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Arbeit und Interaktion
Zur analytischen Trennung zweier Grundbegriffe bei Jürgen Habermas

Autor: Lars Frers, März 1998

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Inhalt

Einleitung

Gegen Ende der sechziger Jahre formuliert Jürgen Habermas seine zentrale Kritik an der theoretischen Ausrichtung der Frankfurter Schule, wie sie durch Horkheimer, Adorno und Marcuse vertreten wird. Er kritisiert den dort verwendeten Arbeitsbegriff zugunsten seines emphatischen Begriffs von Interaktion.[1] Die von Habermas vollführte Wende in der Kritischen Theorie hat sich 1981 in Form der Theorie des Kommunikativen Handelns (TkH) als Gesellschaftstheorie niedergeschlagen. Habermas’ Versuch ist, mit der TkH die Basis für eine positive Kritik aufzubauen, er will Kritische Theorie von dem Zwang zur Negativität befreien, in den sie vor allem durch Adorno geführt wurde. Die Grundlage für eine solche, positive Kritik ist das Vertrauen in die Rationalität von Handelnden – und zwar in eine andere Rationalität als die instrumentelle, an der Erreichung von Zwecken orientierte. Der Leitgedanke ist, dass mit der Fassung von Vernunft als Zweckrationalität eine Verarmung des Vernunftbegriffs einhergeht, weshalb Habermas den Begriff der Rationalität neu bestimmen bzw. ihn um andere Typen als den der Zweckrationalität erweitern will. Der für seine Theorie entscheidende Typus ist die kommunikative Rationalität. Die Einführung kommunikativer Rationalität basiert auf der Annahme, dass es einen fundamentalen Unterschied zwischen dem Subjekt–Objekt und dem Subjekt–Subjekt Verhältnis gibt. Das Verhältnis Subjekt–Objekt steht bei Habermas für Zweckrationalität, Herrschaft und Verdinglichung und das Verhältnis Subjekt–Subjekt für kommunikative Rationalität, gegenseitige Anerkennung und Versöhnung.

Ich möchte mich mit einem grundlegenden Text aus den sechziger Jahren beschäftigen, mit Arbeit und Interaktion. Bemerkungen zu Hegels Jenenser Philosophie des Geistes (AuI)[2]. Habermas will in diesem Text vorführen, dass der frühe Hegel die analytischen Kategorien bereitgestellt hat, mit denen die Beziehung des Ich zur Außenwelt nicht nur als Subjekt–Objekt Beziehung zu fassen ist, sondern auch als Beziehung zwischen zwei Subjekten, eben als Interaktion, der Grundlage kommunikativen Handelns.

Im folgenden Teil will ich versuchen, die Argumentationslinie in Habermas’ Aufsatz AuI herauszuarbeiten. Ich bin mit dem Werk Hegels nicht sehr vertraut, weshalb mir eine Überprüfung der Angemessenheit von Habermas’ Hegelinterpretation nicht möglich ist. Ich werde aber einige Kritiken an der Hegelinterpretation von Habermas erwähnen. Zum Abschluss versuche ich zu zeigen, dass der begriffliche Übergang vom Arbeitsbegriff zum Begriff des teleologischen Handelns unscharf gefasst ist und dass es einer genaueren Explikation der Rolle der Arbeit bedarf, als der, wie sie sich bei Habermas findet.

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Habermas’ Rekonstruktion von Hegels Philosophie des Geistes

Habermas möchte mit seiner Interpretation der Anfang des 19. Jahrhunderts in Jena gehaltenen Vorlesungen zur Philosophie des Geistes belegen, dass Hegel in dieser frühen Zeit noch ein Konzept hatte, in dem das Verhältnis zwischen Mensch und Natur sich wesentlich von dem Verhältnis zwischen Menschen unterscheidet. Dieses Konzept ist angelegt in der Unterscheidung der Dialektiken von Sprache, Arbeitsprozess und Kampf um Anerkennung. Allerdings zeichnet sich bereits in der Philosophie des Geistes ab, dass Hegel mit der Entwicklung des Begriffes ‚Geist’ die Beziehung des Menschen zur Natur nicht als dialektische Beziehung zu einem Gegenstand, sondern als Beziehung zu einem Gegenspieler fasst.[3] Dass Natur mit Geist identisch ist und damit als eine Art von aktivem Gegenüber verstanden wird, verwischt den Unterschied zur aktiven, auf Wechselseitigkeit beruhenden Beziehung zu einem anderen, menschlichen Subjekt. Der absolute Geist, als in der Natur verkörpertes Subjekt, steht nach Habermas Hegelinterpretation neben dem subjektiven Geist eines anderen Individuums. Diese idealistische Verkörperung des Geistes in der Natur akzeptiert Habermas jedoch nicht, er besteht auf der Notwendigkeit einer Trennung. Die Entäußerung von Dingen und Symbolen ist für ihn nicht gleich der Entzweiung von Individuen – Aneignung ist genauso wenig gleich Versöhnung.[4]

