Kurznachrichten aus der Mongolei

(Berichtszeitraum: Februar 1992 - November 1993)

von Bernd Johann

Neue Verfassung für die Mongolei (12. 2. 1992).
Das Parlament besiegelte mit der Annahme einer Verfassung, die sich an den Grundsätzen eines demokratischen Rechtsstaates und einer marktwirtschaftlichen Ordnung orientiert, das Ende des kommunistischen Systems. Das bisherige Zweikammersystem wurde durch einen gesetzgebenden Großen Staatsxural ersetzt, dem nur noch 76 Abgeordnete angehören. Diese werden für vier Jahre frei gewählt. Zugleich wurde die Bezeichnung "Volksrepublik" aus dem Namen gestrichen. Das Land heißt jetzt nur noch Mongolei. (MM, 18. 2. 92).
Reformkurs.
Auf ihrem 21. Parteikongreß (26. - 28. 2. 1992) verabschiedete sich die Mongolische Revolutionäre Volkspartei (MRVP) vom ideologischen Dogmatismus. Stattdessen beschlossen die Delegierten eine nationale und demokratische Orientierung der Politik. Die MRVP kündigte an, künftig als "parlamentarische Partei" für den Aufbau eines menschlichen Sozialismus einzutreten. Über die Hälfte der Mitglieder des Zentralkomitees wurden ausgetauscht. (MM, 3. 3. 92; SWB-FE/1316, 28. 2. 92).
Wahlgesetz verabschiedet (4. 4. 92).
Nach langen Debatten beschloß der Kleine Staatsxural ein neues Wahlgesetz. Dieses sah für die am 28. 6. 1992 geplanten Parlamentswahlen ein Mehrheitswahlrecht vor. Nicht durchsetzen konnte sich die Opposition mit ihren Forderungen nach einem Mischsystem aus Proportional- und Mehrheitswahl. (MM, 7. 4. 92).
830. Geburtstag Tschinggis Khans.
Mit einer Ansprache von Staatspräsident Ochirbat (17. 5. 1992) begannen zahlreiche Feierlichkeiten, mit denen die Mongolen ihres Nationalhelden gedachten. (MM, 19. 5. 92).
Absage an gemeinsame Koalition.
D. Ganbold, Vorsitzender der Mongolischen Nationalen Fortschrittspartei und stellvertretender Ministerpräsident, schloß in einer Pressekonferenz eine Neuauflage der Koalitionsregierung mit der MRVP nach den Wahlen aus. Auch bei den anderen demokratischen Parteien, so Ganbold, gäbe es kein Interesse, sich an einer Regierung mit der MRVP zu beteiligen. Er kritisierte, daß konservative, altkommunistische Kräfte in der MRVP sich den marktwirtschaftlichen Reformen widersetzten. (MM, 26. 5. 92).
Brot rationiert (26. 5. 1992)
Neben Butter, Zucker und Fleisch war auch Brot nur noch auf Lebensmittelkarten erhältlich. Brot war Mangel geworden, weil Geschäftemacher das Grundnahrungsmittel in großen Mengen aufkauften, um es auf dem freien Markt zu überhöhten Preisen weiterzuverkaufen. Dennoch verschlechterte sich die Versorgungslage wenige Wochen vor den Parlamentswahlen weiter, weil selbst gegen Bezugskarten Brot oft nicht zu erhalten war. (MM, 26. 5. 92).
Klarer Sieg der Mongolischen Revolutionären Volkspartei bei den Parlamentswahlen (28. 6. 1992).
Die zweiten freien Wahlen bescherten der ehemaligen marxistisch-leninistischen Einheitspartei 57,2% der Stimmen. Obwohl die Partei weniger Stimmen erhielt als bei den Wahlen von 1990, errang sie wegen des geltenden Mehrheitswahlrechts über 90% der Parlamentssitze (71 von 76 Sitzen). Von den übrigen Sitzen entfielen vier auf die "Allianz", ein Wahlbündnis zwischen der Mongolischen Demokratischen Partei, der Mongolischen Nationalen Fortschrittspartei und der Vereinigten Partei. Ein Mandat erreichte die Mongolische Sozialdemokratische Partei. (W. Elstner: Parlamentswahlen in der Mongolei. In: focus ostasien Nr. 3/1992; B. Johann: Wahlkampf auf mongolisch: Der mühsame Weg von Jurte zu Jurte, Aktuelle Analyse des BIOst, Nr. 42/1992).
Kommentare zum Ausgang der Wahlen.
