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Hinweis auf: Bürgerbegehren Zahlungsnetzwerk München-Geld nach Prof. Suhr. 
Der folgende Text wurde von Peter Knauer ins HTML-Format umgesetzt. Sehr gerne bin ich im August 1998 seiner Bitte nachgekommen, diesen wichtigen Text in dieses Webangebot einzubinden! Danke, W. Roehrig 

Im Dezember 2002 hat Jonas von Poser den folgenden Text als PDF-Format zur Verfuegung gestellt. Danke!


Netzwerk neutrales Geld

Eine kritische Analyse des herkömmlichen Geldes

und das Konzept einer Finanzinnovation für neutrales Geld

von Prof. Dr. Dieter Suhr,

Universität Augsburg, Germany(1)


 
Die englische Version dieses Textes: http://userpage.fu-berlin.de/~roehrigw/suhr/nngengl.html


Vorbemerkung der Redaktion: Wir freuen uns, mit freundlicher Genehmigung der Erben einen der letzten Aufsätze von Professor Dr. Dieter Suhr zu einem Thema posthum veröffentlichen zu dürfen, das ihn in den letzten 10 Jahren seines Lebens auf intensivste Weise beschäftigt hat, den Fragen der Geldordnung. Er hat zu diesem Thema seit 1983 bis 1989 sechs Bücher geschrieben und zusätzlich noch eine Vielzahl von Aufsätzen. Drei seiner Bücher sind in der Literaturliste am Ende des Aufsatzes erwähnt. Auf sie wird in den Klammervermerken im Aufsatz verwiesen, wie auch auf die Werke anderer Autoren, die in der Literaturliste aufgezählt sind. Leben und Werk von Dieter Suhr sind ausführlich in Heft 206 der Fragen der Freiheit gewürdigt worden.

Der folgende ist der letzte in der Reihe seiner Aufsätze zur Geldordnung. Er ist nach dem in englischer Sprache geschriebenen Buch, The Capitalistic Cost-Benifit Structure of Money, im Jahre seines Todes 1990, zunächst in englischer Sprache, entstanden und entwickelt die Gedanken weiter, die in diesem Buch angesprochen sind. Er hatte vor, die darin geäußerten Gedanken in eine 2. Auflage seines Buches aus dem Jahre 1989 aufzunehmen. Wir danken seiner Frau und seinen drei Kindern für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung des Aufsatzes.

Den an weiterer Literatur interessierten Leser verweisen wir auf Heft 101 der Zeitschrift für Sozialökonomie, in dem die Möglichkeit monetärer Reformen unterhalb der staatlichen Ebene von verschiedenen Autoren behandelt wird (Bezugsquelle: Gauke-Verlag GmbH, Postfach 13 20, D-24319 Lütjenburg).



 
 
       

      Inhaltsübersicht

      1.  Einleitung
      1.1  Ausgangspunkte 
      1.2  Verständnisschwierigkeiten 
      1.3  Zum Kern des Problems 

      2.  Von der Selbstversorgung bis zur Geldwirtschaft 
      2.1  Keine Transaktionskosten in einer Gesellschaft bestehend aus lauter Robinsons 
      2.2  Transaktionskosten in der Tauschwirtschaft 
      2.3  Transaktionskosten in der Geldwirtschaft 
      2.3.1  Geld als ein zwischenmenschliches, soziales Gut 
      2.3.2  Einsparung von Transaktionskosten 
      2.3.3  Geld als Voraussetzung für Transaktionen 
      2.3.4  Neuartige Transaktionshindernisse 
      2.3.5  Geldzinsen als neuartige Transaktionskosten 
      2.3.6  Transaktionskosten bei neu emittiertem Geld 
      2.3.7  Zinsen als Transaktionsschranken 
      2.3.8  Inkongruenz von Geldnutzen und Geldkosten 
      2.3.9  Geldschöpfung und Geldvernichtung 

      3.  Herkömmliches Sparen und Investieren
      3.1  Geld im Gegensatz zu Kapital 
      3.2  Überwindung der alten Denkgewohnheiten 
      3.3  Sparen als Quasi-Vernichtung von Geld 
      3.4  Geldverleih als Quasi-Emission von Geld 

      4.  Die strukturelle Nichtneutralität des Geldes 
      4.1  Verleihen statt Kaufen versus Borgen statt Verkaufen 
      4.2  Terminierungsfreiheit der Geldbesitzer versus Terminierungsunsicherheit der Transaktoren 
      4.3  Die Produktion von und die Profite aus monetärer Liquidität 

      5.  Zinsfreies Geld: Das Netzwerk neutrales Geld 
      - Die Finanzinnovation NeuMoNe - 
      5.1  Das Liquiditätskostenkonzept 
      5.2  Wettbewerb zwischen herkömmlichem und neutralem Geld 
      5.3  Einige technische Einzelheiten 
      5.3.1  Neutrales Giralgeld und neutrales Papiergeld 
      5.3.2  Das NeuMoNe-Konto 
      5.3.3  Die Re-Finanzierung von NeuMoNe-Krediten 
      5.3.4  Belastung der Kosten im NeuMoNe-System in herkömmlichem Geld 
      5.3.5  Symmetrische Liquiditätskosten für positive und negative Bestände auf dem NeuMoNe-Konto 
      5.3.6  Die Vermeidung der Liquiditätskosten 
      5.3.7  Wechseln von herkömmlichem Geld zu NeuMoNe und umgekehrt 

      6.  Drei typische Einwände gegen neutrales Geld
      6.1  Ohne Zinsen wird nicht mehr gespart 
      6.2  Wird es ohne Zinsen noch genug Kapital geben? 
      6.3  Preisbildung und Allokation unter neutralem Geld 
       

 


 
 

1.  Einleitung

1.1  Ausgangspunkte

Meine These lautet: Trotz ihrer außergewöhnlichen Leistungsfähigkeit leiden die westlichen Marktwirtschaften an erheblichen Mängeln in ihrem monetären Transaktionssystem. Ohne diese Mängel wären sie nicht nur noch leistungsfähiger, sondern auch fairer und sozial gerechter.

Die nachfolgenden Überlegungen machen sowohl die Mängel des Geldsystems als auch die Möglichkeiten, es zu verbessern, bewußt. Sie sind an sich sehr einfach. Außerdem stimmen sie durchaus mit der modernen Geldtheorie überein. Sie hat herausgearbeitet, daß das Geld im Wirtschaftsverkehr Informations- und Transaktionskosten einspart und dadurch die ökonomische Kommunikation preiswerter macht: Mit Hilfe von Geld wird der Bereich profitabler Transaktionen ausgedehnt, wodurch zugleich die Grenzen für rentable Produktion und erreichbaren Konsum hinausgeschoben werden. So verbessert Geld die allgemeine Wohlfahrt. Aber es wird sich zeigen, daß das herkömmliche Geld selbst wiederum vermeidbare und störende Transaktionskosten in die Wirtschaft hineinträgt und daß es daher verbesserungsbedürftig ist.
 

1.2  Verständnisschwierigkeiten

Obwohl die folgenden Überlegungen sehr einfach sind, stoßen sie in den Köpfen der Menschen auf Widerstand. Sie scheinen bewährter Praxis und vertrauten Theorien zuwiderzulaufen. Doch nicht die neuen Ideen selbst sind schwer zu begreifen. Schwierig ist nur, sich von den alten Vorstellungen, die uns noch fest im Griff haben, zu befreien (Keynes, 1936, S. VIII). So sind beispielsweise noch immer so gut wie alle Ökonomen davon überzeugt, daß unser Geld, abgesehen von geringen Vorbehalten, optimal und so leistungsfähig wie möglich ist. Substantielle Veränderungen oder Verbesserungen scheinen daher nicht erforderlich.

Um den mit den herkömmlichen Vorstellungen verbundenen Denkbarrieren aus dem Wege zu gehen, soll hier von ganz einfachen und elementaren Beobachtungen ausgegangen werden: Schritt für Schritt, beginnend bei einer Gesellschaft von lauter sich selbst versorgenden Robinsons über eine Tauschwirtschaft bis hin zur Geldwirtschaft und dem monetären Pilotprojekt Netzwerk neutrales Geld. Diese Finanzinnovation Netzwerk neutrales Geld für NeuMoNE soll mit dem herkömmlichen Geld konkurrieren. Weil die geldlichen Transaktionsdienste, die das Netzwerk neutrales Geld erbringt, kostengünstiger als die seines herkömmlichen Rivalen sind, wird NeuMoNe den Wettbewerb am Ende gewinnen.
 

1.3  Zum Kern des Problems

Nach der modernen Geldtheorie erspart Geld Informations- und Transaktionskosten. Das kann man sich leicht veranschaulichen: Ohne Geld müßten die Individuen lange nach Tauschmöglichkeiten suchen, also Informationen über potentielle Tauschpartner, ihre Güter und ihre Bedürfnisse sammeln. Außerdem wäre es sehr kompliziert und mühsam, den Wert der getauschten Güter einzuschätzen, solange es an einer Geldeinheit fehlt, mit deren Hilfe man Werte abschätzen und Preise vergleichen kann. Eine Tauschwirtschaft ist also mühselig und kostspielig, weil man große Anstrengungen in den Austausch der Güter als solchen investieren muß. Wird jedoch Geld verwendet, so kann man seine Güter ganz einfach auf den Märkten verkaufen und kaufen. Das ist bequem und erspart Kosten.

Aber Geld erspart nicht nur Informations- und Transaktionskosten. Es verursacht auch neuartige Transaktionskosten, wie sie in einer Tauschwirtschaft unbekannt sind. Bisher wurden diese neuartigen Transaktionskosten, die mit dem Geld in die Wirtschaft kommen, von den Wirtschaftswissenschaften nicht als solche erkannt. Es kommt jetzt also darauf an, diese bisher nicht richtig gedeuteten Kosten bewußt zu machen: Es handelt sich dabei um Transaktionskosten, mit denen die Individuen belastet werden, die sich Geld für Transaktionszwecke besorgen, - um Kosten, welche die kostensparende Leistungsfähigkeit unseres Geldes mindern.

Um die neuartigen Transaktionskosten sichtbar und begreifbar zu machen, werden im folgenden die Informations- und Transaktionskosten in einer Robinsons-Wirtschaft ohne Austausch, dann in einer Tauschwirtschaft und schließlich in der Geldwirtschaft betrachtet, ehe dann mit der Analyse fortgeschritten und schließlich zum praktischen Konzept übergegangen wird.
 

2.  Von der Selbstversorgung bis zur Geldwirtschaft

2.1  Keine Transaktionskosten in einer Gesellschaft bestehend aus lauter Robinsons

Nehmen wir also zunächst eine Gesellschaft von Individuen an, die sich vollständig selbst versorgen. Diese Robinsons tauschen überhaupt keine Güter aus. Also entstehen auch keine Transaktionskosten. Jeder hat es nur mit sich selbst zu tun. Man könnte allerdings an den Transfer von Gütern von einem Platz zum anderen, also an Transporte durch den Raum, oder an Transfers von Gütern aus der Gegenwart in die Zukunft, also an ihre Lagerung denken. Doch bei diesen Vorgängen handelt es sich nur um reale Prozesse, durch welche die Güter von einem selbst an einen selbst verschoben werden, nicht um Transaktionen im sozio-ökonomischen Sinne von Transfers zwischen Individuen.

In ihrer Selbstversorgung sind die Robinsons in vielerlei Hinsicht stark beschränkt. Sie können nur konsumieren, was sie selbst poduzieren. Sie haben nicht die Möglichkeit, voneinander Gebrauch zu machen und von sozio-ökonomischen Interaktionen zu profitieren. Vielmehr sind sie von ihrer persönlichen Begabung und ihren individuellen Fähigkeiten abhängig. So entgehen den Robinsons die meisten der Bequemlichkeiten, die wir gewöhnt sind.

Angenommen beispielsweise, einer der Robinsons besitze Güter, die er im Moment entbehren kann, sei es, weil er satt ist, sei es, weil er zur Zeit mehr Produktionsmittel hat, als er selbst nutzen kann: lästige Güter also, deren gegenwärtige Grenzkosten ihren Grenznutzen übersteigen. Nehmen wir weiter an, daß Robinson diese Güter demnächst durchaus wieder braucht: sei es, um damit zu produzieren, sei es, um sie zu konsumieren. Dann muß er die Güter auf eigene Kosten lagern. Denn ihm fehlt die Möglichkeit, die eigene aufwendige Lagerhaltung ganz einfach dadurch zu umgehen oder zu ersetzen, daß er die betroffenen Güter jemandem gibt, der sie heute benötigt und der ihm später Güter gleicher Art und Güte genau dann zurückgibt, wenn es sie selbst wieder braucht. Wir dagegen können heute die reale Lagerung physischer Güter einfach durch juristische Ansprüche auf künftige Güter oder sogar durch Ansprüche auf künftiges Geld ersetzen. Die Robinsons entbehren aller dieser nützlichen Freiheiten.

