Seit 30 Jahren gibt es Hochschuldidaktische Aus- und Weiterbildungsveranstaltungen
an der Freien Universität
Fit für die Lehre

 

Schon vor 30 Jahren machte Brigitte Berendt an der Freien Universität hochschuldidaktische Fortbildungsveranstaltungen. Damals war sie "Beauftragte für das Tutorenwesen". 1974 initiierte sie den Modellversuch "Entwicklung, Erprobung und empirische Überprüfung eines Curriculums zur hochschuldidaktischen Aus- und Fortbildung für Lehrende", den sie für die Dauer seiner Laufzeit bis 1978 leitete. Es war das erste Projekt dieser Art in der Bundesrepublik. 1976 beschloß das Kuratorium, das Arbeitsgebiet "Hochschuldidaktische Fortbildung und Beratung" als Arbeitsstelle gleichen Namens dem Fachbereich Erziehungs- und Unterrichtswissenschaften mit eigener personeller, sächlicher und räumlicher Ausstattung zuzuordnen. Brigitte Berendt übernahm die Leitung der Arbeitsstelle, die inzwischen viele Nachahmungen an anderen Hochschulen gefunden hat. Als Aufgaben der Arbeitsstelle wurden formuliert: Fortbildung und Beratung zur Weiterqualifizierung in der Lehre für Professoren und wissenschaftliche Mitarbeiter aller Fachbereiche, Durchführung von Entwicklungsforschung zur Curriculum- und Prüfungsreform, Beratung von Gremien und Arbeitsgruppen in allen Fragen der Reform von Studium und Ausbildung. Nach einer positiv verlaufenen Evaluation 1978 wurde durch einen weiteren Kuratoriumsbeschluß die personelle Ausstattung der Arbeitstelle, laut UNESCO 1996 ein "centre of international excellence", erweitert. Die Mitglieder der Arbeitsstelle werden bei der Entwicklung weiterbildender Studienangebote oder bei Reformstudienprojekten als Experten hinzugezogen (Aufbaustudiengang Dritte Welt; Psychosoziale Versorgung, Touristik, Modellstudiengang Medizin, Ausbildung von Tutoren am FB Rechtswissenschaft). Inzwischen bietet die Arbeitsstelle (mit bis zu 15 weiteren unbezahlten Dozentinnen und Dozenten) jährlich ca. 30 Kurse und Seminare an zu Themen wie Rhetorik, "Mein erstes Seminar", "Moderation von Lernprozessen" oder Motivierung und Aktivierung von Studierenden. Seit dem Wintersemester 1994/95 haben 1.425 Hochschullehrer/innen daran teilgenommen. Dr. Brigitte Berendt, Dr. Joachim Stary und Frank Marks haben außerdem eine Fülle von Publikationen zu hochschuldidaktischen Themen sowie kursbegleitende Materialien als Selbstlernmaterial vorgelegt. Individuelle Beratung, Bibliothek und Videothek ergänzen das Angebot.

Programm und Publikationsliste:
Arbeitsstelle Hochschuldidaktische Fortbildung und Beratung
Habelschwerdter Allee 34 a
14195 Berlin
http://www.userpage.fu-berlin.de/~stary

Telefon 838-3389 oder 5228
Telefax: 832 90 96
E-Mail: berendt@zedat.fu-berlin.defmarks@zedat.fu-berlin.destary@zedat.fu-berlin.de

 

 

Du sollst die Studierenden nicht langweilen


Glaubt man den üblichen Rankings zu Studienbedingungen, die hin und wieder die Hochschullandschaft erschüttern und die Gemüter erhitzen, ist es nicht zum besten bestellt mit der Lehre an unseren Universitäten. Die großen kommen besonders schlecht weg - die FU ist eine der größten.

Ranking-Papier ist geduldig. Aber auch wissenschaftlich fundierte Evaluationen nützen nichts, wenn man erkannte fehlende Kompetenzen nicht herstellt. An der FU gibt es ein wirksames Instrument gegen die "gähnende Lehre".

Seit 30 Jahren wird hier Hochschuldidaktische Aus- und Weiterbildung betrieben - auf Wunsch der Lehrenden - von Anfang an, wie Dr. Brigitte Berendt, die Leiterin der "Arbeitsstelle Hochschuldidaktische Fortbildung und Beratung" betont. Der Bedarf ist groß, aber man kann nicht alle Bewerber berücksichtigen. Neben dem Standardangebot gibt es auf Anfrage auch maßgeschneiderte Programme für ganze Institute. Besondere Angebote wurden jetzt für die Juristen ausgearbeitet, ein Fach, das von den typischen Problemen der Massenuniversität stark betroffen ist.

