Die neue Generation Landwirtschaft

Die neue Generation Landwirtschaft

Ständige Modernisierung, größere und bessere Maschinen, leistungsfähigere Tiere – die Landwirtschaft hat sich rasant entwickelt. Sie ist auf den Zug des globalen Wettbewerbs aufgesprungen. Höher, weiter, besser. Doch wie entwickelt sich der Beruf des Landwirts?

von Ina Raterink und Hristo Lolovski

Samstagmorgen auf einem Schweinehof. Die Arbeitsklamotten anziehen und checken, ob alle Schweine genügend Futter haben. Große Aufregung unter den Tieren, kurze Streicheleinheiten für die Mutigen. Circa 600 Schweine leben hier bis sie ein Gewicht von 120 Kilo erreicht haben und geschlachtet werden.

Enrico ist Agrarwissenschaftler und arbeitet auf diesem Hof. Trotz Hochschulabschluss verdient Enrico nur circa 10 Euro netto die Stunde. Er arbeitet montags bis freitags von 6-15 Uhr und momentan jedes zweite Wochenende.

Ist dieser Arbeitsplatz attraktiv?

„Ich würde schon sagen, dass ich zu wenig Geld verdiene. Und momentan bin ich von meinen 80% auf 100% gegangen, weil ein Kollege länger ausfällt. Gleichzeitig muss ich noch für Klausuren lernen, weil ich eigentlich in meinem Master bin.“

Immer mehr Landwirte wählen den Weg eines Studiums. Die Zahlen der Auszubildenden sind rückläufig, wobei die Zahlen Studierender ansteigen. Laut statistischem Bundesamt sank die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge von über 15 Tausend im Jahr 2006 auf 13 Tausend in einem Jahrzehnt. Die Zahl der Studienanfänger erhöhte sich im selben Zeitraum um die Hälfte. Doch wie steht es um den Beruf des Landwirts? Ist es überhaupt noch attraktiv in dem Bereich zu arbeiten?

Die Tendenz zur Massentierhaltung

Laut des aktuellen Situationsberichts des Bauernverbandes hat sich die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe in den letzten 10 Jahren stark reduziert. Milchkuhhalter haben sich um etwa ein Drittel verringert. Gleichzeitig wächst die Anzahl der Kühe pro Halter.

Rolf ist bereits in der 11. Generation Landwirt auf einem Hof in Niedersachsen. Er hat sich auf Milchkuhhaltung spezialisiert und kürzlich seinen Stall erweitert. 80 Kühe leben auf seinem Hof. Um die Tiere zu versorgen hat er Land auf dem er hauptsächlich Gras und Mais anpflanzt.
„Früher hatten wir eine größere Variation an Tieren. Ein paar Schweine haben wir noch, aber das lasse ich so langsam auslaufen. Mit meinen 80 Kühen bin ich eigentlich so im Durchschnitt der niedersächsischen Landwirte.“

Dieselbe Tendenz zeigt sich auch bei Schweinehaltern. Hier hat sich die Zahl der Halter um zwei Drittel verringert. Jeder von ihnen hält heute durchschnittlich 1200 Schweine.

Glückliche Bio-Schweine sind eher die Ausnahme in der Landwirtschaft. Foto: Ina Raterink

Der geringe Milchpreis zwingt den Milchkuhhalter zur Überproduktion

Die Problematik des Milchpreises ist nicht erst seit gestern bekannt. Immer wieder demonstrieren Landwirte gegen die Dumpingpreise von Milch. Der Liter lag im November 2018 bei 37 Cent.
Rolf ist also keine Ausnahmeerscheinung. „Momentan bekomme ich 34 Cent für den Liter. Da muss ich auf Masse produzieren, um über die Runden zu kommen.“ Um gut von der Milch leben zu können, bräuchte er mindestens 40 Cent pro Liter. So muss er mehr Tiere halten, um mehr produzieren zu können. Bei Enricos Schweinen sieht es ähnlich aus: „Pro Schwein macht man – wenn man richtig gut wirtschaftet – 5 Euro Gewinn. Bei den Bio-Schweinen ist das natürlich mehr, aber die Auflagen sind auch ziemlich hoch. Im Falle eines Ausbruchs der Schweinepest zum Beispiel, kann man die eigentlich gar nicht erfüllen, da man die Schweine dann zwangsläufig im Stall halten muss.“

Sieben Tage die Woche arbeitet Rolf auf seinem Hof. Vor zwölf Jahren nach einer Ausbildung und der Meisterprüfung hat er den Hof von seinem Vater übernommen. Zuerst haben sie sich die Arbeit geteilt, jetzt macht er alles alleine weil der Vater körperlich nicht mehr in der Lage dazu ist. „Unterschwellig stand schon irgendwie fest, dass ich den Hof übernehme. Ich meine, wir haben den Hof seit circa 1648. Wahrscheinlich noch länger.“

Obwohl die Tendenz rückläufig ist, wird die Hälfte der Arbeit in der Landwirtschaft immer noch von Familienarbeitskräften geleistet. „Ich konnte natürlich für mich entscheiden, ob ich das wirklich machen möchte. Die Arbeit macht mir ja auch Spaß und ich habe mich damals bewusst dafür entschieden, aber manchmal überlegt man sich dann doch, ob das so eine gute Idee war…“

