Guerilla Grün – Pflanz deine Stadt !

Guerilla Grün – Pflanz deine Stadt !

Wer seine Zuversicht Wurzeln schlagen sehen möchte, der suche sich einen von von rund 440.000 Berliner Straßenbäumen und pflanze einen kleinen Garten drumherum. Guerilla Gardening steht nicht nur für den unbändigen Impuls einfach drauf los zu gärtnern, es ist der Anspruch an ein besseres Leben.

Von Nurdan Erkmen

Das Bedürfnis vieler Berlinerinnen und Berliner nach eigenmächtiger Verbesserung ihres Lebensumfeldes bahnt sich seinen Weg durch den Großstadtbeton. Autonomes Gärtnern ist Trend. Die in die Erde gesenkte Botschaft ist durchaus politisch. Die, die hinaus blüht, leuchtet uns farbenfroh entgegen.

Julia Jahnke, 40, Gartenbauwissenschaftlerin und Pionierin des Guerilla Gardening in Deutschland verbrachte viele Jahre im Ausland, unter anderem in Argentinien, den USA und Nordafrika. Von 2000 bis 2007 studierte sie an der Humboldt Universität in Berlin. In ihrer Masterarbeit „Guerrilla Gardening in London, NYC und Berlin“ beschreibt sie ausführlich wie der Trend entstand, sich entwickelte und etablierte. Guerillas in Deutschland? Viele würden den Ausdruck als zu kriegerisch empfinden, um die freundliche Gartenarbeit angemessen zu beschreiben, schreibt sie in ihrem gleichnamigen Buch. Sie hat ihn nicht erfunden.

nycgovparks.org

Liz Christy, New York City (http://www. nycgovparks.org)

Guerilla Gardening

In den frühen 1970’er Jahren entschied sich eine Gruppe um die Künstlerin Liz Christy etwas gegen den städtischen Zerfall um sie herum zu unternehmen. Sie schmissen einfach Grünpflanzensamen über die Zäune leerstehender und ausdrucksloser Grundstücksparzellen und pflanzten Sonnenblumen inmitten hektisch überlaufener New Yorker Stadtzentren. So wie andere ihre Visitenkarten hinterlassen, stellten sie bepflanzte Blumenkästen beim Vorbeigehen auf die Fensterbänke leerstehender und heruntergekommener Gebäude.

Sie protestierten so auf ihre eigene Art gegen staatliche Übermacht und gegen die Ignoranz der Stadtverwaltung, die die zunehmende soziale und bauliche Verwahrlosung ihrer unmittelbaren Lebensumwelt zu verantworten hatte. Sie nannten und nennen sich die „Green Guerillas“ (www.greenguerillas.org).

Nicht nur der damaligen angespannten Atmosphäre zu Zeiten des Vietnamkrieges ist es zu verdanken, dass bis heute Analogien zu politischen Widerstandskämpfern hergestellt werden. Auch an dem Wort „Guerilla“ scheiden sich heute noch die Geister.

Ella von der Haide, Filmemacherin, Gärtnerin und Stadtplanerin, äußert ebenfalls Kritik an der ursprünglichen Bezeichnung: „Guerilla bedeutet kleiner Krieg und wenn die Gärten eines nicht sind, dann ist das militaristisch.“ Guerilla Gardening, das sei „die Praxis des informellen und kollektiven, politischen Gärtnerns“, sagt die 40jährige Dokumentarfilmerin. In Berlin spricht man auch vom Urban Gardening. Eine Bezeichnung, die weniger den Anschein politischen Ungehorsams erweckt. Dennoch sind es meist (kommunal)politische Missstände, auf die mit zahlreichen Pflanz-Aktionen hingewiesen wird.

Saatgut, alles gut

Überblick über die Entwicklung verschiedener Gruppen und ihrer Selbstverständnisse verschafft Julia Jahnke. Obwohl auch sie einräumen muss, dass die Meinungen hinsichtlich der Definitionen und Begrifflichkeiten auseinandergehen. In bestimmten Punkten seien sich aber alle Aktivistinnen und Aktivisten einig:

  • Sie sind von einer hohen Eigenmotivation angetrieben
  • Niemand setzt sich im Voraus mit bürokratischen Prozessen auseinander
  • Sie lassen sich auch nicht von Verboten und nicht-Duldungen abhalten

In ihrem Buch, das auch gleichzeitig ein hilfreicher Praxisratgeber für alle interessierten „Sprossen“ ist, dokumentiert sie auch die ersten Guerilla Gardening Projekte aus den 80’er Jahren bis heute. Viele Aktionen fielen der missbilligenden Haltung der bezirklichen Vertreter zum Opfer. Die Grünflächenämter bekämpften viele Projekte. Sie zerstörten die Bepflanzungen einfach wieder.