Dr. Robert Uerpmann vom Institut für Völkerrecht, Europarecht und ausländisches öffentliches Recht nahm sich das erste Gebot des guten Hochschullehrers zu Herzen: "Du sollst die Studierenden nicht langweilen." Er war neugierig, neue Methoden kennenzulernen. Von den verschiedenen Kursen, die er gemacht hat, hat "Visualisierung" bei Joachim Stary ihn am nachhaltigsten beeindruckt. Hier erfuhr er, wie man am Computer Lehrmaterialen - z. B. Plakate - anfertigen kann, wie man eine gute Folie macht oder wie man Grafiken herstellt, die geeignet sind, unübersichtliche juristische Dreiecksverhältnisse darzustellen. "Die Lehrveranstaltungen sind eindeutig besser geworden", betont Uerpmann, "gerade die Folien wecken interessierte Nachfragen".

Robert Uerpmann wird weitere Kurse besuchen und wünscht sich mehr Kollegen, die seinem Beispiel folgen. "Unsere Grenzen liegen in der Bereitschaft der Lehrenden selbst", sagt Joachim Stary. "Manche stellen es sich zu einfach vor, wollen schnell ein paar Tips und Tricks, anstatt wirklich an ihren Problemen zu arbeiten."

 

 

Theorie und Praxis – die Werkstatt


So wie im von Brigitte Berendt entwickelten Werkstattseminar (Phasenmodell), das in etwa so beginnt: "Nennen Sie Hauptprobleme bei der Planung und Durchführung von Seminaren". Die Analyse der Bedürfnisse und Probleme der Teilnehmer sind die Basis für die Themenschwerpunkte und die praktischen Übungen. (Phase I) Es folgen Informationen über relevante Forschungs- und Arbeitsergebnisse z. B. aus der studentischen Lernforschung und Übungen zu aktiven Lernformen. (Phase II) Nun können die Teilnehmer in Kleingruppen das soeben Gehörte auf ihre eigenen Probleme anwenden – in dieser Zusammenführung von Theorie und Praxis werden die Teilnehmer dazu gebracht zu erkennen, daß sie selbst die Lösungen für ihre Probleme entwickeln können. (Phase III) In den nächsten Phasen (IV-VI) folgen Diskussion, ggf. Modifizierung der Ergebnisse und schließlich die Probe aufs Exempel – in der eigenen Lehrveranstaltung.

Problemen mit der richtigen Diskussionsleitung oder Strukturierung eines Vortrags kann man mit Lehrproben (die später diskutiert werden) und Mitschnitten beikommen. Geübt werden gute Strukturierung, motivierende Vortragsweise, Verständlichkeit und geeigneter Medieneinsatz. Ein Schauspieler bringt den Teilnehmern den richtigen Stimmdruck, angemessene Gestik und Mimik bei. Kritische Lehrsituationen werden mit Alternativen durchgespielt ("was mache ich mit Schweigern?") oder anhand eines Films erläutert.

Dr. Karl Bauer: "Man muß die Studierenden da abholen, wo sie sind".

Foto: Ausserhofer


Diskussionskunst


Dr. Karl Bauer von der Kinderklinik des UKBF hat schon einige Erfahrung in der Lehre. Er suchte ein Angebot für "Fortgeschrittene" und fand "Rhetorik in Forschung und Lehre". Im Seminar wird das Verhalten in Diskussionen geübt, z. B. auf Fragen einzugehen, ohne sich auf ein Geplänkel einzulassen, oder Fragende ernstzunehmen, ohne ihnen zuviel Platz einzuräumen. Im Reader "Umgang mit Diskussionen" kann man nachlesen, wozu im Seminar keine Zeit blieb.

Seine Lehrveranstaltungen sind besser geworden, sagt Karl Bauer, seit er den Kurs bei der Arbeitsstelle gemacht hat. Obwohl die Studierenden häufig rezeptiv sind, ist er dennoch davon überzeugt, daß man sie aktivieren kann, "wenn man sie da abholt, wo sie sind". Er bestätigt die Überzeugung der Hochschuldidaktiker, daß das Lernproblem oft genug ein Lehrproblem ist.

"Ich wundere mich", so Bauer, "daß die einfachsten Regeln des Vortrags nicht beachtet werden, daß man nicht nach den üblichen Kommunikationsformen fragt oder lernt Dias zu machen, die man auch in der fünften Reihe noch erkennen kann".

Wichtig ist nicht nur die gute Präsentation des Lehrstoffs (eine Medizin-Vorlesung kann systematisch – "Die Lunge ist..." mit wenigen Hörern oder differentialdiagnostisch "Das Kind hat Husten..." vor vollem Haus) aufgebaut sein. Ganz wichtig ist auch die Reduktion von Stoff. "Viele Dozenten", wissen die Hochschuldidaktiker, "erliegen der Lehr-/Lernillusion. Sie glauben, daß das Gelehrte identisch sei mit dem Gelernten".

