Asyl und Arbeit: Über jede Hürde hinweg

Asyl und Arbeit: Über jede Hürde hinweg

Vier Jahre ist es her, dass rund 1,2 Millionen Menschen nach Deutschland kamen um hier Schutz zu suchen. Betrachten wir die Situation heute in der Hauptstadt: Knapp zehntausend Asylanträge zählte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im vergangenen Jahr. Doch wie ergeht es diesen Menschen hier?

von Lisa Emilia Büttner

Geflüchtete kommen an. Foto: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

Gerade zugewanderte Frauen stehen in Deutschland häufig einem für sie fremden System gegenüber, weshalb sich ein Fokus auf ihre Integration als spannend gestaltet. Während sie bisher ausschließlich die Mutterrolle kannten, eröffnet sich ihnen hier die Möglichkeit der Kinderbetreuung und Berufstätigkeit. Auch wenn dreiviertel der geflüchteten Arbeitslosen in Berlin und Brandenburg Männer sind, haben sich in den letzten Jahren zunehmend spezielle Angebote für geflüchtete Frauen etabliert, die bei sozialen, familiären oder beruflichen Fragen weiterhelfen sollen.

Knapp die Hälfte der AsylantragstellerInnen sind Frauen

Eine dieser Beratungsstellen ist der Treff- und Informationsort – TIO. Der Verein schreibt über sich selbst: „TIO e.V. ist ein gemeinnütziger, interkultureller Verein, der sich seit 1978 für die gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe von Migrantinnen in Deutschland einsetzt. Der TIO ist davon überzeugt, dass Integration von Migrantinnen in erster Linie über die Integration ins Erwerbslebenstattfindet.“ Bei Fragen rund um Beruf, Bildung und Arbeitsmarkt hilft seit 1992 die Weiterbildungsberatung in Neukölln. Seit knapp einem Jahr arbeitet dort Frau Weber (Name von der Autorin geändert): „Gerade in der Phase, wo ich selbst auf der Suche nach einem Job war, habe ich die Bilder im Fernsehen von den geflüchteten Menschen gesehen. Es gab einen Aufschrei. Das hat mich so aufgewühlt, dass ich dachte, ich muss mich auch engagieren“, erzählt die junge Frau. Ihre Aufgaben umfassen oft zunächst ein allgemeines Erstgespräch, um zu verstehen, aus welchen Umständen die Frauen kommen. Erst dann können Weiterbildungsoptionen und mögliche Ausbildungs- bzw. Studienangebote angeboten und besprochen werden. Gerade diese umfassende Einzelbetreuung macht gute Beratung aus: „Meine Wahrnehmung ist es, dass die Frauen gerne zu uns kommen. Es kommen auch Frauen her, die noch keine Vorstellung davon haben, was sie beruflich machen möchten. Das Jobcenter empfiehlt ihnen in die Pflege zu gehen oder im Supermarkt zu arbeiten. Alles niedrigschwellige Berufe, obwohl wir merken, dass die Frauen Potential für mehr haben. Oft hindert die Frauen auch ihr eigener Stolz, zum Jobcenter zu gehen, sodass sie Putzhilfejobs annehmen oder bei Zeitarbeitsfirmen arbeiten. Auch familiäre Gründe zwingen sie dazu, sich nicht weiterzubilden, sodass sie in dem niedrigschwelligen Bereich bleiben.“

Foto: TIO e.V.

70% der geflüchteten Menschen in Deutschland arbeiten im Helfertätigkeitsbereich

Dass MigrantInnen niedrigschwellige Berufe ausführen, ist kein Einzelfall. Laut einer Statistik des BAMF arbeiteten im Jahr 2018 geflüchtete Menschen zu 20% im Fachkräftebereich und zu 70% im Bereich der Helferstätigkeiten. Weber vermutet, dass dies hauptsächlich an der Sprachbarriere liegt: „Zu unserer Beratung kommen zum Beispiel Frauen, die in ihrer Heimat Business Administration studiert haben, aber hier vor allem im schriftlichen Bereich nicht die gleiche Leistung auf dem Sprachniveau erbringen können. Ich glaube, da fehlt auch von der unternehmerischen Seite die Toleranz, den Frauen erstmal die Möglichkeit zu geben zu arbeiten. Oft wachsen sie dann mit ihren Aufgaben. Aber die Unternehmen sehen oft nicht, wie lange es dauert, die deutsche Sprache zu lernen, denn eine Sprache lernt man nur sehr schwer vollständig innerhalb von zwei bis drei Jahren. So scheitert es einerseits an den Sprachkenntnissen der Frauen und andererseits an mangelnder Offenheit der Unternehmen.“ Gerade bei geflüchteten Frauen kommen neben der Sprachbarriere jedoch auch noch weitere Einflussfaktoren hinzu, die ihnen den Weg ins Berufsleben erschweren. Frauen, die bisher nur in der Mutterrolle fungiert haben, wird oft angeboten als Erzieherin zu arbeiten, da sie sich damit auskennen. „Die Männer haben noch nicht gelernt, dass sie auch die Erziehungsverantwortung ihrer Kinder tragen. Frauen, die zu uns kommen und sich in den Arbeitsmarkt einbringen wollen, scheitern oft an der familiären Verpflichtungen.“