Mit anderen Worten: Den Robinsons fehlen nicht nur die Vorteile der sozialen Arbeitsteilung bei der Produktion, sondern auch die Vorteile der zeitlichen Arbeitsteilung beim Konsum. Auch Konsumakte nämlich lassen sich sozial und zeitlich aufteilen, wenn man geeignete Partner findet. Die Robinsons erleiden mithin Verluste, weil sie alle diejenigen Güter kostspielig selbst lagern, die sie für späteren Verbrauch aufheben.

Sparen ist in der Robinsonsgesellschaft aufwendig und kostspielig. Was man sich für zukünftigen Konsum oder für den Einsatz in zukünftiger Produktion spart, wird von steigenden Grenzkosten mehr oder weniger vollständig aufgezehrt. Von Renditen aus Ersparnissen als solchen kann nicht die Rede sein. Nur insofern, wie man selbst statt eines Konsumgutes ein Prokuktionsmittel erzeugt, das man selbst nutzt, entsteht gegebenenfalls ein Nutzen aus den vorhergegangenen Ersparnissen
 

2.2  Transaktionskosten in der Tauschwirtschaft

An zweiter Stelle sehen wir uns eine Tauschwirtschaft an, in der die Individuen gegenseitig voneinander Gebrauch machen können. Den Individuen stehen jetzt nicht nur Sachgüter zur Verfügung, sondern die Dienste und Leistungen anderer Individuen. Das vergrößert die Wahlfreiheiten und Möglichkeiten ganz erheblich. Mit der Tauschmöglichkeit erwächst den Individuen in der Tauschwirtschaft erstmals die Chance, von der sozialen und zeitlichen Teilung sowohl der Arbeit als auch des Konsums zu profitieren.

Freilich wird keiner, der ökonomisch denkt, einen Tausch freiwillig planen und durchführen, es sei denn, er rechnet sich aus, am Ende besser dazustehen als vorher. Der Tausch kommt also nur zustande, wenn beide Partner einen Nutzengewinn erwarten. Folglich ist der Tausch ein Geschäft auf gegenseitige Nutzenvergrößerung. Er bewirkt eine Vergrößerung des gesamten Nutzens allein dadurch, daß die Güter getauscht werden. Von dem Nutzengewinn muß freilich der Aufwand abgezogen werden, den der Tausch den Beteiligten verursacht.

Die Tauschkosten spielen allerdings auch schon beim Zustandekommen oder Verhindern eines Tausches die entscheidende Rolle. Wenn nämlich einer der Tauschpartner Tauschanstrengungen voraussieht, die seinen erwarteten Tauschgewinn übersteigen, dann erscheint ihm das Geschäft als unrentabel; das von ihm erwogene Tauschgeschäft wird von den gedanklich vorweggenommenen Transaktionskosten blockiert. Hinzu kommt, daß Individuen, die für den Austausch produzieren, das Risiko laufen, für ihre Güter keine Abnehmer zu finden, die genau das anbieten, was sie wiederum gerade selbst brauchen.

Die hohen Transaktionskosten und Absatzrisiken in der Tauschwirtschaft ziehen enge Grenzen für die möglichen Austauschgeschäfte und begrenzen dadurch auch die Möglichkeiten der Produktion und des Konsums. Zwar erzeugen Tauschgeschäfte keine Kosten im Sinne von Geldausgaben; denn Geld gibt es noch nicht. Aber der Austausch von Gütern ist mit realen Kosten in Form von Sucharbeit, Kommunikationsaufwand, Verhandlungsenergie usw. verbunden. Diese Kosten fungieren als eine Barriere, welche die Individuen von weiteren Geschäften abhält. Zölle etwa haben ähnliche Effekte.

In einer Tauschwirtschaft erreichen die Individuen also bald ein Niveau von Transaktionskosten, welches weitere Austauschgeschäfte unprofitabel macht und sie insoweit im Bereich der Selbstversorgung gefangen hält. Wer für den eigenen Bedarf produziert, weiß wenigstens, daß er am Ende seinen Bedürfnissen dient.
 

2.3  Transaktionskosten in der Geldwirtschaft

Wenn Geld in die Wirtschaft eingeführt wird, dann erscheint ein neues, künstliches Gut mit charakteristischen Eigenschaften auf den Märkten.
 

2.3.1  Geld als ein zwischenmenschliches, soziales Gut

Für Selbstversorger ist Geld nutzlos und unfruchtbar. Die Robinsons können Geld weder essen, noch ein Haus damit bauen, noch können sie mit Hilfe von Geld die kostspielige Lagerung gesparter Güter vermeiden.

Anderes gilt in einer Geldwirtschaft mit ökonomischer Kommunikation der Individuen untereinander: Geld ist nämlich ein ökonomisches Kommunikationsmittel mit Eigenschaften, die es geradezu zum Gebrauch in sozio-ökonomischen Situationen entweder als Tauschmittel oder als Bereitschaftsmittel prädestinieren. Seine Eignung zur Bereitstellung von Transaktionschancen bezieht Geld daraus, daß es eine Anwartschaft ist. Es verkörpert eine rechtlich gesicherte Erwartung, durch welche der Geldhalter zu den Güteranbietern in Beziehung gesetzt wird. Weil Geld Güter repräsentiert, kann man das juristisch-künstliche Gut Geld so lange als Stellvertreter für Güter verwenden, bis man wieder reale Güter braucht. So kann Geld als Ersatz für Lagerhaltung genutzt werden: zum einen weil es andere Menschen gibt, die Güter anbieten, und zum anderen weil Geld den Geldinhaber mit einer Option ausstattet, die ihm den Zugriff auf die Güter fremder Menschen ermöglicht. Aus diesem Grund wird Geld gelegentlich von anderen Gütern auch dadurch unterschieden, daß man es als ein soziales, zwischenmenschliches Gut bezeichnet (social relation good).
 

2.3.2  Einsparung von Transaktionskosten

Geld vermittelt im Tausch und ersetzt ihn durch Verkaufen und Kaufen. Verkauf und Kauf sind Transaktionen. Also kann man nach wie vor von Transaktionskosten sprechen, wenn es um die Kosten des gesamten zweistufigen Verfahrens des Verkaufens und Kaufens (oder um die Kosten einer jeden Halbstufe des vermittelten Tausches) geht. Gleichermaßen kann man allgemein von Transaktoren anstelle von Verkäufern und Käufern sprechen. Dann muß man sich aber im klaren darüber sein, daß man genau dadurch die signifikanten Unterschiede zwischen Geld- und Tauschwirtschaft terminologisch verwischt und verdeckt. Denn der Tausch ist eine, und zwar eine realwirtschaftliche Transaktion. Verkaufen und Kaufen dagegen sind zwei Vorgänge, von denen nur jeweils eine Hälfte realwirtschaftlich, die andere aber monetär ist. In den realwirtschaftlichen Tausch wird eine monetäre Phase eingeschoben, während derer man aus dem realwirtschaftlichen Bereich ausscheren und in den monetären Bereich überwechseln kann.

Obwohl Transaktoren in der Geldwirtschaft mindestens zwei Transaktionen anstelle des einen Tausches durchführen müssen, um ihr Ziel zu erreichen, nämlich Verkauf und Kauf, ist dieses Zweitaktverfahren des Gütertausches leistungsfähiger als der eintaktige Tausch. Dieser Vorteil ist, wie gesagt, darauf zurückzuführen, daß das Geld Informations- und Transaktionskosten einspart. Ist nämlich Geld als sozio-ökonomische Institution erst einmal eingeführt, können die Transaktoren ihre angebotenen oder nachgefragten Güter ganz einfach vermittels der Kommunikationskanäle spezialisierter Märkte anbieten oder abrufen. Das Geld fungiert dabei als eine Art Eintrittskarte, Benutzerausweis und Verrechnungsinstrument für diese institutionalisierten Transaktionskanäle der Geldwirtschaft. Die Leistungsfähigkeit oder Effektivität des Geldes vergrößert die Reichweite profitabler Transaktionen ganz erheblich. Weil das wirtschaftliche Kommunikations- und Transaktionsniveau steigt, breiten sich arbeitsteilige Produktion und arbeitsteiliger Konsum aus.

An dieser Stelle verdient ins Bewußtsein gerufen zu werden, daß die Wohlfahrt in einer Geldwirtschaft gegenüber der Tauschwirtschaft zunimmt, weil sich der Bereich profitabler Kommunikationen und Transaktionen ausweitet. Der Effizienzgewinn liegt nicht nur in einer Zunahme der Produktivität von Gütern, sondern in einer Steigerung der Leistungsfähigkeit des Informations- und Transaktionssystems. Produktions- und Konsumgüter, die von anderen angeboten werden, sind schlicht und einfach zu niedrigeren Kosten erreichbar, und das erhöht die Produktivität. Es war im Verlaufe der bisherigen Überlegungen nicht nötig, von Kapital und seiner etwaigen Produktivität zu sprechen. Diese Termini konnten vermieden werden, weil sich die Erscheinungen hinreichend in Kategorien von Individuen, Gütern, Informationen, Transaktionen und, vor allem, Informations- und Transaktionskosten begreifen und beschreiben ließen.
 

2.3.3  Geld als Voraussetzung für Transaktionen

In einer Geldwirtschaft, in welcher die soziale und zeitliche Arbeitsteilung sowohl bei der Produktion wie auch im Konsum weit fortgeschritten ist, wird Selbstversorgung praktisch unmöglich. Man ist voneinander abhängig. Man ist nicht nur Konsument, man ist nicht nur Produzent, sondern man ist praktisch immer auch Transaktor. Bevor man Güter konsumieren oder mit Gütern produzieren kann, muß man Transaktionen abwickeln: Transaktion geht vor Produktion und Konsum: Bevor man die Rolle des Konsumenten oder des Produzenten spielen kann, muß man schon in die Rolle des Transaktors geschlüpft sein. Und diese Transaktorenrolle schließt immer die Rolle von jemandem ein, der sich Geld beschafft und es wieder ausgibt. So wird Geld in der Geldwirtschaft zur unentbehrlichen Voraussetzung für Transaktionen und damit auch für Produktion und Konsum.

Wer - aus welchen Gründen auch immer - die Rolle eines Geldbeschaffers nicht spielen kann, der kann auch die Rolle des Geldausgebers nicht spielen. Er wird also auch keine Waren oder Dienstleistungen erwerben. Darüber hinaus hält der Mangel an Geld bedürftige Menschen praktisch davon ab, Transaktionen durchzuführen, die an sich möglich und profitabel wären. Um das zu veranschaulichen, braucht man sich nur einen potentiellen Verkäufer vorzustellen, der versucht, sich Geld zu verschaffen, indem er Waren, Dienstleistungen oder Arbeit anbietet. Dann kann man sich leicht vorstellen, daß er einen potentiellen Käufer findet, der die angebotenen Güter dringend braucht. Trotzdem wird unser Verkäufer seine Güter nicht an den Käufer verkaufen und Geld dafür erhalten, wenn nicht dieser Käufer selbst entweder Geld in der Hand hat oder es ihm gelingt, sich welches zu beschaffen, z.B. dadurch, daß er selbst Güter verkauft. Auch dieser zweite potentielle Verkäufer mag durchaus potentielle Abnehmer für seine Güter finden. Aber auch er kann seine Güter nur verkaufen und Geld erwerben, wenn diese potentiellen Abnehmer ihrerseits Geld in der Hand haben oder wenn es ihnen gelingt, sich welches zu beschaffen. Man sieht leicht, daß hier ganze Kaskaden von wechselseitig nützlichen Geschäften möglich wären, daß sie aber blockiert bleiben, weil das Geld fehlt, ohne welches alle die vielen potentiellen Verkäufer und Käufer nicht miteinander ins Geschäft kommen können.
 

2.3.4  Neuartige Transaktionshindernisse

Potentielle Anbieter und Produzenten auf der einen Seite und potentielle Nachfrager und Konsumenten auf der anderen werden also daran gehindert, Transaktionen abzuwickeln, die durchaus möglich wären, wenn sie als potentielle Transaktoren nur das ökonomische Transaktionsmedium Geld dabei verwenden könnten. Mit anderen Worten: Auch dann, wenn potentielle Tauschpartner bzw. Transaktoren nicht füreinander im Nebel des Nichtwissens verborgen bleiben, können die an sich möglichen Transaktionen wegen Geldmangels stecken bleiben. Ein einziger, der kein Geld hat, kann ganze Transaktionsserien verhindern, so wie auch ein einziger Geldbesitzer, der sein Geld nicht ausgibt, dafür sorgen kann, daß eine ganze Kette von Transaktoren darunter leidet. So zeigt sich, daß die Menschen in einer Geldwirtschaft neuartige Transaktionshindernisse erfahren, die in einer Tauschwirtschaft nicht existierten.

