Think Globally – Act Balcony

Think Globally – Act Balcony

Im sommerlichen Großstadtdschungel ist der Balkon eine Oase der Erholung: Beim kühlen Feierabendbier, ausschweifenden Grillpartys oder den „Ferien auf Balkonien“ kann die urbane Seele baumeln und der Großstädter neue Kräfte sammeln. Eine wichtige Eigenschaft des Großstadtbalkons jedoch wird bisher weitgehend verkannt: sein Potenzial als Stätte des individuellen Widerstands gegen die konventionelle Nahrungsmittelindustrie.

Von Sophie Schmalenberger

Das Urban Gardening Projekt "UniGardeing": eine Kooperation der Freien Universität und Technischen Universität Berlin.

Das Urban Gardening Projekt „UniGardeing“: eine Kooperation der Freien Universität und Technischen Universität Berlin.

Wie einfach es ist, Düngemittel, Gentechnik und Monokulturen vom heimischen Balkon aus den grünen Daumen zu zeigen! Das verdeutlichen Studierende der Freien Universität Berlin. Dazu haben sie im Botanischen Garten den „Essbaren Balkon“ angelegt. Die Idee entstand in einem von der Nachhaltigkeitsinitiative „SUSTAIN IT!“ angebotenen Projektseminar. Am Otto-Suhr Institut der Freien Universität entwickelten Studierende unter dem Motto „Vom Denken zum Handeln“ den „Essbaren Balkon“ als Umsetzungsbeispiel für das heimische Laien-Agrarprojekt. Zentrale Botschaft dabei ist: Jeder kann Lebensmittelanbau – überall. Jeder Balkon, jedes Fensterbrett kann zum individuellen Hort urbaner Selbstversorgung werden. Dahinter steckt weitaus mehr als die pure Freude am Gärtnern. Vielmehr sind entschiedene Konsumkritik und überzeugter Wille zum gesellschaftlichen Bewusstseinswandel zentrale Motivation für die Projektteilnehmer.

Der enorme Ausstoß von Treibhausgasen in der konventionellen Landwirtschaft, bei der Düngemittelproduktion sowie bei Nahrungsmitteltransport und -lagerung ist hier Stein des Anstoßes. Hinzu kommt die erhebliche Verschwendung von Nahrungsmitteln bei gängigen Produktionsprozessen. Beide Aspekte gewinnen vor dem Hintergrund von Globalisierung und Freihandel auf der einen und fortschreitendem Klimawandel auf der anderen Seite an sozialer Bedeutung. Denn die Lösung der ökologischen Problem, die sich daraus ergeben, erfordert ein kollektives Umdenken hin zu mehr Nachhaltigkeit im alltäglichen Handeln. Genau diesen Bewusstseinswandel soll der „Essbare Balkon“ aktiv unterstützen: Lebensmittelanbau in Eigenregie ist hier Strategie für den nachhaltiger Widerstand gegen die Übel der Nahrungsmittelindustrie.

Das Team des "Essbaren Balkons" beim Balkonbauen im Botanischen Garten . (Foto: Der Essbare Balkon 2014)

Das Team des „Essbaren Balkons“ beim Balkonbauen im Botanischen Garten . (Foto: Der Essbare Balkon 2014)

Ganz im Sinne des Projekt-Slogans: „Think Globally, Act Balcony“ gedeiht so auf dem heimischen Balkon nicht nur eine Kräuter-, Obst- und Gemüsevielfalt, sondern ein Stück Unabhängigkeit von konventionellem Lebensmittelanbau und -konsum.

Nach Meinung der Projektverantwortlichen ist vor allem die junge urbane Generation zwar an Nachhaltigkeit und ökologischem Lebensmittelanbau interessiert, in Sachen Gärtnern aber eher ahnungslos. Zudem gibt es nach Ansicht der Initiatoren häufig Bedenken wegen des finanziellen und zeitlichen Aufwands. Der „Essbare Balkon“ soll genau dort Aufklärungsarbeit leisten, bewusst machen, „wie das Essen in den Kühlschrank kommt“ und notwendiges Gardening-Wissen vermitteln.

Eine erste Gelegenheit dazu bot sich jüngst bei der Projektvorstellung beim „Langen Tag der Stadtnatur“. Zu einer öffentlichen Führung versammelten sich hier rund 20 gardening-Interessierte aller Altersklassen, die sich vor allem konkrete Anbautipps und -tricks für zu Hause versprachen. Im Anschluss an Balkonbesichtigung und Begehung eines Infopfades zu Praktiken konventioneller Lebensmittelproduktion entstand hier ein lebhafter Dialog. Dabei kamen die sozialen Aspekte des do-it-yourself Lebensmittelanbaus zum Tragen: Erfahrungs- und Wissensaustausch durch Kommunikation und gemeinschaftliche Ressourcennutzung.

Der "Essbare Balkon beim langen Tag der Stadtnatur" im Juni 2014. (Foto: Sophie Schmalenberger)

Der „Essbare Balkon beim langen Tag der Stadtnatur“ im Juni 2014. (Foto: Sophie Schmalenberger)

Trotz durchweg positiver Resonanz stellt sich jedoch die Frage, welchen Beitrag das Projekt tatsächlich zur gesamtgesellschaftlichen „sozialökologischen Transformation“ leisten kann. Ohne Zweifel werden bereits konsumkritisch-bewusste und an ökologischer Nachhaltigkeit interessierte Zielgruppen angesprochen. Ob darüber hinaus jedoch Interesse und Sensibilität beim gardening-fernen Großstädter generiert werden kann, bleibt fraglich. Nichtsdestotrotz wollen die Studierenden mit dem Essbaren Balkon „von unten“ einen Anteil zur Rückbesinnung auf natürliche Anbaumethoden und nachhaltigen Lebensmittelkonsum leisten. Dass zur Etablierung urbaner Selbstversorgung neben ihrem Engagement handfeste politische Weichenstellungen „von oben“ nötig sind, ist den Projektteilnehmern durchaus bewusst. Vor allem sollten systematisch freie Anbauflächen geschaffen oder zur Verfügung gestellt werden. Entsprechende Gardening-Projekte müssten zudem materiell und finanziell gefördert sowie durch politische Akteure öffentlich unterstützt werden. Dabei müssen alle verfügbaren Räume erschlossen werden – so gehören für die Initiatoren auch zum Nahrungsmittelanbau genutzte „grüne Großstadtdächer“ zu einem wünschenswerten und realitätsnahen Zukunftsszenario.

Offiziell endet das Projekt, das als Teil der UniGardening“-Kooperation zwischen Freier und Technischer Universität angelegt ist, im August. Aktuell setzt sich die Initiative „SUSTAIN IT!“ entschieden für eine Weiterführung des Projektformats und die Etablierung nachhaltiger Lehrangebote ein. Dies erfordert jedoch auch strukturelle Voraussetzungen zur Vernetzung und Ressourcennutzung seitens der beteiligten Hochschulen. Ganz konkret sind hier also die Universitäten gefragt, die Zukunft der sozialökologischen Transformation auf Balkonien voranzubringen.


Sophie Schmalenberger

Sophie Schmalenberger studiert seit dem Wintersemester 2011/12 Publizistik- und Kommunikationswisssenschaft an der Freien Universität Berlin. Ein Auslandssemester in Schweden hat bei Ihr Bewusstsein und Interesse für Nachhaltigkeit im Alltag geweckt.