Verschwörungstheorien: Ein Teufelskreis der Angst

Verschwörungstheorien: Ein Teufelskreis der Angst

Jeder kennt sie. Sie tauchen nach fast jeder Katastrophe aufs Neue auf: Verschwörungstheorien. Was von vielen als Humbug belächelt wird, ist den selbsternannten Verschwörungs-Jüngern allerdings bitterer Ernst. Wie Verschwörungstheorien in den Bann der Angst ziehen und letztendlich ein gefährlicher Teufelskreis der Panikmache entsteht.

Von Julia Stollberg

31. August 1997: Das berühmte Paar steigt in den Mercedes und macht sich von seinem Hotel auf den Weg durch den Pont de l’Alma Tunnel. Beide sterben in einem Unfall in jenem Tunnel, ihr Fahrer unter dem Einfluss von Alkohol. Der einzige Überlebende ist ihr Bodyguard. Die Rede ist, natürlich, von Diana, Princess of Wales, und ihrem damaligen Freund Dodi Al-Fayed. Ganz Großbritannien ist nach ihrem Tod in tiefer Trauer und sie wird auch heute noch oft als Königin der Herzen bezeichnet
.

Quelle: David Fernández

Unter der Pont de l’Alma entsprangen die ersten Diana-Verschwörungstheorien. Foto: ‚Diana‘ von David Fernández / CC BY-NC-ND 2.0

Aber: Die Welle der öffentlichen Trauer, die Dianas Tod folgte, hatte einen Begleiter. Schon seit 1997 kursieren mehrere Verschwörungstheorien über ihr Ableben, und keine von ihnen folgt der offiziellen Darstellung der Ereignisse. Warum hatte Diana ihren Sicherheitsgurt nicht angelegt? Warum verzögerte sich der Transport von der Unfallstelle zum Krankenhaus? Warum fehlte die Videoüberwachung des Wagens vom Hotel zum Unfallort? Die Antwort darauf ist, wenn man die Verschwörungstheoretiker fragt, klar: Dianas Tod war keine “widerrechtliche Tötung”, sondern Mord. Und als Täter kommt nur MI6 in Frage.

Ähnlich wie bei den Theorien, die Dianas Tod umkreisen, kommt es immer wieder zu solchen Behauptungen – der unten zu sehende Zeitstrahl zeigt nur einige von ihnen. Die meisten sind nicht bewiesen oder gar beweisbar und oft auf eine Art und Weise non-konform, die nicht kritisches Denken, sondern Panikmache hervorruft. Obwohl Verschwörungstheorien oft als antiautoritäre Manifeste, die sogar richtig “edgy” sein können, dargestellt werden, spielen sie mit der Angst ihrer Anhänger und haben so keine positiven Auswirkungen. Die Panikmache, die zum Beispiel unter Diana-Fanatikern verbreitet wird, transformiert die Theorien von einer relativ harmlosen Nebenbeschäftigung zu einem negativen gesellschaftlichen Einfluss. Brian Keeley von der Washington University in St. Louis erklärt, dass Verschwörungstheorien dazu führen, dass ihre Anhängern das Vertrauen in öffentliche Institutionen verlieren und so an jeder noch so offensichtlichen Wahrheit zweifeln. Dadurch verlieren Theoretiker den Halt in der Gesellschaft und akzeptieren ein deterministisches Weltbild, das im 20. Jahrhundert laut Keeley nichts mehr zu suchen hat – nämlich dass einige wenige Bösewichte uns alle kontrollieren. So erreichen Verschwörungstheorien also nur ein einziges Ziel – das Weiterbestehen der Angst, aus der sie geboren wurden. Und aus genau dieser Angst und Panikmache ergibt sich ein Teufelskreis, der die weitere Existenz der Verschwörungstheorien so gut wie garantiert.

