Fleischer – ein saustarker Beruf?

Fleischer – ein saustarker Beruf?

Mit einem Fleischkonsum von rund 60 kg pro Jahr und Kopf liegt Deutschland deutlich über dem weltweiten Mittel von rund 43 kg. Doch trotz des nahezu ungebremsten Fleischverzehrs sieht das deutsche Fleischerhandwerk schweren Zeiten entgegen.

Von Talitha Jäger

Erschöpft wischt sich Philipp-Michael Beindorf über die Stirn. Seine knielange weiße Schürze ist mit Blutspritzern bedeckt und in der rechten Hand hält er ein langes, scharf geschliffenes Messer. Heute ist wieder Schlachttag in seinem Betrieb. Und das bedeutet jede Menge körperlich anstrengende Arbeit. Seit vier Uhr morgens steht er mit seinen Kollegen in dem weiß gefliesten Raum, schlachtet und zerlegt ein Schwein nach dem anderen.

Es gibt nicht mehr viele junge Leute, die sich so wie der 26-jährige Philipp Beindorf noch für den Beruf des Fleischers begeistern können. Nicht nur, dass das Handwerk allgemein einen schlechten Ruf in der jungen Generation der 14-29 Jährigen genießt. Speziell dem Fleischerhandwerk hängen viele Attribute an, die Jugendliche abschrecken. Blutig, anstrengend, schlecht bezahlt… Und so kämpft die Branche nicht nur mit steigenden Kosten für Energie und Rohstoffe und den immer strenger werdenden Auflagen, sondern vor allem mit einem Mangel an Nachwuchs. Immer seltener wollen Jugendliche einen Handwerksberuf erlernen. Und noch seltener den des Fleischers oder der Fleischerin.

Das hat zur Folge, dass 2013 rund 11300 Lehrlinge weniger als noch im Vorjahr in den deutschen Fleischereibetrieben anzutreffen waren, was einen Rückgang von etwa 17% bedeutet. Der Fleischerei-Dachverband hat aber nicht nur ein Nachwuchsproblem. Ihm macht zudem der Mangel an geeigneten Leuten Sorgen, die die Betriebe einmal übernehmen könnten.

Gründe für den ausbleibenden Nachwuchs gibt es viele. Einer ist das schlechte Image des Handwerks, das so unbegründet nicht ist. Denn mit 270 Euro pro Monat im ersten Lehrjahr verdiente Philipp deutlich weniger als einem Harz-IV-Empfänger pro Monat zusteht. Und das trotz 35 Stunden-Vertrags und Überstunden bis zu 15 Stunden die Woche. Und auch die Arbeit ist anstrengend und blutig. „Es ist nach wie vor ein körperlich anstrengender Beruf und auch, wenn Maschinen, die Arbeit heutzutage erleichtern, so bleibt ein ehemals sehr anstrengender Beruf doch immer noch anstrengend“, sagt Philipp.

Für Philipp war die Lehre eine harte Schule. Aber sie habe ihn nicht nur beruflich, sondern auch persönlich weiter gebracht: „Man lernt sich durchzubeißen und Verantwortung zu tragen.“ Seine Lehre beendete er als Landesleistungswettbewerbs-Sieger Brandenburgs und Teilnehmer am deutschlandweiten Bundesleistungswettbewerb. Nach der erfolgreichen Gesellen-Abschlussprüfung, schloss er sofort einen Vollzeit-Meister an. Seit 2013 darf er sich nun offiziell „Meister des Fleischerhandwerks“ nennen.

Vier Stunden und acht Schweine später ist die blutigste Arbeit des Tages erst einmal geschafft. Das bedeutet für Philipp und seinen Kollegen aber noch lange nicht, dass sie verschnaufen können. Jetzt müssen die Spuren des Schlachtens in dem nicht mehr ganz so makellos weißen Raum beseitigt werden. Mit einem großen Wasserschlauch und einem Wasserschieber bewaffnet, gehen Philipp und sein Kollege ans Werk, während die anderen in den angrenzenden Räumen wie kleine Ameisen zwischen Schlachthaus, Kühlkammer und Verarbeitungsraum hin und her flitzen, das Fleisch zu Wurst verarbeiten, Schinken in die Räucherkammern hängen und fertige Produkte in die Kühlkammer tragen. Es sind routinierte Arbeitsabläufe. Jeder weiß, was er zu tun hat und was als nächstes kommt.