Bevor geklärt werden kann, was es mit den drei grundlegenden Mustern dialektischer Beziehungen des Menschen zur Umwelt – Arbeitsprozess, Sprache und Kampf um Anerkennung – auf sich hat, ist es nötig zu zeigen, was den Begriff des Ich in diesem Zusammenhang ausmacht, denn die Beziehung zur Umwelt ist eine Beziehung des Ich zur Umwelt. Habermas kritisiert den an Selbstreflexion orientierten Ich-Begriff, wie er in der Tradition von Déscartes, Kant und Fichte entwickelt wurde.[5] In der Selbstreflexion bleibt das Ich vollkommen in sich selbst aufgehoben, es stellt sich als Einheit dar, die nicht in einen Austausch mit der Außenwelt tritt. Ein Anderes wird also nicht in einer anderen Person, sondern im von sich selbst wissenden Spiegelbild gesucht. Dieses Schema der Selbstreflexion will Habermas in AuI überwinden – die philosophische Basis dafür findet er in der Subjektiven Logik von Hegel, dort ist das Ich nicht nur […] diese erstlich reine, sich auf sich selbst beziehende Einheit, sondern auch […] absolutes Bestimmtsein, welches sich Anderem gegenüberstellt und es ausschließt; individuelle Persönlichkeit.[6] Daraus folgert Habermas:

Hegel hingegen überlässt sich der Dialektik von Ich und Anderem im Rahmen der Intersubjektivität des Geistes, in dem nicht Ich mit sich als seinem Anderen, sondern Ich mit einem anderen Ich als Anderem kommuniziert. […] Hegels Dialektik des Selbstbewusstseins überschreitet das Verhältnis der einsamen Reflexion zugunsten des komplementären Verhältnisses sich erkennender Individuen. Die Erfahrung des Selbstbewusstseins gilt nicht länger als ursprünglich. Sie ergibt sich vielmehr für Hegel aus der Erfahrung der Interaktion, in der ich mich mit den Augen des anderen Subjektes sehen lerne.[7]

In dieser Auslegung verstärkt Habermas den von Hegel gemachten Punkt. Die Erfahrung der Intersubjektivität sieht Habermas in den Kontext des Geistes eingeordnet. Der Kategorie des Geistes nimmt bei Hegel die Stelle des dialektischen Mittlers zwischen Ich und Umwelt ein. Als Allgemeines vermittelt er die Dialektik von Sprache, Arbeitsprozess und Kampf um Anerkennung, er ist das Medium der Beziehung zwischen Subjekt und Objekt oder Subjekt und Subjekt. So ermöglicht die Kategorie des Geistes auch Individualität – in der Vermittlung zwischen den Anderen und dem Ich. Die Anderen sind anzuerkennen als einzelne Individuen, die dem Ich gegenüberstehen und ihm doch gleich sind.

Geist ist die Kommunikation Einzelner im Medium eines Allgemeinen, das sich wie die Grammatik einer Sprache zu den sprechenden oder wie ein System geltender Normen zu den handelnden Individuen verhält und nicht das Moment der Allgemeinheit gegenüber der Einzelnheit hervorkehrt, sondern deren eigentümliche Verbindung gestattet. […] Die ursprüngliche Einsicht Hegels besteht darin, dass Ich als Selbstbewusstsein nur begriffen werden kann, wenn es Geist ist, d. h. wenn es von der Subjektivität zur Objektivität eines Allgemeinen übergeht, in dem auf Basis der Gegenseitigkeit die als nichtidentisch sich wissenden Objekte vereinigt sind.[8]

Demnach ist bei Hegel sowohl in dem Begriff des Ich, als auch im Begriff des Geistes bereits der Gedanke angelegt, dass (neben der Auseinandersetzung mit den Objekten in der Umwelt, auf symbolischer Ebene in der Sprache und auf materieller Ebene durch Arbeit) auch der Austausch mit anderen Subjekten für die Individuierung konstitutiv ist. Es sind die Voraussetzungen gegeben, um die verschiedenen Grundmuster der dialektischen Beziehungen zur Umwelt zu begreifen.

Zur Bestimmung der Funktionen dieser Grundmuster abstrahiert Habermas vorerst von der gesellschaftlichen Einbettung des jeweiligen dialektischen Verhältnisses und bezieht sich allein auf die Medien, mit denen zwischen Subjekt und Umwelt vermittelt wird.

Sprache und damit auch der in ihr aufgehobene objektive Geist manifestiert sich in der Benutzung von Symbolen, und diese Symbole sind das Medium, über welches das Ich in Beziehung zur Umwelt tritt. Einerseits gibt das Ich den Dingen Namen, ordnet sie so und verlässt den bewusstlosen Umgang mit der Umgebung. Indem es einem Ding ein Symbol zuordnet, erhebt es sich darüber und kann es aus einer Distanz beobachten, es, das Ding mit Namen, ist nicht Ich, es ist außer dem Ich. Über diese Distanzierung tritt das einsame Ich in Beziehung zur außer ihm seienden Umwelt. Andererseits identifiziert das Ich mit der Benennung einen Gegenstand; mit dieser Identifikation eines Gegenstands mit einem Symbol ist dem Ich die Möglichkeit gegeben, sich über das Symbol den Gegenstand zu vergegenwärtigen. Der spezifische Charakter des Gegenstands ist von nun an im Symbol aufgehoben. So ist das Ich in der Lage, sich seine Umwelt als Anderes über Symbole zu reproduzieren.

