Unorthodox zur Orthodoxie

Unorthodox zur Orthodoxie

Ökumenische Gottesdienste für Katholiken und Protestanten sind kirchlicher Alltag. Die orthodoxen Gemeinden aber schirmen sich voneinander ab. Jede Konfession hat ihr eigenes Staatsgebiet, wie etwa Griechenland, Russland, Serbien oder Georgien, und so sprechen ihre Anhänger alle eine andere Sprache. Ein Kontakt ist schwer möglich. Katharina Diercksen, eine junge Berlinerin, will nun aber doch eine panorthodoxe Gemeinschaft gründen.

Von Sasha Rindisbacher

Immer weniger Deutsche sind religiös. Das ist für viele nichts Neues, auf den zweiten Blick gibt es jedoch feine, weniger offensichtliche Details zu entdecken. Die veränderte Religiosität betrifft hauptsächlich die Jugend, sowohl im Westen wie auch im Osten Deutschlands. Besonders an diesem Trend ist die Abnahme religiöser Sozialisation in der jüngeren Bevölkerung. Zum Beispiel ist der Kirchgang am Sonntag längst keine Selbstverständlichkeit mehr.

Da stellt sich natürlich die Frage, ob und wie das Christentum in Deutschland fortbesteht. Für manche ist diese anti-religiöse Neigung willkommen und völlig natürlich. Für andere ist die Entwicklung problematisch und bedrohlich. Und einige nehmen es auch als Aufforderung, selbst aktiv zu werden.

Katharina Diercksen ist so ein Mensch. Selbst russisch-orthodox, hatte sie die Idee, eine neue religiöse Bewegung zu schaffen, die die orthodoxe Jugend Deutschlands zusammenbringt und ihr neuen Atem einhaucht. “Glauben ist für mich der Sinn des Lebens”, erklärt Katharina ihr Engagement. Ihr Projekt ist aber noch in der Entwicklung, im Moment gibt es noch nicht einmal einen Namen dafür. Es begann vor ein paar Monaten als Idee, jetzt werden die wichtigen organisatorischen Details umgesetzt. „Ende Juli fahre ich zu einem internationalen Treffen in Straßburg, da soll die Zukunft dieses Projekts geklärt werden.”

Das Ziel von Katharinas Projekt ist es, die Jugendlichen, die eigentlich nur von der kulturellen Sozialisation her orthodox sind, enger an ihren Glauben zu binden. Das will sie erreichen, indem sie verschiedene Gemeinschaften durch Konzerte, die Arbeit mit Kindern, gemeinsames Kochen oder Chorsingen zusammenbringt.

Das Projekt soll zunächst in Berlin starten, da Berlin verschiedene orthodoxe Gemeinden wie beispielsweise die russische oder die serbische hat. Ihr Traum: eine panorthodoxe Bewegung und Gemeinschaft zu schaffen. Mit pan-orthodox meint sie die Interaktion zwischen den verschiedenen Teilen der orthodoxen Kirche.

„Man ist oft auf die eigene Kultur fixiert, das führt zu einer Beschränkung des Blicks und vermeidet auch die Öffnung für andere Kulturen.” Dieser beschränkte Blick und der Verlust von Offenheit sind Faktoren, die die orthodoxe Gemeinden besonders betreffen, von innen wie von außen. Das ist deshalb so, weil es wegen Sprachbarrieren der jüngeren orthodoxen Bevölkerung keine übergreifende orthodoxe Einheit gibt. Es fehlt die Interaktion. Das ist genau das, was Katharina mit einem „beschränkten Blick“ meint. Die Orthodoxen in Deutschland haben bis dato noch nicht die Empathie, die Toleranz und den Ehrgeiz gezeigt, um eine größere, übergreifende, inklusive orthodoxe Identität zu schaffen.

Wichtig ist ihr auch, die Sprachbarrieren zu überwinden. Orthodoxe Gemeinden in Deutschland sind überwiegend Russischsprachig. Das schreckt viele andere Deutsche davon ab, sich ins Gemeindeleben einzubringen, glaubt Katharina. Sie selbst musste diese Sprachbarrieren überwinden. Sie ist deutsche Muttersprachlerin und lernte erst nach und nach, dem Gottesdienst auf Russisch zu folgen. „Ich hörte immer wieder etwas auf Russisch und auf einmal konnte ich mich auf Russisch verabschieden.“

Außerdem las sie viel und stellte viele Fragen. Sie beherrscht nun neben ihrer Muttersprache Russisch und Englisch, und ist dabei, Spanisch zu lernen. Sie gibt jedem, der eine Fremdsprache lernt, den Ratschlag, immer viele Fragen zu stellen, denn dann würde man Antworten bekommen, die nirgendwo in einem Lehrbuch stehen. So vergrößere man am besten seinen Wortschatz.

Die orthodoxen Gemeinden in Berlin sind nicht sehr groß. Sie werden hauptsächlich von Immigranten und ihren Kindern aufgebaut. Wenn die Orthodoxie weiter bestehen will, muss sie von der jüngeren Generation getragen werden. Das könne gleichzeitig Hoffnung machen wie auch Besorgnis erregen, findet Katharina. Die Jugend sei sehr leicht von Gruppenbewegungen beeinflussbar. Wenn die Jugend als große Masse vor der Religion flüchte, sei es sehr schwer sie dann wieder einzufangen.

Katharina sieht es als ihre Aufgabe an, etwas dagegen zu tun.


P1030605Sasha Rindisbacher will im Journalismus sein Interesse an Politikwissenschaft mit seiner Begeisterung für das Radiomachen, für elektronische Musik und Musiktechnik verbinden. Ersteres studiert er am Lewis and Clark College in Portland, Oregon. Sasha hofft, dass diese Verknüpfung zu einer natürlichen und fruchtbaren Kombination von seinen Interessen und seinen Talenten führt. Er machte sein Praktikum bei dem digitalen Radiosender multicult.fm und konnte dort zwei eigene Sendungen produzieren.

Internationales Journalisten-Kolleg ǀ  internXchange ǀ Sommer 2013