Styrkeprøven 2006

Wie ich auf die Idee gekommen bin, weiß ich nicht mehr. Auf alle Fälle ist sie über 10 Jahre alt, geriet dann aber wieder in Vergessenheit. Warum ich letztes Jahr wieder darüber nachgedacht habe, vermag ich nicht zu sagen. Im Herbst 2005 beschließe ich ein Rennrad zu kaufen. Anfang des Jahres ist das gute Canyon dann auch geliefert, die Straßen aber zu verschneit um darauf zu fahren. So verzögert sich der Trainingsbeginn auf Mitte April.

Angemeldet war ich schon längst, und die Aktion auf nächstes Jahr verschieben will ich auch nicht. Irgendwie werde ich schon durchkommen, denke ich mir. Und so mache ich mich am Dienstag vor dem Start per Auto auf den Weg Richtung Norwegen. Freitag Mittag komme ich dann in Trondheim an – mit den denkbar besten Voraussetzungen für das was kommen sollte: drei zu kurze Nächte und eine Menge Stress. Ein völlig überteuertes Knöllchen fürs Parken, Unklarheit wo ich das Auto sicher und preiswert abstellen kann, Abklären der Übernachtungsmöglichkeit an der Strecke, Gepäckbeförderung und überhaupt die große Frage wie mir die ganze Tour bekommen wird. Schließlich war die längste mit diesem Rad zurückgelegte Strecke gerade mal 150 km. Und danach hatte ich keine Ambitionen die Strecke gleich noch zwei Mal zu fahren.

Die beste Parkmöglichkeit scheint mir ein Campingplatz zehn Kilometer vor den Toren Trondheims zu sein. Dort finden sich auch gleich einige Leidensgenossen, die im Gegensatz zu mir so schlau waren, sich einige Tage vor Ort zu akklimatisieren. So fällt es mir leichter mich meinem Schicksal zu fügen. Der vorgesehene Nachmittagsschlaf kürzt sich auf eineinhalb Stunden ein, in denen ich ohnehin nicht schlafen kann. Immerhin habe ich endlich genug Zeit, mein Rad reisefertig zu machen.

Um 20 Uhr beginnt die heiße Phase der Startvorbereitung. Aufbruch nach Trondheim. Nun liegen 10 plus 540 Kilometer vor mir. Einer Gruppe von Mitstreitern, die erst am nächsten Morgen starten wollen, feuert mich an. Der Puls rast auf 150 hoch - viel zu hoch zum Warmfahren. In Trondheim angekommen heißt es, meinen Rucksack mit Dingen, die mich in Oslo wieder gesellschaftsfähig machen sollen, auf den Weg zu bringen. Die Vorstellung mit dem Gepäck auf dem Rücken fahren zu müssen bereitet mir Unbehagen.

Der Startbereich ist unerwartet leer. Erst kurz vor 21 Uhr stellen sich gut 100 Fahrer ein.

Noch zehn Minuten bis zum Start.
Ich bin unendlich aufgeregt und doch gelassen. Die Elektronik überprüfen und auf Null stellen. Ein paar Bilder mit dem Handy schießen. Die Startnummer neu befestigen.

Noch drei Minuten bis zum Start.
Pulsmesser funktioniert. Tacho auf 0 km gestellt.

Noch zwei Minuten bis zum Start.
Tief durchatmen.

Noch eine Minute bis zum Start.
Schuhe einrasten.

Aus dem Lautsprecher tönt: 3 - 2 - 1 - Start

Ein Motorradfahrer fährt voraus. Rechtskurve. Die Stadt ist schnell verlassen, das Tempo moderat. Ich fahre mal allein, mal in einer Gruppe und suche meine ideale Geschwindigkeit. Schließlich bleibe ich in einer Gruppe. Die sind mir eigentlich zu schnell, aber ich will sie nicht verlieren. Der Puls ist höher als ich mir vorgenommen habe. Andererseits tut es gut das Adrenalin der ganzen Aufregung abzubauen.

Da, ein Schild: 500 kilometers to go. Jetzt wird die hunderter Ziffer zum ersten Mal runter geschaltet. Nur noch 499 Kilometer.

Sollte nicht die erste Verpflegungsstelle schon gekommen sein? Dort wird die Gruppe endlich Pause machen. Dann ist es soweit. Es gibt Stullen, Rosinenbrötchen und Getränke. Wo sind die anderen? Mist - sie sind schon weg. Ich will nicht länger warten und fahre allein weiter.

Wann kommt der Anstieg zum Dovrefjell? Die Sonne wird schwächer, aber es wird nicht richtig dunkel. Die vorgeschriebene Beleuchtung am Rad ist fast überflüssig. Ich fahre in die Nacht die keine ist. Bald muss die letzte Verpflegung vor dem Fjell kommen. Ich wäre beinahe daran vorbei gefahren. Das Angebot ist hier nicht so reichhaltig. Aber ich habe ja genug Müsliriegel dabei.

Der Anstieg in die Hochebene ist einfach. Ich hatte Schlimmeres erwartet. Jetzt merke ich, dass sich ein Totpunkt eingeschlichen hat. Es ist Mitternacht und die Müdigkeit legt sich in Schüben über meine Augen. Es geht hinauf und es wird kälter - unangenehm kalt. Das erste große Ziel, der Pass bei Hjerkinn, rückt in greifbare Nähe. Inzwischen wird es wieder heller. Ein neuer Tag kommt und ich werde wieder wacher.


Na schön, auf die letzten 377 km


Ist das kalt!


Go!

Kurz vor Hjerkinn liegt bei 163 km auf 1033 Metern über dem Meeresspiegel der höchste Pass des Styrkeprøven. Ich halte an, um diesen Punkt mit ein paar Fotos zu feiern. Der Ort selbst besteht aus einer Straßenkreuzung und einer Bahnstation. Die Temperatur ist auf minus 1 Grad gesunken. Jetzt verstehe ich, warum diese Etappe die längste ohne Verpflegungsstation ist: Hier oben wollte keiner stehen.

Als ich weiterfahre merke ich wie durchgefroren ich bin. Ich könnte meine Gore Regenkleidung als Windschutz anziehen, aber ich denke bis ins Tal ist es nicht weit und dort muss es wärmer sein. Ich fahre schnell um warm zu werden, doch der Fahrtwind bläst die Wärme sofort wieder weg. Immerhin wärmt die Sonne jetzt um 5 Uhr schon ein wenig.

Es geht bergab. 6 Uhr, Dombås ist erreicht. Auf der Wiese vor der Verpflegungsstelle liegen einige Fahrer und dehnen ihre Muskeln. Von der erwarteten Wärme keine Spur – nur 8 Grad. Die Verpflegungsstelle ist noch nicht auf Besuch eingerichtet. Es gibt kein warmes Essen. Als Entschädigung dürfen wir uns am Kaffeeautomaten bedienen. Ich ziehe mir zwei heiße Schokoladen. Ein Fehler wie sich herausstellen wird. Hier treffe ich auch Walter und Jörg wieder. Beide wie ich völlig durchgefroren. Wir beschließen gemeinsam weiter zu fahren. Doch es geht bergab und wir frieren weiter. Die Müdigkeit macht uns zu schaffen. Jörg meint, 20 Minuten Schlaf könnten uns wieder fit machen. Gegen 8 Uhr ist die Sonne warm genug, damit wir uns für 25 Minuten auf einer Bank an einem Rastplatz hinlegen können.

Die kurze Schlafpause macht mich kaum wacher. Gegen Mittag brauche ich eine längere Pause. Es geht mir nicht besonders gut. Die Schokolade ist mir auf den Magen geschlagen, oder waren es die Müsliriegel?. Wir machen es uns 2 Stunden in der Sonne gemütlich. Dann fühle ich mich zumindest wieder so gut, dass ich mich bei langsamer Fahrt auch auf dem Rad erholen kann. Langsam kommt etwas Appetit zurück. Wir beschließen bis Lillehammer zu fahren und dort die letzte Übernachtungsmöglichkeit der Tour zu nutzen.

Unterwegs überholt uns eine Gruppe Profis. Ihre Geschwindigkeit ist schlichtweg beeindruckend. Sie werden gerade mal 14 Stunden brauchen.

Um 18 Uhr erreichen wir Lillehammer. Wie lange soll unsere Nachtpause dauern? Sechs Stunden sollen reichen. Um Mitternacht wollen wir weiter fahren. Die Versuchung ist groß, aber mitten in der Nacht in Oslo anzukommen hört sich nicht sehr attraktiv an. Was sollte ich zu dieser Tageszeit dort tun? Und in der Nacht sind keine längeren Pausen mehr möglich.

Das Nachtlager ist spartanisch: Schaumstoffmatratzen und Wolldecken. Wir nehmen die Räder mit rein und legen uns hin. Immer wenn ich weg döse kommen mir Alpträume. Dann wache ich durch die Geräuschkulisse wieder auf. Nach drei Stunden stehe ich auf um festzustellen, wo der Lärm herkommt. Zu meiner Überraschung sind es nicht die Radfahrer, die kommen rein und legen sich sofort hin. Es ist auch nicht das Geklapper der angrenzenden Küche. Nein, ein paar Bedienstete unterhalten sich lautstark. In Deutschland würde so etwas gelinde ausgedrückt als Unfreundlichkeit gelten. Norweger "schreien über den Fjord", wie mich ein deutscher Teilnehmer später aufklärt. Ich frage die Verursacher freundlich, ob sie vielleicht an die Schlafenden denken könnten. Sie gucken mich nur verständnislos an und sagen, ich könne meine Matratze nehmen und in den Keller gehen. Das tue ich dann auch. Bei halber Lautstärke versuche ich, noch 3 Stunden zu ruhen.