[Sprache ist] die erste Kategorie, unter der der Geist nicht als ein Inneres, sondern als Medium gedacht wird, das weder innen noch außen ist. Darin ist der Geist Logos einer Welt und nicht Reflexion des einsamen Selbstbewusstseins.[9]

Arbeit ist die zweite Kategorie in der Geist als Medium eines dialektischen Prozesses fungiert. Die Arbeit dient der Triebbefriedigung des Ich, Bedürfnisse fordern ihre Erfüllung, und das Ich tritt über den Arbeitsprozess, als notwendige Auseinandersetzung mit der Umwelt, mit dieser in Berührung. Indem aber durch Arbeit die Bedürfnisse befriedigt werden, wird andererseits das Ich aus dem Zwang des unmittelbaren Einsseins mit der Umwelt befreit, durch die Stillung des Bedürfnisses wird das Ich nicht mehr unmittelbar an die Arbeit gebunden. Die Umwelt oder auch die Natur wurde so überlistet, das Individuum ordnet sich erst der Natur unter, um sich dann aus ihr zu erheben. Der Niederschlag dieser ‚List des Arbeitsprozesses’ findet sich im Werkzeug, dem Instrument, denn […] das Werkzeug ist das Allgemeine gegenüber den verschwindenden Momenten der Begierde und des Genusses […].[10] Im Werkzeug instrumentalisiert das Ich die Umwelt , macht sie sich gefügig. Es hat somit die gleiche Funktion wie das Symbol in der Sprache, es ist das Medium, der Geist, der die dialektische Beziehung Subjekt – Umwelt vermittelt. Allerdings wird meines Erachtens mit der Festlegung auf das Werkzeug als Medium der Erfahrung der Umwelt ein wichtiger Aspekt übersehen. In einem Zitat von Hegel, welches Habermas selbst anführt, kommt zum Ausdruck, worum es bei der Kategorie des Werkzeug noch geht:

Die Subjektivität der Arbeit ist im Werkzeug zu einem Allgemeinen erhoben; jeder kann es nachmachen und ebenso arbeiten; es ist insofern die beständige Regel der Arbeit.[11]

Es kommt nicht auf das Werkzeug als Gegenstand, der Träger des Geistes wäre, sondern vielmehr auf die im Werkzeug widergespiegelte Regelhaftigkeit der Arbeit an, also auf das Wissen über die Regeln des Arbeitsprozesses. Im Wissen über den Arbeitsprozess müsste sich also der Geist finden, es geht über die Subjektivität der Arbeit hinaus, ist ein allgemeines. Dieses Wissen über die Behandlung der Umwelt ist das Medium (oder auch die in der Gattungsgeschichte festgehaltene List), über welches sich das Ich von den Zwängen der Natur befreien kann.[12]

Die dritte dialektische Beziehung ist das sittliche Verhältnis – in Hegels Worten, oder, nach Habermas, die Interaktion. Sie wird mit der Dialektik des Kampfes um Anerkennung eingeführt.

Sie [die Dialektik des Kampfes um Anerkennung] rekonstruiert Unterdrückung und Wiederherstellung der Dialogsituation als des sittlichen Verhältnisses. In dieser Beziehung, die allein dialektisch heißen darf, üben die logischen Beziehungen einer durch Gewalt verzerrten Kommunikation selber praktische Gewalt. Erst das Resultat dieser Bewegung tilgt die Gewalt und stellt die Zwanglosigkeit des dialogischen Sich-Erkennens-im-Anderen her: Liebe als Versöhnung. Dialektisch ist nicht die zwanglose Intersubjektivität selbst, sondern die Geschichte ihrer Repression und Wiederherstellung. Die Entstellung des dialogischen Verhältnisses steht unter der Kausalität abgespaltener Symbole und vergegenständlichter, d. h. dem Kommunikationszusammenhang entzogener, nur mehr hinter dem Rücken der Subjekte geltender und so zugleich wirkender logischer Beziehungen.[13]

Habermas will verdeutlichen, dass dem sittlichen Verhältnis eine eigene Gesetzmäßigkeit zugrunde liegt, die darauf drängt, eine unverzerrte Kommunikation wieder herzustellen. D.h. es gibt eine Logik der Interaktion, die sich hinter jedweder Beziehung zwischen Subjekten gültig macht, die auf immer wieder auftretende Störungen des Dialogs nivellierend wirkt (sich allerdings nicht notwendig durchsetzt). Denn die Voraussetzung eines Dialogs zwischen Subjekten ist die gegenseitige Anerkennung, das Sich-Erkennen-im-Anderen, wie es von Hegel an der Vereinigung Verschiedener in der Liebe erläutert wird.

Jedes ist darin dem Anderen gleich, worin es sich ihm entgegengesetzt hat. Sein Sichunterscheiden vom Anderen ist daher sein Sichgleichsetzen mit ihm und es ist Erkennen ebendarin […], dass ihm für es selbst seine Entgegensetzung in die Gleichheit umschlägt oder dies, wie es im Anderen sich anschaut, als sich selbst weiß.[14]

Diese Gleichheit in der Verschiedenheit, die Erkenntnis, dass die/der Andere genauso ist wie das Ich, aber doch nicht Ich ist, sondern außer dem Ich, entfernt von dem Ich, ermöglicht erst den Dialog, die Verständigung mit einem gleichen Anderen. Mit einem weiteren Hinweis auf Hegel – dem Kampf auf Leben und Tod – untermauert Habermas diese These. Im Kampf auf Leben und Tod erst erweist sich die absolute Geltung der Identität. Denn Identität ist nur möglich, wenn sie als solche vom Anderen anerkannt wird, und der Andere seine eigene Identität ebenso anerkennt. Wird die eigene Identität aber im Kampf auf Leben und Tod auf das Spiel gesetzt , verzichtet sie auf sich, so hebt sie sich als Einzelne gleichzeitig ins Allgemeine, denn sie stellt sich im Allgemeinen zur Disposition. Dadurch ist das einzelne Ich gleichzeitig Allgemeines und Einzelnes und damit Totalität. Diese Totalität in der Aufhebung des Ich ist […] die absolute Rettung der Einzelnheit.[15] Es ist auch hier die spezifische Eigenart der Kategorie der Interaktion, ihr Angewiesensein auf intersubjektive Anerkennung, die sie für Habermas von symbolischer Darstellung und Arbeitsprozess unterscheidet. Das eigene Medium der Interaktion ist die kommunikative Einigung entgegengesetzter Subjekte, das kommunikative Handeln[16] welches zwischen ihnen stattfindet. Auf dieser Grundlage sagt Habermas:

