Sensation!? Die stumme alte Frau

Sensation!? Die stumme alte Frau

Als der Tübinger Professor Nicholas Conard im Jahr 2008 eine 40.000 Jahre alte Elfenbeinfigur einer Frau in einer Höhle in der Schwäbischen Alb entdeckt, ist schnell von einer Sensation die Rede. Schließlich gilt die Venus vom Hohle Fels als älteste figürliche Darstellung eines Menschen. Die Aufregung hat sich mittlerweile gelegt. Zeit ist vergangen, in der sich die Archäologie der Bedeutung der Medien-Sensation gewahr werden konnte. Was können wir wirklich von Ihr lernen? Viel ist es nicht!

Von Lars-Ole Müller

Den Beruf eines Archäologen kennt man eigentlich nur aus den Indiana Jones Filmen und es ist einfach festzustellen, dass die alltägliche Arbeit dieser Berufsgruppe etwa so weit von dem entfernt ist was Indiana Jones tut, wie die eines Astronauten von den Weltraumschlachten eines Luke Skywalkers. Ein Archäologe kämpft nicht peitschenschwingend mit Eingeborenen oder verführt blonde Schönheiten in exotisch anmutenden Hotelzimmern. Er springt auch nicht aus Flugzeugen und fahrenden Autos, genauso wenig reist er permanent um den Globus.

Ein Archäologe gräbt, buddelt und staubt Dinge ab. Jahrelang. Und das zudem oft immer wieder an ein und demselben Ort. Doch manchmal findet dann auch er einen Schatz, ganz wie Indiana Jones. Und auch wenn es sich dabei nicht um die Bundeslade, den verlorenen Diamanten oder den Kristallschädel handelt, so können bedeutsame archäologische Funde doch eine große öffentliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen und ihrem Finder zu einem Prestigegewinn verhelfen.

VenusHohlefels2

Die Venus vom Hohle Fels wurde aus Mammutelfenbein gefertigt. (Foto: Ramessos)

Einen dieser bedeutsamen Funde hat der Tübinger Professor Nicholas Conard im September 2008 zu Tage gefördert. Mitarbeiter seines Teams fanden in der Karsthöhle Hohler Fels in der Schwäbischen Alb künstlich bearbeitete Elfenbeinstücke, die sie anschließend zu einer bis auf den linken Arm vollständigen Figur einer Frau mit besonders ausgeprägten Sexualmerkmalen zusammensetzen konnten.

Mit Hilfe der in der Archäologie üblichen Radiokarbonmethode wurde das Alter der Figur auf 35.000 bis 40.000 Jahre geschätzt. Ist diese Angabe zutreffend, dann wäre diese Venusdarstellung die älteste figürliche Nachbildung eines Menschen überhaupt und viel älter als alle vergleichbaren Funde dieser Art.

Und das macht die Figur zu etwas Besonderem. Denn während in der Archäologie wissenschaftlich vor allem der Kontext bedeutsam ist, in dem eine Entdeckung gemacht wird, sind für die mediale Präsentation natürlich besonders schöne Funde, die sich zudem mit Superlativen schmücken lassen, hilfreich. Pfeilspitzen und Tonscherben sowie Knochenreste gibt es zu Hauf, deshalb sind sie nur bedingt öffentlichkeitswirksam.

Aber immer nur ein ganz bestimmtes Stück kann das älteste, das größte, das am besten erhaltene usw. sein. Das weiß auch Nicholas Conard und deshalb hat er im Fall der Venus, die ihm immerhin eine Publikation im renommierten Fachmagazin Nature eingebracht hat, ordentlich die Werbetrommel gerührt. Erfolgreich .Es gab im Nachgang der Entdeckung zahlreiche Interviews und Pressekonferenzen. Die Medien zeigten großes Interesse an dem Fund.