Um 24 Uhr treffe ich mich mit Jörg und Walter und einer Gruppe morgens Gestarteter. Es heißt "GO" für das letzte Drittel des Radmarathons. Die verbleibenden 180 Kilometer sind eine gewöhnliche Tages-Trainingstour, sage ich mir. Voraussichtliche Ankunftszeit in Oslo: vormittags zwischen 8 und 10 Uhr. Zu meiner Überraschung fühle ich mich voll fit. Walter legt ein Tempo vor, das ich und die Gruppe sich doch nicht zumuten will.

An einem Anstieg überhole ich eine Gruppe Norweger. Wenig später haben sie mich wieder eingeholt. Die Führung sagt zu mir etwas, das ich sinngemäß übersetze als "Deine Chance, hänge Dich hintenan". Das mache ich. Auf gerader Strecke fahren sie ein ordentliches Tempo. Im Windschatten lässt es sich aber gut aushalten. Bergauf klettert der Puls nie über 120, bergab nicht unter 100. Es ist ein Kraft sparendes aber dennoch schnelles Vorankommen. Diese Gruppe wird 24 Stunden brauchen. Jetzt wird mir bewusst, welche Fehler ich am Anfang der Tour gemacht habe; ich habe mich allzu oft zu zu schnellem Fahren verleiten lassen.

Die restlichen Kilometer schrumpfen dahin. Die 500 km Marke ist passiert. Jetzt sollen noch zwei berüchtigte Berge kommen. Sie scheinen vermeidbar, verlässt die Strecke doch die E6 und folgt einer kleinen Straße mit vielen Schlaglöchern. Ihr Ruf resultiert aber nicht aus ihrer Höhe oder Steilheit, sondern weil die Steigungen für manch einen unerwartet kommen.

Es fängt an zu regnen, der einzige Niederschlag mit Ausnahme Trondheims am Nachmittag vor dem Start. Regenkleidung lohnt sich jedoch nicht mehr. Dann führt die Strecke auf die abgesperrte Spur einer ansonsten befahrenen Autobahn. Beim Verlassen dieser sind es nur noch wenige Kilometer. Ich bin außer mir und lege mich voll ins Zeug, obwohl es für die erreichte Zeit wenig Sinn macht. Doch die Zieleinfahrt soll dynamisch wirken.

Eine letzte Rechtskurve und das Ziel erscheint in einer wenig attraktiven und recht ausgestorben wirkenden Gegend. Der Zieleinlauf ins Olympiastadion beim 25 Kilometer Lauf von Berlin ist spektakulärer. Im Ziel eine persönliche Ansage und Überreichen einer Tüte mit einem Erinnerungs-Funktionsshirt und einer Medaille, ebenfalls in Plastik verpackt. Das Ganze wirkt so ganz und gar nicht feierlich.

Meine Messgeräte zeigen folgende Daten an:

Gesamtzeit: 35:49:28

Gesamtschnitt: 15.07 km/h

Zeit in Bewegung: 22:11:00

Schnitt in Bewegung: 24,34 km/h

Aufstieg (Höhenmeter): 3192 m

Höchster Punkt: 1033 m

Anreise

Es empfiehlt sich zwecks Akklimatisierung einige Tage vorher anzureisen. Die Kompromisslosen fahren mit ihrem Rad. Wer ein eigenes Versorgungsfahrzeug mitbringt ist eh mit dem Auto unterwegs.

Für die Autofahrt ist einige Zeit mitzubringen, denn auf norwegischen Landstraßen sind nur 80 km/h erlaubt. Übertretungen können in die Tausende gehen oder den Führerschein kosten! Allein für die 540 km von Oslo nach Trondheim sollte man 8 Stunden einrechnen.

Am bequemsten aber auch am teuersten ist die Fähre von Kiel nach Oslo (fährt über Nacht, Kabine erforderlich). Für einiger Maßen bezahlbare Kabinen ist eine Reservierung Monate im Voraus nötig. Die Alternative ist der Landweg über Dänemark und/oder Schweden.

Achtung: Die Übernachtung in Oslo sollte vermieden werden, dort kann man mit doppelten Preisen rechnen.

Übernachtung in Trondheim

Es gibt ein Komplettpaket mit Hotel in Trondheim. Über die Qualität weiß ich Nichts, aber diese Lösung könnte die Stress freieste sein. Wer der Natur etwas näher sein möchte, wählt den Campingplatz in Flakk 10 km westlich von Trondheim am Fjord gelegen. Ohne viel Luxus, aber moderate Preise. Hier trefft Ihr auch andere Mitstreiter.

Verpflegung an der Strecke

Es gibt 10 Verpflegungsstellen an der Strecke im Abstand von 30 bis 90 km mit unterschiedlichem Angebot: Stullen mit Marmelade Wurst Karamellkäse, Rosinenbrötchen, Kartoffelbrei mit Würstchen, Suppen und diverse Getränke. Auch technischer Service wird geboten.

Wetter

Besonders in der Nacht kann es empfindlich kalt werden, tagsüber sind Temperaturen bis 25 Grad nicht ungewöhnlich. Es kann jedoch auch regnen.

Übernachtung an der Strecke

Es besteht die Möglichkeit an bestimmten Stationen eine Ruhepause einzulegen. Dazu braucht Ihr nichts mitzubringen, Schaumstoffmatratzen und Wolldecken sind vorhanden. Aber Achtung: Ihr solltet Gehörstöpsel dabei haben! Bequemer ist es im eigenen Begleitfahrzeug.

Begleitfahrzeuge

Begleitfahrzeuge müssen angemeldet werden, wenn sie die ganze Strecke und die Rastplätze benutzen wollen. Wer ein Begleitfahrzeug hat wird es zu schätzen wissen.

Ausrüstung

Rennrad mit Kompaktschaltung, Trinkflasche, Helm, Beleuchtung, Regenjacke, Regenstulpen, lange Handschuhe, Ersatzschlauch.

Sonstige Tips

Samstag Morgen starten und keine Übernachtung einplanen. Vorteil: Ihr seid ausgeschlafen und wenn die Nacht kommt ist das Ziel in greifbarer Nähe.

Informationen

http://www.styrkeproven.no

Sonstige Reisetips

Währung

Ist die norwegische Krone (NOK). Ein Euro entspricht ca. 7-8 Kronen. Euros werden in den großen touristischen Hochburgen akzeptiert. Kreditkarten fast überall. Tanken lässt sich meist rund um die Uhr mit Kreditkarte. (Karte einschieben, Geheimzahl eingeben, Säule wählen, Tanken. Falls die Quittung nicht automatisch ausgeworfen wird, lässt sie sich durch erneutes Einschieben der Karte anfordern. Achtung: Wenn man nur zum Test die Karte einschiebt und nicht tankt, hat der Nächste freie Bahn!)

Preise

Mal abgesehen von Strafen für zu schnelles Fahren und falsches Parken, Hotels, Essengehen (Pizza ab 16 Euro) und dem Campingplatz in Oslo ist Norwegen nicht so teuer, wie weitläufig behauptet wird: Benzin kostet um die 1,50 Diesel 1,40 (lokal unterschiedlich), Campingplätze 10-30 Euro, Lebensmittel befinden sich auf dem Niveau wie in Deutschland bei den teureren Discountern. Ich finde es albern, sich zu Hause mit Nudeln und Konserven einzudecken, anders steht es mit Alkohol, da gibt es aber strikte Einfuhrbeschränkungen (und Promillegrenzen!). Wer etwas ungewöhnliche Ernährungsgewohnheiten hat (Vegetarier, etc.) sollte sich überlegen, was er/sie aus seinem Naturkostladen mitnimmt.

Öffnungszeiten der Geschäfte

Ähnlich wie in Deutschland

Verhalten in besonderen Fällen

Es sollte selbstverständlich sein, sich der Mentalität entsprechend zu verhalten. Norweger haben mich immer (ihren Regeln entsprechend) freundlich behandelt und waren stets hilfsbereit. Es kommt gut an, sich eher unauffällig zu verhalten. Was man vermeiden sollte ist, sich zu beschweren. Man reagiert in Norwegen darauf mit Unverständnis und fühlt sich gekränkt. Auch dürften Beschwerden eh schlechte Erfolgsaussichten haben. Also: Beharrt nicht nach guter deutscher Art auf Eure vermeintlichen Rechte, sondern informiert Euch vorher. Es ist sehr unwahrscheinlich vorsätzlich betrogen zu werden. Alles andere lässt sich herausfinden bevor Grund zur Unzufriedenheit besteht.

Wenn Ihr Euch in einer Touristinformation informieren wollt, seit nicht verwundert, wenn Euch keine Auskunft gegeben wird. Ein Beispiel: „Ich kann Ihnen (hier in Oslo) nicht sagen, wie die Busse in Åndalsnes fahren, ich bin nicht von dort.“ Dieses Beispiel ist kein Einzelfall, kann aber selbstverständlich nicht verallgemeinert werden.

Sprache

Norwegisch. Mit Englisch oder Deutsch kommt man aber sehr gut über die Runden.



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