Filmexil Sowjetunion
Deutsche Emigranten in der sowjetischen Filmproduktion
der 1930er und 1940er Jahre
Wenn man von einer Anti-Hitler-Koalition auch in der Filmgeschichte sprechen darf, dann ist Moskau ihre erste Station. Anders als in Hollywood, Paris oder London entstehen dort schon seit den frühen 1930er Jahren antifaschistische Filme, wie sie im Westen noch bis zum Beginn des Krieges aus diplomatischen und kommerziellen Rücksichten nicht gemacht, wenn nicht gar ausdrücklich untersagt werden. Wer ins Exil in die Sowjetunion geht, erwartet von ihr nicht weniger als die Erlösung der Menschheit, dringend jedenfalls die Bekämpfung des Faschismus in Europa, auch mit Hilfe von Filmen, der vermeintlich mächtigsten Botschafter jener Zeit.
Das einst auf Initiative Willi Münzenbergs gegründete Studio Meschrabpom richtet eigens für die Genossen aus Deutschland die Filmfabrik Rot-Front ein. Selten in der Filmgeschichte sind höchste Erwartungen so niederschmetternd enttäuscht worden. Das hat einerseits mit der schwindelnden Höhe der Erwartungen zu tun, die weit hinausreichen über das, was Emigranten sich etwa in Westeuropa oder selbst in Amerika von ihrem Zufluchtsort versprechen, andererseits mit den unheimlichen Vorgängen in der Sowjetunion, die bald zunichte machen, was nach der katastrophalen Niederlage von 1933 an Hoffnungen noch übrig sein mag. Die sogenannte Volksfront gegen den Faschismus, die maßgeblich von Moskau aus aufgebaut werden soll, reißen noch lange vor dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht die sowjetischen Autoritäten selbst nieder.
Im Unterschied zu Hollywood, wo in den 1940er Jahren die bis heute bekanntesten Anti-Nazi-Filme entstehen, die meisten von ihnen mit Emigranten aus Deutschland vor oder hinter der Kamera, lockt das sowjetische Filmexil keine Berühmtheiten. Die Künstler, die es dorthin zieht, sind Mitglieder oder zumindest Sympathisanten der Kommunistischen Partei, ansonsten aber vor allem Theaterregisseure, Schriftsteller oder Schauspieler, die erst in Moskau aus ihren herkömmlichen Metiers zu Drehbuch und Filmregie vorzudringen suchen. Ihre mangelnde Erfahrung auf diesem Gebiet ist sicherlich einer der Gründe, weshalb sie zwar etliche Filme entwerfen, doch letztlich nur wenige zustande bringen. Hinzu kommen die ihnen reichlich fremden Bedingungen gerade der sowjetischen Filmproduktion, zu schweigen von der Sprache, in der sich nur wenige von ihnen jemals hinlänglich zurechtfinden. Die Angst vor dem ab 1936 immer weiter um sich greifenden Terror Stalins tut ein übriges, das deutsche Filmexil zu zersprengen. Moskau, der einstmals hoffnungsvollste Ort des Exils, erweist sich unversehens als der gefährlichste.
Wenn das deutsche Filmexil in der Sowjetunion zur Sprache kommt, dann zumeist lediglich drei Filme: Erwin Piscators AUFSTAND DER FISCHER (1934), Gustav von Wangenheims KäMPFER (1936) sowie der von dem österreicher Herbert Rappaport nach einem Drehbuch Friedrich Wolfs inszenierte PROFESSOR MAMLOCK (1938). Diese Filme sind indes nur das sichtbare Resultat einer Arbeit, die weit darüber hinausgeht. Ihre historische Bedeutung erschließt sich nicht zuletzt aus dem Scheitern all der Filme, die nie welche geworden sind. Die vorliegende Studie bietet eine erste umfassende Darstellung des deutschen Filmexils in der Sowjetunion: eine Filmproduktionsgeschichte, die neben den wenigen fertiggestellten Filmen auch die anderweitig dokumentierten Projekte und Pläne berücksichtigt, die sich aus bisweilen ebenso aufschlußreichen Gründen nicht verwirklichen lassen. Dieser Zusammenhang erst gibt dem Begriff Filmexil einen anderen als nur summarischen Sinn.
Christoph Hesse: Filmexil Sowjetunion. Deutsche Emigranten in der sowjetischen Filmproduktion der 1930er und 1940er Jahre. München 2017.
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