Schriftenreihe akte exil
Unbekanntes Archivmaterial zum Exil wird zugänglich
In Berlin nahm die faschistische Katastrophe mit der Bestellung Hitlers zum Reichskanzler ihren Anfang. In Berlin muß die Aufarbeitung des Nationalsozialismus mit seinen schlimmen Folgen für Deutschland, Europa und die Welt ihr Zentrum haben. Gegen das Vergessen. Daß heute viele die Geschichte und Wirklichkeit des Exils zwischen 1933 und 1945, das Schicksal der Verfolgten des Nationalsozialismus aus ihrem Gedächtnis verdrängt haben, gibt zu denken. Anstrengungen, dem entgegenzuwirken, tun not. In dieser schnellebigen Zeit droht das Vergessen allem und jedem, das nicht im gegenwärtigen Bewußtsein präsent ist. Und Präsenz bedeutet heute in erster Linie Präsenz in den avanciertesten Medien. Welche Chance haben da noch Bücher? Bücher, die in erster Linie unbekanntes Archivmaterial präsentieren wollen, sorgfältig ediert und kommentiert. Der kleine Berliner Verlag Bostelmann & Siebenhaar hat sich der akte exil angenommen, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügen will und zugleich die Lesbarkeit in den Vordergrund der Dokumentation stellt. Inzwischen sind 10 Bände innerhalb der Reihe erschienen. Ein großer Dank gebührt dafür dem Freundes- und Förderkreis akte exil, mit dessen finanzieller Unterstützung die Schriftenreihe erst ermöglicht wird.
"hier brauchen sie uns nicht". Maxim Vallentin und das deutschsprachige Exiltheater in der Sowjetunion. Briefe und Dokumente, Bd. 1, hrsg. von Peter Diezel, Berlin 2000, 320 S.
Zeitgeschichte im Spiegel einer bewegten Biographie: Maxim Vallentin, ehemals Leiter des "Roten Sprachrohrs" in Berlin, reiste 1935 gemeinsam mit seiner Frau Edith ins Vaterland der sozialistischen Revolution, um mit den Mitteln des Theaters den antifaschistischen Kampf voranzubringen. Die Stationen ihrer künstlerischen Gehversuche "made in ussr" sind das Gebietstheater Dnjepropetrowsk und das Deutsche Staatstheater Engels, bis im Gefolge der stalinistischen Prozesse jede weitere Theaterarbeit unmöglich wird. Nur knapp dem Archipel Gulag entgangen, begründet Vallentin nach dem Ende des Nationalsozialismus das Deutsche Theaterinstitut in Weimar, ehe der wohl populärste Stanislawski-Erbe des sowjetischen Exils 1952 zum ersten Intendanten des Maxim Gorki Theaters in Ost-Berlin aufsteigt. In den sehr persönlich, bislang unveröffentlichten Briefen zwischen Maxim und Edith Vallentin entfalten sich die Schwierigkeiten eines künstlerischen Lebens, das im sowjetischen Exil mehr und mehr ins stalinistische Räderwerk aus Verdächtigungen, Intrigen und Verleumdungen gerät und darin unterzugehen droht. Zusätzliche Dokumente und bisher unbekannte Fotos erschließen den historischen Hintergrund.
"was noch begraben lag". Zu Walter Benjamins Exil. Briefe und Dokumente, Bd. 2, hrsg. von Geret Luhr, Berlin 2000, 290 S.
Walter Benjamin zählt zu den bedeutendsten Vertretern der deutschen Literatur- und Kulturgeschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts. Sein Leben und Werk dokumentieren auf exemplarische Weise die Verschränkung von deutsch-jüdischer Geistestradition und europäischer Moderne. Nach seiner Flucht aus dem nationalsozialistischen Deutschland findet er in Paris eine neue geistige, wenngleich materiell unwirtliche Heimstatt, ehe er sich 1940 auf der Flucht vor den deutschen Besetzern in dem französisch-spanischen Grenzort Port-Bou das Leben nimmt.
"was noch begraben lag" versammelt Briefe, Tagebuchaufzeichnungen und Erinnerungen von Familienangehörigen, Freunden und Leidesgenossen, die dem sensiblen Philosophen an den Stationen seines Exils begegneten oder mit ihm korrespondierten. Die größtenteils unveröffentlichten Texte legen ein eindringliches Zeugnis von dem Menschen und Denker Walter Benjamin in der Zeit zwischen 1933 und 1940 ab. Darüber hinaus entsteht - gleichsam zwischen den Zeilen - ein facettenreiches Bild des europäischen Exils.
