise von Flüchtlingen, die sich in eine bessere Zukunft retten wollen; die merkwürdig inexistente Angst vor den Konsequenzen des Klimawandels; die dagegen recht profane Angst sämtlicher Fußballclubs vor dem Abstieg; oder aber die Diagnose risikofreudiger Unternehmenschefs, dass die German Angst zurück sei und die Nation lähme. Unter dem Label Angst versammeln sich Sorgen und Befindlichkeiten, reale und wahrgenommene Bedrohungen. Zunehmend auch das Gefühl einer um sich greifenden Unsicherheit angesichts der gravierenden Veränderungen unserer Welt, die uns alle betreffen werden.

Und überall die Angst

Wie entsteht das Gefühl der Angst? Angst ist nie grundlos. Sie ist die Reaktion auf eine Situation, die die Stabilität unseres Wohlbefindens – ob psychisch oder physisch – infrage stellt. Anlässe für den Angstzustand, in dem sich die Gesellschaft zu befinden scheint, gibt es genug. Terror überall, Krisen über Krisen in der Wirtschaft, planbarer Lebensweg: adé. Hinzu kommt die Ahnung, dass es wahrscheinlich für uns, die wir in Deutschland leben und die Welt beobachten, nicht immer so gut laufen kann wie momentan. Dass Probleme nicht nur verkraftet, sondern bewältigt werden müssen. Dass endlich etwas getan werden muss, statt dem Klimawandel nur zuzuschauen. Dass nicht mehr hingenommen werden kann, dass es Orte gibt, wo Menschen andere Menschen lieber umbringen, als existierende Unterschiede zu tolerieren. Dass der rasenden Geschwindigkeit der Produktion und Innovation der Wirtschaft, bei der so viele Menschen auf der Strecke bleiben, etwas entgegengestellt werden muss.

In Angst vereint

Angst macht etwas mit den Menschen. Sie radikalisiert den Einzelnen und polarisiert das Kollektiv. Sie vereint die Menschen über soziale Schichten hinweg und kann gleichzeitig einen Keil zwischen sie treiben. Vor allem aber bilden die Ängste, die in der Öffentlichkeit kursieren, den Zustand der Gesellschaft ab: sie zeigen, wo sich etwas bewegt und was noch erreicht werden muss; sie können Flucht nach vorne oder die Sehnsucht nach Vergangenheit bedeuten. Im Fall PEGIDA wurden Ängste verschiedenster Couleur kanalisiert und in die Öffentlichkeit geschrien. Ein Moment, der Erschrecken über bekämpft geglaubte Gedanken bei den einen und Erleichterung über die Legitimation der eigenen Ängste bei den anderen provozierte. Zugleich ein Moment, in dem die Gesellschaft gezwungen war, sich ihrer Werte bewusst zu werden; in dem ein Bild von der Gesellschaft, in der wir leben möchten, in einer öffentlichen Debatte entworfen wurde; in dem wir uns selbst inspizierten. Vielleicht auch nur ein Moment, in dem alle mal über dasselbe Thema nachdachten und redeten.

Eine reichlich positive Interpretation dieses Ausdrucks von Angst, könnte man kritisch entgegnen. Denn Angst ist ein egoistisches Gefühl, das auf das eigene Wohlergehen gerichtet ist und über die alarmierte Wahrnehmung der eigenen Bedürfnisse nicht hinauskommt. In diesem irrationalen Gefühlszustand werden Gefahren überschätzt, Anschein wird Wirklichkeit und der Blick auf die tatsächlichen Ursachen der Angst wird durch die schnelle Suche nach einem Sündenbock verstellt. Schwer vorstellbar ist es deswegen, dass aus dieser Dynamik heraus ein politischer und gesellschaftlicher Wille entstehen soll, der alle Interessen abwägt und sich nicht zu prompten Antworten verleiten lässt. „Wenn Angst ein hilfreicher Motivator in dieser Welt sein soll, dann werden die Menschen eine Konzeption für ihre eigene Sicherheit und ihr Wohlergehen ausbilden müssen wie auch für ihre Gesellschaft […]. Nichts davon ist instinktiv.“, konstatiert die amerikanische Philosophin Martha Nussbaum.

Ängste ernst nehmen

Seit jeher ist es deswegen die Aufgabe der Politik, die Angst der Menschen einzuhegen und die Risiken für den Einzelnen und die Gesellschaft zu minimieren: dafür begibt man sich in die Obhut des Staates. Die Erwartung an die Politik lautet, eben jene ganzheitliche Perspektive einzunehmen, die dem oder der Einzelnen in seiner egoistischen Angst verstellt bleibt. Dazu, so wird geraten, müsse die Politik die Ängste der Menschen ernst nehmen und die wahren Ursachen der Angst finden, um diese überwinden zu können. „Ängste ernst nehmen“, diese Losung ließ sich auch im Zusammenhang mit PEGIDA öfter vernehmen. Doch der Wille, die wahren Ursachen der Angst zu finden und diese gemeinsam zu beheben, stolpert meist schon über die nächsten Wahlen, für die lieber einfache Antworten auf die irrationalen Ängste bestimmter, gesellschaftlicher Gruppen präsentiert werden, als Angst zu dekonstruieren und Veränderungen auch gegen mächtige Interessen durchzusetzen.

