Schriftenreihe akte exil. neue folge
Unbekanntes Archivmaterial zum Exil wird erneut zugänglich
In Berlin nahm die faschistische Katastrophe mit der Bestellung Hitlers zum Reichskanzler ihren Anfang. In Berlin muß die Aufarbeitung des Nationalsozialismus mit seinen schlimmen Folgen für Deutschland, Europa und die Welt ihr Zentrum haben. Gegen das Vergessen. Daß heute viele die Geschichte und Wirklichkeit des Exils zwischen 1933 und 1945, das Schicksal der Verfolgten des Nationalsozialismus aus ihrem Gedächtnis verdrängt haben, gibt zu denken. Anstrengungen, dem entgegenzuwirken, tun not. In dieser schnellebigen Zeit droht das Vergessen allem und jedem, das nicht im gegenwärtigen Bewußtsein präsent ist. Und Präsenz bedeutet heute in erster Linie Präsenz in den avanciertesten Medien. Welche Chance haben da noch Bücher? Bücher, die in erster Linie unbekanntes Archivmaterial präsentieren wollen, sorgfältig ediert und kommentiert. Der kleine Berliner Verlag Bostelmann & Siebenhaar hatte sich der akte exil angenommen, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügen wollte und zugleich die Lesbarkeit in den Vordergrund der Dokumentation stellte. Bis 2007 sind zehn Bände innerhalb der Reihe erschienen: George Grosz, New York 1934. Mit diesem Band habe ich die Schriftenreihe dann eingestellt. Zehn Jahre später, im Herbst 2017, wurde die Schriftenreihe als neue Folge im Wallstein Verlag, Göttingen, neu eröffnet. Bislang sind zwei Bände erschienen.
Hermann Borchardt/George Grosz
"Lass uns das Kriegsbeil begraben!" Der Briefwechsel, hrsg. von Hermann Haarmann und Christoph Hesse unter Mitwirkung von Lukas Laier, Göttingen 2019, 560 S.
Der Briefwechsel zwischen Hermann Borchardt und George Grosz ist ein bislang unbekanntes, beeindruckendes Zeugnis des Deutschen Exils 1933 bis 1945. In insgesamt 219 Briefen erzählt sich die Freundschaft zweier Künstler, deren Schicksale unterschiedlicher kaum sein könnten. Die Freundschaft zwischen Hermann Borchardt und George Grosz begann Mitte der 1920er Jahre in Berlin. Grosz gehörte zu den bekanntesten Satirikern der Weimarer Republik, während Borchardt sich eher am Rande der literarischen Avantgarde bewegte.
Der bislang zum größten Teil noch unveröffentlichte Briefwechsel erstreckt sich über ein knappes Vierteljahrhundert, von 1927 bis zu Borchardts Tod 1951. Ob seines Umfangs und seiner Dichte kann er als eine kontinuierliche Geschichte dieser Epoche in Originaldokumenten gelesen werden; auch ein Dokument nicht nur einer unverbrüchlichen Freundschaft in höchst unfreundlichen Zeiten, sondern der Lebenswege zweier Künstler, deren Flucht vor dem Nationalsozialismus zugleich eine Abkehr von ihrer als letztlich gescheitert angesehenen Arbeit in der Weimarer Republik bedeutet.
[Rezension im Jahrbuch Exil Band 38]
[Rezension Süddeutsche Zeitung]
[Bericht Deutschlandfunk Kultur]
Anne Hartmann
"Ich kam, ich sah, ich werde schreiben". Lion Feutchtwanger in Moskau 1937. Eine Dokumentation, hrsg. von Hermann Haarmann, Göttingen 2017, 452 S.
Lion Feuchtwanger wurde bei seinem Besuch in der Sowjetunion
um die Jahreswende 1936/1937 mit allen Ehren empfangen:
Das exklusive Interview, das Stalin dem Autor
gewährte, und die Einladung zur Teilnahme am zweiten
Moskauer Schauprozess belegen den hohen politischen Rang,
der dem Schriftsteller beigemessen wurde. Die Fürsorge der
Gastgeber zeigte zugleich aber auch ihre Furcht vor einem
zweiten Fall Andre Gide, dessen kurz zuvor erschienenes,
kritisches Russlandbuch in der Sowjetunion wie bei den
europäischen Linksintellektuellen Entsetzen ausgelöst hatte.
Feuchtwanger bezeichnete seinen Reisebericht "Moskau
1937" selbst als "pro-bolschewistisches Buch" und wurde für
seine unkritische Haltung vielfach angegriffen. Anne Hartmann
zeigt jedoch anhand einer Fülle persönlicher Briefe
und Tagebucheinträge Feuchtwangers sowie anhand von Dokumenten
des russischen Geheimdienstes, dass der berühmte
Schriftsteller keineswegs so naiv und "blind" war, wie oft
behauptet wird. Aber warum gefährdete der skeptische Beobachter
seine ganze Reputation mit diesem Buch, das offensichtlich
nicht seine persönliche Meinung widerspiegelt?
Die Autorin hat Quellen aus Archiven in Russland, den
USA und Deutschland erschlossen, um die Reise und das
Entstehen des Reiseberichts erstmals nachvollziehbar zu
machen.
[Rezension Süddeutsche Zeitung]