"Mit dem Abdruck von an Benjamin gerichteten Briefen - sie stammen u.a. von der geschiedenen Frau Dora, vom Jugendfreund Alfred Cohn, der Freundin Margarete Karplus-Adorno sowie von den Liebhaberinnen Asja Lacis und Anna Maria Blaupot ten Cate - leistet der Band einen bescheidenen Beitrag zur Kompensation des Defizits, denn die Briefedition Benjamins verzichtet auf die gleichrangige Wiedergabe der Gegenbriefe." (FAZ, 22. Sept. 2001)
Abschied und Willkommen. Briefe aus dem Exil (1933-1945), Bd. 3, hrsg. von Hermann Haarmann, Berlin 2000, 311 S.
Mit der Einsetzung Hitlers zum Reichskanzler im Januar 1933 sind die Würfel gefallen: Im nationalsozialistischen Deutschland ist für Verfechter eines offenen, kritischen Worts, für Künstler der Moderne und politisch engagierte Literaten ohne Gefährdung von Leib und Leben kein Bleiben mehr. Fluchtwellen überziehen Europa, ehe die Heimatlosen auch andere Kontinente erreichen.
Die hier wiedergegebenen Briefe - u.a. von Alfred Kerr, Ferdinand Bruckner, Erwin Piscator, Julius Bab, Hans Sahl, Oskar Maria Graf und Georg Grosz - sind bis auf wenige Ausnahmen unveröffentlicht. Sie handeln vom Abschiednehmen, von Leid und Trost des Exils, von der Hoffnung auf ein Willkommen in der Fremde und geben so persönliche Einblicke in die geistigen wie materiellen Lebensumstände der Exulanten zwischen 1933 und 1945.
Hans Sahl. Jemand. Ein Chorwerk, Bd. 4, hrsg. von Gregor Ackermann und Momme Brodersen, Berlin 2003, 159 S.
Hans Sahl (1902-1993) zählte bis zu seinem Tod zu den einflußreichsten Stimmen des europäischen Exils. Der deutsch-jüdische Schriftsteller, Lyriker, Dramatiker, Journalist, Theater- und Filmkritiker schrieb 1935/36 im Exil die weltliche Kantate "Jemand" nach dem Holzschnittzyklus "Die Passion eines Menschen" von Frans Masereel. Der Exulant Tibor Kasics (1904-1986) komponierte dafür die Musik. 1938 fand in Zürich die stark beachtete Uraufführung dieses "Gesamtkunstwerks des Exils" statt. Das Buch dokumentiert die Entstehungs- und Aufführungsgeschichte anhand unbekannter Archivmaterialien und Photos, Briefe und Kritiken. Die Drucke von Masereel sowie ein Live-Mitschnitt des Chorwerks in einer Aufnahme von 1988 runden die Edition ab.
"Ackermann und Brodersen, die sich in der Sahl-Forschung bereits mit der mustergültigen Bibliographie seiner Schriften verdient gemacht haben, legen mit dem Jemand eine vorzügliche Edition vor. Der Band enthält mit Text, Bild und Musik nicht nur die Werke der drei Künste vollständig, sondern außerdem Selbstzeugnisse und Materialien, aus denen sich die Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte des Oratoriums rekonstruieren läßt." (Dreigroschenheft, 4/2003)
Katastrophen und Utopien. Exil und Innere Emigration (1933-1945). Das 2. Berliner Symposion, Bd. 5, hrsg. von Hermann Haarmann, Berlin 2001, 280 S.
Exil und Innere Emigration stehen sich in der allgemeinen Wahrnehmung als feindliche Brüder gegenüber. Der hier vorgelegte Tagungsband hat sich zum Ziel gesetzt, eine kontrastierende Debatte zu befördern. Das bewußt breit angelegte Spektrum reicht von Gottfried Benn, Carl Einstein und Paul Westheim über Erik Reger, Bertolt Brecht und Vladimir Nabokov bis hin zum "Jüdischen Kulturbund". Ein Exkurs zu Said, dem aus dem Iran stammenden Präsidenten des deutschen PEN, führt in die unmittelbare Gegenwart - denn das Exil ist zeitlich nicht begrenzt. Im Anhang des Bandes werden 95 bislang unveröffentlichte Briefe und Postkarten von Carl Sternheim aus den Jahren 1931-1936 an seinen englischen übersetzer Benjamin Joseph Morse vorgestellt.