„Sensationsfund“ steigert Ansehen

Der Tagesspiegel und das Hamburger Abendblatt sprechen von einem „Sensationsfund“, das Handelsblatt postuliert, die Venus verändere die Sicht auf die Kunst auf radikale Weise. Auch Conards Team gibt sich euphorisch. Sein Professorenkollege Harald Floss, der an der Entdeckung und Erforschung der Venus mitgewirkt hat frohlockt im Interview: „Die Venus vom Hohle Fels ist eine der bedeutendsten Entdeckungen aus dem Bereich der Erforschung des Paläolithikums der letzten Jahre“, und bestätigt zudem, dass der Fund seinem und Conards Institut einen großen Ansehenszuwachs und viele Einladungen zu Fachvorträgen beschert hat. „Darüber hinaus denke ich aber auch, dass dieser Fund der gesamten Urgeschichtsforschung einen Schub gebracht hat“, so Floss weiter.

Der Archäologe Olaf Jöris von der Uni Mainz hingegen zeigt sich von Conards Fund eher „ernüchtert“, da er nur wenige Kontextinformationen enthält. „Es handelt sich auf jeden Fall um einen bedeutsamen Fund, der in jeder Hinsicht einzigartig ist, aber eigentlich sind Funde an sich nicht wirklich interessant“, sagt er und erklärt weiter: „Sie sind eben das einzige, was man in der Öffentlichkeit präsentieren kann, aber sie verlieren jede archäologische Bedeutung, wenn man sie außerhalb des Kontextes betrachtet.“ Das sieht auch Floss so, wenn er über seine Arbeit spricht: „Es kommt natürlich nicht nur darauf an, besonders schöne Funde zu machen, sondern auch darauf, den Kontext dieser Funde zu rekonstruieren, beispielsweise das Klima der damaligen Zeit und weitere Umweltfaktoren.“

Ausgrabungsort Hohlefels Version 2

Der Hohle Fels diente prähistorischen Jägern und Höhlenbären gleichermaßen als Unterschlupf. (Foto: Silosarg)

Das sei es nämlich, worauf es eigentlich ankommt: Die genaue Lage des Artefaktes im Fundplatz etwa oder sein Bezug zu anderen Stücken geben Auskunft über die Verfasstheit damaligen menschlichen Lebens. Von diesen Informationen enthält die Venus eher wenige und liefert damit nur bis zu einem gewissen Grad neue Erkenntnisse. Klar ist, dass es früher als zuvor angenommen eine Form der Kunst gegeben haben muss, die Venus ist also ein Anhaltspunkt für kulturelle Neuerungen, die von Süddeutschland ausgehen.

Aus einer anderen, nahegelegenen Grabungsstätte förderten Conard und sein Team zum Beispiel Musikinstrumente zu Tage, die deutlich älter waren als bislang für möglich gehalten. Beim Fundplatz der Venus selbst, dem Hohle Fels, handelt es sich um die Behausung von Höhlenbären, das belegen Knochenfunde. Immer wieder wurde die Höhle allerdings auch von prähistorischen Jägern als Unterschlupf genutzt. Diese brachten offensichtlich auch die Venus als eine Art Talisman dorthin. Darauf deutet eine Öse hin, die der Figur die Anmutung eines Anhängers verleiht.

Die Venus – ein prähistorisches Pin-Up Girl?

Wie genau der Fund zu interpretieren ist, darüber herrscht in der Archäologie und Kunstgeschichte ein kontroverser Streit. Eine Gruppe von Forschern, darunter der britische Prähistoriker Paul Mellars, sieht die Venus als eine Frühform der Pornografie, eine Art erstes Pin-Up Girl. Eine Aussage, die sich sehr gut als Schlagzeile in der Zeitung macht und den Nachrichtenwert des Fundes wohl noch erhöht haben dürfte. Andere Wissenschaftler nehmen hingegen eine eher feministische Sichtweise ein und interpretieren die Figur als Selbstabbild einer Frau, die am eigenen Körper hinabschaut, was die Überbetonung der Brüste ebenso plausibel erklärt, wie die Pornografie These. Bislang konnte sich keine der beiden Sichtweisen durchsetzen.