Zentraler Anlaufpunkt für alle Zugewanderten

MitarbeiterInnen des Willkommenszentrum Berlin. Foto: Willkommenszentrum

Ein weiterer Informationsort für Zugewanderte ist das Willkommenszentrum Berlin. Im August 2016 wurde dies von der damaligen Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen ins Leben gerufen und ist bei der Beauftragten für Integration und Migration angesiedelt. Die Räume in der viel befahrenen Potsdamer Straße fallen auf den ersten Blick nicht weiter auf. Auf der Internetseite heißt es: „Das Willkommenszentrum Berlin soll eine erste Anlaufstelle für alle Personen sein, die aus ganz unterschiedlichen Gründen nach Berlin zuwandern. Dazu gehören EU-Bürgerinnen und EU-Bürger, Menschen mit Migrationshintergrund, Studierende, Fachkräfte oder Personen, die aus humanitären Gründen nach Berlin gekommen sind. Es soll als zentrale Adresse zur Integration fungieren und eng mit den in der Stadt bereits vorhandenen Willkommensstrukturen zusammenarbeiten.“

Seit knapp zweieinhalb Jahren arbeitet hier Ayten Doğan im Bereich Arbeitsmarktzugang, Aus- und Weiterbildung. Das Angebot richtet sich an alle neu Eingereisten, vielen Menschen ist diese Beratungsmöglichkeit jedoch fremd: „Es ist so, dass viele Menschen aus anderen Ländern solche Beratungsangebot, gerade kostenlose Beratung, nicht kennen. Man nutzt in den Herkunftsländern die Familie als

Willkommensstrukturen. Foto: Willkommenszentrum Berlin

Hilfestruktur – jemand kennt jemand anderen und so weiter. Oder man zahlt für einen Service, aber dass man bei der Arbeitssuche oder bei anderen Sachen unterstützt wird und dass das nichts kostet, ist für viele einfach neu.“

„Wir wollen Frauen ermutigen, welche Ziele oder Träume sie auch haben.“

Um den Frauen eine Stimme zu geben, die es trotz alle Hürden geschafft haben einen Job zu finden, wurde vom Willkommenszentrum zusammen mit der Beratungsstelle KOBRA, im vergangenen Jahr die Veranstaltungsreihe „Erzählsalon“ ins Leben gerufen. Zehn Frauen, die in den letzten fünf Jahren nach Deutschland gekommen sind und inzwischen Arbeit haben, berichteten von ihren Erlebnissen bei der Arbeitsmarktintegration. Es ergaben sich fünf verschiedene Berufsfeldschwerpunkte: Wissenschaft, Journalistik, Grafik und Illustration, Pflege und Medizin sowie der Schwerpunkt Erziehung und Lehre.

Die Frauen erzählen in einem Interview von Hürden und Schwierigkeiten, denen sie auf ihrem Weg begegnet sind. Diese haben sie letzten Endes gemeistert und möchten nun anderen Frauen Mut machen, nicht aufzugeben: „Wir wollen sie ermutigen, die Ziele und Träume, die sie haben und bisher nicht verwirklichen konnten, nun anzugehen.“

„Informationen zur Verfügung zu stellen ist ganz wichtig“

Dabei geht es auch um viele Hürden, die die Frauen aufgrund von fehlendem Wissen hatten: „Eine der Role Models aus dem letzten Interview war zum Beispiel eine Lehrerin aus Bulgarien, die drei Jahre lang zunächst nicht wusste, dass sie ihren Beruf anerkennen lassen kann und stattdessen als Putzfrau gearbeitet hat. Informationen zur Verfügung zu stellen ist daher ganz wichtig: Wie kann ich mich weiterbilden? Wie kann ich Vorerfahrungen einbringen oder mich umorientieren?“ beschreibt Doğan ihr Projekt.

Auch für sie war der „Erzählsalon“ ein Lernprozess: Zunächst mit der Intention gegründet, Frauen Mut zu machen, kam bald ein weiteres Zielpublikum dazu: Beraterinnen und Berater. „Es wurde ein Spiegelbild oder ein Feedback an Beraterinnen und Berater wie sie Beratung richtig oder falsch machen. Ich kann ja ein Beispiel nennen: Eine Ratsuchende berichtete, dass ihr vorgeschlagen wurde, ein Praktikum zu machen. Sie verstand nicht, warum sie angesichts ihrer Expertise kostenlos arbeiten soll und nicht einfach eingestellt wird“. Andere Ratsuchende bemängelten, dass sie immer nach ihrer Herkunft gefragt wurde. So unterschiedlich wurde die Beratung empfunden und auch, was hilfreich war.“ Dank der positiven Rückmeldung wird es auch in diesem Jahr wieder einen Erzählsalon geben: Am 18. September startet die neue Reihe. Dieses Mal mit zwölf Frauen, die unter anderem in den Bereichen Digitalisierung, Selbständigkeit, Pflege und Soziales und Gesundheitsberufe arbeiten. Alle bisher entstandenen Interviews sind auch als Podcast nachzuhören auf der Internetseite des Willkommenszentrum:


Lisa Emilia Büttner studiert im zweiten Semester Deutsche Philologie und im Nebenfach Publizisitik- und Kommunikationswissenschaft. Schon in der Grundschule wollte sie Journalistin werden und findet, dass man nach jeder Recherche für einen Artikel die Welt ein bisschen anders sieht.


2020-02-12T18:35:56+02:00 Kategorien: Berlin + Brandenburg, Lesen|Tags: , , , , , , |

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