In den letzten Jahren stieg der Anteil der Discounter am Wurst- und Fleischverkauf stetig an. 2012 gingen 65,1% der Fleisch- und Wurstprodukte über die Kassenbänder der Discounter. Doch während sich der Anteil der SB-verpackten Ware, die vornehmlich in den Supermärkten angeboten wird, seit 1990 mehr als verdoppelt hat, haben die lose verkauften Produkte, wie man sie beim Fleischer bekommt, starke Rückgänge erlitten. Sie fielen auf einen Anteil von gerade einmal 29,5% zurück.

Immer öfter greifen die Kunden in die Kühlregale der Supermärkte. Die Supermarktpreise sind von Fleischern nicht zu unterbieten. Es ist ein Teufelskreis, in den die Fleischereibetriebe geraten. Die Preise der Discounter locken die Kunden, die Fleischereien verzeichnen Einbußen, viele müssen schließen. Dadurch verschwinden die Fleischereien in der Nähe, die potenziellen Kunden gehen lieber in den Supermarkt als lange Wege auf sich zu nehmen, wodurch die übrig gebliebenen Fleischereien wiederum Einbußen erleiden.

Zu befürchtende Folge: Schon in wenigen Jahren müssten die Fleischereien komplett von den großen Supermarktketten verdrängt worden sein. Aber so ist es nicht ganz. Grund: Die kleinen Fleischereien stemmen sich dem sozialen und ökonomischen Wandel entgegen und entwickeln Überlebensstrategien.

Viele Fleischereien erschlossen sich neue Tätigkeitsfelder wie das Catering oder den Partyservice. Oder sie eröffneten zusätzlich zu ihrer Fleischerei kleine Imbissbuden. Die meisten von ihnen führen schon seit langem eine eigene heiße Theke, an der man sein Mittagsessen bestellen kann. Für viele Betriebe ist auch der mobile Verkauf ein wichtiger Absatzzweig geworden, dessen Bedeutung stetig zunimmt. Betrachtet man die demographische Entwicklung der letzten Jahre ist das auch nicht weiter verwunderlich. Das Heer der älter werdenden und weniger mobilen Menschen wächst beständig und ist auf eine haushaltsnahe Versorgung angewiesen. Auch auf Wochenmärkten erfreuen sich die mobilen Verkaufswagen großer Beliebtheit.

Dafür gibt es gute Gründe: Auch wenn die Preise beim Fleischer oft deutlich höher sind als im Supermarkt, haben sie den Discountern gegenüber einen großen Vorteil: „Die privaten Fleischereien können Kunden gegenüber Transparenz schaffen und so Vertrauen aufbauen. Gerade in einer Zeit, in der es immer wieder zu Lebensmittelskandalen kommt, ist das von Vorteil. Man bietet den Kunden die Chance, direkt mit dem Erzeuger zu sprechen. Zudem sind kleinere Fleischereien meist flexibler in Produktbestellungen und können auch mal Tipps für ein neues Rezept geben“, so Philipps Einschätzung.

Des Weiteren können kleinere Betriebe besser auf die Qualität ihrer Ware achten. Auch hier steht man zwar unter Zeitdruck, muss aber dennoch nicht ganz so im Akkord arbeiten wie in den großen und auf Massenproduktion spezialisierten Industriebetrieben, die ihre Waren häufig an die Discounter liefern. So kann man sich zumindest in der Theorie mehr Zeit für die Qualität der Produkte nehmen und beispielsweise auch mal etwas länger auf die richtige Schweinekeule für einen schönen Schinken warten, während die nicht so geeigneten Keulen zu Wurst verarbeitet werden. Das können sich Betriebe, die auf Massenproduktion ausgerichtet sind, nicht leisten. Zudem sind die erzeugten Produkte aus dem Supermarkt oft künstlich haltbar gemacht und mit Chemikalien behandelt, um einen stärkeren Geschmack zu erhalten oder Fleischreste, die mit Hilfe des Enzyms Transglutaminase, dem sogenannten „Fleischkleber“, wieder in Form gebracht sind und als schönes Bratenstücks verkauft werden.

