Schulfrust statt Lernlust

Schulfrust statt Lernlust

Aufstehen, Schule, Hausaufgaben, Lernen, Sport, Schlafengehen – Der Alltag von Kindern gleicht heute dem eines berufstätigen Erwachsenen. Während die Schulzeit gekürzt wurde, ist der Leistungsdruck gestiegen. Da wundert es niemanden, dass Schüler nervös im Unterricht sitzen und Angst ein ständiger Begleiter ist. Wie sehr belastet die Schule unsere Kinder heute wirklich?

Von Friederike Schulz

15:00 Uhr – Schulschluss, Zeit zum Durchatmen! Janina* schwingt sich erleichtert auf ihr Fahrrad. Wenn die 13-Jährige aus der Schule kommt, ist sie bereits 9 Stunden auf den Beinen. Zuhause angekommen, ist an Entspannung und Freizeit jedoch nicht zu denken. Stattdessen stehen zwei Stunden Hausaufgaben und Lernen auf dem Plan, bevor es zum Training geht. Janinas Woche hat ca. 45 Arbeitsstunden – ein Pensum wie ein berufstätiger Erwachsener.

Schreibtisch

Kinder und Jugendliche müssen heute häufig ein Arbeitspensum bewältigen, das Erwachsenen nicht nachsteht.

So oder so ähnlich wie bei Janina sieht der Alltag vieler Kinder in ihrem Alter aus. Die Unbeschwertheit des Kindseins ist Leistungsdenken, Zeitknappheit und Konkurrenzdruck gewichen. Während Kinder vor 10 Jahren ihren Nachmittag mit Freunden auf dem Spielplatz oder im Schwimmbad verbrachten, ist die Freizeit der heutigen Generation bis zuletzt durchgeplant und mit Terminen vollgestopft. Das Stresslevel ist deutlich höher als damals, wie das LBS-Kinderbarometer 2015 zeigt – eine bundesweite Befragung von 11.000 Kindern zwischen neun und 14 Jahren. Dabei ist die Schule mit Abstand der größte Stressfaktor für Kinder. Ein guter bis sehr guter Abiturdurchschnitt ist heute wichtiger als je zuvor und die Grundlage, um später den gewünschten Studienplatz zu bekommen und Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu haben. Schließlich ziehen drei Viertel der Abiturienten eine akademische Laufbahn einer Berufsausbildung vor, da sie sich davon bessere Berufsaussichten und ein höheres Einkommen versprechen. Das zeigen die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW). Der Druck hat durch die Verkürzung der Gymnasialzeit noch zugenommen. Die Schule ist daher zum Taktgeber im Alltag geworden, nicht nur für die Kinder, sondern auch für die Eltern.

Leistungsdruck und Zeitknappheit statt Unbeschwertheit und Spaß

Janina ist Schülerin am Otto-Nagel-Gymnasium in Berlin-Hellersdorf und besucht die 7. Klasse. Die Oberschule ist bei Eltern begehrt: Die Lehrmethoden sind besonders modern, die Abiturnoten überdurchschnittlich gut. Umso größer ist jedoch auch der Druck, den hohen Anforderungen gerecht zu werden. Um 7:00 Uhr fährt Janina mit dem Fahrrad zur Schule. In ihrem Rucksack befindet sich neben Block, Heftern und Federtasche auch ein Mac Book. Der Kauf war für alle Schüler vor der Einschulung obligatorisch. Das Otto-Nagel-Gymnasium will seine Schüler damit optimal auf die digitale Welt vorbereiten. Der Unterricht beginnt um 8:00 Uhr. Heute stehen Deutsch, Englisch, Spanisch, Biologie und Kunst auf dem Plan – ein straffes Programm! An der Schule mag Janina deshalb auch am liebsten die Pausen, weil sie sich dann zumindest kurz mit ihren Freunden austauschen kann.

An drei Tagen in der Woche geht Janina außerdem zum Fußball und jeden Dienstag zum Tanzunterricht. Der Sport mache ihr Spaß, führe aber auch zu zusätzlichem Stress, gibt Janina zu. Auch wenn ein Hobby weniger Freizeit bedeutet, schafft regelmäßiger Sport einen positiven Ausgleich zum Schulstress. So berichten auch in der LBS-Studie die Kinder, die Sport im Verein treiben, über ein höheres Wohlbefinden.