Der Ursprung der Verschwörungstheorie

Der Eintritt in diesen Teufelskreis beginnt mit der Kreation einer Verschwörungstheorie. Obwohl deren offensichtlichste Wirkung eher die Verbreitung von Angst ist, scheint der ursprüngliche Grund ihrer Schöpfung der Mangel an Kontrolle, der durch eine Katastrophe bei ihren Betroffenen hervorgerufen wird, zu sein. Psychologen sind sich einig, dass dieser Mangel an Kontrolle das Wahrnehmen nicht existenter Muster erhöht – Jennifer Whitson und Adam Galinsky von der University of Texas führten hierzu mehrere Experimente durch, die unter anderem direkt den Bezug zu Verschwörungstheorien und Aberglauben beleuchteten. Dieser Bezug sind illusorische Muster, die in vielen Fällen zu Verschwörungstheorien werden. Im Falle von Dianas Tod ist der Ursprung der am meisten verbreiteten Theorie beim Vater Dodi Al-Fayeds zu finden. Als Reaktion auf den Tod seines Sohnes schuf er die Verschwörungstheorie, dass die britische Krone Diana und seinen Sohn aufgrund ihrer Beziehung und Dianas (nicht existenter) Schwangerschaft töten ließ.

Glaubt man an eine, glaubt man an alle

Damit beginnt die zweite Phase der Theorie – ihre Verbreitung. Obwohl man annehmen könnte, dass der Glaube an Verschwörungstheorien einzig und allein am individuellen Charakter festgemacht wird, haben andere Verschwörungstheorien bereits vor dem Hören der neuen Theorie einen großen Einfluss. Eine Studie über die Verschwörungstheorien um Dianas Tod von der University of Kent bewies, dass ihre Teilnehmer gut wahrnehmen konnten, wie sich die Einstellung anderer nach dem Konsum des Verschwörungs-Materials verändern könnte, unterschätzten aber ernsthaft ihre eigene Beeinflussbarkeit. Diese Art von Denken trägt zur Ausbildung der Panikmache bei – jeder ist beeinflussbar, und die Beeinflussung kann so subtil sein, dass man sie gar nicht wahrnimmt, bis es zu spät ist. Zudem erhöht sich beim Glauben an eine Verschwörungstheorie die Wahrscheinlichkeit, auch an andere zu glauben – selbst wenn diese sich gegenseitig ausschließen. Somit zeigt sich, dass Verschwörungstheorien, oder zumindest der Glaube an sie, nicht logisch basiert sind, sondern der Ursprung ihrer Verbreitung tatsächlich in der Panikmache liegt.

Kein Entkommen

Sobald man in einen so kreierten Teufelskreis eintritt, ist der Austritt fast unmöglich. Obwohl als erster psychologischer Verursacher der Verschwörungstheorie der Mangel an Kontrolle zu nennen ist, glauben später indoktrinierte Menschen aus unterschiedlichen Gründen an die Theorie – verschiedene Studien, unter anderem eine Studie der International Society of Political Psychology und eine Studie der British Psychological Society, fanden niedriges Selbstbewusstsein, Mangel an zwischenmenschlichem Vertrauen, politischen Zynismus und Extremismus und negative Einstellung gegenüber Machthabern in Unterstützern von Verschwörungstheorien. All diese Ausprägungen sind sowohl Gründe als auch Auswirkungen des Glaubens an Verschwörungstheorien, sodass eine zyklische Struktur aufrechterhalten wird. Für den Erfinder der Verschwörungstheorie erhöht eine große öffentliche Unterstützung seiner Theorie die Kontrolle, die er verspürt – und so wird die Angst und Panikmache unter den Anhängern der Theorie instrumentalisiert.

Ein Ausbrechen aus dem Teufelskreis wird dadurch erschwert, so argumentieren zumindestC. Sunstein und A. Vermeule von der University of Chicago, dass unter Verschwörungstheoretikern Versuche, ihre Theorien zu widerlegen, als zusätzliche Beweise dieser angesehen werden. So ist es kein Wunder, dass auch noch im Jahr 2011 ein Film über Dianas Tod bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes gezeigt wurde. Obwohl Verschwörungstheorien eher wie eine harmlose Gruppenaktivität scheinen, wird ihr Einfluss und ihre Beständigkeit auf einer gesellschaftlichen Ebene unterschätzt. Als Teufelskreis der Angst haben sie einen festen Platz in der Gesellschaftsstruktur und werden wohl immer instrumentalisierte Angst verbreiten.

Titelbild: ‚Message of the day‘ von Mikey / CC BY 2.0


Julia Stollberg studiert Englisch und Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin. Sie ist im sechsten Semester und plant, ihre Bachelorarbeit mit dem Schwerpunkt der Cultural Studies zu schreiben – nur vielleicht nicht gerade über die Angst.

2017-07-06T12:18:08+02:00 Kategorien: Gefühl + Glaube, Lesen|Tags: , , , |