Unfähig zu sein, Geld zu erwerben, bedeutet, daß man an Transaktionen gehindert wird. Und an Transaktionen gehindert zu sein, das bedeutet, von Produktion und Konsum ferngehalten zu werden. Derjenige, dessen Transaktionen wegen Geldmangels schlicht steckenbleiben, ist faktisch von der Teilhabe an der Gemeinschaft der Wirtschaftenden überhaupt ausgeschlossen.
 

2.3.5  Geldzinsen als neuartige Transaktionskosten

Wie wir oben gesehen haben, ist der Tausch in einer Tauschwirtschaft mühsam und kostspielig. Weiterer Güteraustausch bleibt alsbald im undurchdringlichen Informationsdefizit stecken, durch welches einem die anderen Menschen, ihre Bedürfnisse, ihre Nachfrage und ihre Angebote verborgen bleiben. Geld dagegen hat sich als wirksamer Katalysator erwiesen, der Kommunikationskanäle eröffnet, welche den Menschen erlauben, die undurchsichtige Sphäre der ökonomischen Kommunikation gleichwohl erfolgreich zu durchdringen. Zugleich hat sich jedoch für die Menschen, die Transaktionen abwickeln müssen, eine neuartige Schwierigkeit gezeigt, nämlich das Problem der Geldbeschaffung; denn ohne Geld bleiben die Transaktionskanäle der Märkte für sie verschlossen und können so ihre geplanten Transaktionen nicht ausführen.

Diese neuartige Schwierigkeit betrifft den Erwerb von Transaktionsgeld durch den potentiellen Transaktor:

  •  entweder findet er - in der Rolle des Verkäufers - keinen Käufer, und zwar meist deshalb, weil die potentiellen Käufer selbst wiederum genau jenes Geldes entbehren, ohne das sie keine Güter kaufen können;
  • oder er kann sich, als potentieller Käufer, kein Geld beschaffen, weil er sich die Zinskosten des geliehenen Geldes nicht leisten kann; die Zinskosten, die die Güter für ihn teurer machen als für andere.
  • Konzentriert man sich jetzt auf diese Zinskosten, durch welche potentielle Transaktoren an der Durchführung an sich möglicher Transaktionen gehindert werden, dann kann man feststellen: Hier fungieren die Zinsen, die für geliehenes Geld gezahlt werden, als prohibitive Kostenschranke für die Ausführung von Transaktionen, welche an sich (in realen Größen) durchaus wechselseitig profitabel wären. Weil nun, wie gezeigt, Transaktionen ohne die Verwendung von Geld praktisch unmöglich sind und weil die Zinsen für ein Geld gezahlt werden, das zur Vermittlung von Transaktionen verwendet wird, muß man auch die Geldzinsen womöglich als eine neue Form von Transaktionskosten ansehen, welche wiederum in einer Tauschwirtschaft nicht existiert.

    Es ist nochmals lehrreich, sich bewußt zu machen, daß die Geldzinsen hier in keiner Weise als Kapitalkosten erscheinen. Die Transaktoren zahlen Zins nicht für Finanzkapital, sondern dafür, daß sie das Geld zur Abwicklung von Transaktionen verwenden können, und zwar ohne Rücksicht darauf, für welche Zwecke das geliehene Geld ausgegeben wird. So muß man Zinsen nicht nur für Finanzkapital zahlen, das zum Erwerb von Investitionsgütern verwendet wird, sondern auch für geliehenes Geld, welches für Konsumzwecke, zur Umschuldung oder auch zur Finanzierung eines Begräbnisses gebraucht wird. Noch einmal: Es war bisher nicht nötig, die Bezeichnung oder den Begriff Kapital zu verwenden, um die einschlägigen Vorgänge zu begreifen und zu beschreiben.
     

    2.3.6  Transaktionskosten bei neu emittiertem Geld

    Geld erspart offenbar nicht nur Kosten, sondern es verursacht auch eine neuartige Form von Transaktionskosten, nämlich Zinsen für geliehenes Geld. Diese neuartigen Kosten lassen sich am besten veranschaulichen, wenn man die Geldschöpfung betrachtet, bei welcher Geld auf dem Kreditwege neu geschaffen und ausgegeben (emittiert) wird.

    Nehmen wir also an, innerhalb einer Tauschwirtschaft soll eine Zentralbank eingerichtet werden, um Banknoten zu drucken und in den Verkehr zu bringen. Solches neu emittiertes Geld wird normalerweise nicht an die Menschen verschenkt, sondern von der Bank an Kreditnehmer verliehen, die Geld brauchen, um damit bei ihren Transaktionen Informations- und Transaktionskosten zu sparen. (Dieses idealisierte Modell für die Emission von Geld entspricht der Wirklichkeit sowohl darin, daß das wirkliche Bankensystem Geld im Wege von Krediten schafft, als auch darin, daß das so emittierte Geld ebenso Zinsen einbringt wie Privatkredite von privaten Sparern.) Der Vollständigkeit halber nehmen wir noch an, daß unsere potentiellen Konsumenten und Produzenten schon genauestens über die Vorteile informiert sind, die das Geld mit sich bringt, und daß die Bank genau weiß, was sie tun muß, um ein stabiles, funktionierendes Geldwesen in Gang zu bringen und aufrecht zu erhalten.

    Wenn jetzt Konsumenten und Produzenten Darlehen aufnehmen, um das Geld für Güter auszugeben, müssen sie zweierlei in Betracht ziehen:

  • erstens die Vorzüge, die darin liegen, daß man jetzt Güter verkaufen und kaufen kann, statt sie mühsam zu tauschen, und
  • zweitens, daß sie für das Geld, mit dem sie Transaktionskosten sparen wollen, Zinsen zahlen müssen.
  • Mit Geld können sie ihre Transaktionen kostengünstig abwickeln. Aber die Vorteile hieraus werden durch die Kosten verringert, die von der Beschaffung des Transaktionsmittels Geld herrühren. Einerseits also verbilligt Geld die Güter, weil sie mit weniger Aufwand erlangt werden können. Andererseits aber verteuert es sie auch wieder, weil man zu ihren Preisen die jeweiligen Zinsausgaben hinzurechnen muß. Somit fahren Individuen, die das Geld benutzen, insgesamt nur dann besser als in der Tauschwirtschaft, wenn der Gewinn aus der Einsparung von physischen Tauschkosten nicht durch die neuartigen pekuniären Transaktionskosten, die wir Zins nennen, aufgezehrt wird. Noch schlimmer ist die Wirkung, wenn die Individuen durch die hohen Zins- bzw. Renditebarrieren vom Erwerb oder der Nutzung von Gütern überhaupt abgeschreckt oder abgehalten werden.

    Diese neuartigen Transaktionskosten und Transaktionsbarrieren sind in der Tauschwirtschaft unbekannt. Ebenso unbekannt sind dort auch die Bank, die Geld ausgibt, und vor allem die Gewinne der Bank aus ihrem Geldausgabegeschäft. Da nämlich die Kosten, die bei der Herstellung und der Ausgabe des Geldes anfallen, im Vergleich zu den der Bank zufließenden Zinsen verhältnismäßig gering sind, macht die Bank Profite aus ihrer Geldschöpfung: Seigniorage in der Form eines return over cost bei dem Emissionsgeschäft.

    So haben wir schließlich in der Geldwirtschaft nicht nur neuartige Transaktionskosten, sondern auch neuartige Profite, und zwar Profite, die fast genau den neuartigen Kosten korrespondieren. Genau genommen bringt also das Geld neuartige Transferströme mit sich, nämlich Abströme (Kosten) und Zuströme (Erträge), durch welche die Transaktoren belastet und die Geldemittenten subventioniert werden. Die Emissionsbank profitiert einfach davon, daß die Menschen Transaktionsbedürfnisse haben und daß ihnen das Geld dabei mehr Kosten erspart und mehr Nutzen bringt, als die Herstellung und Ausgabe dieses Geldes bei der Bank kostet.
     

    2.3.7  Zinsen als Transaktionsschranken

    Zinsen erhöhen die Transaktionskosten und fungieren dadurch als Transaktionsschranken. Dies gilt auch insoweit, wie Produzenten ihre Finanzkapitalkosten über die Preise auf die Letztabnehmer abwälzen können: Höhere Preise wirken hemmend oder abschreckend auf den Erwerb der betroffenen Güter. Es handelt sich um in den Preisen versteckte Transaktionskosten mit entsprechenden Bremswirkungen für die Transaktionen in den betroffenen Gütern.

    Während Geld als solches den Bereich profitabler Transaktionen ausweitet, wirken die Zinskosten in genau entgegengesetzter Richtung. Selbst wenn die Bank ihre Gewinne an den Fiskus abführt, so daß mit dem Geld Staatsausgaben finanziert werden, können diese zusätzlichen Staatsausgaben keinen Ausgleich für all diejenigen Transaktionen abgeben, die vorher steckenbleiben, weil und soweit die Betroffenen es nicht mehr für profitabel erachten, auf der Grundlage von Geld Transaktionen abzuwickeln, deren Zinskosten die Güter für sie zu teuer werden lassen.

    Hier also wird unsere Eingangshypothese, nach der das herkömmliche Geld signifikante Mängel aufweist, bestätigt: Weil Geld eben gerade nicht nur Kosten erspart, sondern neuartige Transaktionskosten verursacht, die den Bereich profitabler Transaktionen wiederum beschränken, ist unser Geldsystem suboptimal. Es ist genau darin ineffizient, daß es neuartige, funktionswidrige Kosten einerseits und Gewinne andererseits verursacht.
     

    2.3.8  Inkongruenz von Geldnutzen und Geldkosten

    Wer geliehenes Geld ausgibt, erhält dafür die begehrten Güter. Dadurch bekommen auch die Verkäufer dieser Güter Geld, und auch sie können als Käufer anderer Güter auftreten. So erhalten weitere Individuen Geld und können wiederum in die Rollen von Käufern schlüpfen. So setzt das Geld, das sich der erste in der Reihe von der Bank beschafft hat, ganze Transaktionsketten in Gang. Er befähigt alle anderen Glieder dieser Kette dazu, das Geld zur effizienten Abwicklung ihrer jeweiligen Transaktionen zu verwenden: Er produziert positive externe Effekte durch jenes Geld, dessen ursprüngliche Geldbeschaffungskosten er allein trägt. Während er nämlich die Zinskosten, die von dem neuausgegebenen Geld herrühren, weiter mit sich herumschleppt und von seiner Geldaufnahme nur ein einziges Mal profitiert, nämlich bei der Abwicklung der von ihm geplanten Transaktion, genießen alle anderen Glieder in der Kette die Vorzüge dieses Geldes, ohne mit entsprechenden Kosten belastet zu sein. So ergibt sich eine Inkongruenz, was die Allokation der Geldbeschaffungskosten einerseits und des Transaktionsnutzens des beschafften Geldes andererseits betrifft.
     

    2.3.9  Geldschöpfung und Geldvernichtung

    Wenn das Darlehen der Emissionsbank fällig wird und der Leiher sein Geld zurückzahlen muß, muß er dieses Geld irgendwo abziehen und ist dementsprechend daran gehindert, es für Güter auszugeben. Ebenso wie er ursprünglich durch Beschaffen und Ausgaben von Geld ganze Transaktionsketten in Gang gesetzt hat, unterbricht er jetzt Transaktionsketten, die bei ihm ankommen. Das Geld, das er an die Bank zurückzahlt, verschwindet vom Markt. Die Transaktionsketten, die weiterliefen, wenn er sein Geld ausgäbe, anstatt es zurückzuzahlen, kommen wegen Geldmangels zum Stillstand.

    In der Geldtheorie wird die Emission von Geld auch Geldschöpfung genannt. Dementsprechend bezeichnet man das Verschwinden von Geld von den Märkten und sein Verschwinden in den Geldschränken des Bankensystems Geldvernichtung, auch wenn das Geld nicht verbrannt oder sonst physisch vernichtet wird. Denn Geld, das vom Markt verschwunden ist und nicht länger als Transaktionsmedium dient, ist ein Nichts insofern, als es den Transaktoren auf den Märkten nicht mehr länger zur Ersparnis von Transaktionskosten dient.
     