Schöningen Speer VII im Sediment 1997 © P. Pfarr NLD

Die Schöninger Speere haben das Bild des Neanderthalers nachhaltig verändert. (Foto: P. Pfarr NLD)

Laut Jöris gibt es andere Funde, von denen man deutlich mehr über das Leben unser prähistorischen Vorfahren lernen kann. Als Beispiel nennt er etwa die Schöninger Speere. Dabei handelt es sich um eine Sammlung von insgesamt neun gut erhaltenen Distanzwaffen, die als Beleg dafür gelten, dass die Neandertaler weitaus überlegenere Jagdtechniken einsetzten, als zuvor angenommen. Dieser Fund, der aus dem schnell vergehenden Material Holz besteht und deshalb besonders wertvoll ist, hat laut Jöris das ganze Bild des Neandertalers von Grund auf verändert, da hier die Kontextinformationen vorhanden sind.

So wurden in der Nähe der Speere etwa die Überreste von Pferden gefunden, auch kann die Anatomie der Neandertaler auf Asymmetrien untersucht werden, die auf den Gebrauch von Wurfwaffen hindeuten könnten. All dies lässt klarere Rückschlüsse auf die Jagd- und Essgewohnheiten und damit das Leben unserer Vorfahren zu, als dies etwa bei der Venus der Fall ist, die nach wie vor Mittelpunkt eines Interpretationsstreites ist. Zudem sind die Speere mit etwa 300.000 Jahren ungleich älter.

Jöris resümmiert daher: „Nicht bezogen auf den Fund selbst, sondern auf den Befund, würde ich  sagen, dass die Schöninger Speere wissenschaftlich bedeutsamer sind als die Venus vom Hohle Fels.“

Auf den Kontext kommt es an

Was deutlich wird: Ein Fund allein – und sei er noch so alt – kann nur wenig zur archäologischen Wissensgenerierung beitragen. Dazu sind immer Umweltinformationen nötig. Die Entdeckung muss in Bezug gesetzt werden zu dem, was man bereits weiß oder andernorts gefunden hat. Das sehen auch die Mitarbeiter aus Conards Team so. Der an der Entdeckung beteiligte Doktorand Christoph Wißling sagt etwa: „Einzelne Objekte ändern die Kenntnislage kaum, sind aber natürlich dennoch einmalig. Aus diesem Grund ist aber auch die Venus vom Hohle Fels nicht ein bestimmter Wendepunkt.“ Er verweist zudem auf weitere Funde, die Conard und seine Mitarbeiter in derselben Höhle und andernorts in der Schwäbischen Alb gemacht haben, etwa die schon angesprochenen Musikinstrumente. Mit diesen müsse man die Venus in Verbindung bringen, um wissenschaftliche Erkenntnisse zu generieren.

Die wirklich Interessanten Schlussfolgerungen werden häufig hinter den Kulissen gezogen und stehen weniger im Blitzlichtgewitter. Die Grabungstechnikerin Maria Malina, die ebenfalls an der Entdeckung der Venus beteiligt war erklärt: „Eigentlich sind es die langwierigen wissenschaftlichen Bearbeitungen eher unspektakulärer Fundgruppen, die im akademischen Sinne die interessanteren Ergebnisse zu Tage fördern. Nur sind diese für den Laien oft nicht so aufregend oder die Ergebnisse schwer zu vermitteln.“

Die Venus vom Hohle Fels als die älteste figürliche Darstellung eines Menschen überhaupt ist also als Teil eines größeren Puzzles zu sehen. Sie kann durchaus zu wissenschaftlichem Fortschritt beitragen. Pfeilspitzen und Tonscherben, die es niemals auf das Cover einer Zeitung schaffen werden, können das aber eben genauso tun.

Mehr über die Radiocarbonmethode gibt es hier

Welche Karrierechancen der Fund eröffnete, erfahren Sie hier

Lars-Ole MüllerLars-Ole Müller studiert in Berlin Publizistik- und Kommunikationswissenschaften. Schon in der Schulzeit schrieb er als freier Autor für dieSchülerseite einer Mecklenburger Lokalzeitung. Seitdem hat er unter anderem für die überregionale Tageszeitung taz, für taz.de und das Online Magazin move geschrieben. Außerdem bloggt er auf diesideline regelmäßig über den fairsten Teamsport der Welt – Ultimate Frisbee.

 

2017-07-06T12:18:16+02:00 Kategorien: Lesen, Wissen + Wirken|Tags: , , , , , |