Neu an der FU - Leibnitz-Preisträgerin Regine Hengge-Aronis berufen
Expertin für Streßresistenz

 

Prof. Dr. Regine Hengge-Aronis deutet auf den Teppichboden ihres Büros: "Hier krabbelt mein Sohn herum, wenn die Tagesmutter krank ist." Noch neu in einer Stadt, in der sie niemanden kennt, unter der Woche alleinerziehende Mutter zweier Kinder, dazu die Übernahme einer C4-Professur: Das bedeutet Streß! Doch mit Strategien, mit denen man Streß bekämpft ist Hengge-Aronis bestens vertraut: Die Mikrobiologin untersucht am Fachbereich Biologie, Chemie, Pharmazie die bakterielle Streßantwort.

"Wenn schon ein Wechsel, dann von mir aus dramatisch", findet Hengge-Aronis. Sie hat, bevor sie nach Berlin gekommen ist, im Südwesten Deutschlands gelebt und gearbeitet: 1956 in Trossingen auf der schwäbischen Alb geboren, begann sie im Jahr 1976 an der Universität Konstanz, Biologie zu studieren und machte 1981 ihr Diplom. Danach promovierte sie in Konstanz über die Signalübertragungswege bei der Ausschüttung von bakteriellen Eiweißen. Ausgestattet mit einem Forschungsstipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft konnte Hengge-Aronis 1987 ein Jahr in den USA an der Princeton University als Postdoc arbeiten. Hier untersuchte sie wieder einen Signalübertragungsweg, allerdings diesmal in Hefezellen. Diese Prozesse werden in Hefe durch Nahrungsmangel ausgelöst. Dabei kam Hengge-Aronis die Idee zu einem Forschungsthema, mit dem sie Neuland betreten sollte: "Was passiert eigentlich bei Nahrungsmangel in Bakterien?" fragte sich Hengge-Aronis damals. Und sie hatte daraufhin gleich zweimal Glück: Zum einen erwies sich die Frage nach der bakteriellen Antwort auf Streß bis Anfang der neunziger Jahre als Nischenthema. Und zum anderen bot ihr ihr Doktorvaters eine Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin in seiner Arbeitsgruppe an. Sie dürfe forschen, worüber sie wolle, wenn es nur irgendwie mit Bakterien zu tun habe. "Wo in Deutschland findet man einen Chef, der einem die totale wissenschaftliche Freiheit läßt?" begründet Hengge-Aronis ihre Entscheidung, 1988 nach Konstanz zurückzukehren.

Seitdem untersucht die Mikrobiologin mit ihrer Arbeitsgruppe die Streßantwort im Bakterium E.coli und erforscht die damit verbundene Regulation der Gene und Streßproteine. Dabei können nicht nur Nährstoffmangel, sondern auch z.B. Temperaturschwankungen eine empfindliche Störung der Lebensfunktionen der Bakterien bedeuten. Und obwohl diese Einflüsse so unterschiedlich sind, fand Hengge-Aronis heraus, daß die Antwort der Bakterien auf Streß auf molekularer Ebene immer gleich ist. Sie entdeckte das Protein Sigma-S als Regulatorprotein, das an einer Schlüsselposition die Signalübertragung im bakteriellen Organismus steuert. So kann das Bakterium Gene aktivieren und Proteine erzeugen, die es unter den Streßbedingungen lebensfähiger machen. "Ressourcenmangel und die Strategien zu seiner Beseitigung sind auch ein spezifisch menschliches Problem", erklärt sie. Umso spannender sei es, wie winzige Lebewesen wie Bakterien damit umgingen. Rund zehn Jahre später ist aus dem einstigen Nischenthema dann auch ein wichtiges Forschungsgebiet geworden, auf dem sich hunderte von Gruppen in aller Welt tummeln. Und Hengge-Aronis erhielt als Vorreiterin bei der Erforschung der bakteriellen Streßantwort 1998 den Leibnitz-Preis.

Als streßresistent mußte sich auch die Familie erweisen, als Hengge-Aronis im Sommer 1998 auf die C4-Professur für Mikrobiologie an die FU berufen wurde. Während ihr Mann Erziehungsurlaub nahm und sich um den 6 Monate alten Sohn und die sechsjährige Tochter kümmerte, organisierte sie den Aufbau der Arbeitsgruppe in den neuen Labors in Berlin. Auch fünf Mitglieder ihrer Konstanzer Arbeitsgruppe hat sie mitgebracht, "ohne die wäre der Start viel schwieriger gewesen", sagt sie. Dabei gefällt es Hengge-Aronis in Berlin gut: "Berlin ist zur Zeit die aufregendste Großstadt in Europa", findet sie, und das, obwohl ihr Arbeit und Kinder bisher wenig Zeit lassen, die Stadt zu erkunden. Ihr Ehemann arbeitet zur Zeit noch in Konstanz, "ein weiterer Vorteil von Berlin ist aber, daß wir hier langfristig beide berufstätig sein können", sagt Hengge-Aronis. So muß sie wohl nur noch vorübergehend Antworten finden auf den akuten Ressourcenmangel Kinderbetreuung. Im Notfall drückt sie einer Doktorandin das Baby in die Hand, wenn sie in die Vorlesung muß.

Steffi Barbirz