    3.  Herkömmliches Sparen und Investieren

    3.1  Geld im Gegensatz zu Kapital

    Wiederum gilt es zu beachten, daß die Zinsen, die für neu geschaffenes Geld gezahlt werden, weder mit Kapital noch mit Sparen etwas zu tun haben. Die Bank, die das Geld druckt und ausgibt, spart gar nichts. Insbesondere opfert sie keinen Gegenwartskonsum für mehr Zukunftskonsum, sondern sie druckt einfach Noten und emittiert sie. Und wer sich von der Bank frischgeschaffenes Geld leiht, bekommt nicht etwa so etwas wie Kapital. Er besorgt sich nur Geld für Transaktionszwecke, und genau dafür zahlt er Zinsen. Gibt er das Geld hinterher für Investitionsgüter aus, also für physisches Kapital, um die Produktivität seines Unternehmens zu erhöhen, dann rührt diese Zunahme an unternehmerischer Effektivität daher, daß er mit Hilfe des Geldes befähigt wurde, sich die Investitionsgüter im Wege von Transaktionen zu besorgen. Also handelt es sich bei den Kosten, die er sich in Form von Zinsen für Transaktionsgeld aufgebürdet hat, nicht um Kapitalkosten, sondern um Transaktionskosten.

    Für den Investor freilich, der das geliehene Geld für Produktionsmittel ausgibt, erscheinen die Geldbeschaffungskosten als in irgendeiner Weise verbunden mit dem, was er mit dem Geld tut. Dementsprechend sieht es für ihn so aus, als handle es sich um Kosten der Güter, die er sich gekauft hat. Aber man verwechselt Ursache und Wirkung, wenn man terminologisch als Kapitalkosten verkleidet, was in Wahrheit Geldbeschaffungskosten und als solche in Wahrheit Transaktionskosten sind. Diese Verwechslung führt zu verhängnisvollen Irrtümern in der ökonomischen Theorie.
     

    3.2  Überwindung der alten Denkgewohnheiten

    An dieser Stelle könnte man geneigt sein zuzugeben, daß die Zinsen, die für frisch geschaffenes Geld bezahlt werden, tatsächlich so, wie eben beschrieben, als Transaktionskosten aufgefaßt werden müssen. Aber man ist ebenso geneigt einzuwenden, daß die anderen Zinsen, die private Sparer für ihre Ersparnisse erhalten und die von privaten Investoren dafür bezahlt werden, als eine Prämie für Konsumverzicht auf seiten des Sparers und als die Kosten von Finanzkapital auf seiten des Investors aufgefaßt werden müssen. Allem Anschein nach nämlich machen in diesem Falle die monetären Ressourcen, die nicht konsumiert werden, die Produktion effektiver. Hier scheint die herkömmliche Ansicht zuzutreffen, daß die Zinsen den Gleichgewichtspreis zwischen privaten Ersparnissen einerseits und der Produktivität des Kapitals andererseits darstellen.

    Doch auch in diesen Fällen muß man sich der Tatsache bewußt sein, daß die physischen Produktionsmittel, welche die Produktivität erhöhen, nicht etwa durch das Finanzkapital geschaffen werden. Vielmehr befähigt das geliehene Geld den Investor nur dazu, die Transaktionen abzuwickeln, durch welche er sich die benötigten Investitionsmittel beschafft. Wir müssen erkennen: Es gibt Investoren, die Produktionsmittel benötigen, und es gibt andere, die eben diese Produktionsmittel anbieten; aber diese Nachfrager und Anbieter von Produktionsmitteln haben keine Chance, Verträge abzuschließen und Transaktionen abzuwickeln, es sei denn, eine Bank oder Dritte versorgen sie mit Geld. Auch hier also erscheint Geld als der Transaktionskatalysator, welcher die Verkäufer und Käufer der betroffenen Produktionsmittel zusammenbringt. Fehlt ihnen jedoch das Geld, so bedeutet das, daß ihre an sich möglichen und profitablen Transaktionen wegen der Mängel im monetären Transaktionssystem gewissermaßen stecken bleiben.

    Dementsprechend muß man sich auch bewußt sein, daß wir privates Sparen als etwas auffassen, was es normalerweise nicht ist, so daß wir uns durch die Terminologie und ihren assoziativen Gehalt irreführen lassen. Und in der Tat begegnen wir auf dieser Stufe unserer Untersuchung der schwersten Form dessen, was oben unter dem Stichwort Widerstand in den Köpfen angesprochen worden war, nämlich der Tatsache, daß die Schwierigkeiten nicht in den neuen Gedanken liegen, sondern darin, den alten zu entkommen (Keynes).

    Wir müssen hier tabula rasa im wörtlichen, aristotelischen Sinne machen, nämlich versuchen, ohne Rücksicht auf das zu denken und zu begreifen, was und wie wir im Bereiche von Sparen und Investieren zu denken und zu begreifen gewohnt sind. Um uns selbst zu befreien, müssen wir sogar mit unseren Gedanken gegen den Strom alles dessen ankämpfen, was in diesem Bereiche als selbstverständlich gilt. Denn wenn es hier wirkliche Täuschungen gibt, die uns die Sicht verbauen und uns hindern, die Fehlerhaftigkeiten des Geldsystems einzusehen, dann haben wir keine Chance, uns von den Irrtümern zu befreien, es sei denn, es gelingt uns, von den Grundlagen her neu zu denken.

    In diesem Sinne elementar zu denken und zu begreifen, läuft darauf hinaus, die Sprache und die Konzepte der modernen Transaktionskostenökonomie anzuwenden: einerseits Transaktionen und andererseits Geld als das entscheidende Instrument dafür, die Transaktions- und Informationskosten zu senken. Die altehrwüdige Formulierung, wonach Zinsen die Abstinenz von Konsumenten und die Produktivität von Kapital ins Gleichgewicht bringen, knüpft an weniger präzise Gedanken an und verbindet zudem psychologische Eigenschaften von Menschen mit physikalischen Eigenschaften von Gütern, anstatt sich jener Transaktionen und ihrer Kosten anzunehmen, welche durch die psychologischen und physikalischen Faktoren beeinflußt werden. Außerdem ist z.B. nicht klar, wer denn überhaupt der Investor ist: der Sparer, wenn er sein Geld verleiht, oder der Unternehmer, wenn er das geliehene Geld ausgibt? Vor allem aber betrifft die herkömmliche Formulierung nur einen Spezialfall: Sein Geld nicht auszugeben, das hat oft andere Gründe als nur den, im Augenblick schmerzlichen Konsumverzicht zu leisten. Zusätzlicher gegenwärtiger Konsum kann z.B. Übelkeit oder andere Kosten verursachen, statt nur als angenehm empfunden zu werden. Dann ist es profitabel, wenn man Geld halten kann, statt zum Konsum genötigt zu sein oder auf weitere Ansammlung von Werten überhaupt verzichten zu müssen. Denn kostenlose Geldhaltung ist profitabler als die Nutzung von Gütern, deren marginale Kosten ihren marginalen Nutzen übersteigen.

    Das Verleihen von Geld und das Borgen von Geld stellen einen zweiseitigen, reziproken Vorgang dar, eine Art Schnittpunkt, in dem sich zwei Serien von ökonomischen Aktionen zu einer Interaktion treffen, die sowohl auf der Seite des Verleihers wie auch auf der Seite des Entleihers sehr unterschiedliche Motive haben kann: Die Zinsen für verliehenes Geld können verlangt werden ohne Rücksicht darauf, welche Motive der Verleiher für seine Entscheidung nicht ausgeben, sondern verleihen hat. Und die Zinsen muß der Entleiher ohne Rücksicht auf die Zwecke bezahlen, für die er sich das Geld leiht.

    In jedem Falle aber sieht der Verleiher davon ab, sein Geld im Zuge von Gegenwartstransaktionen auszugeben, und der Entleiher besorgt sich das Geld in der Regel, weil er es für die Abwicklung gegenwärtiger Transaktionen braucht. Jener entscheidet sich gegen, dieser für reale Transaktionen. Man hat es also beim Geldverleih auf der Seite des Verleihers mit der Abstinenz von oder auch Flucht vor Gegenwartstransaktionen und auf der Seite des Entleihers mit dem Bedarf an solchen gegenwärtigen Transaktionen zu tun.
     

    3.3  Sparen als Quasi-Vernichtung von Geld

    Dem Verleihen des Geldes geht voraus, daß es vom Verleiher nicht ausgegeben wird. Herkömmlicherweise allerdings bedeutet Sparen nicht nur, daß jemand sein Geld nicht ausgibt, sondern auch, eines der möglichen Motive dafür, daß er nämlich gegenwärtigen Konsum opfert, um mehr zukünftigen Konsum zu erlangen. Dabei geht es um die psychologische Neigung zum Opfer an Gegenwartskonsum zugunsten des Zukunftskonsums, - eine Neigung, bei der ein unersättlicher Hunger nach Gegenwartskonsum unterstellt wird (Zeitpräferenz), der psychologisch nur überwunden wird durch einen noch größeren Hunger nach noch mehr Zukunftskonsum.

    An dieser Stelle jedoch geht es nicht um die psychologischen Anreize, die im Grenzfall ihren Einfluß auf die Entscheidungen der Individuen ausüben, sondern um Transaktionen und um das Transaktionsmittel Geld. Welches auch immer seine Motive sein mögen, der herkömmliche Sparer gibt sein Geld nicht aus, sondern hält es einstweilen zurück. In Kategorien der Transaktionsökonomie: Er sieht ab von Gegenwartstransaktionen. Da jedoch alle Transaktionen definitionsgemäß wenigstens zwei Transaktionspartner mit einbegreifen, bedeutet die Transaktionsabstinenz des einen, der sein Geld nicht ausgibt, daß sein potentieller Transaktionspartner ebenfalls von einer an sich ins Auge gefaßten Transaktion absieht oder vielmehr sogar abgehalten wird. Dabei ruht das Geld, das ein Transaktor ursprünglich einmal von der Emissionsbank beschafft hat und für welches er weiterhin die Kosten trägt, jetzt friedlich in der Kasse oder im Safe eines Nichttransaktors, der sein Geld spart, bevor er es anderweitig verwendet, z.B. für noch mehr Zukunftsgeld.

    Freilich hindert auch in einer Tauschwirtschaft eine Person, die von einem geplanten Tauschgeschäft absieht, ihren potentiellen Tauschpartner daran, das Geschäft durchzuführen. Dieses Zurückhalten eines Tauschgutes in der Tauschwirtschaft wirkt sich jedoch nur auf das eine Tauschgeschäft mit dem einen potentiellen Partner aus, der dann auch das von ihm angebotene Gut nicht los wird. In der Geldwirtschaft dagegen unterbricht ein einziger potentieller Käufer, der sein Geld nicht ausgibt, womöglich ganze Transaktionsserien, die er in Gang setzte, wenn er nur damit fortfahren würde, sein Geld, das er beim Verkauf erlangt hat, im Zuge eines Kaufes weiterzugeben.

    Ein herkömmlicher Sparer blockiert also diejenigen Transaktionsserien, die in Gang kämen, wenn er sein Geld ausgäbe. Er blockiert sie für die Dauer, während derer er sein Geld spart und festhält, anstatt es auszugeben: Er produziert negative externe Effekte bei anderen, die darunter leiden, ihre Güter nicht verkaufen zu können, weil sie darin behindert werden, sich durch Verkauf Geld zu beschaffen. Der Sparer in seiner Rolle als Nichtkäufer, der sein Geld zuzückhält, bewirkt, daß dieses Geld von den Märkten verschwindet. Ein solches Verschwinden des Geldes von den Märkten und seine anderweitige Aufbewahrung wird üblicherweise als Vernichtung von Geld bezeichnet, wenn das Geld in den Tresoren der Emissionsbank (oder einer anderen Bank) verschwindet (oben 2.3.9). Hier aber, wo private Sparer das Geld von den Märkten abziehen, sind die Wirkungen die gleichen. Diese Sparer verhalten sich wie kleine private Quasi-Banken, die das bei ihnen eintreffende Geld für eine Weile zerstören, indem sie es bei sich verschwinden lassen.
     

    3.4  Geldverleih als Quasi-Emission von Geld

    Herkömmliche Sparer bewahren freilich normalerweise keine sehr großen Geldbeträge bei sich auf; denn es entgehen ihnen dann ja die Zinsen. Vielmehr verleihen sie ihr Geld wieder an andere. Damit erscheint ihr Geld wieder auf den Märkten für Realgüter, und die Unterbrechung des Geldumlaufs findet ihr Ende. Allerdings geben die Sparer ihr Geld nicht selbst für Realgüter aus. Sie stoßen nicht selbst neue Transaktionsserien an. Indem sie ihr Geld verleihen, befähigen sie nur andere, an ihrer Stelle Transaktionen abzuwickeln und Transaktionsserien anzustoßen. Das kostet die anderen den Zins.