Diese drei dialektischen Grundmuster sind heterogen; Sprache und Arbeit als Medien des Geistes lassen sich nicht auf die Erfahrung der Interaktion und der gegenseitigen Anerkennung zurückführen.[17]

Im nächsten Schritt will Habermas verfolgen, wie sich aus den drei heterogenen Mustern des dialektischen Verhältnisses vom Ich zur Umwelt ein einheitliches Ich entwickelt. Die Bildung der Identität wird nun historisch gefasst – sie wird nicht mehr über eine Abstraktion beschrieben, sondern in ihrer Eingebundenheit in die geschichtlich gewordenen Lebenszusammenhänge – so wird auch der Bruch nachvollzogen, der Hegel von seinen Vorgängern im deutschen Idealismus trennt.

Sprache versteht sich als geworden und wird kulturell überliefert. Das bedeutet, sie geht in Traditionen und Konflikte ein und erhält somit einen Bezug auf intersubjektiv geltende Strukturen der Kommunikation, d.h. auf den Bereich der Interaktion. Sprache und die damit vorgegebenen Strukturen der Verständigung sind Voraussetzung und Bestandteil jedweder Interaktion.[18] Auch die Kategorie der Arbeit fußt auf symbolischen Strukturen. Damit ein Werkzeug benutzt werden kann, damit ein Arbeitsprozess strukturiert werden kann, werden Symbole benötigt, es ist eine […] Distanzierung des namengebenden Bewusstseins von identifizierbaren Gegenständen […][19] nötig. Sprache oder symbolische Darstellung ist sowohl für Interaktions- wie für Arbeitsprozesse grundlegend.[20] Das Verhältnis von Arbeit und Interaktion gestaltet sich indessen komplizierter und Habermas betont zwei Aspekte an diesem Verhältnis.

Einerseits unterscheidet er Arbeit und Interaktion, denn beide spiegeln Erfahrungsbereiche wieder, die auf einer unterschiedlichen Logik basieren.[21] Arbeit beruht nach Habermas auf der Kausalität der Natur, d.h. zum erfolgreichen Arbeiten ist es notwendig, die Regeln der instrumentellen Manipulation der Umwelt zu beherrschen. Dagegen ist Interaktion abhängig von der Kausalität des Schicksals, denn die Regeln der Interaktion sind die Regeln gegenseitiger Anerkennung.

Eine Zurückführung der Interaktion auf Arbeit oder eine Ableitung der Arbeit aus Interaktion ist nicht möglich.[22]

Beide, Arbeit und Interaktion, speisen sich so zwar aus unterschiedlichen Quellen, andererseits aber fließen sie in ihrem Lauf ineinander ein, wie es sich anhand der Entwicklung von Rechtsnormen bei Hegel verfolgen lässt.[23] Denn aus dem Arbeitsprozess, der Befreiung des Individuums von den Zwängen der Natur, gehen im Verlauf der Geschichte Eigentümer hervor. Die Grundlage hierfür ist Arbeitsteilung, unter deren Bedingungen die Eigentümer darauf angewiesen sind, miteinander in Beziehung zu treten, d.h. die produzierten Waren zu tauschen, denn mit ihren eigenen Gütern allein sind ihre Bedürfnisse nicht mehr zu befriedigen. Dieser notwendige Tausch von äquivalent gesetzten Waren – wobei ich hier einwerfen möchte, dass die Annahme von Äquivalenzansprüchen in gewissem Maße von gegenseitiger Anerkennung abhängig ist, so dass sich hier eine Parallele zur Interaktion auftut – wird schließlich im Vertrag institutionalisiert, und findet so seinen gesellschaftlichen Niederschlag in der Form des Rechts.

Die Institutionalisierung der Ich-Identität, das rechtlich sanktionierte Selbstbewusstsein, ist als Resultat beider Prozesse begriffen: der Arbeit und des Kampfes um Anerkennung. Die Arbeitsprozesse, durch die wir uns vom Diktat unmittelbarer Naturgewalt befreien, gehen also derart in den Kampf um Anerkennung ein, dass im Resultat dieses Kampfes, im rechtlich anerkannten Selbstbewusstsein, auch das Moment der Befreiung durch Arbeit festgehalten ist. Hegel verknüpft Arbeit und Interaktion unter dem Gesichtspunkt der Emanzipation von der Gewalt äußerer wie innerer Natur. Er reduziert weder Interaktion auf Arbeit, noch hebt er diese in Interaktion auf; aber er hat doch einen Zusammenhang beider insofern im Auge, als die Dialektik von Liebe und Kampf von den Erfolgen instrumentalen Handelns und der Konstituierung des listigen Bewusstseins nicht gelöst werden kann. Das Resultat der Befreiung durch Arbeit geht in die Normen, unter denen wir komplementär handeln, ein.[24]

Diese eigentümliche Dialektik von Arbeit und Kampf um Anerkennung ist das Besondere, was Habermas am frühen Hegel hervorhebt, und was dieser später nur noch weniger explizit entwickelt. Auf seine Kritik an der späteren Entwicklung der Kategorie des absoluten Geistes kann ich an dieser Stelle nicht weiter eingehen.[25]