Und so agiert die FDP in ihrem offenen Kampf gegen die Angst genauso uneinsichtig wie die aktuellen Regierungsparteien, deren Strategie es vorwiegend ist, die Angst zu ignorieren. Nichts ändert sich, wenn die FDP den Menschen ihren knallbunten Mut aufzwingt und ihnen befiehlt, Chancen statt Risiken zu sehen, obwohl diese untrennbar verbunden sind. Vielmehr offenbart sich in der neuen Politik der FDP ein Grundproblem von Angst in der Gesellschaft, dass uns die Fragen aufdrängt, wovor wir eigentlich wirklich Angst haben und wer bestimmt, welche Ängste die Öffentlichkeit dominieren.

Denn sie ist doch sehr offensichtlich, die Diskrepanz zwischen der Angst-Agenda der Gesellschaft und jener der Politik. Während die Europäer laut Umfragen soziale Ungleichheit als größte Bedrohung wahrnehmen, bekämpft die deutsche und europäische Politik lieber externe Angstbilder, wie den Terror im Ausland. Ein anderes Beispiel für dieses Missverhältnis ist der aktuelle Überwachungsskandal. Der laute Widerstand weniger Gruppen wird vom undurchdringbaren Schweigen der Regierung erdrückt und so regt sich nur zaghaft Missmut in der breiten Masse angesichts der massiven Einschränkung der persönlichen Freiheit. Nicht nur weil das Thema komplex zu sein scheint, schwer begreiflich in der individuellen, vom Alltag geprägten Lebenswelt, sondern auch, weil die Politik diese Angst nicht entstehen lassen, das Thema nicht greifbar machen will.

Angst als Vorwand

Mit der Angst ist es wie so häufig in der Politik: wichtige, drängende Ursachen der Angst werden unter den Tisch gekehrt, vertagt, in Tagesordnungspunkte aufgeteilt, bis niemand mehr weiß, was auf dem Spiel steht. Was ist der Grund hierfür? Zum einen, dass die Politiker nicht mehr in der Lage sind, grundlegende Veränderungen durchzusetzen. Sie scheitern an Meinungstrends, machen sich abhängig von der Zustimmung kleiner Interessensgruppen, manchmal auch an der Begrenztheit nationaler Politik angesichts globaler Probleme. Vor allem aber, weil durch das gezielte Schüren und Aufbauschen von Angst Legitimation geschaffen werden kann. Zum Beispiel für den Vorrang von Sicherheit vor Freiheit oder für die Stabilität des bestehenden Systems, in dem Macht und Reichtum vor allem vertikal verteilt werden. Unausweichlich werden dadurch drängende Probleme fallen gelassen und in den Hintergrund geschoben, aus denen sich kein Vorteil ziehen lässt oder deren Lösung der Bruch mit eingespielten und ach so bequemen Handhabungen bedeuten würde.

Die Frage, die wir uns deswegen immer wieder vor Augen halten müssen ist: wovor sollten wir Angst haben? Statt der Politik, Medien oder Wirtschaftseliten blind Angstdefinitionen abzukaufen, sollten wir unsere Ängste eingestehen, versuchen, zu erkennen, was dahinter steht, und unsere Unzufriedenheit klar artikulieren. Wir können uns dabei nicht darauf verlassen, was andere sagen. Und auch, wenn es die Aufgabe der Politik ist und sein soll, sich um die Ursachen der Ängste in der Gesellschaft zu kümmern, so sollten wir ihnen nicht die Deutungshoheit über Sorgen und Ängste überlassen. Sonst wird die Angst in der Gesellschaft weiterhin Spielball der Parteipolitik und der Eliten bleiben. Es ändert sich erst etwas, wenn die Politik gezwungen wird, die Prioritäten der Gesellschaft, ihre Sorgen, Wünsche und Nöte, die sich in Angstbegriffen ausdrücken können, nein, nicht zu instrumentalisieren oder zu ignorieren, sondern anzuerkennen. Nichts anderes sollten wir akzeptieren.


Alexa Keinert studiert Publizistik- und Kommunikationswissenschaften und Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin. Neben ihrer Stelle als Studentische Hilfskraft an einem Forschungsprojekt der Freien Universität arbeitet sie als Redaktionsassistentin bei einem europäischen Debattenmagazin.

2017-07-06T12:18:07+02:00 Kategorien: Gefühl + Glaube, Lesen|Tags: , , , , |