In einer Erklärung bedankte sich die Mongolische Revolutionäre Volkspartei für das Vertrauen der Wähler und versprach, sich für eine Fortsetzung der demokratischen und marktwirtschaftlichen Reformen einzusetzen. Sie äußerte den Wunsch nach Zusammenarbeit mit anderen politischen Kräften und Parteien. Parteichef Daschjondon führte den Wahlsieg auf die Überzeugungskraft von Programm und Politik zurück. Er erklärte die Zeit einer "Regierung der eisernen Faust" und eines Einparteienstaates für beendet. (MM, 7. 7. 92).
Expedition "Nomaden-Route" (13. 7. - 1. 8. 1992).
Als Bestandteil des UNESCO-Forschungsprogramms "Seidenstraße" fand eine Expedition zur Erforschung der alten Handels- und Nomadenwege in der Mongolei statt, an der rund 60 Wissenschaftler und 30 Journalisten aus 30 Ländern teilnahmen. Die Route führte vom westlichen Aimag Chovd bis nach Ulan Bator. Im Anschluß an die Expedition fand in der Hauptstadt ein internationales Symposium (2. - 5. 8. 1992) statt. (MM, 14. 7. 92).
Naadam-Fest im Zeichen nationaler Erneuerung (11. 7. 1992).
Nur eine kleine Militärparade, aber um so mehr nationale Symbole prägten die Feierlichkeiten. Im Mittelpunkt des Naadam-Fests stand - neben den traditionellen Sportarten Ringen, Bogenschießen und Pferderennen sowie einem großen Folklore-Konzert - das Gedenken an Chinggis Khan. Höhepunkt war eine historisch gekleidete Reiterparade mit den neun weißen Reichsfahnen des einstigen mongolischen Herrschers. (MM, 14.7.92).
Viertes Plenum des ZK der MRVP (15. 7. - 19. 7. 1992).
Das Plenum würdigte die Leistungen der Partei für den unerwartet hohen Wahlsieg. Es unterstrich die Notwendigkeit, sich als "parlamentarische" und "liberal-demokratische Partei" zu beweisen. Zugleich distanzierten sich die Plenumsmitglieder von der sog. "Pjongjang-Erklärung" einer kommunistischen Gruppierung, deren orthodoxes Bekenntnis zur Überlegenheit des Sozialismus innerhalb der MRVP auf vereinzelte Sympathien gestoßen war. (MM, 21. 7. 92).
Erste Sitzung des Großen Staatsxurals (20. 7. 1992).
In der Eröffnungssitzung des neugewählten Parlaments wurde der Sekretär und stellvertretende Vorsitzende des ZK der MRVP, Natsagiin Bagabandi, zum Vorsitzenden des Staatsxurals gewählt. In seiner Antrittsrede schloß er eine Rückkehr zum Sozialismus aus. (MM, 21. 7. 92).
Der neue Ministerpräsident heißt Puntsagiin Jasrai.
Am 21. 7. 1992 wählte das Parlament den 59jährigen Ökonom zum Regierungschef. Jasrai (MRVP) hatte seit 1985 die Staatliche Planungskommission geleitet. Nach ihrer Auflösung im Jahre 1990 war er als Präsident der Vereinigung privater Industrie- und Dienstleistungskooperativen tätig gewesen. Bei seiner Wahl versprach er, sich konsequent für die weitere Entwicklung von Demokratie und Marktwirtschaft einzusetzen. Er stellte klar: "Ich bin kein Politiker, sondern einfach Ökonom". (MM, 21. 7. 92). In einem Interview mit der Zeitung "The Mongol Messenger" äußerte der Ministerpräsident die Hoffnung, den ökonomischen Niedergang in zwei Jahren eindämmen zu können. (MM, 28. 7. 92).
Zweimal Bronze bei Olympischen Spielen.
In den Disziplinen Boxen und Schießen gewannen zwei Sportler aus der Mongolei in Barcelona Bronze. (MM, 4. 8. 92).
Wiederaufleben des Buddhismus.
130 buddhistische Tempel und über 2.000 Lamas zählte das Land im Sommer 1992. Nach Jahrzehnten religiöser Verfolgung gewannen religiöse Traditionen zunehmend an Bedeutung. In einer Meinungsumfrage vom Mai 1992 bekundeten 48 Prozent der Befragten ihren Glauben. (MM, 4. 8. 92).