 

 

Gelehrt ist nicht gelernt


"Ich kann die Studierenden nicht behandeln wie leere Gefäße, in die ich oben was reinschütte, und dann wissen sie’s," weiß Gabriela Hahn vom Institut für Schulgeographie. Die Studenten wissen’s nicht. Hahn beobachtet die ausgeprägte Konsumhaltung vieler Studierender, die oft nicht recht verstehen, warum die Dozentin ihnen nicht einfach gibt, was sie hat. Nach dem ersten Auftritt mit dem Moderationskoffer war das anders. Mit Hilfe von Kärtchen, Filzschreibern und vielen anderen Materialien stellten die Studierenden ihr eigenes Seminarprogramm zusammen – das Plakat mit dem Titel "Programm" hatte Gabriela Hahn leergelassen. Auf den Karten wurden Fragen notiert, dann sortiert, es wurden Schwerpunkte gebildet, Prioritäten mit bunten Aufklebern kenntlich gemacht, und am Ende waren alle ganz stolz, daß sie ihr Programm selbst gemacht hatten. Bei gelegentlichen Einbrüchen im Verlauf des Seminars gab es als Motivation immer nur einen Satz: "Ihr habt es so gewollt. Ich hätte Euch die Kommunikationstheorie ja erspart." – Die Verlagerung von Verantwortung.

Gabriela Hahn hat etliche Seminare der Arbeitsstelle gemacht. "Moderation von Lernprozessen" bei Frank Marks war für sie ein "Schlüsselseminar". Also bat sie ihn um ein maßgeschneidertes Angebot für ihr Institut. Die Reaktion auf die Lehre aus dem Koffer war unterschiedlich, aber anfängliche Ablehnung und Skepsis schlugen um in Begeisterung wie bei Prof. Gero Körber, der fortan der "Mann mit dem Koffer" genannt wurde. Was Gabriela Hahn dann passierte, weist auf einen weiteren wichtigen Punkt. Als sie mit dem Koffer den Seminarraum betrat, verdrehten die Studenten die Augen und flehten um ganz normalen Frontalunterricht. Methodenmix ist wichtig.

Ein weiterer Effekt ist die Verbesserung der Kommmunikation im Institut. Das gemeinsame Tun und der Austausch darüber ist ausgesprochen intrigenfeindlich. "Das ist Gruppendynamik pur", so Hahn.

Auch für Joachim Stary ist dies ein besonders erwünschter Effekt: "Sonst passiert es doch überhaupt nicht, daß über die Lehre diskutiert wird." Und das nicht nur innerhalb von Instituten, sondern über Fächergrenzen hinweg. Es wird darauf geachtet, daß die Seminare interdisziplinär zusammengesetzt sind, wenngleich es Unterschiede in der Herangehensweise gibt: Naturwissenschaftler arbeiten sehr zielorientiert, wohingegen sich Geisteswissenschaftler dadurch eher eingeschränkt fühlen.


An die Wand geredet


"Oft erlebt man bei Präsentationen, daß Folien aufgelegt werden, die so eng und klein beschrieben sind, daß sie in der fünften Reihe keiner mehr lesen kann, und dann redet der Referent oder die Referentin auch noch gegen die Wand”, beschreibt Dr. Traute Meyer vom Otto-Suhr-Institut einen typischen Fehler. Sie wollte in hochschuldidaktischen Seminaren nicht nur neue Techniken der Stoffvermittlung kennenlernen, sondern auch mit anderen Interessierten ihre Erfahrungen diskutieren. Probleme mit schlechten Referaten und nicht gelesenen Texten gibt es überall. Ihr ging es darum: Wie kann ich motivieren? Bei Stary lernte sie mehr über Medieneinsatz, die Bestimmung des richtigen Rhythmus für eine Lehrveranstaltung und eine gute Gewichtung zwischen Präsentation und Diskussion. Auch sie beklagt die Konsumhaltung der Studierenden, aber sie weiß inzwischen, daß man das ändern kann. Für sie ist unter anderem der Entlastungseffekt der Seminare bei den Hochschuldidaktikern wichtig: Erstens kann man eine Menge steuern und zweitens: es liegt nicht nur an mir, wenn etwas schiefgeht.

"Man wird kein anderer Mensch”, sagt sie nach mehreren Weiterbildungsveranstaltungen, "aber die Kurse haben genützt. Vieles hat Eingang in die alltägliche Praxis gefunden.” Sie will auf jeden Fall weitermachen.

Neben vielen praxisorientierten und anwendungsbezogenen Verfahren kann man bei den Hochschuldidaktikern auch die hohe Schule der Denk- und Redekunst erlernen. "Das neosokratische Gespräch" ist eine Herausforderung und eine Forderung: "Sapere aude!" (Wage es, deinen Verstand zu gebrauchen) heißt die begleitende Publikation von Horst Gronke und Joachim Stary – "Das Neosokratische Gespräch als Chance für die universitäre Kommunikationskultur".

Susanne Weiss