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Auszug aus:
Margrit Kennedy: Geld ohne Zinsen und Inflation
Ein Tauschmittel, das jedem dient
Wilhelm Goldmann Verlag, München 1994
ISBN 3-442-12341-0
DM 14,90

(Stand: 3.4.1996)


KAPITEL 3: WER PROFITIERT VON ZINS- UND INFLATIONSFREIEM GELD?

Der Durchbruch zu individuellem und sozialem Wandel scheint sich aus zwei grundsätzlich verschiedenen Beweggründen zu ergeben:

Erstens: Weil aufgrund eines bestimmten Verhaltensmusters mit großer Sicherheit ein negatives Ergebnis zu erwarten ist und es das Ziel sein muß, diesen Zusammenbruch zu verhindern.

Zweitens: Weil ein anderes Verhaltensmuster angemessener erscheint, um ein erwünschtes Ziel zu erreichen.

Die im letzten Kapitel vorgeschlagene Änderung des Geldsystems könnte aus einem oder beiden der oben angeführten Gründe geschehen:

In der Vergangenheit wurde das krebsartige Wachstum von Geld und damit Macht in den Händen einer immer kleineren Gruppe von Menschen durch gesellschaftliche Revolutionen, Kriege oder ökonomische Zusammenbrüche "gelöst". Heute sind diese Lösungen nicht mehr anwendbar. Einerseits macht das vielfache Potential zur globalen Zerstörung eine gewaltsame Lösung unannehmbar, zum anderen sind alle Nationen in einem bisher nie erreichten Grade voneinander wirtschaftlich abhängig. Wir sind gezwungen, eine neue Lösung zu finden, wenn wir überleben wollen.

Nach Aussage vieler Wirtschafts- und Bankfachleute war der Börsenkrach 1987, bei dem innerhalb weniger Tage ein Verlust von 1,5 Milliarden Dollar hingenommen werden mußte, nur ein kleiner Vorgeschmack von dem, was uns bei einer erneuten weltweiten Wirtschaftsdepression bevorstünde - wenn wir das System nicht innerhalb der nächsten Jahre grundlegend ändern. Das Geldsystem umgestalten bedeutet eine Möglichkeit, eine solche Katastrophe zu vermeiden.

Ob wir nun erkennen oder nicht: jedes exponentielle Wachstum führt zu seiner eigenen Zerstörung. Darüber hinaus sind die Vorteile der Einführung des Neutralen Geldes im Hinblick auf soziale und ökologische Gerechtigkeit offensichtlich.

Dennoch, das Hauptproblem bei jedem Transformationsprozeß liegt nicht so sehr darin, daß wir lieber in der alten Situation beharren wollen oder daß wir die Vorteile unseres neuen Zieles oder Weges nicht erkennen, sondern darin, die Frage zu beantworten: Wie können wir von hier nach dort gelangen? Wir wissen um die Gefahren, die uns hier drohen, aber können wir ausschließen, daß das neue System nicht andere, vielleicht schlimmere Folgen hätte?

Um uns die Beantwortung der Frage zu erleichtern, will ich versuchen darzustellen, wie die Transformation des Geldsystems die Ziele der verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen unterstützt: der Reichen und der Armen, der Verantwortlichen in den Regierungen und einzelner Menschen, Minderheiten und Mehrheiten, Industrieller und Umweltschützer, materiell orientierter und spirituell orientierter Menschen.

Bis zu diesem Punkt bezieht sich unsere Analyse auf Tatsachen und Zahlen, die jeder nachprüfen kann. Von nun an werden es Annahmen sein, die auf Erfahrungen in der Vergangenheit beruhen. Die Verläßlichkeit solcher Voraussagen sollte durch Erfahrungen im heutigen wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhang überprüft werden. Deshalb erhebt sich folgende Frage: Was könnte ein Gebiet oder ein Land dazu bewegen, sich als Versuchsfeld für eine neue Geldordnung zur Verfügung zu stellen?

DAS LAND ODER DIE REGION, DIE MIT DER GELDREFORM BEGINNT

Wenn unsere Analyse bis jetzt richtig war, dann würde die vorgeschlagene Lösung hauptsächlich folgende Vorteile bieten:

- Überwindung der Inflation und der zinsbedingten Einkommensumverteilung

- Zuwachs an sozialer Gerechtigkeit,

- Verminderung der Arbeitslosigkeit, 30 - 50% geringere Preise für Güter und Dienstleistungen,

- Überwindung des Wachstumszwangs

- langfristig eine stabile auf qualitative Veränderung zielende Wirtschaft, nachdem die materiellen Bedürfnisse befriedigt sind.

Wenn die Zinszahlungen bei Investitionen und in der Produktion gegen Null fielen, sänken nicht nur die Preise für die Güter und Dienstleistungen in dem betreffenden Land bzw. der jeweiligen Region, die das Neutral-Geld-System einführt, sondern es würde auch auf dem nationalen oder auf dem Weltmarkt ein gewaltiger Vorteil entstehen. Produkte und Dienstleistungen könnten um den Betrag des jeweils aktuellen Zinssatzes billiger verkauft werden. Außerdem würde sich die Nachfrage von den Zinsbeziehern zu den Wertbeschaffenden verlagern. Das könnte möglicherweise vorübergehend eine verstärkte Nachfrage nach Konsumgütern zur Folge haben. Im gleichen Umfang würde jedoch auch die Nachfrage nach Großprojekten, die heute vom Großkapital ausgeht, zurückgehen. Von den Möglichkeiten abgesehen, solche Nachfrageschübe durch ein Umwelt-Steuersystem (s.o.) einzugrenzen, ist dabei folgendes zu beachten:

Viele Produkte und Dienstleistungen, die augenblicklich nicht gegen die Einträglichkeit von Geldinvestitionen auf dem Geldmarkt konkurrieren können, würden jetzt plötzlich realistisch. Darunter fielen ökologische Produkte, soziale Projekte und künstlerische Tätigkeiten, für die es nur erforderlich ist, daß sie sich selbst tragen, weil sie für die Menschen befriedigend sind. Es ergäbe sich eine in höherem Grade diversifizierte und damit stabilere Volkswirtschaft, die alles andere als bedrohlich für die Umwelt ist. Die Beschäftigtenzahlen würden in diesem wirtschaftlichen Aufschwung steigen, Aufwendungen für Sozialleistungen sinken, Bürokratismus schwinden und die Steuerbelastung zurückgehen.

Bei der Erprobung in einer bestimmten Region (wie es z.B. in Wörgl der Fall war) würden zwei Geldsysteme bestehen. Mit Neutralem Geld könnten alle Dienstleistungen und Waren ausgetauscht werden, die in dieser Region erzeugt werden. Mit dem üblichen Geld müßte weiterhin alles bezahlt werden, was von außerhalb der "Versuchsregion" eingekauft wird. Für die Übergangszeit gelten bestimmte Regeln des Austauschs und ein fester Wechselkurs 1:1. Die Region würde ähnlich wie eine Freihandelszone funktionieren, wo statt zollfrei zinsfrei produziert und gehandelt werden kann.

Nach der Regel von Gresham verdrängt "schlechtes Geld" "gutes". "Neutrales Geld" ist nach dieser Definition - "schlechtes " Geld, weil es im Gegensatz zum jetzigen Geld einer Benutzungsgebühr unterliegt. Die Menschen würden, wann immer möglich, mit dem schlechten Geld bezahlen und das gute Geld behalten. Auf diese Weise würde Neutrales Geld so oft wie möglich benutzt, und genau das ist die Absicht. Das alte Geld wird behalten und nur noch dann benutzt, wenn es unvermeidbar ist. Wenn wir das vorgeschlagene Neutral-Geld-System anfänglich im Rahmen eines Experiments nur in einem Gebiet einfuhren, so könnte das in Koexistenz mit dem gegenwärtigen Geldsystem geschehen, bis sich sein Nutzen bewiesen hätte.

Bei Ausweitung des Versuchs auf das gesamte Land würde der Außenhandel in unveränderter Weise fortbestehen. Nach wie vor gäbe es eine gewöhnliche Wechselkursrate, jedoch würde Neutrales Geld als das "stabilere Geld" vergleichsweise höhere Kurswerte im Jahresdurchschnitt erzielen, da es im Gegensatz zu anderen Währungen nicht der Inflation unterläge. Deshalb könnten Investitionen in Neutral-Geld im Vergleich zu fluktuierenden Währungen, wie beispielsweise dem Dollar, durchaus vorteilhaft sein.

POLITIKER UND BANKEN

In den meisten Ländern liegt das Monopol, Geld zu drucken, bei der Zentralregierung. Deshalb müßte die offizielle Erprobung eines neuen Geldsystems, wenn es Bargeld miteinschließt, von der Zentralbank bzw. der Regierung genehmigt oder unterstützt werden. Bei einer Beschränkung auf Buchgeld ist das, wie im Kapitel 5 geschildert wird, nicht nötig.