6. Internationaler Mongolisten-Kongreß (11. - 16. 8. 1992).
Über 250 Teilnehmer aus 30 verschiedenen Ländern besuchten den Kongreß in Ulan Bator. Sh. Bira, Generalsekretär der Internationalen Vereinigung für Mongolei-Studien, würdigte die steigende Zahl von Mongolisten. Schwerpunkt der Forschung waren bislang v.a. Kultur und Traditionen der Mongolen. Erst allmählich richtet sich der Blick auch auf aktuelle Entwicklungen in Politik und Wirtschaft der modernen Mongolei. Noch Forschungsbedarf sah Bira über das Nomadentum. (MM, 11. 8. 92).
Regierungsbildung abgeschlossen (August).
Das neue Kabinett setzt sich aus 19 Mitgliedern (alle MRVP) zusammen, von denen viele aus der alten Regierung übernommen wurden:

Noch vakant blieb zunächst: - Stellv. Ministerpräsident und Minister für Verwaltung. (MM, 18. 8. 92; 25. 8. 92).

AIDS.
Am 28. 8. 1992 wurde in der Mongolei erstmalig eine AIDS-Infizierung bekannt. (MM, 15. 9. 92).
Treibstoffmangel.
Inlandsflüge in die Aimags Chentii, Bulgan und Dundgow wurden vorerst eingestellt. (MM, 29. 9. 92).
Freigabe der Preise.
Anfang Oktober gab die Regierung eine Reihe bislang staatlich kontrollierte Preise frei, z.B. für Mehl, Brot, Fleisch, Energie und öffentlichen Transport. Die Folgen der Preissteigerungen sollen durch Ausgleichszahlungen an Personen mit geringem Einkommen ausgeglichen werden. So sollen z.B. Lehrer, Ärzte und Rentner eine Kompensation von 450 Tugrik pro Monat erhalten. Das monatliche Durchschnittseinkommen eines Lehrers lag bei rund 2.000 Tugrik. Ein Damenwintermantel kostete indes ca. 10.000 Tugrik. (MM, 6. 10. 92).
"Aktionsprogramm".
Auf einer außerordentlichen Sitzung des Staatsxurals (Oktober) wurde das "Aktionsprogramm" der Regierung beschlossen. Danach soll in den nächsten zwei Jahren der ökonomische Niedergang eingedämmt und eine unabhängige Versorgung mit Nahrungsmitteln erreicht werden. In den darauffolgenden zwei Jahren soll die Grundlage für ein stabiles Wirtschaftswachstum gelegt werden. (MM, 29. 9. 92; 27. 10. 92)
Beratungstreffen der Geberländer in Ulan Bator (14. - 15. 10. 92).
Die Teilnehmer würdigten die Notwendigkeit weiterer Hilfen und Kredite für die Mongolei. Im Mittelpunkt standen Fragen der Koordination und der Auszahlung früherer Hilfszusagen (MM, 20. 10. 92).
Gründung der "Mongolischen Nationaldemokratischen Partei" (MNDP) (25. - 26. 10. 92).
Unter dem Motto "Für die Vereinigung der Parteien demokratischer Orientierung" votierten 579 Delegierte der Mongolischen Demokratischen Partei, der Mongolischen Nationalen Fortschrittspartei, der Mongolischen Vereinigten Partei und der Mongolischen Partei der Wiedergeburt für eine Fusion ihrer Parteien. Zum Vorsitzenden der MNDP wurde D. Ganbold, der Chef der Nationalen Fortschrittspartei, gewählt. Die Oppositionsparteien zogen damit die Konsequenz aus der Niederlage bei den Parlamentswahlen vom 28. Juni. (MM, 27. 10. 92).
Harter Winter.
Heftige Schneestürme forderten im Oktober/ November mehrere Menschenleben und beeinträchtigten die Überwinterung des Viehbestandes. Für viele Mongolen bestätigte sich damit die Sorge vor einem harten Winter im Jahr des Affen. (MM, 17. 11. 92).
Verschärfung der Wirtschaftskrise (16. 11. 92).
In einer Rede vor dem Parlament warnte der mongolische Minister für Handel und Industrie, Ts. Tsogt, vor den Auswirkungen eines harten Winters auf die Landwirtschaft. Zugleich erklärte er, daß sich die Gewährung von Dollar-Krediten und Hilfen verzögert, da die Mongolei eine Reihe von Bedingungen der Geberländer nicht erfüllt hat. (DW-Monitor Asien, 27. 11. 92).
Rückgang der Geburtenrate.