    Und wiederum gilt es zu bedenken, daß die Einführung von Geld in die Märkte für Realgüter Geldschöpfung oder Geldemission genannt wird, wenn das Geld von der Emissionsbank (oder einer anderen Bank) kommt. Falls nun, wie in unserem Beispiel, private Sparer das Geld durch Kredite wieder auf die Märkte bringen, sind die Wirkungen wiederum die gleichen wie bei der ursprünglichen Emission des Geldes. Diese privaten Verleiher verhalten sich auch hier wieder wie kleine private Quasi-Banken, die das Geld, das sie zuvor von den Märkten abgezogen und vernichtet haben, nunmehr wieder für die Dauer der von ihnen gegebenen Darlehen emittieren. Und so wie die Emissionsbank von Zinserträgen, die die Kosten des Emissionsgeschäfts übersteigen, profitiert, so profitieren die Sparer in ihrer Rolle als Quasi-Banken davon, daß ihre Zinserträge wesentlich höher sind als die Kosten, die ihnen das Geschäft verursacht, das daraus besteht, daß sie ihr Geld nicht ausgeben, sondern verleihen. Diese privaten Sparer in ihren Rollen als Quasi-Banken streichen eine Quasi-Seigniorage aus ihrer Quasi-Emission des von ihnen quasi-vernichteten Geldes ein.

    Die Prozedur des Sparens im Sinne von Verleihen statt Ausgeben ist schon als solche profitabel; und sie fungiert ohne weiteres als künstlicher Anreiz für die Individuen, auf Gegenwartskonsum zu verzichten (also Gegenwartstransaktionen aufzuschieben). Das erklärt auch, woher der Zuwachs an voraussichtlichem Einkommen kommt, der die Individuen dazu anreizt, mehr zu sparen als sie ohne den Profitmechanismus des Verleihens statt Ausgebens sparen würden. Die Zinsen haben also ihren Ursprung gerade nicht darin, daß zugunsten von Zukunftskonsum auf Gegenwartskonsum verzichtet wird, sondern umgekehrt: Die Geldwirtschaft bietet den Individuen die profitable Seigniorage aus Verleihen statt Ausgeben an und verleitet sie auf diesem Wege gewissermaßen künstlich dazu, wegen der Zinsen Gegenwartskonsum für mehr Zukunftskonsum zu opfern. Nicht die Zeitpräferenzen sind der Grund für die Zinsen, sondern die Zinsen sind der Grund für eine Verfälschung der Zeitpräferenzen.
     
     

    4.  Die strukturelle Nichtneutralität des Geldes

    4.1  Verleihen statt Kaufen versus Borgen statt Verkaufen

    Dem Geld werden üblicherweise zwei wesentliche Funktionen zugeschrieben, nämlich die Tauschmittelfunktion und die Lagerhaltungsfunktion (oben 2.3.1). Inzwischen jedoch hat sich gezeigt, daß Geldhaltung (im Sinne von Nichtausgeben) bedeutet, daß das Geld von den Märkten abgezogen und Transaktionsserien blockiert werden: private Quasi-Zerstörung von Geld. Es hat sich ebenso gezeigt, daß das Verleihen von Geld bedeutet, daß man vermittels dieser Macht zur Geldblockade anderen Transaktoren Transaktionskosten auflädt und davon profitiert. Das geschieht jedesmal, wenn jemand den Profitmechanismus Verleihen statt Kaufen anwendet: private Quasi-Emission von Geld mit privater Quasi-Seigniorage.

    Die Option des Geldhalters, vom Verleihen statt Kaufen zu profitieren, setzt jedoch voraus, daß er sein Geld nicht für dringende eigene Transaktionen braucht. Die Voraussetzung ist erfüllt, sobald jemand entbehrliches Geld zur Verfügung hat. Sie ist nicht erfüllt bei bedürftigen Menschen, die das Geld entweder für den Kauf eigener Konsumgüter oder dafür brauchen, Güter zu produzieren, die sie verkaufen wollen, um davon zu leben. Somit bietet das heutige Geldsystem den gesättigten und saturierten Menschen die Option, die Transaktionen der Hungrigen und noch Strebsamen zu blockieren und von dieser Blockade zu profitieren. Es stattet die Wohlhabenden, die schon Reichtum besitzen, mit der zusätzlichen Möglichkeit aus, von dem Spiel Verleihen statt Kaufen zu Lasten der Ärmeren zu profitieren: Und die Option dazu steht diesen Wohlhabenden vollkommen frei. Sie entscheiden dabei nur zwischen dem geldlichen Profit einerseits und den Annehmlichkeiten des Geldes andererseits.

    Den anderen aber, die wirklich noch bedürftig sind und deshalb auch Transaktionsbedarf haben, wird durch die überlieferte Geldordnung die reziproke Rolle im Transaktionsverfahren zugespielt, nämlich die Rolle des Geldleihers, der sich für Borgen statt Verkaufen entscheiden muß. Diese Bedürftigen werden durch ihre Bedürfnisse mehr oder weniger dazu genötigt, sich Geld zu leihen. Bei ihnen geht es nicht um die Wahl bloß zwischen zwei Annehmlichkeiten, nicht nur um hypothetische Opportunitätskosten, sondern sie kalkulieren echte Zinskosten, die sie sich aufbürden. Das Spiel ist für sie so kostspielig, wie es für die Reichen einträglich ist.

    Das profitable Verleihen statt Kaufen auf seiten des Kapitals einerseits und das kostspielige Borgen statt Verkaufen auf seiten der Konsumenten und Produzenten (Transaktoren) anderseits stehen in einem reziproken Verhältnis zueinander. Diese reziproke Struktur von Profiten für das Kapital einerseits und von Kosten für die Transaktoren andererseits repräsentiert exakt die Asymmetrie oder Nichneutralität des Geldes. Der Verleiher beutet die Transaktionsbedürfnisse und - eben dadurch!- die physischen Bedürfnisse sowie die ökonomischen Aktivitäten der Borger von Geld aus, - und zwar nicht etwa dadurch, daß er letztere mit Finanzkapital versorgt, sondern, indem er seine Blockade ihrer Transaktionen für eine Weile aussetzt und ihnen vorübergehend das allgemeine Kommunikationsmittel Geld freigibt.

    Auf diese Weise bewirkt das Geld, daß die Armen, die Bedürftigen und die wirtschaftlich Aktiven für den Überfluß der Reichen, der Satten und der Untätigen sorgen. Und es zeigt sich, inwiefern das überlieferte Geld nicht nur ökonomisch ineffizient, sondern auch ungerecht und unfair ist.
     

    4.2  Terminierungsfreiheit der Geldbesitzer versus Terminierungsunsicherheit der Transaktoren

    In einer Tauschwirtschaft müssen die Transaktoren im Tauschvertrag darüber entscheiden, zu welchem Zeitpunkt sie die Leistung des jeweils anderen bekommen sollen. So weiß jeder, wann er leisten muß und wann er seine Leistung bekommt. In der Geldwirtschaft jedoch muß der Verkäufer sich bei Vertragsschluß noch nicht darüber entscheiden, was er zu welchem Zeitpunkt für das erlangte Geld kaufen will. Er muß sich nicht einmal über den Zeitpunkt, an dem er das jetzt erworbene Geld später überhaupt auszugeben wünscht, entscheiden. Er darf in jeder Hinsicht unentschlossen bleiben. Denn mit dem Geld erwirbt er Terminierungsfreiheit für seine Nachfrage: Er kann nicht nur über die Güter, über die Partner und über die Orte seiner Nachfrage entscheiden, sondern vor allem auch über den Zeitpunkt. Daraus resultiert eine reziproke Terminierungsunsicherheit auf seiten aller anderen, die Güter anbieten und dafür Geld nachfragen.

    So ist mit der Terminierungsfreiheit des Geldhalters unausweichlich die Terminierungsunsicherheit derer, die Sachgüter anbieten, verbunden. Die Chancen und Annehmlichkeiten des Geldhalters sind zugleich die Risiken und Kosten der Transaktoren, die ohne das in das Belieben des Geldhalters gestellte Geld ihre Transaktionen untereinander nicht abwickeln können.

    Alles dies zeigt wiederum, daß das Geld eine asymmetrische Verteilungsstruktur in die Wirtschaft hineinträgt: Wer es sich leisten kann, Geld festzuhalten und zu verleihen, anstatt gezwungen zu sein, es für Produktions- oder Konsummittel auszugeben, der wird zusätzlich mit den wertvollen Freiheiten des Geldes belohnt, während die anderen gleichzeitig mit Risiken und Kosten belastet werden. Das läuft auf eine Art von stetigem Strom oder Transfer von Geldern hinaus, welche von den Bedürftigen und Fleißigen, die die Kosten tragen, hinströmt zu den Satten und Trägen, bei denen die Erträge eintreffen.
     

    4.3  Die Produktion von und die Profite aus monetärer Liquidität

    Wenn niemand Geld annimmt, ist es wertlos für Transaktionen. Geld fungiert nur als Geld, wenn jedermann zuverlässig erwarten kann, daß jedermann das Geld als Medium für ökonomische Transaktionen ausgibt und annimmt. Es genügt daher nicht, daß irgendeine Behörde oder Bank Geld als technisches Zahlungsinstrument ausgibt. Banknoten und Münzen erlangen ihre Liquidität erst dadurch, daß sie ganz allgemein als Geld verwendet werden.

    Man kann das auch so ausdrücken: Das Geld erhält seine ökonomische Liquidität nicht dadurch, daß eine Bank es emittiert, sondern dadurch, daß die Transaktoren Gebrauch davon machen. Geldliche Liquidität wird also produziert durch die Aktivität der Transaktoren, die es benutzen. Die Transaktoren sind die Produzenten der monetären Liquidität.

    Eben diese Liquiditätsproduktion wird jedoch unterbrochen, wenn einzelne Marktteilnehmer das Geld nicht annehmen oder wenn sie es nicht für eigene Transaktionszwecke ausgeben. Und wiederum profitiert genau derjenige, der den Prozeß der Produktion monetärer Liquidität unterbricht: z.B. wenn er, statt sein Geld auszugeben, seine Terminierungsfreiheit genießt, oder wenn er sich für die profitable Option Verleihen statt Kaufen entscheidet. So profitiert der Geldhalter und der Geldverleiher davon, daß die anderen die Liquidität des Geldes überhaupt erst hervorbringen. Deren Kosten sind seine Gewinne; deren negative externe Effekte sind seine positiven internen Effekte.
     
     

    5.  Zinsfreies Geld: Das Netzwerk Neutrales Geld

    - Die Finanzinnovation NeuMoNe -

    Bis hierher mußten wir das herkömmliche Geld mit seinen Wirkungen sorgfältig und anschaulich analysieren, um zu erkennen, inwiefern es tatsächlich ineffizient und ungerecht ist. Jetzt ist die Zeit gekommen um zu zeigen, daß man sich mit dem herkömmlichen Geld nicht mehr länger wie mit einem unveränderlichen Schicksal oder Verhängnis abfinden muß. Neutrales Geld ist denkbar und machbar, und zwar als Netzwerk neutrales Geld: Neutral Money Network (NeuMoNe).
     

    5.1  Das Liquiditätskostenkonzept

    Es gibt verschiedene Wege, dieses neutrale Geld zu erklären. Besonders aufschlußreich ist es, wenn man bei den Optionen und Freiheiten ansetzt, die das Geld dem Geldhalter vermittelt. Diese Freiheiten und Annehmlichkeiten des Geldes hat man in der Ökonomie mit verschiedenen Namen bezeichnet, die alle recht gut geeignet sind, das Phänomen zu veranschaulichen, mit dem wir es zu tun haben: Annehmlichkeiten, Liquiditätsprämie, Gelddienste, Ertrag und Kassehaltung, Produktive Dienste des Geldes, Geldhaltungsnutzen.

    Alle diese Vorzüge des Geldes ergeben sich aus seiner einzigartigen Fähigkeit, als generelles Transaktionsmedium zu dienen sowie aus den damit verbundenen Sicherheiten und Chancen. Doch eben diese Transaktionsfunktion des Geldes wird dadurch unterminiert, daß das Geld die soeben beschriebenen Annehmlichkeiten und Dienste gerade dann kostenfrei vermittelt, wenn man es in der Kasse festhält und daran hindert, seine Transaktionsfunktion zu erfüllen. Diese kostenfreie Macht, durch Zurückhaltung des Geldes ganze Transaktionsserien zu blockieren und von dieser Möglichkeit zu profitieren, macht das Geld ineffizient bzw. suboptimal in bezug auf seine Transaktionsfunktionen. Gerade weil das Geld das Transaktionsmittel schlechthin ist, eignet es sich zur Pfründe, mit welcher der Transaktionsbedarf der Menschen ausgebeutet werden kann.

    Die wertvollen Gelddienste verführen die Individuen dazu, Geld zu halten oder zu verleihen, anstatt es für wertbeständige oder andere Güter auszugeben. Wenn man sich also Gedanken darüber macht, die Dysfunktion des Geldes zu verringern und seine Effizienz zu verbessern, dann gilt es, den oben erwähnten Verteilungseffekt des Geldes zu beseitigen oder zu neutralisieren, kraft dessen die Geldhalter den Nutzen und die etwaigen Erträge aus Geldverleih haben, während die anderen mit den Risiken und Kosten belastet werden.

    Da die Ursachen des Verteilungseffektes, nämlich die Liquiditätsdienste des Geldes, nicht beseitigt werden können, ohne daß man das Geld selbst abschafft, kann sich die Strategie nur darauf richten, den ökonomischen Effekt der wertvollen Gelddienste zu kompensieren, und zwar auf eine extrem einfache Weise. Wenn nämlich das Problem darin besteht, daß das Geld seine Gelddienste kostenlos erbringt, dann lassen sich die einschlägigen Effekte schlicht und einfach dadurch kompensieren, daß dem Geld Kosten angeheftet werden, die genauso lästig sind, wie seine Chancen und Annehmlichkeiten nützlich und ökonomisch wertvoll sind.

    Das Konzept des neutralen Geldes läuft daher einfach darauf hinaus, daß dem Geld Durchhaltekosten oder Lagerhaltungskosten angeheftet werden müssen, um seinen Liquiditätsnutzen auszugleichen. Geldguthaben müssen mit Liquiditätskosten von solcher Höhe verbunden sein, daß die Grenzkosten den Grenznutzen der Geldhaltung kompensieren. Die elementaren Formeln, die dieser Idee zugrunde liegen, kann man schon im 17. Kapitel der Allgemeinen Theorie von John Maynard Keynes finden. Keynes nämlich hat den Effekt solcher Durchhaltekosten schon im einzelnen erörtert. Er hat sogar mäßige Lagerhaltungskosten auf Liquidität in seine Vorschläge für den Internationalen Währungsfonds aufgenommen.
     

    5.2  Wettbewerb zwischen herkömmlichem und neutralem Geld

    Das herkömmliche Geld erfüllt seine Transaktionsfunktionen suboptimal, weil es bei den Transaktoren dysfunktionale Kosten in Gestalt der Geldzinsen zur Folge hat, nämlich Kosten, die bewirken, daß diese Transaktoren entweder mit Geldausgaben belastet werden oder überhaupt von an sich möglichen Transaktionen abgehalten werden. Der Vorteil des Projektes Netzwerk Neutrales Geld liegt also darin, daß es den Transaktoren eine Finanzinnovation bietet, die die herkömmlichen Transaktionsfunktionen des Geldes ohne weiteres, aber bei wesentlich geringeren Kosten erfüllt. Indem den potentiellen Transaktoren monetäre Transaktionsdienste angeboten werden, die preiswerter sind als die des herkömmlichen Geldes, kann man erwarten, daß die Finanzinnovation Netzwerk Neutrales Geld sich im Wettbewerb gegenüber dem herkömmlichen Geld durchsetzt.

    Die bessere Startposition hat freilich das herkömmliche Geld. Es wird bereits von jederman akzeptiert, ausgegeben und als Zahlungsmittel verwendet. Das neutrale Geld dagegen muß erst noch eingerichtet, bekanntgemacht und praktisch in Gebrauch genommen werden. Darüber hinaus sind die Menschen, was das Geldsystem angeht, extrem ängstlich und konservativ. Wie dem auch sei, jedenfalls spricht die Ausbreitung von Barter-Clubs dafür, daß die Geld- und Finanzmärkte sogar eine Lücke für Transaktionsverfahren offen lassen, die in der Einführungsphase noch ineffizienter sind als die Finanzinnovation Netzwerk Neutrales Geld. Diese Finanzinnovation ist nämlich vor allem darin flexibel und den Barterklubs überlegen, daß sie die Möglichkeit bietet, neutrales Geld als Basis für herkömmliches Geld und umgekehrt zu benutzen.

    Die Startphase bleibt freilich die schwierigste, weil das neutrale Geld seine Effizienz solange nicht wirklich unter Beweis stellen kann, wie die Zahl der Teilnehmer so gering ist, daß sie relativ hohe Kosten bei der Suche von Partnern und entsprechend hohe Frustationskosten haben, falls sie sie nicht finden. Aber diese Startschwierigkeiten können ganz wesentlich reduziert werden, wenn z.B. die Stadtkämmerer der Gemeinden vor Ort ihre Bereitschaft erklären, im Netzwerk mitzumachen.

    Die Freigeldprojekte, die im deutschen Schwanenkirchen und im österreichischen Wörgl während der Depression in den 30er Jahren erfolgreich begonnen wurden, bezeugen, daß es nicht unmöglich ist, kostentragendes Geld einzuführen. Ganz im Gegenteil; die damaligen Projekte arbeiteten so gut und drohten sich so schnell auszubreiten, daß sie von seiten der staatlichen Behörden nur durch Verbot unterdrückt werden konnten. Es handelte sich um Noten, deren Rückseite freie Felder für die Monate oder Wochen des Jahres vorsahen, die periodisch mit Gebührenmarken zu bekleben waren. Den Vorwand für die Verbote lieferte die Tatsache, daß seinerzeit Notgeldscheine verwendet wurden, was formal den Gesetzen zuwiderlief.
     

    5.3  Einige technische Einzelheiten

    5.3.1  Neutrales Giralgeld und neutrales Papiergeld

    Die Finanzinnovation Netzwerk Neutrales Geld arbeitet mit Giralgeldkonten. NeuMoNe nutzt die Tatsache aus, daß die Geschäftsbanken Giralgeld schaffen bzw. emittieren dürfen. Deshalb gibt es auch keine technischen Probleme damit, die Teilnehmer mit den jeweiligen Liquiditätskosten zu belasten. Insofern unterscheidet sich das Netzwerk Neutrales Geld entscheidend von den früheren Projekten mit kostentragendem Geld, inbesondere von Irving Fishers berühmtem Stamp Scrip-Vorschlag, mit dem Fisher 1933 in den USA die Arbeitslosigkeit bekämpfen und die Wirtschaft in Schwung bringen wollte. Denn auch das Stamp Scrip-Konzept beruhte auf ähnlichen Noten wie die Projekte von Schwanenkirchen und Wörgl. Trotzdem kann das Buch Stamp Scrip, mit dem Fisher und sein damaliger Assistent Cohrssen sich für kostentragendes Geld eingesetzt haben, heute noch als populäre, anschauliche und praktisch lehrreiche Anleitung für die Einführung von neutralem Geld gelesen und empfohlen werden. Dies gilt erst recht, sobald sich staatliche Instanzen entschließen sollten, neutrales Geld auch in Form von Banknoten in Verkehr zu bringen.
     

    5.3.2  Das NeuMoNe-Konto

    An der Projektgruppe, mit deren Hilfe NeuMoNe auf kommunaler oder regionaler Ebene eingeführt wird, sollten Geschäftsleute, Unternehmer, Gewerkschaften, usw., vor allem aber auch die Kommunen und ihre Stadtkämmerer teilnehmen, je mehr, desto besser. Entscheidend freilich ist, daß eine Bank oder Sparkasse (oder mehrere) mitmachen, und zwar solche Zahlungsinstitute, die tief im örtlichen Zahlungsverkehr verwurzelt sind.

    Es ist nicht erforderlich, daß die Teilnehmer am NeuMoNe-Netzwerk sich unbeschränkt bereiterklären, NeuMoNe an Zahlung statt auf alle ihre Transaktionsaktivitäten zu akzeptieren. Es genügt vielmehr, daß sie ein NeuMoNe-Konto eröffnen und ihre Bereitschaft erklären, zu bestimmten Bedingungen oder auch nur von Fall zu Fall NeuMoNe als Zahlungsmittel zu akzeptieren bzw. zu verwenden. Je umfassender die Bereitschaft, NeuMoNe zu akzeptieren, desto einfacher freilich ist es, dieses Zahlungsmittel auf lokaler oder regionaler Ebene einzuführen und im Wettbewerb durchzusetzen.

    Die NeuMoNe-Bank hat die Chance, neue Kunden anzuwerben, die von der Teilnahme am Netzwerk des zinsfreien Geldes Umsatz- und Gewinnzunahme erhoffen. Kommunen und Unternehmer haben die Chancen, zusätzliche Projekte ohne zusätzliche Zinskosten in Angriff zu nehmen. Normale Konsumenten profitieren z.B., wenn sie in herkömmlichem Geld verschuldet sind und Zinsen zahlen: Sie können ihr laufendes Einkommen zur Schuldentilgung verwenden und so lange von Krediten in NeuMoNe leben, bis sie ihre Schulden ganz auf zinsfreie Kredite umgestellt haben. Die gleiche Möglichkeit steht natürlich auch den Finanzministern und Stadtkämmerern zu, die sich mit Schulden der Öffentlichen Hand herumplagen.

    Der springende Punkt besteht darin, daß die N-Bank ihren Kunden (auf Antrag und im Rahmen ihrer Kreditwürdigkeit) NeuMoNe-Kredite gutschreibt, die zu einem Zinssatz von nahe Null Prozent gewährt werden, bei denen jedoch während der Zeit Liquiditätskosten anfallen, während derer man liquide Posten auf seinem Konto stehen hat. (Herkömmliche Zinsen enthalten in der Regel auch einen Preis für das Rückzahlungsrisiko. Im NeuMoNe-System kann dafür ein zinsähnlicher Preis oder eine einmalige Prämie berechnet werden).

    Im NeuMoNe-System entstehen Geldkosten also nicht eigentlich durch den Kredit, sondern dadurch, daß man liquide (unentschlossen) bleibt. Wenn und soweit der Bankkunde sich entschließt und über sein Guthaben verfügt, so daß es einem anderen Kunden gutgeschrieben wird, befreit er sich von den Liquiditätskosten. Er schiebt gewissermaßen zusammen mit seinem Guthaben auch die Liquiditätskosten auf das Konto des Empfängers. Auf diese Art und Weise trägt jeder Teilnehmer des NeuMoNe-Systems Liquiditätskosten nur für die Zeit, während der er, und in dem Umfang, wie er liquide ist. Unterdessen hat die N-Bank laufende Erträge aus den Liquiditätskosten, die unabhängig davon sind, auf wessen Konten das Guthaben gerade steht. Denn während die Guthaben von Konto zu Konto wandern, folgen ihnen auch die Liquiditätskosten.
     

    5.3.3   Die Re-Finanzierung von NeuMoNe-Krediten

    Bevor freilich die N-Bank den Teilnehmern des NeuMoNe-Systems Kredite in NeuMoNe gutschreiben kann, muß sie sich in der einen oder anderen Weise refinanzieren, also z.B. Depositen einwerben oder Anleihen auf den Finanzmärkten plazieren. Die Erstausstattung für die Initialisierung des NeuMoNe-Systems könnte allerdings auch von der Initiativgruppe selbst aufgebracht werden, die NeuMoNe einführen möchte. (Unberücksichtigt bleibt hier, inwiefern die Geschäftsbanken im Rahmen der Bestimmungen über die Mindestreserven auch ohne Re-Finanzierung die Kompetenz haben, Giralgeld gewissermaßen aus dem Nichts zu schaffen).

    Für das aufgenommene Geld, das zur Re-Finanzierung des neutralen Geldes dient, hat die N-Bank Zinsen zu zahlen. Folglich muß die N-Bank ihren Kunden im NeuMoNe-System auch Liquiditäts- und andere Kosten in dem Umfange berechnen, daß sie auf ihre Kosten kommt und Profite machen kann. Zu diesem Zweck kalkuliert die N-Bank u.a. eine entsprechende Marge zwischen dem Zinssatz der aufgenommenen Gelder einerseits und dem Prozentsatz der Liquiditätskosten andererseits.
     

    5.3.4  Belastung der Kosten im NeuMoNe-System in herkömmlichem Geld

    Im NeuMoNe-System werden im wesentlichen statt der herkömmlichen Zinsen Liquiditätskosten berechnet. Auf diese Weise werden die konventionellen Zinskosten in neuartige Liquiditätskosten verwandelt und das herkömmliche Geld in neutrales Geld transformiert.

    Dabei ergibt sich eine Schwierigkeit: Während der Startphase des NeuMoNe-Systems (solange, wie NeuMoNe das herkömmliche Geld noch nicht verdrängt und ersetzt hat), muß die N-Bank ihre eigenen Verbindlichkeiten zunächst vollständig und später mindestens teilweise in herkömmlichem Geld begleichen. Deshalb muß die N-Bank ihre Kosten und Gebühren bei den NeuMoNe-Kunden ebenfalls in herkömmlichem Geld einfordern. Das führt im Ergebnis dazu, daß im NeuMoNe-Netzwerk die Zahlungen selbst zwar in NeuMoNe abgewickelt werden, daß aber die Kosten und Gebühren zunächst und bis auf weiteres in herkömmlichem Geld belastet werden. Also sollten die Kunden bei der Bank ein weiteres normales Konto für herkömmliches Geld führen.
     

