Kalter Schweiß

Kalter Schweiß

Todesangst tötet nicht, aber sie wird zum Horror, wenn das Erlebte einen immer und immer wieder überrollt.

Von Thalissa-Jennifer Klaps

„Alles fing mit den Schlafstörungen an“, sagt Ina. „Erst hatte ich Albträume, schreckte hoch und war wie erstarrt, dann wurde es schlimmer. Ich hatte Flashbacks, hatte sie fast täglich und kann bis heute nicht mit der U-Bahn fahren.“ Ina wurde vor ein paar Jahren auf einem U-Bahnhof überfallen, zusammengeschlagen und ausgeraubt. So wie Ina entwickeln 20% der Menschen eine posttraumatische Belastungsstörung, nachdem sie eine Situation erlebt haben, in der sie Todesangst hatten. 80% von ihnen leiden unter Flashbacks, die nicht verwechselt werden dürfen mit Panikstörungen, welche meist nicht in spezifischen Situationen auftreten.  „Flashbacks sind ein Definitionskriterium für posttraumatische Belastungsstörungen, was erklärt, warum so viele darunter leiden“, erklärt Thomas Fydrich, der das Institut für Psychologie an der Humboldt Universität Berlin leitet. „Die Betroffenen werden ungewollt hinein katapultiert in die traumatische Situation und erleiden körperliche und psychische Reaktionen, die der Realsituation stark ähnelt. Dabei sind meist Ähnlichkeitsreize der Angstträger, der einen Flashback auslöst.“

Bei Ina waren es laute Geräusche wie etwa das Fahren eines Zugs über Schienen, aber auch schnelle Schritte oder laute Schreie. Viele Geräusche erinnerten sie an das Erlebte: „In solchen Situationen habe ich gespürt, wie sich die Angst anschleicht und dann über mich zusammen bricht wie eine Welle. Ich habe angefangen zu zittern und konnte mich nicht von der Stelle bewegen. Es war jedes Mal so, als würde mir das nochmal passieren. Ich stand immer wieder auf dem Bahnsteig und wurde von hinten attackiert.“

Die hohe Ausschüttung von Stresshormonen auf Grund der Todesangst in der traumatischen Situation bewirkt, dass das Ereignis nicht vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis überführt wird, wie es normalerweise geschieht. Daher kann das Erlebte nicht mehr der Zeit und dem Ort zugeordnet werden. Flashbacks werden so durch nicht direkt wahrgenommene Situationen ausgelöst, obwohl die Gefahr real nicht besteht. „Betroffene erleben die Todesangst bei einem Flashback wieder, dabei ist jedoch Todesangst keine Realangst. Eine Realangst ist in diesem Sinne die Angst, wenn man auf einem schmalen Pfad an einer Klippe entlang läuft. Hier ist es wirklich gefährlich und lebensbedrohlich. Todesangst aber tötet nicht und ist nicht gefährlich, aber wird als gefährlich empfunden. Daher meiden die Betroffenen Situationen, die Ähnlichkeitsreize beinhalten könnten“, sagt Thomas Fydrich. „Die Angstreaktionen können den gesamten Alltag betreffen. Bei starker Ausprägung von Flashbacks, kann es sogar zu Dissoziationen kommen. Betroffene kommen dann mental nicht aus der Situation heraus und sind wie erstarrt. Sie können normale Alltagsanforderungen nicht mehr bewältigen.“

So erging es auch Ina. Sie konnte nicht mehr arbeiten gehen, geschweige denn das Haus verlassen. Sie hat sich vollkommen isoliert und kaum noch Besuch empfangen. „Ich hatte nicht nur immer wieder Todesangst, ich hatte Angst vor der immer wiederkehrenden Todesangst. Ich habe irgendwann die Fenster nicht mehr geöffnet, damit auch ja kein Geräusch hereindringt, was Auslöser für einen Flashback sein könnte. Ich habe nicht mehr am Leben teilgenommen. Dank meiner Familie habe ich es geschafft, mich in Behandlung zu begeben.“

Da das Ereignis im Gehirn nicht richtig repräsentiert ist, wird bei der Therapie versucht, dieses ins Gedächtnis zurückzuholen und in das Hier-und-Jetzt-Gedächtnis zu integrieren, damit die Flashbacks nicht mehr auftreten.  Aber auch das Erlebte zu akzeptieren, spielt bei der Therapie eine wichtige Rolle. Ina hat sich lange Zeit selbst Vorwürfe gemacht. Sie hätte doch wegrennen, um Hilfe schreien oder sich stärker wehren können. „Gerade bei interpersonellen Traumata, also wenn jemand einem anderen etwas antut, kommt es oft zur eigenen Abwertung. Die Betroffenen sind voller Scham. Mit diesen Gefühlen arbeiten wir“, erklärt Prof. Dr. Fydrich. Ziel der Therapie ist es, den eigenen Lebensraum zurück zu gewinnen. Ina ist auf dem besten Weg dahin.


Thalissa-Jennifer Klaps kommt aus Berlin und studiert im 6. Semester Publizistik an der Freien Universität Berlin. In ihrer Freizeit geht sie gerne schwimmen oder liest ein gutes Buch.

2017-07-06T12:18:08+02:00 Kategorien: Gefühl + Glaube, Lesen|Tags: , , , , |