Pfarrer und schwul

Pfarrer und schwul

Unendlich lange galt dieses unantastbare Dogma: Sexualität außerhalb der klassischen Konstellation Mann-Frau-Ehe ist etwas Schlechtes. Wer sie auslebte, der war in der christlichen Kirche nicht willkommen. Doch in jüngster Zeit haben sich die Kirchentüren für Schwule, Lesben, Bi- und Transsexuelle geöffnet, besonders die Protestanten geben sich tolerant. Manche Gemeinden verlangen von bestimmten Gruppen aber nach wie vor: Macht Eure sexuelle Orientierung unsichtbar!

Von Edgar Walters

In der Gartenszene von Goethes Faust verführt Faust Gretchen, ein unverdorbenes, jungfräuliches Mädchen. Immer wieder hinterfragt Faust Gretchens Frömmigkeit: „Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?” Das ist die „Gretchenfrage”, die auf den Kern eines Problems abzielt.

Viele gläubige Schwule und Lesben in Berlin meinen, dass es bei ihrer Beziehung zur Kirche nicht um ihre sexuelle Orientierung sondern um ihren Glauben gehen sollte. Das ist ihre Gretchenfrage. Die ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche (HuK) beschäftigt sich genau damit. Thomas Beckmann ist Sprecher der Berliner Regionalgruppe, ein freier Zusammenschluss von knapp 50 Mitgliedern, die die volle Teilhabe von Lesben, Schwulen und Bisexuellen am kirchlichen und gesellschaftlichen Leben fordern.

Beckmann wohnt im Gemeindehaus der Lindenkirche in Wilmersdorf, wo er montags bis freitags Religionsunterricht gibt, und alle zwei Monate den Gottesdienst hält. Vor seiner Wohnung begrüßt eine Regenbogen-Fußmatte die Besucher, und der Klang der Kirchenglocke unterbricht ihn, während er spricht.

Beckmann redet stolz über die evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, die eine progressive Haltung gegenüber Schwulen und Lesben hat: „Die Kirchenoberen haben vor 20 Jahren deutlich gesagt, dass Homosexualität weder sündhaft noch krankhaft ist. Das letzte Mal, dass man intensiv darüber diskutiert hat, ob man einen Mitarbeiter behalten kann oder nicht, weil er schwul ist, ist 36 Jahre her.“

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Kirche der Martin-Luther-Gemeinde Lichterfelde (Foto: E. Walters)

Trotzdem gibt es noch einiges für die Arbeitsgemeinschaft HuK zu tun in Berlin. „Der größte Teil der Berliner, ungefähr 60 Prozent, ist ja nicht gläubig“, sagt Beckmann. Darüber hinaus sei die lesbische, schwule, bisexuelle, und transsexuelle (LGBT) Bevölkerung ziemlich kirchendistanziert. Beckmann meint, viele Leute würden aus konservativen Gegenden Deutschlands nach Berlin ziehen, wo das Leben als Schwuler oder Lesbe leichter sei und sie die Kirche im Dorf zurücklassen können.

HuK bemisst die Akzeptanz von LGBT-Menschen in Bezug auf ihre jeweilige Kirchengemeinde an zwei Punkten, die sich in den letzten 30 Jahren als Gradmesser herausgestellt haben, erläutert Beckmann. Das erste ist, ob man als kirchlicher Mitarbeiter offen schwul, lesbisch oder transsexuell leben kann. In den katholischen Kirchen in Berlin werden beispielsweise schwule und lesbische Mitarbeiter toleriert, „so lange sie ihre Orientierung nicht öffentlich machen“,  sagt Beckmann mit missbilligendem Unterton.
Der zweite Punkt ist: Wie werden Menschen, die in gleichgeschlechtlichen Beziehungen leben, wahrgenommen? In der orthodoxen Kirche zum Beispiel sei das Thema „völlig tabuisiert“, wobei das aber die Ausnahme von der Regel sei, meint Beckmann. Laut HuK gebe es inzwischen etwa 50 schwule Pfarrer und lesbische Pfarrerinnen in Berlin.

Einer von ihnen heißt Jörg Zabka. Er arbeitet als Pfarrer für die Martin-Luther-Gemeinde in Lichterfelde und ist seit sieben Jahren mit seinem Mann Alexander verpartnert. Draußen vor seiner Kirche steht eine Tafel bedeckt mit Regenbogen-Blättern, auf der „Liebe hat viele Farben“ steht.
Zabka hat selbst miterlebt, wie seine Kirche mit der Zeit offener wurde. „Als ich die Stelle hier bekommen habe, bin ich vom Personaldezernenten belehrt worden, dass ich mit meinem Partner nicht ins Pfarrhaus einziehen darf“, sagt Zabka. Deswegen suchten er und Alexander selber eine Wohnung. Aber heutzutage sind die Regeln lockerer. „Inzwischen wäre es auch möglich, als schwules oder lesbisches Paar im Pfarrhaus zu wohnen“, betont er.


P1030597Edgar Walters studiert Geschichte und Deutsch an der University of Texas in Austin und will nach seinem Studium Journalist werden. Er mag Journalismus, weil er für ihn die perfekte Mischung aus intellektueller Erfüllung und Relevanz bietet. Edgar arbeitet in Austin als Redakteur bei seiner Uni-Zeitung, The Daily Texan, ist zwei Meter groß und liebt Erdnüsse. Er hat in seinem Praktikum in der Politik-Redaktion der Berliner Zeitung viele Artikel geschrieben.

Internationales Journalisten-Kolleg ǀ  internXchange ǀ Sommer 2013