    5.3.5  Symmetrische Liquiditätskosten für positive und negative Bestände auf dem NeuMoNe-Konto

    Hier muß noch eine weitere ungewohnte Besonderheit bedacht werden: Die NeuMoNe-Konten müssen nämlich mit Liquiditätskosten unabhängig davon belastet werden, ob sich die liquiden Posten auf dem Konto im Soll oder im Haben befinden. Ein Argument dafür ist recht leicht einzusehen: NeuMoNe-Transaktoren könnten sonst in liquide Überziehungskredite fliehen und so wiederum eine eigene Terminierungsfreiheit zu Lasten der anderen genießen. Der eigentliche Grund für die Belastung auch von liquiden Negativsalden hängt mit diesem Argument zusammen und kann wie folgt erläutert werden:

    Die früheren Projekte mit kostentragendem Geld basierten auf Papiernoten. Diese Noten ihrerseits repräsentierten immer positive Geldguthaben in der Hand des Betroffenen. Auf NeuMoNe-Konten aber kann man nicht nur positive, sondern auch negative Geldbeträge mit sich herumführen:

    - Positive liquide Posten (Guthaben) repräsentieren, wie beim Papiergeld, die monetäre Chance, das Geld zu einem unbestimmten zukünftigen Zeitpunkt auszugeben (eine Transaktion abzuwickeln). Das ist die Terminierungsfreiheit (timing freedom), von der oben die Rede war: eine Freiheit des Geldhalters, die mit der Unsicherheit anderer, Geld zu erwerben, verbunden ist. Unter neutralem Geld ist diese Terminierungsfreiheit nicht mehr kostenlos zu haben. Sie ist vielmehr mit Liquiditätskosten verbunden, die im Grenzfall so kostspielig wie die Gelddienste nützlich sind.

    - Negative liquide Posten (Debitsalden) repräsentieren, anders als Papiergeld, die negative monetäre Erwartung, die reziprok der positiven entspricht, nämlich die Erwartung, zu einem unbestimmten zukünftigen Zeitpunkt Geld zu erwerben, um die Schuld zu tilgen.

    Unter neutralem Geld darf es keine Rolle spielen, woher die Unsicherheiten für die anderen Wirtschaftsteilnehmer kommen: ob sie daher rühren, daß jemand sein Guthaben nicht ausgibt, oder daher, daß jemand kein Geld zum Ausgleich seines Debitsaldos annimmt. Folglich müssen negative Salden ebenso mit Liquiditätskosten belastet werden wie positive. Es kommt insoweit nur auf die absolute Abweichung von der Null-Linie an. Übrigens hat Keynes, in seinen sogenannten Keynes-Proposals für die internationale Währungsunion, solche symmetrischen Liquiditätskosten für die Konten der Mitglieder beim internationalen Währungsfonds vorgeschlagen.
     

    5.3.6  Die Vermeidung der Liquiditätskosten

    Teilnehmer des NeuMoNe-Systems können Liquiditätskosten auf unterschiedlichen Wegen vermeiden, und zwar auf Wegen, die aufschlußreich sind im Hinblick auf die charakteristischen Unterschiede zwischen Theorie und Praxis einerseits des herkömmlichen und andererseits des neutralen Geldes.

    Um kostspielige Positivsalden auf dem Konto zu reduzieren, können die Kunden sich ihres NeuMoNe-Geldes entäußern, indem sie gekaufte Güter bezahlen oder indem sie es verleihen, sei es an Dritte, sei es an die NeuMoNe-Bank selbst. So können sie z.B. ihr Guthaben auf ein NeuMoNe-Sparbuch der NeuMoNe-Bank übertragen. Dieses Sparen bedeutet dann nicht mehr so sehr, daß sie Konsumverzicht leisten, als vielmehr, daß sie ihre Unentschlossenheit aufgeben und für ihr entschlossenes Verhalten durch Entlastung von den Liquiditätskosten belohnt werden. So wie bisher positive Zinsen zum Sparen verführten, so motivieren unter neutralem Geld die Liquiditätskosten zur Optimierung von Lagerhaltung in realen Gütern und Kassenhaltung.

    Um kostspielige Negativsalden zu reduzieren, können NeuMoNe-Teilnehmer sich durch Verkauf von Gütern Geld beschaffen oder sich NeuMoNe-Geld von Dritten oder von der N-Bank selbst leihen. So besorgen sie sich z.B. einen festen NeuMoNe-Kredit von der N-Bank, um ihren liquiden NeuMoNe-Saldo auf dem NeuMoNe-Girokonto auszugleichen. Auch dies bedeutet nicht, daß sie sich Finanzkapital besorgen, sondern daß sie ihre Unentschlossenheit beenden und dafür wiederum durch Entlastung von Liquiditätskosten belohnt werden.

    Man sieht: Wir müssen gründlich umlernen und umdenken, bis wir uns an die Konsequenzen eines neutralen Geldes gewöhnt haben und erkennen, daß nicht die neuen und ungewohnten Vorstellungen, sondern Implikationen des herkömmlichen Geldes ökonomisch unsinnig sind.
     

    5.3.7  Wechseln von herkömmlichem Geld zu NeuMoNe und umgekehrt

    NeuMoNe ist insbesondere darin flexibel, daß es einem ermöglicht, herkömmliches Geld in NeuMoNe-Guthaben und umgekehrt zu verwandeln.

    Positive NeuMoNe-Guthaben können selbstverständlich nicht direkt in den gleichen Betrag herkömmlichen Geldes verwandelt werden. Diese Möglichkeit würde das System ruinieren. Die NeuMoNe-Kunden können jedoch ihr NeuMoNe-Guthaben z.B. auf NeuMoNe-Sparguthaben einzahlen oder NeuMoNe-Anleihen kaufen, um Liquiditätskosten zu vermeiden und um auf diese Weise der Bank Sicherheiten zu überlassen, auf deren Grundlage sie dann konventionelle Kredite ziehen können, für die dann freilich auch Zinsen zu zahlen sind.

    Umgekehrt wird ein Kunde, der eine Schuld in NeuMoNe begleichen muß, aber nur über herkömmliches Geld verfügt, sein Geld nicht auf einem NeuMoNe-Konto einfach deponieren, um dann durch Überweisung zu zahlen. Er wird das herkömmliche Geld vielmehr bei der Bank anlegen, um dann einen NeuMoNe-Kredit zu bekommen, mit dessen Hilfe er anschließend seine NeuMoNe-Schuld begleicht.

    Auf diese Weise können Kunden mit herkömmlichem Geld von den Margen zwischen herkömmlichem Geld und NeuMoNe profitieren, ohne das NeuMoNe-System zu gefährden. Im Gegenteil: Die Chance, daß Inhaber herkömmlichen Geldes insoweit von den Margen zwischen den Zinsen für herkömmliches Geld und den Kreditkosten von NeuMoNe profitieren können, prädestiniert NeuMoNe dazu, sich im Wettbewerb durchzusetzen. Denn sogar Inhaber herkömmlichen Geldes entwickeln als Transaktoren ein Interesse daran, ihre Geschäftspartner dazu zu überreden, Zahlungen in NeuMoNe zu akzeptieren. Eben dadurch aber tragen sie mittel- und langfristig dazu bei, daß die Nachfrage auf den herkömmlichen Geld- und Kapitalmärkten nach Liquidität und Kredit zurückgeht, während das Angebot steigt, - daß also, mit anderen Worten, auch beim herkömmlichen Geld der Zins sinkt und sich die Marge verringert, die die Inhaber herkömmlichen Geldes ausnutzen können.

    Je stärker sich das NeuMoNe-Netzwerk ausbreitet, desto größer sind die Chancen der teilnehmenden Banken, sich auch in NeuMoNe zu reliquidisieren, statt die traditionellen Geld- und Finanzmärkte in Anspruch zu nehmen. Schließlich werden sich dann auch, so wie es jetzt Devisenmärkte gibt, Märkte entwickeln, auf denen herkömmliches Geld gegen NeuMoNe und umgekehrt gehandelt wird. Der Preis des herkömmlichen Geldes in NeuMoNe wird dann den Nennwert des herkömmlichen Geldes übersteigen, und zwar deshalb, weil das herkömmliche Geld als ideale kostenlose Liquiditätsreserve fungieren kann, für die es sich lohnt, einen geringen Aufpreis zu zahlen. Die Zentralbank wird dafür sorgen, daß die Mengen herkömmlichen Geldes, die als derartige Liquiditätsreserve gehalten werden, sich in solchen Grenzen halten, daß von ihnen keine Gefahren für die Volkswirtschaft ausgehen.
     

    6.  Drei typische Einwände gegen neutrales Geld

    In Gesprächen über neutrales Geld werden üblicherweise drei bestimmte Einwände gegen das neutrale Geld erhoben, - Einwände, die durchaus überzeugend klingen, solange man sich mit seinen Vorstellungen in Theorie und Praxis des herkömmlichen Geldes bewegt. Es ist, und es war für mich, unmöglich, das gesamte Denken in Kategorien des herkömmlichen Geldes auf einmal umzuschalten auf die Zusammenhänge und Einsichten, die sich in einer Welt neutralen Geldes ergeben. Wie schon erwähnt, ist es schwierig, an der Effizienz unseres überlieferten Geldes überhaupt auch nur zu zweifeln. Noch schwieriger ist es, diese Ineffizienz tatsächlich zu begreifen und - wenigstens in der Theorie - eine monetäre Transaktionstechnik zu entwickeln, die die beobachteten Ineffizienzen vermeidet. Aber selbst wenn das gelungen ist, bewegt man sich noch lange nicht innerhalb der neuen Welt des neutralen Geldes. Die herkömmlichen Sichtweisen, Erwartungen und Verhaltensweisen sind noch in Kraft und arbeiten in uns. Sie suggerieren aus Zweifel über Zweifel an den neuen Konzepten, - Zweifel, die auf Erfahrungen im Umgang mit dem herkömmlichen Geld und auf den Theorien beruhen, die das herkömmliche Geld zugrundelegen, - Zweifel, die aber, wie sich zeigt, in der Regel auf Täuschungen beruhen und sich als ungerechtfertigt erweisen.
     

    6.1  Ohne Zinsen wird nicht mehr gespart

    Der erste typische Einwand ist: Wer wird denn noch sparen, wenn er keine Zinsen mehr bekommt?

    Die Antwort ist einfach: Jeder, der sich über seine Zukunft Gedanken macht, neigt dazu, seine monetären Zugriffsrechte auf das Sozialprodukt optimal über seine Lebenszeit zu verteilen, und zwar so, daß er auch in Zukunft seinen erwarteten Lebensstandard aufrecht erhalten kann, auch wenn er dann keine Einkünfte mehr zu erwarten hat. Wenn jedoch solche Individuen, die sich Gedanken über ihre Zukunft machen, Zinsprämien für Transaktionsaufschübe erhalten, dann werden sie dazu motiviert und verführt, in der Gegenwart weniger und in der Zukunft mehr zu konsumieren, als es der unverfälscht-optimalen Verteilung ihrer realen Bedürfnisse entspricht. Und umgekehrt, wer mit Zinskosten dafür bestraft wird, wenn er in der Gegenwart Transaktionen abwickelt, um zu produzieren oder zu konsumieren, - auch der wird durch diese Zinsstrafe dazu motiviert und verführt, von seinen Optimalvorstellungen abzuweichen, nämlich weniger zu produzieren bzw. zu konsumieren, als er ohne Zinslasten produzieren oder konsumieren würde.

    Es stimmt eben schlicht und einfach nicht, daß Zinsen der Produktion förderlich sind, weil sie zum Sparen anregen; Zinsen wirken vielmehr ganz allgemein sowohl den Konsum- als auch Produktionsaktivitäten in der Gegenwart entgegen, weil sie in jedem Falle die Transaktionsträgheit des Sparers belohnen und die Transaktionsaktivitäten von Unternehmern bzw. Konsumenten bestrafen. Die Zinseffekte laufen also auf die Bestrafung von Fleiß, Initiative und Aktivität hinaus, statt daß sie Produktivität prämieren würden! Es ist schon eigenartig, wie lange und wie gründlich Laien und Fachleute sich darüber getäuscht haben. Zinsen haben einen Abschreckungs- und Erdrosselungseffekt in bezug auf Produktion und Konsum. So werden z.B. alle Investitionen, die in realen Größen an sich noch profitabel wären, deren Erträge aber den monetären Standard der Zinserträge aus angelegtem Geld nicht erreichen, durch die künstlichen Transaktionskosten des monetären Systems blockiert.

