Das Geheimnis des Herrenberger Altares

Schätze des Landes vom 10.04.2001

Ein Film von Ute-Beatrix Giebel

"Wenig wertvoll und bäuerlich derb" so urteilte vor 200 Jahren Prälat Merz über den Herrenberger Altar und veranlasste damit seinen Verkauf nach Stuttgart. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts, am Vorabend der Reformation, schuf der württembergische Künstler Jerg Ratgeb einen großen Altar für die Herrenberger Stiftskirche. Dieser wurde und wird in der Kunstgeschichte oft mit dem "Isenheimer Altar" von Mathis Gothard Neithard und dem "Bamberger Altar" von Veit Stoß verglichen. Einzelne Bildelemente zeigen das soziale Engagement sowohl der Auftraggeber, der "Brüder vom gemeinsamen Leben", wie auch des Malers Jerg Ratgeb. Ratgeb wurde fünf Jahre nach der Fertigstellung "Kanzler der Bauern" und ein Jahr später vermutlich in Pforzheim gevierteilt. Sein Herrenberger Altar überlebte die reformatorische Bilderstürmerzeit nur, weil die sparsamen Herrenberger hofften, ihn noch verkaufen zu können. Doch der Altar war zu groß. So stand er zunächst in einer Rumpelkammer, wurde im katholischen Interim wieder aufgestellt und verbrachte völlig unbeachtet die nächsten Jahrhunderte in der nun protestantischen Stiftskirche. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden im Zuge der Kirchenrenovierung schneuzende Apostel und eine drastische Kreuzigungsdarstellung auf dem Ratgeb-Altar als unschicklich empfunden und der Altar verkauft. Dass der Altar bald schon im königlichen Museum und heute in der Staatsgalerie aufgestellt wurde zeigt, dass sein künstlerischer Wert nie umstritten war. Die Bilderwelt Ratgebs zeigt das künstlerische und sozialgeschichtliche Umfeld zu Beginn der Neuzeit. In seinem Gefolge haben sich u.a. Hrdlicka und HAP Grieshaber zu einem Bauernzyklus inspirieren lassen. Im Cyberchurch-Projekt "Der Herrenberger Altar im virtuellen Raum"haben sich Künstler, Architekten und Computerexperten zusammengefunden, um den Altar ganz neu zu erfahren und in die Landschaft und die biblischen Geschichten einzutauchen und so das Werk neu erlebbar zu machen. Der Film, zeigt die Verurteilung Ratgebs und von hier aus rückblickend seine Arbeit in Herrenberg. Er vermittelt anhand eines Blickes in die bemerkenswerte Herrenberger Altstadt die Geschichte der Reformbewegung der "Brüder vom gemeinsamen Leben", die den Altar samt Chorgestühl und Fenster als Ausdruck ihrer Frömmigkeit in Auftrag gaben. Eine Computersimulation modernster Machart lässt den Gesamteindruck wiedererstehen. Der Altar selbst zeigt in bemerkenswerter Dynamik göttliches Handeln in höchst menschlichen Umständen. Alles an den Bildern ist bewußte Botschaft, bis hin zu den zahlreichen Vögeln, die je nach Ort und Art der Darstellung Mahnung zur Tugend oder Warnung vor dem Laster sind. der Ort wo der Altar gemalt wurde, samt der noch vorhandenen Rechnungen lassen uns heute ahnen, wie damals gelebt und gearbeitet wurde.


© SWR 2001