Angst – ein unbewusster Begleiter im Alltag

Der Alltagsstress und der Leistungsdruck in der Schule erzeugen bei vielen Kindern eine Art „Schulangst“. Fragt man Kinder wie Janina nach ihren Ängsten, ist nicht mehr von Spinnen oder Hunden die Rede. „Ich empfinde Angst, wenn ich einen Vortrag halten oder eine wichtige Arbeit schreiben muss“, sagt die 13-Jährige. Die Schule ist in den Köpfen der Kinder omnipräsent. Hausaufgaben, Tests, Vorträge – eigentlich ist immer etwas zu tun, nicht selten stehen gleich mehrere Dinge pro Tag an. Kein Wunder, dass Janina meist nervös und ängstlich im Unterricht sitzt. Bei einigen Kindern geht die Angst mittlerweile sogar so weit, dass sie immer häufiger unter Bauch- und Kopfschmerzen leiden oder gar nicht mehr zur Schule gehen wollen. Lange Schultage, viele unterschiedliche Fächer, Arbeiten und Tests, arbeitsintensive Hausaufgaben – all das kann Kinder überfordern und Schulangst auslösen.

Eine 2008 von der TU Dresden im Auftrag der WHO durchgeführte Studie beschäftigt sich u.a. mit dem Einfluss der Schule auf das Wohlergehen der Kinder und zeigt, dass Schulangst in den meisten Fällen auch durch zu hohe Erwartungen der Eltern an die Kinder ausgelöst wird. Druck von Seiten ihrer Eltern spürt Janina aber eigentlich nicht. Vielmehr ist ihr schon selbst bewusst, wie wichtig ein guter Schulabschluss für das spätere Leben ist. Sie war schon immer ein ehrgeiziger Typ – ob im Sport oder in der Schule. Allerdings übertragen Erwachsene ihre Zukunftsängste oft ganz unbewusst auf ihre Kinder. So fand unter anderem die ELTERN-Studie 2015, bei der 1006 Mütter und Väter von Kindern bis zwölf Jahre sowie 727 Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren befragt wurden, heraus, dass sich die Mehrheit der Eltern durch die Leistungsansprüche der Gesellschaft unter Druck gesetzt fühlt und zu hohe Ansprüche an sich selbst und die eigenen Kinder stellt – schließlich sollen die es einmal besser haben. Den Elternstress bekommt auch der Nachwuchs zu spüren. Angst ist daher heute für Kinder ein unterbewusster Begleiter im Alltag geworden. Laut LBS-Barometer fühlen sich ein Viertel alle neun- bis 14-jährigen Kinder regelmäßig gestresst, 18 % davon „oft“, 40 % zumindest „manchmal“. Die Folgen sind nicht selten Müdigkeit, Kopfschmerzen und Gereiztheit. Nicht immer kann direkt von „Schulangst“ gesprochen werden. Es gibt viele Kinder, wie Janina, die mit den Anforderungen, die an sie gestellt werden, gut zurechtkommen. Das subjektive Stressempfinden ist individuell jedoch ganz verschieden. Das gilt für Erwachsene ebenso wie für Kinder. Umso mehr negative Emotionen Kinder jedoch mit der Schule verbinden, desto größer kann die Angst werden. Der Übergang von Stress zu Angst ist daher fließend. Fakt ist, dass die Generation „Kind“ heute nicht mehr ganz so unbeschwert durch das Leben geht und Gefühle wie Stress und Angst zur Regelmäßigkeit geworden sind. Umso wichtiger ist es, regelmäßig Freiräume für Hobbys und Freunde, aber auch zum Nichtstun und Entspannen zu schaffen.

Janinas Tag endet gegen 22:00 Uhr. Bevor sie schläft, liest sie meist noch eine halbe Stunde. Dabei kann sie am besten entspannen – bis morgen um sechs Uhr erneut der Wecker klingelt.

* Name von der Redaktion geändert


Friederike Schulz studiert seit 2013 an der FU Berlin Publizistik- und Kommunikationswissenschaft im Hauptfach und Deutsche Philologie im Nebenfach. Zuvor absolvierte sie eine Ausbildung zur Kauffrau für Marketingkommunikation. Neben dem Studium arbeitet sie in einer Online-Redaktion und als Tanzlehrerin. 

2017-07-06T12:18:08+02:00 Kategorien: Gefühl + Glaube, Lesen|Tags: , , , , , |