Die zerplatzten Träume der jungen Engländerin Mary B.

Die zerplatzten Träume der jungen Engländerin Mary B.

Mary B. (23), Journalistik Absolventin, verlässt ihre Heimat England mit dem Traum, über Kunst zu schreiben. Ein Porträt einer jungen Bloggerin in Berlin.

Von Verena Niederacher

Als Mary aus der kalten Januar Luft in den kleinen Szene-Laden in Kreuzberg tritt, kommt ihr der wohlige Geruch nach frisch gebrühtem Kaffe entgegen. Die junge Bedienung mit quadratischer Brille und trendiger Frisur begrüßt sie mit einem kurzen Nicken. Man kennt sich. Heute setzt sich Mary nicht wie gewöhnlich in die gemütliche Sofaecke mit Blick auf die verschneiten Straßen Berlins. Zwei junge Mütter haben sich dort bereits breit gemacht und schlürfen ihre Soja-Lattes, während die Kleinen auf dem Dielenboden spielen. In einer ruhigeren Ecke des Cafes klappt sie ihren Mac auf und bestellt sich „One Milchkaffe mit Croissant, please“. Mary kann heute keinen Lärm gebrauchen, sie ist hier zum Arbeiten, zum Bloggen, um genau zu sein.

Bloggen für ein paar Kröten

Die junge Bloggerin recherchiert für ein Berliner Kunstmagazin vom Computer aus. „Da ich kein richtiges Büro habe, versuche ich in Cafes mit WiFi zu arbeiten. Zu Hause schlafe ich sonst am Morgen wieder ein oder habe zu viel Ablenkung“. Eigentlich interessiert sich Mary für Kunst und würde gerne mehr für das Magazin schreiben. Doch im Moment erstellt sie nur ein Mal der Woche eine Online-Liste der aktuellen Kunst-Hotspots in Berlin. Mehr könne ihr Arbeitgeber ihr gerade nicht anbieten. Geld verdient sie mit Copywriting. „Das ist aber nicht das, was ich eigentlich machen möchte“.

Neben dem Kunstmagazin arbeitet Mary noch für ein Hotel in Westberlin. „Die kamen über einen Bekannten auf mich. Mein jetziger Boss hat mich angerufen und gefragt, ob ich denn nicht Lust hätte, für sein Hotel zu schreiben.“ Das Hotel schickt Mary zwei Mal die Woche auf Erkundungstour in die Umgebung. Später schreibt sie dann in einem Blog auf der Hotel Website über ihre Erlebnisse. Dieser wird hauptsächlich von Kunden des Hotels gelesen, die sich über die Gegend informieren wollen. „Da waren schon die skurrilsten Aufträge dabei“, erinnert sich Mary. Das Hotel habe ihr schon einen Wellness-Nachmittag, einen Kochkurs und sogar einmal ein Ticket zu einer Red Carpet Veranstaltung gesponsert. „Weil ich weder reich noch berühmt bin, habe ich mich dort allerdings nicht Recht wohl gefühlt. Also habe ich mich den ganzen Abend an der Open Bar betrunken“. Eigentlich ein ganz gutes Leben oder? Mary zuckt mit den Schultern. Sie mache diesen Job nicht, weil sie das richtig interessiere, sondern weil er bezahlt wird: „Im Schnitt sind das 35 Euro pro Blogeintrag – im Vergleich ist das gar nicht so schlecht“, meint sie.

Kein Bock auf 08/15

„Wenn du dich auf dünnem Eis bewegst, kannst du auch gleich darauf tanzen.“ Das hat sich Mary zum Lebensmotto gemacht. Sie ist in der 250.000-Einwohner-Stadt Wolverhampton in den West Midlands in einem typisch englischen Reihenhaus aufgewachsen. Ihre Leidenschaft für das Schreiben entdeckte Mary schon früh. Deswegen machte sie mit sechzehn ihr erstes Praktikum an einer lokalen Zeitung, doch die Aussicht auf ein 08/15 Redaktionsjob war Mary zu öde. Sie habe an der Lokalzeitung schnell festgestellt, dass diese Art von Journalismus nichts für sie sei: „Ich habe den ganzen Tag damit verbracht, den Newsticker mit Dreizeilern zu füllen“, erzählt sie.