Am Ende des Aufsatzes deutet Habermas an, welches Ziel er bei der Trennung der Kategorien Arbeit und Interaktion verfolgt hat. Er will die Marxsche Dialektik von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen mit der Dialektik von Arbeit und Interaktion neu fassen. Habermas sieht dieses dialektische Verhältnis bei Marx zugunsten einer einseitigen Determination des geschichtlichen Prozesses durch die Dimension der Arbeit vernachlässigt und stützt sich dabei auf die Aussage, dass Marx in der Deutschen Ideologie nicht mehr das Wechselspiel von Arbeit und Interaktion im Auge hat, sondern dass er

[…] unter dem unspezifischen Titel der gesellschaftlichen Praxis eins auf das andere reduziert, nämlich kommunikatives Handeln auf instrumentales zurückführt. Die produktive Tätigkeit, die den Stoffwechsel der Menschengattung mit der umgebenden Natur reguliert, […] dieses instrumentale Handeln wird zum Paradigma für Hervorbringungen aller Kategorien; alles löst sich in die Selbstbewegung der Produktion auf. Darum konnte auch die geniale Einsicht in den dialektischen Zusammenhang von Produktionskräften und Produktionsverhältnissen alsbald mechanistisch missdeutet werden.[26]

Dadurch, so argumentiert Habermas, entsteht in der Folge die falsche Utopie, dass durch die Entwicklung instrumenteller Vernunft, die Ausweitung der Beherrschung der Natur (und des Menschen) allmählich eine Befreiung des Menschen auch auf der gesellschaftlichen Ebene eintritt. Wie jedoch mit der kategorischen Unterscheidung der Logik von Arbeit und Interaktion im Vorfeld erläutert, führe die Entwicklung im einen nicht unvermittelt und zwangsläufig zur Entfaltung im anderen Bereich. Habermas betont also die Rolle beider Faktoren; deren gegenseitige Durchdringung zu betrachten ist sein Ziel. Hier ist die Grundlage für die Unterscheidung von System und Lebenswelt gelegt und damit für Habermas’ These von der Kolonialisierung der Lebenswelt.

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Die Übertragung der Begriffe Arbeit und Interaktion in die Handlungsbegriffe der Theorie des kommunikativen Handelns

Im ersten Band der TkH, Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung, findet sich die Weiterentwicklung der beiden ursprünglichen Kategorien Arbeit und Interaktion in Form von vier unterschiedlichen Begriffen der Handlungsrationalität.[27] Die oben ausgeführte Logik der Arbeit wird im Begriff des teleologischen Handelns aufgelöst, die der Interaktion zu Grunde liegende Logik ist im Bereich des kommunikativen Handelns angesiedelt. Eine eigene Handlungslogik, oder besser Handlungsrationalität, ist die Basis der zwei anderen Handlungsbegriffe, des normenregulierten und des dramaturgischen Handelns.

Habermas unterscheidet die aufgestellten Kategorien des Handelns an Hand der ihnen zu Grunde liegenden Weltbezüge. Es gibt eine subjektive Welt, die dem einzelnen Individuum eigen ist, eine soziale Welt, in der von einer Gruppe Rollenansprüche formuliert werden und die objektive Welt, die […] als Gesamtheit der Sachverhalte definiert [ist], die bestehen oder eintreten bzw. durch gezielte Intervention herbeigeführt werden können.[28]

Arbeit, wie oben gefasst als Handeln, welches durch die Bedürftigkeit eines Individuums motiviert wird, also auf die Befriedigung von bestimmten Wünschen oder Bedürfnissen abzielt, steht mit der objektiven Welt in Bezug. Dieser teleologische Bezug zur objektiven Welt, die entsprechend den Wahrnehmungen und Vorstellungen des Individuums manipuliert werden soll, unterliegt der Logik des Erfolgs. Es kann beurteilt werden, ob das angestrebte Ziel erreicht wurde. In diesem Bezug zur objektiven Welt und in dem Beurteilungskriterium der Handlung liegt die Parallele zwischen Arbeit als Handlungsbegriff und dem teleologischen Handeln in der TkH. In der TkH nimmt Habermas allerdings noch zusätzliche Bestimmungen in seine Definition des teleologischen Handelns auf, es kann nicht nur der Effekt der Handlung beurteilt werden, auch die zu Grunde liegende Wahrnehmung kann daraufhin beurteilt werden, ob sie wahr oder falsch ist. Des weiteren eröffnet Habermas eine Art Unterkategorie des teleologischen Handelns, das strategische Handeln. Handelt eine Person strategisch, so berücksichtigt sie die mögliche Einflussnahme mindestens eines weiteren Individuums, unter der Bedingung, dass dieses ebenfalls teleologisch handelt, so dass auch in diesem Rahmen nicht die Logik des Erfolges verlassen wird, bzw. der Handlung eine andere Art der Rationalität zu Grunde liegen würde. Eine Dialektik, wie sie beim Begriff der Arbeit im Umschlag von der erzwungenen Befriedigung der Bedürfnisse zur Befreiung von den Zwängen der Natur liegt, findet sich bei Habermas Begriff des teleologischen Handelns allerdings nicht.

