Text-Intro




Die Möglichkeiten, sich Geschichte sowohl anzueignen als auch sie darzustellen, haben sich für die meisten von uns in den letzten Jahren gewaltig verändert. So gibt es zu diesem oder jenem interessierenden Thema längst nicht mehr nur, wie noch zu Papiergeschichtszeiten, eine - selbstverständlich immer noch wichtige - Bibliographie. Hinzugekommen sind mittlerweile eine Cdromgraphie (Multimedia-CD- und DVD-ROMs), eine Audiographie (Audio-CDs), eine Videographie (marktgängige oder selbst aufgezeichnete Videos) und eine Urlographie (URL-Online-Einstiegspforten ins Web). Entsprechend kann Geschichte nun ihr angemessen präsentiert und stets auf dem neuesten Stand gehalten werden: farbig, in Bewegung, hörbar, weltweit eingebunden.

Was die geschichtlichen Interessen betrifft, hatte sich die Welt allerdings schon vor den Webzeiten für viele von uns weit geöffnet. Quasi jeder Winkel der Erde wurde zugänglich, schliesslich sogar - in nächster Nähe - der wahrlich geschichtsträchtige Osten Deutschlands. Mich selbst hatten berufliche (historisch-demographische) Gründe seit der Mitte der 1970er Jahre immer wieder für kürzere oder längere Zeiten in die unterschiedlichsten Länder auf allen Erdteilen geführt. Was wunder, dass mir zunehmend die Augen und Ohren aufgingen für andere Kulturen und globale (Geschichts-) Zusammenhänge. Warum erreichte zum Beispiel die damals schon Jahrtausende alte chinesische Kultur unter den nördlichen Song (960-1127) in der Porzellangestaltung ihre höchste, weder vorher noch nachher je wieder übertroffene Blüte? Wieso brauchten wir Europäer einige zusätzliche Jahrhunderte, um das "weisse Gold" auch nur herstellen zu können (Ehrenfried Walther von Tschirnhaus, Johann Friedrich Böttger 1708)? Zwischenzeitlich behalfen wir uns - weltwirtschaftlich anhand zahlreicher entlang aller Meeresrouten gesunkener und inzwischen wieder gehobener Schiffsladungen voller Kraak- (= Karacken-) Porzellan, aber auch anhand zeitgenössischer niederländischer Stilleben dokumentierbar - mit teuren Importen aus dem Reich der Mitte.

Im Laufe der Jahre kamen mir an den unterschiedlichsten Aufenthaltsorten immer wieder erlesenste Keramikstücke vor Augen: so etwa anlässlich einer Ausstellung "Imperial Taste" in Boston, im Museum of Oriental Ceramics in Osaka, in der Percival David Foundation in London mit ihrer weltweit einzigartigen Kollektion von Ru-Ware (frühes 12. Jahrhundert). Doch je grösser die Faszination wurde, desto weniger vermochte der blosse Blick durch die Glasscheibe zu befriedigen. Wie gerne hätte ich die Pretiosen gedreht und gewendet, die Keramikschalen auch von hinten und unten betrachtet, in die Vasen und Krüge hineingeschaut, sie nach eigenem Gusto auf Plattformen, Holzpodesten, hängenden Metallrosten arrangiert und in diskrete Spotlights mit unterschiedlichen Schattenwürfen getaucht, die passenden Klänge traditioneller chinesischer Lautenmusik dazu im Ohr und nicht zuletzt alle nur wünschbaren Hintergrundinformationen wirtschafts-, kultur-, kunst-, musik-, welt- und regionalhistorischer, geistes- und handwerksgeschichtlicher Art usw. "auf Knopfdruck" abrufbereit. Jahrelang musste ich hierauf warten, doch endlich ist es auch einem Historiker möglich, genau dies zu tun. Am selben PC, an dem jetzt modelliert, texturiert, arrangiert, beleuchtet, vertont, besprochen werden kann, lassen sich sowohl grundlegende wie ergänzende multimediale Informationen von themenbezogenen CD- und DVD-ROMs, Audio-CDs und Videos sowie online aus dem Web recherchieren, sammeln, bearbeiten und schliesslich zu einem Ganzen zusammenfügen.

Den Ausschlag, das vorliegende Thema Ende 2000 in Angriff zu nehmen, gab die Wiedereröffnung des Museums für Ostasiatische Kunst in Berlin-Dahlem im November 2000, wenige Gehminuten nur vom eigenen Universitäts-Institut entfernt. Ausstellung und Präsentation vor allem der neu dokumentierten Sammlung chinesischer Keramik namens "Yuegutang" (= "Halle der Freude an alten Dingen") dürfen sich nunmehr mit den besten ihresgleichen weltweit messen. So bereitete es doppeltes Vergnügen, insbesondere die bestechend einfachen Keramik-Formen am PC in Auswahl nachzugestalten ("Triumph of Simplicity"!) und sie mit den Originalen und deren Präsentation vor Ort zu vergleichen. Doch anders als im realen Museum kann ich sie in meinem virtuellen Museum nun nach Belieben neu arrangieren und ausleuchten, sie drehen und wenden und heranzoomen, die Exponate musikalisch untermalen oder/und sie sprachlich erläutern sowie gegebenenfalls mit allen erforderlichen Informationen verlinken.