    Im übrigen werden Geldhalter unter neutralem Geld durch die Liquiditätskosten nicht weniger zum Geldverleihen motiviert als heute durch die Zinsen. Die Frage: Wer wird denn noch sparen, wenn er keine Zinsen mehr bekommt? deutet daher eher darauf hin, daß der Frager noch nicht im NeuMoNe-System denken kann. Eher wäre zu fragen: Lohnt es denn noch zu arbeiten, wenn das Geld, das man verdient, nicht auch noch selbst wieder Geld verdienen kann?

    Auch darauf ist die Anwort einfach: Es lohnt sich durchaus, so lange zu arbeiten, wie man noch reale Gegenwarts- und Zukunftsgüter braucht. Wer will, mag auch um der schieren Vermögensanhäufung willen weiterschuften. Aber Menschen durch Zinsen dazu zu motivieren, Vermögensmassen zu bilden, nur um den Transaktionsbedarf der anderen zur Pfründe für sich selbst zu machen, mag zwar kapitalistisch verlockend sein, ist aber ökonomisch unsinnig und ethisch verwerflich.

    Wer unter neutralem Geld Ausgaben erspart, weil er keine Zinsen mehr zahlt, kann die ersparten Zinsen für andere Zwecke verwenden. Er mag dieses Geld sparen, indem er damit Ansprüche auf Zukunftsgeld kauft. Oder er gibt es für andere Gegenwarts- oder Zukunftsgüter aus. Da Individuen, die Geld leihen, dieses Geld normalerweise für Gegenwartsgüter brauchen, werden sie die unter neutralem Geld eingesparten Zinsen in erster Linie verwenden, um solche Güter zu erwerben. Konsumenten werden also mehr Konsumgüter, Produzenten mehr Investitionsgüter nachfragen als heute.

    Andererseits werden wohlhabende Geldbesitzer weniger oder keine Zinsen mehr bekommen. Also können sie weniger Geld ausgeben. Die Nachfrage nach den von ihnen begehrten Gütern und Kapitalien wird daher nachlassen. Da es sich bei ihnen typischerweise um wohlhabende Menschen handelt, die über entbehrliche Gelder verfügen, werden sie unter neutralem Geld nach wie vor dazu neigen, ihr Geld zu sparen, und zwar in der Form, daß sie Ansprüche auf Zukunftsgeld erwerben; denn mehr Realgüter anzuhäufen, wird schnell unrentabel, weil bei sinkendem Grenznutzen die steigenden Grenzkosten bald zu Negativerträgen zusätzlicher Realgüter führen. Unter neutralem Geld wird es daher gerade auch für wohlhabende Menschen profitabel sein, ertrags- und kostenlose Obligationen zu erwerben anstelle von zusätzlichen Gütern, bei denen die Grenzkosten den Grenznutzen übersteigen. Soweit sie freilich Realgüter finden, die praktisch ohne Kosten gelagert werden können und dabei ihren Wert behalten oder sogar im Wert steigen, werden Reiche solche Güter nachfragen. Die nicht vermehrbaren Güter werden verstärkt gesucht werden und im Preis steigen, wenn man nicht bei ihnen ähnlich wie beim neutralen Geld das bloße Haben ohne persönliche Nutzung kostspielig macht. Aufschlußreich ist auch, was bei Kunstwerken zu erwarten ist: Schon allein der ästhetische Ertrag, den Kunstwerke abwerfen, wird dazu führen, daß sie sich bei sonst gleichen Bedingungen gegenüber ertraglosen Obligationen im Wettbewerb um die Gunst der reichen Geldanleger häufig durchsetzen werden.
     

    6.2 Wird es ohne Zinsen noch genug Kapital geben?

    Ein zweiter, mit dem ersten eng verwandter Einwand ist: Wenn Geldanlagen keine Zinsen mehr einbringen, dann wird es einen Mangel an Finanzkapital und folglich einen Mangel an Produktionskapital geben.

    Wie aber soeben ausgeführt wurde, steht Finanzkapital für Erträge, die die Effizienz des Geldes als Transaktionskatalysator unserer Wirtschaft nicht verbessern, sondern stören und vermindern. Das gleiche gilt von Kapital, soweit der Terminus für die Erträge vermieteter oder verpachteter oder sonstiger fremdgenutzter Realgüter steht: Die fleißigen Nutzer dieser Güter können deren Nützlichkeit nicht zum Leben erwecken, es sei denn, daß sie den Eigentümern Erträge bringen, die, grob gesagt, den Zinsen entsprechen, die die Nutzer zu zahlen hätten, wenn sie diese Güter nicht mieten oder pachten oder sonst fremdnutzen, sondern kaufen würden. Es gehört zum Widerstand in den Köpfen, daß wir an die Produktivität des Kapitals glauben. Diese angebliche Produktivität des Kapitals erschöpft sich jedoch darin, ein Ansporn für Inaktivität (auf der Angebotsseite) und eine Strafe für Aktivität (auf der Nachfrageseite von Kapital) zu sein. Folglich ist Finanzkapital in Wahrheit nichts anderes als erstens der Ausdruck, mit dem wir eine begriffliche Selbsttäuschung bezeichnen, und zweitens der Ausdruck für die ideologische Legitimation einerseits der Ineffizienz unseres Geldes und andererseits der sozialen Ungerechtigkeit, die es mit sich bringt. Wir leiden unter einer fatalen kapitalistischen Täuschung, welche uns vorgaukelt, daß die kontraproduktiven Effekte von Kapital etwas Nützliches und Produktives seien.

    Das physische Kapital freilich (im Sinne realer Produktionsmittel), mit dessen Hilfe man wirklich effektiver zu produzieren vermag, kann billiger und daher schneller unter neutralem Geld gebildet werden als heute: Unternehmer bekommen Kredite so gut wie zum Nulltarif, und Konsumenten werden nicht durch Zinsen davon abgehalten, so viel ihres Lebenseinkommens in die Gegenwart zu holen, wie ihnen optimal erscheint. Die Konjunktur würde mithin sowohl auf der Angebotsseite, bei den Investitionen, als auch auf der Nachfrageseite, beim Verbrauch, von Kostenbremsen befreit. Realkapital wird nicht mehr künstlich knapp gehalten durch die ungesunde Konkurrenz mit dem Geldzins (Keynes).

    Es gäbe also unter neutralem Geld alsbald mehr Realkapital als unter unserem dysfunktionalen alten Geld. Um auf die Ausgangsfrage dieses Abschnittes zurückzukommen: Heute gibt es einen Mangel an Sachkapital, weil Geld Zinsen kostet.
     

    6.3 Preisbildung und Allokation unter neutralem Geld

    Der dritte Haupteinwand ist: Wenn man für Kredite keine Zinsen mehr zahlen muß, dann kann man sich ja unendliche Geldmengen borgen. Das ist absurd und zeigt die Absurdität der Idee von neutralem Geld. Es sind die Zinsen, und es werden immer die Zinsen sein, die als Preis dafür sorgen, daß die finanziellen Ressourcen und damit indirekt auch die realen Ressourcen richtig alloziert werden. Wiederum ist die Antwort sehr einfach. Sie zu verstehen, setzt freilich ein Minimum von Einsicht in elementare ökonomische Zusammenhänge voraus:

    Wenn die Nachfrage nach Transaktionen für bedürftige Menschen nicht mehr länger durch Zinskosten beschränkt wird, dann reagieren die Preise, die im Zug dieser Transaktionen vereinbart und gezahlt werden, sensibler auf den realen Bedarf dieser Transaktoren. Die Allokation von Ressourcen wird unter neutralem Geld mit einem Zinssatz in der Nähe von Null Prozent nicht schlechter, sondern sie wird besser!

    Und umgekehrt: Wenn Transaktionsmöglichkeiten wohlhabender Individuen nicht mehr durch Zinserträge künstlich subventioniert und angespornt werden, auch dann werden wiederum die realen Bedürfnisse sowohl der Verleiher als auch der Leiher von Geld sensibler und adäquater in den Preisen direkt gespiegelt als unter den Bedingungen eines zinsträchtigen Geldes. Die Allokation von Ressourcen wird unter neutralem Geld nicht schlechter, sondern sie wird besser!

    Und alles dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf die Gegenwartspreise zukünftiger Güter.

    Unter dem Regime des herkömmlichen Geldes werden also die Preise der Güter durch monetäre Bestrafung oder Subventionierung der Transaktoren verfälscht, und zwar so, daß die Güter für die Wohlhabenden billiger, kostenlos oder sogar ertragreich und für die Bedürftigen teurer oder sogar unerreichbar werden. Neutrales Geld dagegen wirkt transparent: Unter dem Regime neutralen Geldes werden die realen Bedürfnisse auf unverfälschte Weise in den Preisen reflektiert, und zwar so, daß die Bedürftigen die Chance erhalten, Güter wenigstens zu gleichen Bedingungen zu erwerben wie die Reichen, und daß die Reichen erfahren können, wie es ist, wenn man leben muß, ohne ständig monetär subventioniert zu werden.

    Wenn aber die Preise die realen Bedürfnisse adäquater reflektieren, dann ist auch automatisch die Allokation der Ressourcen besser organisiert. An die Stelle der kontraproduktiven Allokation, die durch den Preis des Geldes (durch die Zinsen) bewirkt wird, tritt die wesentlich effizientere Allokation durch die Güterpreise selbst.

    In dem Maße, wie die Zinssubventionierung reicher Vermögenshalter unter neutralem Geld gegen Null tendiert, wird die Anhäufung von Sachgütern kostspielig, statt ertragreich zu sein. Denn die Grenzkosten steigen bei gleichzeitig sinkendem Grenznutzen. Diese realen Grenzkosten begrenzen dann die Menge der Güter, die zu halten sich rentiert. Es ist unter neutralem Geld daher vollkommen unsinnig, sich beliebig Kredite zu besorgen; denn die Güter, die man alsbald damit erwerben muß, um den Liquiditätskosten zu entgehen, bringen im Grenzfall bald mehr Kosten als Nutzen. Absurd ist mithin nicht das neutrale Geld mit seinen Wirkungen. Absurd ist vielmehr das überlieferte Geldsystem selbst. Denn es verführt und spornt die Menschen dazu an, Güter anzuhäufen: Güter, die, in realen Größen, einen negativen Grenznutzen für sie hätten, die sie aber in kapitalistische Pfründen verwandeln können, weil sie anderen, für welche der Grenznutzen positiv ist, vorenthalten und nur zeitweise zum Gebrauch überlassen werden.

    Außerdem, um noch einmal auf die unendlichen Geldmengen aus Krediten zum Nulltarif zurückzukommen: Wer oder welche Bank ist bereit, einem Bürger mehr zu leihen, als er jemals zurückzahlen kann? Das Ausfallrisiko ist die reale Begrenzung der Kredite überhaupt.


    Literatur

    Fisher Irving, 1933, assisted by Hans R. L. Cohrssen and Herbert W. Fisher, Stamp Scrip, New York: Adelphy Company,

    Gesell, Silvio, 1929, The Natural Economic Order, Berlin: Neo-Verlag, (auf deutsch, Natürliche Wirtschaftsordnung, 4. Auflage, erschienen in den Gesammelten Werken, Band 11, Gauke Verlag GmbH 1991),

    Kennedy, Margrit, 1990, Geld ohne Zinsen und Inflation, Steyerberg: Permakultur Publikationen (vergriffen, jetzt erschienen in 2. Auflage im Goldmann Verlag München 1992, Taschenbuch Nr. 12341),

    Keynes, John Maynard, 1936, The General Theory of Employment, Interest and Money, London: Verlag Macmillan (1961),

    Suhr, Dieter, 1983, Geld ohne Mehrwert, Frankfurt: Fritz Knapp Verlag,

    Suhr, Dieter, 1989, The Capitalistic Cost-Benifit Structure of Money, Berlin, Heidelberg, New York: Springer Verlag,

    Suhr, Dieter, und Hugo Godschalk, 1986, Optimale Liquidität, Frankfurt: Fritz Knapp Verlag.


    1. Der Artikel von Professor Dr. Dieter Suhr ist veröffentlicht in der Zeitschrift "Fragen der Freiheit" Nr. 228, S. 32 ff., und zu beziehen beim Seminar für freiheitliche Ordnung, Badstr. 35, D-73087 Bad Boll, Tel. 07164/3573.

    This article of Professor Dr. Dieter Suhr is published in the Journal "Fragen der Freiheit (Questions of Liberty)" No. 228, page 32 till page 64, and can be ordered at Seminar fuer freiheitliche Ordnung, Badstr. 35, D-73087 Bad Boll, Germany, Tel. 0049/7164/3573.


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