Der nächste Begriff bei Habermas ist der des normenregulierten Handelns. In dieser Handlungskategorie besteht ein Bezug auf die objektive Welt und auf die soziale Welt, d.h. die handelnde Person kann zwischen faktischen Ansprüchen der objektiven Welt und Soll-Ansprüchen der sozialen Welt unterscheiden, und sich demgemäß zu normenkonformen Verhalten entscheiden oder auch nicht. Auch hier gibt es zwei Dimensionen der Handlungsbeurteilung. Sie kann erstens daraufhin betrachtet werden, ob sie bestehende Normansprüche erfüllt, oder zweitens kann hinterfragt werden, ob die Normansprüche legitim sind, sie also […] im Hinblick auf eine bestimmte Problemlage verallgemeinerungsfähige Interessen der Betroffenen zum Ausdruck bringen und somit eine Zustimmung der Normadressaten verdienen.[29] Die Kategorie des normenregulierten Handelns ist schon schwieriger in einen Kontext mit der Arbeit–Interaktion Begrifflichkeit zu bringen. Sie lässt sich aber insofern dem Bereich der Interaktion zurechnen, als dass es um die Frage der Anerkennung von Normansprüchen geht. Es wird allerdings nicht die Anerkennung eines anderen Individuums als Subjekt, als Ganzes in Frage gestellt. Des weiteren ist durch die Bedingungen der möglichen Normanerkennung keine wechselseitige Interaktion gefordert, denn in diesem Rahmen werden Normen nicht diskursiv zur Disposition gestellt und von gleichwertigen Individuen ausgehandelt. Soweit an dieser Stelle zur Abgrenzung normenreguliertes Handeln – Interaktion.

Recht umfangreich behandelt Habermas den Begriff des dramaturgischen Handelns, und die analytische Trennung der (Selbst-)Darstellung von anderen Aspekten einer Handlung fällt in diesem Fall am schwersten.[30] Eine dramaturgische Handlung bezieht sich auf Innen- und Außenwelt. Die subjektive Innenwelt, […] zu der der Handelnde einen gegenüber anderen privilegierten Zugang hat […] soll der Außenwelt vorgeführt werden. Diese Vorführung der eigenen Innenwelt hat Goffman mit seinen Untersuchungen zum Verhalten in Begegnungen und face-to-face Situationen lebhaft beschrieben, es wird bei Goffman allerdings auch deutlich, dass dramaturgisches Handeln sehr wohl strategische und normative Ziele verfolgen kann.[31] Es kommt hier also zu problematischen übergangsformen in andere Handlungsbereiche. Habermas schreibt: Die dramaturgischen Qualitäten des Handelns sind in gewisser Weise parasitär; sie sitzen einer Struktur zielgerichteten Handelns auf […].[32] Es gibt allerdings einen Maßstab, um eine dramaturgische Handlung aus objektiver Sicht zu beurteilen – die Wahrhaftigkeit einer Äußerung. Denn eine Äußerung dramaturgischer oder expressiver Natur soll die Innenwelt des Handelnden der Außenwelt authentisch vermitteln, sie darstellen. Demnach kann auch beurteilt werden, ob die ‚Vorführung’ oder Äußerung wahrhaftig war.

Angesichts einer Selbstdarstellung stellt sich die Frage, ob der Aktor die Erlebnisse, die er hat, zum geeigneten Zeitpunkt auch äußert, ob er meint, was er sagt, oder ob er die Erlebnisse, die er äußert, bloß vortäuscht.[33]

Mit dieser Beurteilbarkeit nach der Logik der Wahrhaftigkeit ist auch für den Begriff des dramaturgischen Handelns die Nähe zum Begriff der Interaktion gegeben. Denn die wahrhaftige Äußerung subjektiver Erlebnisse ist notwendige Grundlage einer im Sinne gegenseitiger Anerkennung gelingenden Interaktion. Allerdings ist die spezifische Reziprozität des Interaktionsverhältnisses hier nicht berücksichtigt. Die dramaturgisch handelnde Person spiegelt einer zum reinen Publikum objektivierten Außenwelt die subjektiven Erlebnisse vor, so dass nicht von einer Subjekt–Subjekt Beziehung gesprochen werden kann.

Im Begriff des kommunikativen Handelns löst Habermas schließlich seinen früheren Begriff von Interaktion auf. Denn kommunikatives Handeln zielt ab auf Verständigung und Verständigung heißt hier gemeinsames Aushandeln von Situationsdefinitionen zwischen zwei oder mehr Subjekten. Für dieses Aushandeln ist es nun notwendig, dass die beteiligten Personen sich gegenseitig als Subjekte anerkennen. Dies ist die grundlegende Parallele zum oben entwickelten Begriff der Interaktion, hier allerdings ist gegenseitige Anerkennung nicht bloß logische Voraussetzung, sondern in jedem konkreten Verständigungsakt notwendig. Denn nur im Fall einer gemeinsamen Situationsdefinition, d.h. wenn dem Gegenüber das Recht zur Kritik zugestanden wird, ist es möglich, dass Äußerungen als Geltungsansprüche geäußert werden. Diese Geltungsansprüche können dann kommunikativ verhandelt werden; sie werden von vornherein als kritisierbare Ansprüche in die Interaktion eingebracht.[34] Im Gegensatz zu den vorangestellten Kategorien des Handelns spielt sich kommunikatives Handeln zum einen immer zwischen Subjekten ab, die mit sich als solchen umgehen und zum anderen beziehen sich die beteiligten Subjekte, indem sie Äußerungen beurteilen, auf jede der genannten drei Welten. Denn um sich über ihre Situation zu verständigen, müssen die Handelnden den Anspruch erheben, dass (a) die gemachten Äußerungen wahr sind, sich also auf vorhandene Tatsachen beziehen, dass sie (b) richtig sind, also Normansprüchen gerecht werden bzw. dass die Normansprüche legitim sind, und (c) dass die Äußerungen über subjektiv Erlebtes wahrhaftig sind. Damit liegt ein Bezug zur objektiven, zur sozialen und zur subjektiven Welt vor. Die Handelnden nehmen Weltbezüge auf, und dies nicht nur wie im teleologischen, normengeleiteten oder dramaturgischen Handeln direkt, sondern auf eine reflexive Weise.[35] Die Reflexivität der Handelnden ist in einen intersubjektiven und durch Sprache vermittelten Kontext eingebettet.

Ein weiteres Charakteristikum des kommunikativen Handelns liegt darin, dass die Überprüfung der Gültigkeit von Aussagen nicht mehr aus einer Außenperspektive (z.B. der soziologischen) vorgenommen wird, sondern dass die Handelnden selbst Urteile fällen und eine gemeinsame Situationsdefinition erstellen.

Der Sprecher beansprucht also Wahrheit für Aussagen oder Existenzpräsuppositionen, Richtigkeit für legitim geregelte Handlungen und deren normativen Kontext, und Wahrhaftigkeit für die Kundgabe subjektiver Erlebnisse. Darin erkennen wir unschwer die drei Aktor-Weltbeziehungen wieder, die mit den bisher analysierten Handlungsbegriffen vom Sozialwissenschaftler unterstellt worden sind, mit dem Begriff des kommunikativen Handelns aber der Perspektive der Sprecher und Hörer selber zugeschrieben werden Die Aktoren selbst sind es, die den Konsens suchen und an Wahrheit, Richtigkeit und Wahrhaftigkeit bemessen, also an fit und misfit zwischen der Sprechhandlung einerseits und den drei Welten, zu denen der Aktor mit seiner Äußerung Beziehungen aufnimmt, andererseits.[36]

Habermas beschreibt die kommunikative Einigung entgegengesetzter Subjekte, von der bereits in seinem Aufsatz über die Vorlesungen zur Philosophie des Geistes die Rede war, jetzt nicht mehr aus philosophisch-dialektischer Sicht, sondern aus der Perspektive der Sozialwissenschaften nach dem ‚sprachtheoretischen Paradigmenwechsel’. Er kommt wieder zu dem Ergebnis, dass in der Interaktion, in der Verständigung eine Logik angelegt ist, die auf die gegenseitige Anerkennung von Subjekten drängt.

Habermas beschränkt den emphatischen Begriff des kommunikativen Handelns allerdings in vier Dimensionen. Bereits im Vorfeld räumt er ein, dass Verständigung im oben beschriebenen Sinne erst durch Überwindung eines mythischen Weltverständnisses möglich geworden ist, die objektive Welt darf den Handelnden nicht mehr als eine beseelte Welt gegenüber treten. Er geht vielmehr von einem modernen Weltverständnis als Grundlage des kommunikativen Handelns aus. In diesem Weltverständnis ist den Handelnden die Unterscheidung zwischen Objekten und Subjekten in ihrer Umwelt geläufig.[37] Zweitens wird die Einbettung der kommunikativen Handlung in ein historisch gewachsenes Vorverständnis der Welt betont. In der Verständigung kann immer nur ein Ausschnitt der vorgefundenen Realität hinterfragt werden, sie muss sich also vor einem voraussetzungsreichen Hintergrund abspielen.[38] Drittens gesteht Habermas ein, dass allen Handlungsmodellen eine teleologische Logik anhaftet, denn Verständigung findet statt, um bestimmte Ziele zu verfolgen. Allerdings reicht der Begriff einer teleologischen Logik nicht aus, um die anderen Handlungsbegriffe wirklich zu fassen. Schließlich weist Habermas noch auf die Unbeständigkeit erzielten Konsenses hin.

Stabilität und Eindeutigkeit sind in der kommunikativen Alltagspraxis eher die Ausnahme. Realistischer ist das […] Bild einer diffusen, zerbrechlichen, dauernd revidierten, nur für Augenblicke gelingenden Kommunikation, in der sich Beteiligte auf problematische und ungeklärte Präsuppositionen stützen und von einer okkasionellen Gemeinsamkeit zur nächsten tasten.[39]

Trotz all dem bleibt Konsens und erfolgreiche Verständigung Voraussetzung der Kommunikation und damit des menschlichen Daseins. In der Auseinandersetzung mit dem Begriff der Interaktion hat Habermas auf den Kampf um Anerkennung als Grundlage der Interaktion und damit der gegenseitigen Anerkennung verwiesen, in der TkH behandelt er ebenfalls die Anerkennung der Gemeinsamkeit im Getrenntsein als Bedingung des Menschseins – diesmal ist die Anerkennung durch kommunikatives Handeln vermittelt.

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Bewertung

Zum Abschluss möchte ich, wie bereits angedeutet, zu einer Kritik an der Verwendung des Arbeitsbegriffes bei Habermas kommen. Vorher will ich jedoch anmerken, dass mir die analytische Unterscheidung der Rationalität teleologischen Handelns von der Rationalität kommunikativen Handelns sinnvoll erscheint. Die Logik dieser zwei Handlungsprozesse ist nicht deckungsgleich. Auch eine Kritik an einer einseitigen Verkürzung der Wechselwirkung von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen, wie Habermas sie am Schluss seines Aufsatzes andeutet, scheint mir berechtigt und notwendig. Allerdings scheint Habermas sich in dieser Absicht zum einen zu sehr auf den spezifischen Charakter von Interaktionsbeziehungen zu konzentrieren, er vernachlässigt wichtige Aspekte der Wirkung des Arbeitsprozesses auf die anderen Handlungsbereiche. Zum anderen ist die Unterscheidung zwischen teleologischem Handeln und Arbeit nicht deutlich genug. Arbeit ist immer gesellschaftliche Arbeit, und nicht bloß auf (strategische) Zielerfüllung beschränkt. Denn der Arbeitsbegriff umfasst immer auch den Begriff der Arbeitsteilung und der Kooperation.