Alte historische Fragen können so auf ganz neue Art verknüpft und präsentiert werden: was trieb den exklusiven Besitzer von (in Berlin leider nicht präsenter) Ru-Ware an der Spitze der damaligen Formenästhetik um: den grossen Mäzen und selbst künstlerisch tätigen Huizong, von 1100-1126 politikuninteressierter und beim Vordringen der Jin abdankender Kaiser der mit ihm untergehenden nördlichen Song-Dynastie, der 1135 in dschurdschenischer Gefangenschaft starb? Und was Augustus Rex (als August II. der Starke 1697-1706 und 1709-1733 König von Polen, seit 1694 als Friedrich August I. Kurfürst von Sachsen) mitsamt Ehrenfried Walther von Tschirnhaus und Johann Friedrich Böttger in Dresden und Meissen (sogenanntes "Böttger-Porzellan" - noch auf den 1708 verstorbenen von Tschirnhaus zurückzuführen - ist dagegen in Berlin hervorragend vertreten im Kunstgewerbemuseum im Kulturforum)? Und was zeitlich mitten drin die spanischen und niederländischen Kontrahenten Antonio de Morga und Olivier van Noort, die im Dezember 1600 mit ihren Schiffen vor Manila aneinandergerieten, wobei die porzellanbeladene, zur Pazifiküberquerung bereite San Diego unterging (Kraak-Porzellan aus gehobenen Schiffsladungen gibt es im Museum für Ostasiatische Kunst in Dahlem zu sehen, niederländische Stilleben des 17. Jahrhunderts mit integriertem Kraak-Porzellan in der Gemäldegalerie im Kulturforum)? Eine wahrhaft globale Geschichte mit unterschiedlichsten Verknüpfungen, ganz gemacht für eine heute mögliche multimediale Präsentation.

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Mitarbeitswillige würde ich bitten, sich vor einem Gesprächstermin mit den Inhalten der anklickbaren Gefäss-Buttons auseinanderzusetzen. Für den Einstieg zu empfehlen wären insbesondere :

- aus der Bibliographie von Regine Krahl "Yuegutang" (2000) und von Dieter Kuhn "Die Song-Dynastie" (1987),

- aus der Cdromgraphie "Splendors of Imperial China" (1996), von Frank Goddio und Jean-Paul Desroches "Le trésor du San Diego" (1995; 1600 vor Manila gesunkene spanische Galeone; hervorragend präsentierte gehobene Kraak-Porzellane, sehr gute historische Einbindung) sowie von der Albrechtsburg Meissen "Schaff Gold, Böttger!" (1999),

- aus der Audiographie "Traditional Chinese Pipa Music" (1993), "Lust und Leben um 1700" (1999) und "Lute Music for Witches and Alchemists" (2000),

- aus der Videographie von Nina Koshofer und Christian Twente "Das Gold des Alchemisten" (2000; betrifft Böttger) sowie von Helmuth Biewendt "Das weisse Gold der Tek Sing" (2000; 1822 mit Porzellanladung gesunkene chinesische Dschunke) und

- aus der Urlographie OAK (Museum für Ostasiatische Kunst, Berlin-Dahlem), Percival David Foundation of Chinese Art (London), MOC (Museum of Oriental Ceramics, Osaka), National Palace Museum Taipei (Taiwan), Staatliche Porzellanmanufaktur Meissen, CGFA (Carol Gerten Fine Arts) und IGCS (International Guide for Chinese Studies).

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Im Hinblick auf die multimediale Bearbeitung eines ausgewählten (Teil-) Themas hat sich Teamwork bewährt. Das (Offline-) Endprodukt sollte auf einer CD-ROM Platz finden (+- 640 MB [74 min], bei Übergrösse +-690 MB [80 min]; allenfalls auf einer DVD-ROM, z. B. 4.7 GB) und zwecks à-jour-Haltung mit ausgewählten URLs verknüpft sein. Experimentieren Sie insbesondere beim Rendern sowie bei der Komprimierung von Clips (fürs Web) mit unterschiedlichen Codecs. DivXCodec, Cinepak und Sorensen [3] sind nicht immer die geeignetsten.



Last revision: Monday, 15. July 2002 - 06:52:25

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