"Ich finde es sehr wichtig, daß diese beiden feindlichen Brüder in einem Kolloquium und nun in einem Sammelband miteinander auskommen müssen. Wir freuen uns darüber, den Band unserer Bibliothek hinzufügen zu dürfen." (Dr. Jochen Meyer, Schiller-Nationalmuseum Marbach)
Julius Bab: Leben und Tod des deutschen Judentums, Bd. 6, hrsg. von Klaus Siebenhaar, Berlin 2002, 174 S.
Der Berliner Theaterkritiker und Kulturhistoriker Julius Bab (1880-1955) zählt zu den einflußreichsten deutsch-jüdischen Intellektuellen des Kaiserreichs und der Weimarer Republik. Vor seinem Exil in die USA legt Bab 1939 eine Geschichte des jüdischen Lebens in Deutschland vor: ein Dokument persönlicher Erschütterung. Entstanden unter dem Eindruck der "Reichskristallnacht", schlägt das Buch einen Bogen vom 9. Jahrhundert bis in die Gegenwart des NS-Regimes, das mit der Vernichtung des deutschen Judentums die Zerstörung deutscher Kultur betreibt.
Die Neuauflage von Babs Abschiedstext bietet zugleich die Gelegenheit, einen weitgehend unbekannten 'Klassiker' der Kulturgeschichtsschreibung neu zu entdecken. Mit unveröffentlichten Briefen von Julius Bab.
"In der schönen, jetzt vorliegenden Ausgabe stellt Siebenhaar dem Hauptwerk Babs Briefe an berühmte Exilierte wie Franz Werfel und Thomas Mann sowie das erstmals veröffentlichte Fragment Vita Emigrationis zur Seite." (Aufbau vom 25. Juli 2002)
Erwin Piscator am Schwarzen Meer. Briefe, Erinnerungen, Photos, Bd. 7, hrsg. von Hermann Haarmann, Berlin 2002, 182 S.
Ab 1931 weilt der Berliner Theaterregisseur Erwin Piscator in der UdSSR, um dort seinen ersten und einzigen Spielfilm zu drehen. Zu den Außenaufnahmen reist das gesamte Filmteam ans Schwarze Meer. Erst 1934 - Hitlers Machtübernahme hat Piscators Aufenthalt inzwischen zum Exil gemacht - kommt "Der Aufstand der Fischer" endlich in die Kinos. Zu spät! Weitere Filmprojekte scheitern, auch seine Pläne zu einem großen antifaschistischen deutschen Theaters in der Wolgerepublik kommen über einen Probelauf nicht hinaus.
Unveröffentlichte Briefe, Tagebuchnotizen und Anekdoten Piscators sowie neu entdeckte Photos von den Dreharbeiten und seiner Kaukasusreise, ergänzt durch Erinnerungen von Kollegen und Mitarbeitern, geben einen Eindruck von der künstlerischen Leidenschaft, dem politischen Engagement und dem Privatleben des Exulanten Piscator in der Sowjetunion.
"Haarmann zeigt in Erwin Piscator die Zerrissenheit einer ganzen Generation zwischen persönlicher und öffentlicher, politischer und intellektueller Verantwortung" (kulturzeit, 3sat) [Zum Beitrag]
Hans Hauska. Von Stalin zu Hitler. Ein Schicksal aus den Zeiten des Terrors, Bd. 8, hrsg. von Peter Diezel, Berlin 2003, 308 S.
Der österreichische Komponist Hans Hauska wurde zum Opfer zweier Diktaturen: Die Sowjetunion - das Land, das ihm nach der Machtergreifung Hitlers zur neuen Heimat geworden war - verurteilt den überzeugten Kommunisten 1937 als Konterrevolutionär. Nach dem "Anschluß" Österreichs an das Deutsche Reich liefern ihn die Handlager Stalins der Gestapo aus. Hauska wird ein zweites Mal verurteilt, diesmal wegen Vorbereitung zum Hochverrat, und landet im Zuchthaus Berlin-Moabit. Hier entsteht in den nächsten Jahren ein luzides "Gedächtnisprotokoll": Der Erfahrungsbericht eines sensiblen Künstlers im Räderwerk der Diktaturen.
"Von Stalin zu Hitler" veröffentlicht zum ersten Mal die persönlichen Hauska-Aufzeichnungen aus dem Gefängnis, Briefe sowie eine Auswahl des bisher unbekannten Aktenmaterials aus der Sowjetunion Stalins und aus Hitler-Deutschland.