In AuI beschränkt Habermas sich darauf, die Wirkung der Arbeit (bzw. der Arbeitsteilung) auf die Identitätsbildung im Rahmen der rechtlichen Institutionalisierung gegenseitiger Anerkennung von Tauschpartnern zu fassen. Warum er meiner Meinung nach damit zu kurz greift, möchte ich an Hand von drei Aspekten der Arbeit zeigen.

Wie angedeutet scheint das Problem erstens in der Identifikation des Werkzeugs als Vermittler der Dialektik der Arbeit angesiedelt zu sein. Wird jedoch statt des Werkzeugs das Wissen über den Arbeitsprozess als Vermittler angenommen, so tritt die Verwobenheit des Arbeitsprozesses mit Aspekten der Interaktion sehr viel deutlicher zu Tage. Arbeit als Prozess der Auseinandersetzung des Subjekts mit der objektiven Natur und damit mit den ihr eigenen Gesetzen, führt zu einer bestimmten Wissensbildung, die sich vor allem in der Weiterentwicklung der Produktivkräfte äußert. Die Entwicklung dieses Wissens ist selbstverständlich auf Kommunikationen angewiesen. Damit diese Kommunikationen in angemessener Weise durchgeführt werden können, müssen allerdings nicht nur sprachliche oder grammatische Strukturen fortgebildet werden, entscheidend ist vielmehr der Aspekt der Erhebung von Geltungsansprüchen. Im Charakter der Entwicklung der Produktivkräfte bzw. in der Ausweitung des Wissens über den Arbeitsprozess als eines auf Kooperation angewiesenen Prozesses [40] ist also auf die Logik der Interaktion verwiesen, die in der Anerkennung anderer Subjekte als gleichberechtigter Diskurspartner liegt.

Zweitens muss die Kommunikation es ermöglichen, zunehmend größere Bereiche der Umwelt nicht als einfach gegeben zu interpretieren, sondern sie als beeinflussbar und der Manipulation zugänglich zu beschreiben. Das Verständnis, welches die Subjekte von ihrer Umwelt haben, verändert sich demgemäß qualitativ, und diese Veränderung muss mitgeteilt werden, in der Kommunikation greifbar werden können. Von daher ist durch den Charakter der Entwicklung des Arbeitsprozesses, gefasst als zunehmendes Wissen über die Beeinflussbarkeit der Umwelt, eine Weiterentwicklung des Weltverständnisses und auch der Kommunikation gegeben. Dies wird zwar gelegentlich auch von Habermas erwähnt, findet aber in der Bestimmung des Charakters der Arbeit keine angemessene Berücksichtigung.

Drittens ist es nötig, die Auswirkungen der Arbeit als eines weitgehend auf Arbeitsteilung beruhenden Prozesses weiter auszuleuchten. Die Arbeitsteilung führt nicht bloß zur Institutionalisierung des Eigentumsverhältnisses, sie zeigt auch Auswirkungen auf viel subtilere gesellschaftliche Institutionen. Beispiele für diese Auswirkungen der zunehmenden Arbeitsteilung finden sich in Norbert Elias’ umfangreicher Untersuchung Über den Prozess der Zivilisation.[41] Elias führt die grundlegende Bedeutung von Prozessen der Arbeitsteilung für die Bildung der modernen okzidentalen Gesellschaft vor – von der Bildung des Staates bis zu spezifischen Eßgewohnheiten.[42] Es wird deutlich, dass der Hintergrund von Interaktionen durch Ergebnisse der Arbeitsteilung geprägt ist. Bei einem geringen Stand der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, wie im vorfeudalen Mittelalter, ist beispielsweise die Angewiesenheit eines eigenständigen Burgherrn auf Anerkennung von erhobenen Geltungsansprüchen ungleich geringer, als in späterer Zeit die Angewiesenheit selbst eines absoluten Herrschers wie Ludwig XIV. auf Anerkennung beispielsweise des Anspruchs auf bestimmte Steuerzahlungen. Die Verflechtung des Individuums, und sei es selbst in einer Position der Herrschaft über andere, mit immer mehr anderen Individuen, nötigt nicht nur dazu, deren Interessenlagen strategisch zu berücksichtigen, sie nötigt auch zum Diskurs mit diesen Individuen, die nicht einfach bloßer Waffengewalt gehorchen müssen. Es ist zumindest wünschenswert, wenn nicht sogar notwendig, dass erhobene Ansprüche auch rational anerkannt werden. Auch hier beziehen sich diese Ansprüche auf die Gültigkeit objektiver Anforderungen, normativer Legitimationen von Handlungen und subjektiver Wahrhaftigkeit von Erlebtem; sie decken also die Weltbezüge des kommunikativen Handelns ab. Dies ist zumindest ein wichtiger Aspekt der zunehmenden Arbeitsteilung, es ist selbstverständlich, dass in der geschichtlichen Wirklichkeit – trotz aller Verflechtung – Machtbeziehungen maßgeblich an der Entstehung von Entscheidungen beteiligt sind.

Anhand dieser drei Aspekte möchte ich zeigen, dass Habermas durch die starke analytische Trennung der Arbeit von der Interaktion in die Gefahr gerät, ein einseitig überlastetes Theoriekonzept aufzustellen. Die bei ihm bloß angedeutete Verflechtung von Arbeit und Interaktion scheint mir eben die Medien zu vernachlässigen, über die die Wechselwirkung zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen vermittelt wird. Eines dieser Medien scheint mir das Wissen über den kollektiven Arbeitsprozess zu sein.

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Literatur

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Endnoten