Trotzdem entscheidet sie sich nach dem Abitur für ein Journalistikstudium an der University of Arts in London. Während ihres letzten Semesters eröffnet sie ihren ersten eigenen Blog mit dem Titel „Brot und Käse“, in dem sie über ihre Hoffnungen und Erfahrungen als junge Journalistin berichtet. Einer dieser Träume verwirklicht sich Mary mit dem Umzug nach Berlin. Mit einem 6-monatigen Praktikum in der Tasche und großen Erwartungen macht sich Mary direkt nach dem Bachelor auf den Weg in die deutsche Hauptstadt. „Bei meinem ersten Besuch habe ich mich in den Freigeist dieser Stadt verliebt. Ich dachte ich hätte passable Aussichten auf eine Karriere in meinem Traumberuf in einer Traumstadt“.

Festanstellung? Fehlanzeige.

Die Realität sah anders aus. Gleich nach ihrer Ankunft in Berlin hat Mary mit ihrem Praktikum an der Online-Redaktion nämlich alles andere als Karriere gemacht. Sechs Monate lang wurde ihr immer wieder erzählt, dass das Kunstmagazin bald eine Filiale in London aufmachen und die Bloggerin dann fest übernehmen würde. „Also habe ich gearbeitet wie ein Tier, auch an Wochenenden. Am Ende meines Praktikums haben sie das Angebot zurückgezogen“ erzählt Mary. So richtig wohl gefühlt hatte sie sich dort allerdings nie. Ihr Boss verlangte einmal von ihr, mehr Nacktheit in ihre Kunstbeiträge zu bringen, weil die nicht genügend Clicks hätten.

„Leider war dieses Magazin nicht der einzige Arbeitgeber, der mich ausgenutzt hat“, erzählt Mary. Sie habe auch schon einige Freelancer-Jobs gemacht, bei denen ihre Bezahlung mit den Worten „sobald das Geld da ist“ über Monate hinausgezögert wurde. Im Endeffekt habe sie nie einen Cent gesehen. Manchmal hätten die Website-Betreiber selbst keine Ahnung, was sie tun. „Ich habe zum Beispiel für ein paar Euro eine Zeit lang bei einem Musik-Blog gearbeitet, der komplett ziellos und inkompetent geführt wurde.“ Mary ist nicht nur unterbezahlt, sie verliert einen Teil ihrer Integrität. Ihr wurde gesagt, dass unbezahltes Arbeiten doch positiv sei, weil man dabei ‚exposure’ bekomme und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werde. Marys zynische Antwort darauf: „Ich scheiß auf exposure, ich brauch Geld für meine nächste Miete!“

Geht heim ihr Yuppies!

Gerade zur Anfangszeit sei es ihr sehr schwer gefallen in Berlin Fuß zu fassen. „Mein Praktikum war zu Ende und ich hatte noch Geld für eine Monatsmiete übrig. Also habe ich versucht einen Nebenjob als Kellnerin zu bekommen, wurde aber überall abgewiesen, weil mein Deutsch nicht gut genug ist“. Um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, hat Mary unter anderem als Babysitter und Englischnachhilfe gearbeitet. „Ich liebe Berlin, aber als Ausländer hat man es hier schon schwer. Unser Nachbar hat uns vor einiger Zeit eine Nachricht hinterlassen: ‚Geht heim, ihr Yuppies!’“.

Mary’s Smartphone, das die ganze Zeit griffbereit neben ihr auf dem Tisch lag, vibriert. Ihr Chef vom Hotel ist am anderen Ende. Er möchte, dass sie in einer Stunde mit einem wichtigen Kunden eine Kiezbesichtigung unternimmt. Sie werden sich einen Hutladen und einen Varieté Wintergarten anschauen. Mary packt ihren Mac ein und bezahlt ihr Frühstück an der Theke. Sie überlegt, nach diesem Sommer nach Melbourne zu ziehen. „Vielleicht habe ich da ja mehr Glück, zumindest ist es in Australien wärmer“, meint sie und zieht ihren Wintermantel enger zusammen.


Verena Niederacher AutorenbildVerena Niederacher studiert Englische Philologie, Publizisitk und Kommunikationswissenschaften an der Freien Universität Berlin. Schon in der Schulzeit hat sie für die Schülerzeitung geschrieben und einige Praktikas an Lokalzeitungen absolviert. Nächsten Sommer will sie ein Praktikum in London ergattern. Geld verdient sie als Bartenderin in einem Berliner Club.

2017-07-06T12:18:14+02:00 Kategorien: Gefühl + Glaube, Lesen, Macht + Medien|Tags: , , , , , , , , |