Ossis und Wessis forever?

Ossis und Wessis forever?

Auch 25 Jahre nach dem Mauerfall gibt es noch immer Differenzen zwischen Ost- und Westbürgern. Einige, wie die Unterschiede im Bruttoeinkommen, sind offensichtlich, andere, wie die unterschiedlichen Zukunftswünsche, eher weniger. Doch trotz des Wissens um den durch verschiedene Umfragen und Studien belegten fortbestehenden Ost-West-Konflikt, scheint eine endgültige innere Einheit noch immer in weiter Ferne zu liegen.

Von Nele Templin und Antonia Grzelak

Erik Löwe sitzt mit einer heißen Tasse Kaffee im Gemeinschaftsraum des Altenheimes in Berlin-Köpenick. Der 71-Jährige wohnt hier bereits seit über drei Jahren und ist insbesondere begeistert von der Lage im östlichen Berlin. „Hier, ganz weit im Osten von Berlin, da hat man noch einen Sinn für Gemeinschaft. Wir sind eine kleine, eingeschworene Gruppe hier und das ist auch gut so. Hätte ich auf meine Kinder gehört und wäre in ein Altenheim im Westen gegangen, dann wäre ich bestimmt nicht so zufrieden. Da bin ich mir sicher“, sagt Löwe. Der gebürtige Dresdner hält nicht viel vom vereinigten Deutschland. Vor allem die Einstellung der Westdeutschen mindert seine Begeisterung für die innere Einheit. „Wir sind einfach zu verschieden.“

Der Wahl-Berliner ist nicht der einzige, der auch 25 Jahre nach der Wiedervereinigung noch an unterschiedliche Mentalitäten in Ost und West glaubt. Grund dafür sind weiterhin bestehende Differenzen zwischen Menschen im Osten und Westen Deutschlands. Laut einer aktuellen Studie des Instituts für Demoskopie in Allensbach sehnen sich 30 Prozent der Ostdeutschen nach der DDR und knapp ein Viertel sieht sich gar als Verlierer der Wende. Renate Köcher, die Geschäftsführerin des Allenbach Instituts, beschäftigte sich mit Gründen für diese Einschätzungen. Grundlage ist eine repräsentative Umfrage von 1573 Ost- und 1520 Westdeutschen der Wende- und Vorwendegeneration, die vorrangig den jetzigen Stand der Wiedervereinigung betrachtet.

Zufriedene Westdeutsche verdienen immer noch 1.000 Euro mehr als kritische Ostdeutsche

Eines der Hauptprobleme sind die Unterschiede beim Bruttoeinkommen. So verdienen Westdeutsche noch immer circa 1.000 Euro mehr als Ostdeutsche. Doch neben den ökonomischen Differenzen sind es vor allem unterschiedliche Beurteilungen der gegenwärtigen Lebensumstände, die für eine fortbestehende Kluft zwischen Ost und West sorgen. Während Westdeutsche mit ihrer Lebensqualität im vereinigten Deutschland im Allgemeinen durchweg zufrieden sind, so zeigen sich die Ostdeutschen deutlich skeptischer und äußern Kritik am politischen System sowie den Wertvorstellungen und dem gering ausgeprägten Gemeinschaftssinn der Westdeutschen.

„Die Wessis kümmern sich doch vor allem um ihre Karriere. Die sind egoistisch und könnten sich eine Scheibe von uns Ossis abschneiden“, meint zum Beispiel Erik Löwe. Der Dresdner ist überzeugt davon, dass die Westdeutschen überwiegend arrogant seien und sich für etwas Besseres hielten. „Die im Westen sind auf’s Geld versessen, oberflächlich, und kümmern sich nicht um ihre Mitmenschen. Bei uns im Osten ist das anders. Wir helfen einander, halten zusammen. Wir haben noch die richtigen Moral- und Wertvorstellungen hier“, sagt der 71-Jährige. Über Allensbacher Studienergebnisse, die belegen, dass Westdeutsche eine hohe Meinung von Ostdeutschen haben sollen, kann er nur den Kopf schütteln. „So ein Unsinn, die denken doch, wir würden nur rumjammern.“ Doch das ist nicht das einzige, was dem Dresdner sauer aufstößt.

Insbesondere das Denunzieren der Lebensumstände in der DDR findet er unberechtigt. „Ich bin in der DDR aufgewachsen und ich mag es nicht, dass alles schlechtgeredet wird. Es war sicherlich kein Märchen, aber so schlimm wie es Wessis immer erzählen, war es nun auch nicht“, versichert er. Rückblickend würde er seine Kindheit als glücklich beschreiben, als eine Zeit voller Familiensinn. „Das lasse ich mir von niemanden schlechtreden!“

‚Besser-Wessis‘ und ‚Jammer-Ossis‘ – eine gemeinsame Identität gibt es nicht

Tatsächlich aber zeigen verschiedene Studien, dass Westdeutsche ihre Mitbürger im Osten generell mit positiven Attributen beschreiben. So charakterisieren sie diese als fleißig, freundlich und hilfsbereit, während sie sich selbst eher kritisch beurteilen. Ostdeutsche hingegen sehen Westdeutsche als geldversessene Egoisten, die zudem arrogant und oberflächlich sind. Einzig Selbstbewusstsein halten sie den Westdeutschen zugute. Dabei bewerten sich Ostdeutsche selbst sehr positiv, beschreiben sich als erfinderisch und hilfsbereit und loben ihren Gemeinschaftssinn. Für die Verbreitung dieser Vorurteilsstrukturen ist Erik Löwe ein Musterbeispiel.

Oskar Niedermayer hat sich eingehend mit der Problematik von ‚Besser-Wessis und Jammer-Ossis‘ auseinandergesetzt. Der Professor für Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin ist überzeugt davon, dass die vorherrschenden Strukturen auf Erfahrungswerten basieren. „Wenn man sich die ersten Jahre des Einigungsprozesses ansieht, dann haben viele Ostdeutsche Erfahrungen mit einem bestimmten Typ von Westdeutschen gemacht: Versicherungsvertreter, die den Bürgern vieles aufgeschwatzt haben, was sie nicht brauchen und ähnliches. Oder eben auch die Erfahrung mit Restitutionsansprüchen. Da sind Leute rüber und wollten ihre alten Grundstücke wieder haben, was zu bösem Blut geführt hat. Es gibt einfach kein gemeinsames Identitätsgefühl“, sagt Niedermayer. Weiterhin kritisiert er, dass in vielen Fällen die Abgrenzung der eigenen Biographie von der Beurteilung des Systems nicht vorgenommen werde. Und wenn die jährliche Fernseh-Doku wieder einmal die Schrecken der DDR beschreibt, hinterlässt es bei vielen Ostdeutschen das Gefühl einer Kritik an ihnen selbst, anstelle des politischen Systems hinter der Mauer. Zur Beilegung des Ost-West-Konfliktes trägt dies nur schwerlich bei.

Die innere Einheit braucht noch Zeit

Auch Erik Löwe ist überzeugt, dass die Ost-West-Problematik weiterhin Thema sein wird: „Ich bin mir sicher, dass noch lange über Ossis und Wessis geredet werden wird. Das ist nun mal Teil unserer Geschichte und kann nicht einfach so ignoriert werden. Ich meine, solange die im Westen noch mehr verdienen und mehr Rente beziehen als wir hier im Osten, solange kann man nicht sagen, dass es keine nennenswerten Unterschiede mehr gibt. Das ist ja schließlich noch immer so; das sehe ich ja bei meinen Kindern“. Er legt eine Hand in seinen Nacken und verzieht seinen Mund. „Meine Enkelkinder sehen das vielleicht weniger so“, gesteht er, fügt allerdings schulterzuckend hinzu: „Ist vielleicht nur eine Frage der Zeit.“

Tatsache ist, dass auch Experten überzeugt sind, dass der Ost-West-Konflikt auch weiterhin für Gesprächsstoff sorgen wird. Zwar sind Maßnahmen geplant, um die Differenzen zu begleichen – so beispielsweise das Angleichen der Renten in Ost und West bis 2019 – doch um die vorherrschenden und weit verbreiteten Vorurteile zu beseitigen, muss Zeit vergehen. Auch Oskar Niedermayer äußert sich dahingehend: „Diese Vorurteilsstrukturen prägen immer noch das Verhalten einiger Menschen. Generationen, die heute im vereinten Deutschland aufgewachsen sind, bemerken es in ihrer Lebenserfahrung immer noch. Diese Generation ist weit weniger vorurteilsbelastet, aber sie erfahren von ihrer Umwelt immer noch, dass diese Vorurteile da sind. Und ich glaube deswegen durchaus, dass man da eigentlich optimistisch sein kann, dass sich das mit dem Generationenwandel immer stärker verflüchtigt.“ Allerdings mahnt er: „Aber man muss eben auch sehen, dass der schöne Satz von Willy Brandt „Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört“ eben doch sehr langfristig zu sehen ist und in ein, zwei Jahrzehnten eben nicht erledigt ist.“

Titelbild: © Marc Tollas / pixelio.de


Nele Templin ist Wahlberlinerin und studiert im 3. Semester Kunstgeschichte mit dem Nebenfach Publizistik- und Kommunikationswissenschaften. In ihrer Freizeit geht sie gern ins Theater oder trifft sich mit Freunden. Das nächste Wintersemester wird sie in Hongkong verbringen.


Antonia Grzelak

2017-07-06T12:18:10+02:00 Kategorien: Berlin + Brandenburg, Lesen|Tags: , , , , , , , |