Echte Mauer oder falscher Beton?

Echte Mauer oder falscher Beton?

Auch mehr als 25 Jahre nach ihrem Fall floriert der Handel mit Stücken der Berliner Mauer in Souvenirshops und bei Straßenhändlern. Besonders in Berlin sind die übrig gebliebenen Brocken beliebte Andenken. In der Hauptstadt werden sie vor allem von Volker Pawlowski vertrieben. Er konnte sich nach dem Mauerfall eine große Menge der Mauerreste sichern und verkauft diese erfolgreich bis heute. Doch egal wo man ein solches Stück Geschichte kauft – ob man nach dem Erwerb ein Original oder nur eine billige Fälschung in den Händen hält, ist meistens purer Zufall. Verschiedene Untersuchungen haben ergeben, dass etwa ein Drittel bis die Hälfte aller geprüften Stücke gefälscht sind und auch gegen Pawlowski wurden immer wieder Vorwürfe laut, die die Echtheit einiger seiner Stücke anzweifelten.

Von Fabian Lebus und Aurélie Pasquelin

Ralf Milke ist Mineraloge an der FU Berlin und hat eine Methode zur Echtheitsbestimmung der Mauerstücke gefunden. Ein Interview.

Herr Milke, können Sie uns sagen, bei welchen Stücken es sich um Fälschungen handelt?

Ja, mittlerweile weiß ich, welche Produkte aus den Souvenirshops mit hoher Wahrscheinlichkeit Fälschungen sind. Es gibt viele montierte Stücke auf Plexiglassockeln, die im Laden vom Herrn Pawlowski hier in Berlin verkauft werden. Diese sind nicht ganz billig, dafür aber echt. Darunter hatte ich noch keine einzige Fälschung. Im gleichen Laden kann man aber auch lauter kleinere Teile kaufen, in Plastikdöschen, als Teil von Postkarten, oder Lesezeichen. Die sind meistens Fälschungen. Das erkennt man schon beim bloßen Hinsehen und wenn man sie herausnimmt, kann man sie mit den bloßen Fingern zerbröseln. Wenn das die Mauer gewesen wäre, wären die ja mit einem Trabbi durchgefahren.

Trotzdem werden auch diese Stücke als Originale gekennzeichnet?

Die werden als Originale verkauft und der Herr Pawlowski behauptet auch, bei ihm im Laden gäbe es nur Originale. Das stimmt aber nur für seine montierten Brocken, für die anderen Sachen meistens nicht. Er macht das auch nicht selbst, das wird alles irgendwo gebaut. Eine Meinung möchte ich dazu nicht äußern. Für mich persönlich entsteht so ein lustiges Betätigungsfeld, das mich und meine Mineralogie sogar in gut sichtbare Medien bringt. Mir macht das Spaß.

Haben Sie auch nur zum Spaß damit angefangen, die Mauerstücke zu analysieren?

Ralf Milke macht den Echtheitstest. Foto: Fabian Lebus

Ralf Milke macht den Echtheitstest. Foto: Fabian Lebus

Nein, es war damals eine Anfrage von Journalisten. 2010 ging es los. Für eine Sonderausgabe zum 20. Jubiläum der Wiedervereinigung haben sie jemanden gesucht, der herausfinden kann, ob Mauerstücke gefälscht sind. Sie bekamen den Tipp, einen Mineralogen zu befragen und ich war der Mineraloge in Berlin. Ich sagte ihm ich hätte so etwas noch nie gemacht, aber ich kriege das raus. Eine Woche hatten wir Zeit und in dieser haben wir es auch gelöst. Seit dem gibt es zu jedem Jubiläum auch immer wieder neue Anfragen.

Können Sie uns erklären, wie die Methode funktioniert, die sie in so kurzer Zeit entwickelt haben?

Die harte Methode ist die sogenannte Röntgen-Pulverdiffraktion, oder auch Röntgenbeugung. Damit kann man ‚den Fingerabdruck von Mineralien feststellen‘. So nenne ich das. Gesteine bestehen aus kristallinen Materialien und Beton ist nichts weiter als ein künstliches Gestein. Durch die Methode lässt sich innerhalb eines kristallinen Materials die Struktur des Kristalls identifizieren. Dadurch habe ich habe festgestellt, dass der Beton der Berliner Mauer eine ganz spezifische Beschaffenheit hat, die sich durch die Methode nachweisen lässt.

Was macht diese besondere Beschaffenheit der Berliner Mauer aus?

Grundsätzlich besteht Beton aus zwei Bestandteilen: zum einen aus der aushärtenden Zementmasse und zum anderen aus zugeschlagenem Sand und Kies. Aus Sand und Kies können wir nichts ablesen, aber der Zement stammt, wie bei allem hier in Berlin, aus dem Zementwerk Rüdersdorf. Er enthält ein ganz spezifisches Mineral. Die Mineralien in Beton sind aufgrund ihrer undeutlichen Kristallstruktur nur schwer charakterisierbar. Sie bestehen alle aus oxidiertem Kalzium, Silizium und Wasserstoff und tragen daher den Gesamtfamiliennamen CSH-Phasen. Eine davon erzeugt bei der Röntgenbeugung einen ganz besonderen Ausschlag, der später im Diagramm zu sehen ist. Das ist eigentlich auch das einzige Merkmal, auf das wir uns konzentrieren. Aus Gründen, die ich nicht einmal genau angeben kann, unterscheidet sich der Mauerbeton von vielen anderen Betonsorten, die genau diesen Ausschlag nicht zeigen.

Gibt es auch rein äußerliche Kriterien, mit denen man die Stücke außerhalb eines Labors als Laie unterscheiden kann?

Als Laie kann man das nicht sofort erkennen. Allerdings ist man in der Lage verdächtige Stücke ausfindig zu machen, wenn man nur ein kleines bisschen sensibilisiert wird. Es gibt eine Reihe von optischen Kriterien. Wenn man viel mit dem Material hantiert, bekommt man ein Auge dafür und wird langsam sensibel für die Farbe des Betons. Er hat einen Stich ins gelbbräunliche, andere Betonsorten sind meistens einfach nur grau. Mit geübtem Auge sieht man sofort, dass solche Stücke falsch sind. Ein weiteres wichtiges Kriterium ist eine verfärbte Zone unter dem Farbauftrag, etwa fünf Millimeter dick. Diese Zone ist nachgedunkelt und entsteht durch Verwitterungseinflüsse. Außerdem hat der Mauerbeton eine gewisse raue Oberflächenstruktur.

Sie sprachen von den Anfragen der Journalisten. Können auch Privatleute Stücke bei Ihnen analysieren lassen, falls die optischen Kriterien nicht ausreichen?

Ja, das mache ich auch auf Anfrage. Sie können mir ganz einfach Proben zuschicken. Ich finde das sehr amüsant. Ein mögliches Feld für Mineralogen ist die Gemmologie, die Echtheitsbestimmung von Edelsteinen. Ist ein Stein natürlich, oder ist er eine Fälschung? Was ich hier mache, ist im Grunde die Satire darauf.

Neben dem Spaßfaktor – verlangen Sie auch etwas für die Analyse?

Es ist ja im Grunde kein teurer Gegenstand, so ein Mauerstück. Mein Preis ist normalerweise, dass die Leute dann 10 Euro in die Kaffeekasse unserer Abteilung zahlen. Dafür kriegen sie dann auch ein richtiges Echtheitszertifikat ausgestellt.

Von allen untersuchten Stücken: Wie hoch war insgesamt der Anteil der Fälschungen?

Diese Frage ist nur unter Vorbehalt zu beantworten, denn ich muss betonen, dass der Anteil der Fälschungen bei den Untersuchungen nicht unbedingt mit dem Anteil der Fälschungen an verkauften Mauerbrocken gleichgesetzt werden kann. Die Sachen, die von privat kommen, waren bis auf ein einziges Mal immer echt. Bei den journalistischen Stichproben mit einer breiten Palette an Objekten liegt der klar als Fälschung erkannte Anteil ungefähr bei einem Drittel bis der Hälfte.

Titelbild: ‚Berlin 1989, Fall der Mauer, Chute du mur‘ von Raphaël Thiémard / CC BY 2.0


Fabian Lebus ist 21 Jahre alt. Er studiert im Hauptfach Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und im Nebenfach Politikwissenschaft im 5. Semester.In seinem Studium interessiert er sich besonders für Journalismus. Privat beschäftigt er sich gern mit Fotografie und Musik.


Aurélie Pasquelin studiert dieses Semester an der FU als Erasmus Studentin. Sie kommmt aus Tours in Frankreich. Dort ist sie im 3. Semester des Masters Journalismus und Geschichte an der Université Catholique de Lille. In ihrer Freizeit mag sie es zu Reisen und neue Kulturen kennen zu lernen.