Das Nationale Anthropologische Zentrum warnte vor einem bedrohlichen Rückgang der Geburtenrate infolge der wirtschaftlichen Krise. Gestiegen wäre insbesondere die Zahl der Abtreibungen, die von 40 Prozent der Frauen im Sinne einer Geburtenkontrolle eingesetzt würde. (DW-Monitor Asien, 27. 11. 92).
Streikwelle (20. 11. 1992).
Für bessere Löhne traten Lehrer und Kindergärtner in einen mehrtägigen Ausstand (MM, 24. 11. 92).
Steuergesetze beschlossen.
Ein Paket von 24 Steuergesetzen verabschiedete der Große Staatsxural im November. 17 staatliche und 7 lokale Steuern sollen den Übergang zur Marktwirtschaft fiskalpolitisch abstützen. (MM, 1. 12. 92).
Drastischer Rückgang der Ernteerträge.
In Jahr 1992 wurden 487.600 Tonnen Getreide, 76.600 Tonnen Kartoffeln und 14.000 Tonnen Gemüse eingebracht. Allein bei Getreide sank damit der Ertrag gegenüber den Jahren 1986-90 um 295.000 Tonnen. Noch im Vorjahr 1991 konnten 591.000 Tonnen Getreide, 94.800 Tonnen Kartoffeln und 19.500 Tonnen Gemüse geerntet werden. Neben schlechten Witterungsverhältnissen waren mangelnde Arbeitsdisziplin und unzureichende Importe von Düngemitteln und Samen infolge der Devisenknappheit die Ursachen. (MM, 17. 11. 92).
D. Bjambasuren tritt aus MRVP aus (11. 12. 1992).
Der ehemalige Ministerpräsident legte zugleich sein Parlamentsmandat nieder. Als Grund für seine Entscheidung nannte er Tendenzen innerhalb der MRVP, sozialistische Ideen und Konzepte wiederzubeleben und vom angekündigten Reformkurs abzurücken. Die Bildung eines de facto Einparteienparlaments und einer ausschließlich von der MRVP geführten Regierung bezeichnete er als Rückschritt in der Politik nationaler Aussöhnung. Außerdem kritisierte er Bestrebungen der ehemaligen Staatspartei, engere Kontakte mit kommunistischen Parteien in anderen Ländern zu knüpfen. (MM, 22. 12. 92).
Alarmierende ökonomische Daten.
Erschreckende Zahlen veröffentlichte die Zeitung "MM" über die wirtschaftliche Entwicklung in den Monaten Januar bis November 1992. In der Landwirtschaft sank die Zahl der aufgezogenen Jungtiere gegenüber dem Vorjahr um eine halbe Million auf 8,5 Mio. Tiere. Die Milchproduktion schrumpfte von 37 Mio. auf 24 Mio. Liter. Die Produktion von Fleisch ging um 42.000 Tonnen zurück und erreichte 1992 lediglich 47.000 Tonnen. Auch die Ernteerträge bei Getreide, Kartoffeln und Gemüse blieben beträchtlich unter dem erwarteten Niveau. Dramatische Produktionsrückgänge gab es auch in der Industrie. So sank der Wert der erzeugten Produkte gegenüber 1991 um 55 Prozent. Der gesamte Umsatz im mongolischen Außenhandel bezifferte sich bis Ende November auf 684 Mio. US$, davon entfielen 324 Mio. US$ auf den Export- und 360 Mio. US$ auf den Importbereich. Damit klaffte in der Außenhandelsbila nz eine Lücke von rund 35 Mio. US$. Ein großer Teil der Importe in Höhe von 105 Mio. US$ mußte mit ausländischen Finanzhilfen und Krediten finanziert werden. Die Verbraucherpreise stiegen um durchschnittlich elf Prozent. Rund 55 Prozent ihres monatlichen Einkommens von durchschnittlich 4.600 Tugrik mußte eine Familie aus der Stadt in den Kauf von Nahrungsmitteln stecken. Auf dem Lande waren es 33 Prozent des Einkommens. Unausgeglichen blieb der staatliche Haushalt. Einnahmen in Höhe von 8,4 Milliarden Tugrik standen Ausgaben in der Größenordnung von 9,8 Milliarden Tugrik gegenüber. Die Zahl der Arbeitslosen lag bei knapp 60.000 Menschen. (MM, 29. 12. 92).
Drastischer Anstieg der Kriminalität.
Im Verlauf des Jahres 1992 nahm die Zahl der Verbrechen um 25% zu. 11.279 Straftaten wurden bis Ende November registriert. (MM, 29. 12. 92).