Mittlerweile ist es Mittag geworden und während ein Teil der Leute damit beschäftigt ist, Kochwurst herzustellen, steht nun auch Philipp mit einigen anderen Kollegen im kühlen Verarbeitungsraum und wickelt fleißig Hähnchenrouladen. Hähnchenrouladen: Das ist die Antwort der Fleischerei Baehr auf den zunehmenden Konkurrenzdruck auf dem Fleischermarkt. Eine weitere Überlebensstrategie neben der Erschließung neuer Aufgabenfelder besteht in der Nischenbesetzung. „Es ist schwer, eine Salami für 3,60 € herzustellen. Sie müssen was finden, was Sie auszeichnet. Was Sie abhebt von der Masse. Und das geht nicht mit den 0815-Produkten, die jeder hat.“, erklärt Philipp. Auch er selbst experimentierte zu Hause schon mit neuen Kreationen wie seiner Marzipan-Leberwurst, die in seinem Umfeld einen wahren Begeisterungssturm auslöste. Fleischerei Baehr ging sogar noch einen Schritt weiter und machte sich ihre Hähnchenrouladen nicht nur zum Markenzeichen, sondern ging damit gleich in Großproduktion und beliefert seither auch Supermarktketten wie Netto und Kaufland. Hier wurde aus der Not einfach eine Tugend gemacht: Der größte Konkurrent wird zum Kunden. Diesen Weg können aber nicht viele Fleischereien gehen, da solch groß angelegte Liefergeschäfte die Kapazitäten kleinerer Betriebe schnell überfordern und zudem immer die Gefahr einer finanziellen Abhängigkeit bergen. Daher beschränken sich viele Betriebe auf die Belieferung kleinerer Nachbargeschäfte oder Kioske.

Doch auch, wenn nicht alle Fleischereien die Belieferung großer Abnehmer als Standbein nutzen können, so gibt es doch definitiv eine Zukunft für die privaten Fleischereien. Sie müssen sich bloß ein passendes Konzept für ihren Betrieb überlegen, die richtigen Nischen für sich entdecken und Initiative an den Tag legen. In der Zeit von Lebensmittelskandalen und Verunsicherung haben Fleischereien mit ihrer Möglichkeit, ein enges Vertrauensverhältnis zu ihren Kunden aufzubauen, die Möglichkeit, ihre Existenz zu sichern. Die Chance jedoch, dass es einen erneuten Aufschwung von kleineren Betrieben geben wird und wir wieder zum „Fleischer um die Ecke“ zurückkehren, schätzt Philipp Beindorf eher gering ein.

Es ist 14:00 Uhr. Viele Angestellte sind bereits auf dem Heimweg. Philipp hilft den Lehrlingen noch beim Säubern der letzten Geräte, dann zieht auch er seine Schürze aus und packt seine Sachen zusammen. „Ich mag meinen Beruf, er ist saustark!“, sagt Philipp, bevor auch er sich auf den Heimweg macht. Heute sogar ziemlich pünktlich.

Titelbild: ‚die hand‘ von mathias hielscher / CC BY-NC-ND 2.0


Talitha JägerTalitha Jäger ist in Berlin geboren und aufgewachsen. Seit 2011 studiert sie Geschichte und Publizistik- und  Kommunikationswissenschaften an der FU-Berlin. Nach dem Abi reiste sie für 3 Monate durch Australien und möchte während des Masters am liebsten dorthin zurück.

2017-07-06T12:18:13+02:00 Kategorien: Kunst + Können, Lesen|Tags: , , , , |