Heimat, liebe Heimat. Exil und Innere Emigration (1933-1945), Bd. 9, hrsg. von Hermann Haarmann, Berlin 2004, 200 S.
Ist "Heimat" an ein Land, an einen bestimmten Ort, eine Landschaft gebunden oder liegt sie im Individuum, in seiner Geschichte, seinem Fühlen und Denken begründet? Wie wird "Heimat" erfahrbar, wie wird sie erkennbar? Für die Exulanten der Jahre 1933 - 1944 zuerst durch den Verlust! Vieles kann an ihre Statt treten: Gerüche, Geräusche, Sprache, Erinnerung. Aber ist "Heimat" dann noch Heimat? Dieses Buch versammelt die Vorträge international renommierter Wissenschaftler, die auf dem 3. Berliner Symposion zum Thema "Exil und Innere Emigration 1933-1945" zur Diskussion gestellt wurden.
"Der Begriff Heimat muß vieles aushalten. Seit er in den 20er Jahren von den Rechten besetzt wurde, steht er in gefährlicher Nähe von Blut und Boden. Heimat heißt für viele aber auch provinzielle Enge, Beschränktheit in Wort und Tat, Biederlichkeit und Heimchen am Herd. All diese Besetzungen tun nicht nur dem Begriff Gewalt an, sie verstellen vor allem das existentielle Bedürfnis nach Heimat. Wenn Heimat plötzlich wegbricht, wenn man aus ihr ins Exil vertrieben wird, dann wird schlagartig klar, wie sehr man auf sie angewiesen ist." (Der Tagesspiegel vom 23. Oktober 2003)
Georg Grosz. Skizzenbücher. New York 1934, Bd. 10, hrsg. von Hermann Haarmann, Berlin 2007, 301 S, geb.
Kurz vor der Machtergreifung Hitlers und gerade noch rechtzeitig geht der Berliner Maler, Graphiker und Satiriker George Grosz mit seiner Familie ins amerikanische Exil: nach New York. Grosz trägt bei seinen Streifzügen durch die Metropole immer ein kleines Zeichenheft bei sich. Die dort schnell hingeworfenen Zeichnungen und Aquarelle zeigen einen scharfen Beobachter und begeisterten Stadtmenschen, der sich schon während der Weimarer Republik einen Namen als unbestechlicher Chronist gemacht hat. New York und Georg Grosz - eine Liebesbeziehung der besonderen Art.
"Auf zehn Bände hat es die seit Jahren erscheinende Buchreihe akte exil gebracht. Aber Interesse für die Werke jener deutschen Künstler, die vor den Nationalsozialisten geflohen waren, so schreibt Herausgeber Hermann Haarmann, könne man heute offensichtlich nicht mehr erwarten. Deshalb wird die Reihe jetzt beendet, allerdings mit einem Paukenschlag: der Faksimilierung der Skizzenbücher, die George Grosz von November 1933 bis Ende 1934 in New York geführt hat - insgesamt mehr als dreihundert Oktavheftseiten, die da, wo es vom Motiv her notwendig ist, auch als Doppelseiten reproduziert werden. Ergänzt wird der Abdruck durch knappe Auszüge aus zeitgenössischen Briefen und späteren Erinnerungen von Grosz, die Auskunft über die Eingewöhnung in den Vereinigten Staaten geben. Dorthin gereist war er schon im Januar 1933, noch bevor Hitler die Macht übernahm; seine Familie konnte Ende des Jahres nachreisen. Amerikabegeistert war der Maler auch vorher gewesen, und Ruhm genoss er in übersee auch, also bestanden beste Startbedingungen, das Leben aber empfand er durchaus als zwiespältig. Die Großstadt faszinierte ihn, denn sie war ja auch in Berlin sein Haupttheme gewesen, doch eine Wohnung nahm er außerhalb, auf Long Island. Und so sind sowohl das metropolitane als auch das ländliche Amerika in seinen Skizzen präsent: sonnenbestrahlte Hochhäuser neben schneebedeckten Holzhütten. Doch vor allem schlägt sich die Liebe für Details nieder, für Kleidungsstücke, Leuchtreklamen und Konsumartikel. Einmal grinst auch die unsägliche Micky Maus ins Bild; es sei Grosz nachgesehen: Donald Duck war 1934 noch kein Star." apl (FAZ, 9. Januar 2008, Nr. 7, S. 30)