Strukturelle Veränderungen im großen globalen Wettbewerb

Die Zahl Studierender im Allgemeinen ist in den letzten 16 Jahren um fast eine Million auf knapp 2,8 Millionen angestiegen. Die Landwirtschaft folgt diesem Trend. Landwirte haben mit strukturellen Veränderungen zu kämpfen, die durchaus für diesen Trend verantwortlich sein könnten: Da ist die immer größere Spezialisierung, die Landwirte auf sich nehmen müssen, um existieren zu können. Gleichzeitig führen eine schwache Marktstellung und der internationale Wettbewerb zu einem Wertverlust der Produkte. Die Entwicklung zum größeren Viehbestand pro Halter erfordert höhere technische Standards und dementsprechend nicht nur betriebswirtschaftliche Kenntnisse, sondern auch ein hohes Maß an Organisationsfähigkeit und Kenntnisse im Management. Für all das benötigt ein Landwirt ein deutlich größeres Fachwissen als dies noch vor einigen Jahrzehnten der Fall war.

Enrico fasst die Situation folgendermaßen zusammen: „Die Digitalisierung, viele Auflagen, die Dokumentationspflicht, mit neuen Maschinen klar kommen. All das sind Dinge mit denen sich Landwirte auseinander setzen müssen. Natürlich übt das Druck aus. Und dann muss man aufgrund geringer Preise Anträge auf Subventionen ausfüllen. Es ist heute mehr Büroarbeit. Die körperliche Belastung nimmt durch die Maschinen ab, aber die Auswirkungen auf die Psyche sind enorm. Es gibt eine Telefonseelsorge für Landwirte. Immer häufiger stellen sich Landwirte die Frage: Kann ich überhaupt noch überleben?“

„Was wäre denn so schlimm daran mal in ein Geschäft zu gehen und festzustellen, dass die Milch für heute ausverkauft ist?“

Die Landwirtschaft ist Teil eines auf Wachstum und Kosten-Nutzen-Optimierung ausgelegten Systems. Ob es da um Enricos Schweine geht, die möglichst schnell möglichst viel Gewicht auf die Waage bringen müssen, um gewinnbringend zu sein. Oder um die Kühe von Rolf, die auf Hochleistung gezüchtet wurden, damit er bei dem geringen Milchpreis davon leben kann. Es soll grundsätzlich möglichst viel und möglichst günstig produziert werden.

Rolf sieht diese Tendenz kritisch:

„Ich wünsche mir eine Wertsteigerung der Produkte und größere Wertschätzung für meine Arbeit. Keiner möchte so viel auf Masse produzieren. Aber durch diesen Zwang zu wachsen und den geringen Milchpreis wird man ja gezwungen bestimmte Mengen zu produzieren, damit man von dem Beruf leben kann. Wir leben hier einfach im völligen Überfluss. Was wäre denn so schlimm daran mal in ein Geschäft zu gehen und festzustellen, dass die Milch für heute ausverkauft ist?“

Landwirte sind oft auf EU-Subventionen angewiesen. Diese werden trotz wachsender Widerstände nach Fläche berechnet: Je größer der Hof, je mehr Hektar Land, desto höher fallen die Subventionen aus. Kleinere Höfe, die oftmals mehr auf die Hilfen angewiesen sind, können sich so kaum über Wasser halten. Nachhaltigere Arbeitsweise zahlt sich nicht aus. Enrico fasst die Lage ähnlich wie Rolf zusammen: „Natürlich würden alle Landwirte ihren Tieren gerne mehr Platz geben und weniger Tiere auf größerer Fläche halten. Aber es geht halt einfach nicht. Aus den Umständen heraus musst du auf Masse produzieren, um überlebensfähig zu sein.“

Circa 16% aller landwirtschaftlichen Betriebe haben seit 2007 aufgegeben. Allerdings tauchen in den Statistiken nur Betriebe auf, die über 5 Hektar landwirtschaftlich nutzen. Es wird angenommen, dass sich die Zahl der Betriebe, die unterhalb dieser Größenordnung liegen und nicht mehr offiziell statistisch erfasst werden, halbiert haben.

Die Frage nach dem Huhn oder dem Ei

Die Landwirtschaft selbst steht immer wieder im Mittelpunkt großer Kritik. So hat die Tagesschau erst kürzlich darüber berichtet, dass die Feinstaubbelastung von Tierhaltung deutlich zu hoch sei und die Tierbestände reduziert werden müssten.

Der Verbraucher, die EU-Subventionen, die Landwirte, der globale Wettbewerb. Wer trägt die Schuld und wie erreicht man Veränderung? Ein Ausweg aus dieser Entwicklung scheint schwierig.  „Wir müssen bei dieser Massenproduktion mitmachen, um zu überleben. Gleichzeitig wird die Arbeit eines Landwirts nicht wertgeschätzt oder anerkannt weil wir ja auch für vieles verantwortlich gemacht werden. Trotzdem will der Verbraucher nicht viel Geld für die Produkte ausgeben. Und auf die Politik vertraue ich schon lange nicht mehr. Da kommt meistens nichts Gutes raus.“

Rolf wünscht sich trotzdem dass eines seiner Kinder diesen Hof eines Tages weiterführt. Hoffentlich unter besseren Bedingungen.


Ina Raterink studiert Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und Politikwissenschaft und hat vorher als Heilerziehungspflegerin im sozialen Bereich gearbeitet.



Hristo Lolovski studiert Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und Philologie im fünften Semester. Seine Zukunft sieht er im Journalismus. 


2019-03-28T18:06:29+02:00 Kategorien: Berlin + Brandenburg, Lesen, Lesetipp, Wissen + Wirken|Tags: , , , |