Toleriert, aber fremd

Toleriert, aber fremd

Berlin ist fast schon ein Synonym für „multikulturell“ geworden. Aber wie multireligiös ist es eigentlich? Die muslimische Türkin N.K., die mit einem christlichen Deutschen verheiratet ist, fühlt sich oft wie eine Exotin in Berlin. Dabei versuchen viele Organisationen, mehr Toleranz und Akzeptanz für Interreligiosität zu fördern.

Von Katrina Schwarz

N.K. und ihrer Ehemann gehören zu einer Minderheit. Sie ist Muslima und kommt aus Istanbul, aber lebt seit einem Jahr in Leipzig mit ihrem deutschen Ehemann. Die Zahl solch interreligiöser Ehen in Deutschland ist relativ gering, aber Toleranz und Neugier zwischen Religionen nehmen zu.

Als Ausländerin und Muslima in Deutschland hat sie gute, unangenehme und lustige Erfahrungen wegen ihrer religiösen und ethnischen Herkunft gemacht. Wenn sie neuen Menschen begegnet, stellen sie oft viele Fragen über sie und ihr Leben. Dadurch fühlt sie sich wie ein exotisches Wesen.

“Die meisten Menschen glauben nicht, dass ich Türkin bin”, so N.K.. “Sie sagen immer, dass ich spanisch oder lateinamerikanisch aussehe, aber nicht türkisch.” Nachdem sie herausgefunden haben, dass sie Türkin ist, stellen sie viele Fragen zu ihrer Religion. Die meisten fragen, ob sie Schweinefleisch isst oder Alkohol trinkt, erzählt sie. Sie sind immer überrascht, dass sie Schweinfleisch und Alkohol mag und auch kein Kopftuch trägt. “Es scheint, als ob die Leute denken, dass ich keine typische Muslima bin, weil ich in Deutschland lebe”, meinte die junge Frau. “Aber das ist nicht so.” Andere Fragen, die sie oft hört, betreffen ebenfalls Stereotype, aber führen dazu, dass sie sich unbehaglich fühlt.

“Viele fragen, ob ich mit einem Deutschen verheiratet bin, um einen deutschen Pass zu bekommen”, so N.K.. „Es ist schwer zu sagen, ob sie das denken, nur weil ich Ausländerin bin, oder weil ich Ausländerin und auch Muslima bin.”

Obwohl es immer noch Vorurteile gegenüber anderen Kulturen und Religionen gibt, hat sich die religiöse Toleranz in Deutschland verbessert. Inzwischen sind 85 Prozent der Deutschen der Meinung, dass man gegenüber allen Religionen offen sein sollte, so der Religionsmonitor der Bertelsmann-Stiftung von 2013. Zuvor bedeutete religiöse Toleranz nur Toleranz gegenüber anderen Konfessionen innerhalb des Christentums, aber jetzt bedeute es auch Toleranz gegenüber anderen Religionen, besonders dem Islam, sagt Michael Sturm-Berger, Vorsitzender von Religions for Peace Berlin und Projekt-Koordinator der Arbeitsgemeinschaft der Kirchen und Religionsgesellschaften in Berlin, zwei Organisationen, die sich für religiöse Toleranz einsetzen.

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Hier entsteht das Bet- und Lehrhaus in Mitte (Foto: K. Schwarz)

In Deutschland gibt es auch viele andere interreligiöse Organisationen. In solchen Organisationen beten die Mitglieder zusammen. Sie führen auch Diskussionen und organisieren Veranstaltungen. Laut Sturm-Berger unterstützen diese Organisationen Toleranz, weil die Teilnehmer hier neue Freunde treffen können, die anderen Religionen angehören.

Die meisten Mitglieder sind entweder Christen oder Bahai. Dass sie die Mehrheit ausmachen, sei nichts Schlechtes, meint Sturm-Berger. Denn es sind normalerweise die Mehrheiten, die nicht so tolerant seien, weil sie die Macht haben. In großen Städten sei das aber nicht so spürbar. “Eine Stadt wie Berlin hat viele verschiedene Religionen”, sagt Sturm-Berger. “Man muss nicht ins Ausland reisen, um andere Religionen zu erleben. Dann ist es einfacher, tolerant zu sein.”

Ein Beispiel für diese Toleranz ist das zukünftige interreligiöse Bet- und Lehrhaus am Petriplatz in Berlin. Christen, Juden und Muslime werden unter einem Dach zusammen beten und Gottesdienste feiern.

Obwohl die Menschen in den Städten im Allgemeinen toleranter sind, gibt es noch einiges zu tun. N.K. hat ein paar Geschichten von Intoleranz während ihrer Zeit in Deutschland erlebt. Manchmal wurde sie von Anderen ignoriert, als sie um Hilfe bat, weil ihr Deutsch nicht so gut war. Auch die Passkontrolleure am Flughafen schienen ihr gegenüber misstrauischer zu sein, weil sie die türkische Staatsangehörigkeit besitzt.

Türken, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Zum Beispiel denken die Leute immer, erzählt die junge Frau, dass ihr Kommilitone, der in Deutschland geboren ist und perfektes Deutsch spricht, ein Ausländer sei und fragen, woher er kommt. Aber eigentlich sind ihr alle Fragen willkommen. Wenn sie fragen, dann wundern sie sich”, sagte die junge Frau. “Sich wundern ist gut, weil wenn man sich wundert, dann will man verstehen.”

Auch Michael Sturm-Berger glaubt, dass das Verstehen wichtig ist, um Toleranz zu entwickeln. “Der Grund für religiöse Intoleranz ist die Verteufelung von Anderen, nicht der Religion selbst. Wenn wir uns verstehen, dann sind wir tolerant.”


P1030584Katrina Schwarz absolviert ein Masterprogramm in Journalistik an der University of Wisconsin-Milwaukee und ist dort Lehrassistentin für den Grundkurs in Journalistik. Sie schreibt und lernt gern andere Sprachen, wenn sie nicht zu beschäftigt mit Arbeit und Studium ist. Sie spricht Deutsch und Spanisch und auch ein bisschen Japanisch und Polnisch. Katrina ist noch nicht sicher, ob sie nach dem Masterstudium weiter studieren will, um Professorin zu werden, oder ob sie einen Job in der PR-Branche haben möchte. Ihr Praktikum führte sie zur Märkischen Allgemeinen Zeitung in Potsdam.

Internationales Journalisten-Kolleg ǀ internXchange ǀ Sommer 2013