Im Gegensatz zu mancherlei politischer Ordnungsmacht, hat Guerilla Gardening nichts mit Gewalt oder Zerstörung zu tun. Das ist auch der Grund, weshalb sich im Vorfeld unerlaubte Aktionen vielfach in die Legitimation überführen lassen. Zum Beispiel im Falle von kleinen Gärten, die die Straßenbäume vor irreparablen Wurzelschäden nachhaltig schützen. Schäden, die hauptsächlich durch Hundeurin und -kot verursacht werden.

Den Nutzen bürgerlichen Engagements zu erkennen allerdings, hat den Berliner Stadtverwaltungen Zeit gekostet. Mittlerweile ist die Eigeninitiative der Anwohner in vielen Bezirken keine bürgerliche Gegenwehr mehr. Die Grünflächenämter selber leiden seit Jahren unter dem zunehmenden Rückgang von Personal- und Sachleistungen. Alleine im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf sind 350 Baumscheiben durch Anwohner bepflanzt. In Bezirken wie Friedrichshain, Kreuzberg und Neukölln werden ebenfalls unzählige Bäume durch Anwohner gepflegt. Insbesondere die kleinen Baumgärten werden in Berlin in der Regel geduldet. Nicht unbedingt aus Wohlwollen verrät Grünflächenamtsleiterin Dagmar Elbrandt: „Die Ausstattung mit Investiven Mitteln wurde im letzen Jahr (2013) auf 0 reduziert“, lautet es trocken. Es mangelt überall am Geld für Grünpflege und Pflanzungen.

Beispiele für Baumscheibenbepflanzungen: https://www.flickr.com/baumscheibengarten

Plädoyer fürs Beet

Guerilla Gardening oder Urban Gardening ist selbstverständlich mehr als schützendes Begleitgrün. Die Gründung und Pflege von Gemeinschaftsgärten welcher Größe und Nutzung auch immer ist vor allem eine politische Botschaft. In ihren inzwischen 6 Dokumentarfilmen thematisiert Ella von der Haide urbane Gemeinschaftsgärten in vielen Ländern und Kontinenten, von Saatgutrechten über Ernährungssouveränität bis hin zu Ressourcenzugängen. Sie selbst versteht ihre Filme als Antwort auf politische Unterdrückungsverhältnisse und gutbekannte Lähmungsmethoden, auf Thatchers „Es gibt keine Alternative“ oder Merkels „alternativlos“. Selbstverständlich ist jedoch bedauerlicherweise auch, dass sich nicht alle Menschen berufen fühlen (können), politische Auseinandersetzungen größerer Dimensionen zu führen.

Für die gibt es 440.000 Bäume allein in Berlin. Sie müssen erheblichen Belastungen standhalten. Ihre Baumscheiben werden – ahnungslos – als Hundetoiletten missbraucht. Wer sich und den Boden der kleinen Baumscheibe gerne locker machen möchte, sollte jedoch einige Hinweise berücksichtigen. Beispielsweise sind dauerblühende Stauden besonders geeignet für die Bepflanzung von Baumscheiben. Auch Zwiebelpflanzen und Gräser. Neben Blütezeit und Wuchshöhe sollte ebenfalls beachtet werden, dass nicht alle Pflanzenarten die Umgebungsbedingungen von Baumscheiben vertragen. Hilfreiche Anleitungen und ausführliche Informationen bieten unten aufgeführte Naturschutzverbände und -netzwerke.

Durch etwas Initiative können sich die Wachstumsbedingungen unserer Sauerstoffspender verbessern und die kleinen Gärtchen drumherum begeistern die gesamte Anwohnerschaft. Hinzukommt, das Buddeln in einer der vielen kleinen Parallelwelten zur „modernen Gesellschaft“ bringt Entspannung und Klarheit. Vor allem aber hat man die Ruhe darüber nachzudenken, was eigentlich natürlicher ist. Das, was man gerade tut oder die bisherige Hemmung davor? Oder sind es die vergeudeten Jahre der kollektiven Tamagotchipflege?

Medieninfo

Green Guerillas: http://www.greenguerillas.org

Guerilla Gardening: http://www.guerrillagardening.org

Urban Gardening: http://www.urban-gardening.eu

Naturschutzbund NABU: http://berlin.nabu.de

Titelbild: http://www.stefanolix.wordpress.com


Nurdan Erkmen ist Studentin der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin.