Entdeckung der Kindheit



Im Jahre 1960 erschien in Frankreich ein Buch, das neue Thesen zur Kindheit in Mittelalter und Früher Neuzeit in die historische Forschung einbrachte: L'enfant et la vie familiale sous l'Ancien Régime von Philippe Ariès.Die deutsche Ausgabe erschien 1975 unter dem Titel Geschichte der Kindheit. Einige Thesen des Buches sollen hier kurz referiert werden.
Ariès Hauptthese ist, daß die "Kindheit" erst im 17./18. Jahrhundert "entdeckt" wurde. Nach Auswertung von Schriften über die Periodisierung des Menschenlebens, von Bildmaterial und von Kinderspielen kommt Ariès zu dem Schluß, daß man im Mittelalter von so etwas wie Kindheit nur bedingt sprechen kann.
Nachdem das Kind dem Säuglingsalter entwachsen ist und sich selbstständig fortbewegen kann, wird es nicht mehr als Kind wahrgenommen. Es unterscheidet sich hinsichtlich Kleidung, Spiele, Arbeit et cet. nicht mehr von den Erwachsenen. Es steht vielmehr in einer Art Lehrlingsverhältnis mit ihnen, um Sitte, Religion, Handwerk, und Sexualität zu erlernen. Von seiner Umwelt wird es als "kleiner Erwachsener" wahrgenommen.
Erst im 15./16. Jahrhundert entsteht allmählich unsere Kernfamilie, so daß das Kind sich aus der Erwachsenenwelt langsam entfernt. Gleichzeitig wird durch humanistische Moralisten, durch Pädagogen und Kirchenmännern die Erziehung der Kinder in den Mittelpunkt wissenschaftlichen Interesses gerückt. Die Stellung der Familie wird dadurch gestärkt und zusehends auch von der Kirche anerkannt.
Kind oder kleiner Erwachsener?
Ariès hat auch viel Kritik einstecken müsen - z. B. auch von Klaus Arnold - er kann aber unbestritten für sich in Anspruch nehmen, eine fruchtbare Kontroverse losgetreten zu haben, und dem Gebiet der Geschichte der Familie Impulse gegeben zu haben, die bis heute fortwirken.




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