Offensichtlich würde der Versuch, ein zinsfreies Geld einzufuehren, von höchster politischer Bedeutung sein. Es erforderte Mut, von seiten der Regierenden, zuzugeben, daß das bisherige höchst ungerechte System so lange toleriert wurde. Andererseits ist es für die meisten Menschen tatsächlich sehr schwer zu verstehen, warum es besser ist, auf das Geld eine "Gebühr" zu erheben, als das Zahlen von Zinsen zuzulassen.

Zur Zeit werden Regierungen, Politiker, Banken und die Wirtschaft für die meisten Probleme verantwortlich gemacht, die durch den grundsätzlichen Fehler im Geldsystem hervorgerufen werden. Ihre Antworten: Symptombehandlung und Zwischenlösungen, wie teilweiser Schuldenerlaß, Umschuldung, temporäre Zuschüsse, um die schlimmsten sozialen Folgen zu mildern. In Wahlkampagnen finden wir die regelmäßigen Versprechen, der Inflation entgegenzuwirken, die sozialen Dienstleistungen zu verbessern und ökologische Belange und Schutzmaßnahmen zu unterstützen. Das ist zusammengenommen im heutigen Geldsystem unmöglich.

In Wahrheit kämpfen alle "mit dem Rücken zur Wand". Statt sich zu verbessern, wird die Situation in dem Maße schlechter, in dem wir dem beschleunigenden Teil der exponentiellen Wachtumskurve des Geldsystems näher kommen. Statt Verbesserungen im sozialen und ökologischen Bereich, werden diese von Haushaltskürzungen zuerst betroffen. Sowohl für konservative als auch für progressiv orientierte Politiker bleibt im gegenwärtigen System nur wenig Raum für wirkliche Veränderung.

Einer der wenigen deutschen Politiker, die das nicht nur wissen, sondern auch versucht haben, geldpolitische Veränderungen zu erreichen, ist Klaus von Dohnanyi, langjähriger Bürgermeister von Hamburg. In seiner Regierungserklärung am 23.2.83 sagte er: "Wenn wir die öffentliche Verschuldung in den kommenden Jahren in Bund, Ländern und Gemeinden wie bisher weiter ansteigen lassen, dann werden wir, und zwar auch bei weiter sinkenden Zinsen, nicht nur den Spielraum für zusätzliche Maßnahmen verlieren, sondern dann wird uns auch der Atem für die Fortführung der bisherigen Politik ausgehen"... "Die zunehmende Kreditfinanzierung der öffentlichen Haushalte wirft heute in erster Linie zwei Probleme auf: Einmal die Belastung zukünftiger Haushalte mit Zinsen und Tilgungen, und zum anderen die unerwünschten Verteilungsfolgen, die zugunsten der Geldkapitaleigner damit zwangsläufig verbunden sind." (20). Er schlägt deshalb zins- und tilgungsfreie Notenbankkredite an Bund und Länder vor, um soziale und ökologische Maßnahmen ohne die volkswirtschaftlich unsinnige und unzumutbare Belastung der Haushalte von morgen möglich zu machen.

Abbildung 8

Aus Abbildung 8 wird deutlich, wie in einer hochgradig diversifizierten Wirtschaft jeder Bereich eng mit dem anderen verbunden ist. Kürzungen in einem Teilbereich ziehen unweigerlich Folgen in dem System als Ganzem nach sich. Wenn die Geldvermögen und Gesamtschulden wachsen oder der Zinssatz ansteigt, so fließt denen mehr Geld zu, deren Reichtum aus Geld besteht (Abb. 8, Kreislauf 1). Gleichzeitig steht der arbeitenden Bevölkerung weniger Geld für ihre Bedürfnisse zur Verfügung. Dies wiederum hat Folgen für den Arbeitsmarkt, das Steueraufkommen und die Umwelt (Abb. 8, Kreislauf 2 und 3). Eine Volkswirtschaft, die sich höher verschuldet, um sinkende Einnahmen zu kompensieren, muß unweigerlich die "Problemkette" verstärken. Das Neutral-Geld-System hingegen könnte sowohl das Schuldenwachstum in der Volkswirtschaft vermindern wie die weitere Konzentration des Geldes durch den Zinsmechanismus verhindern und einen stabilen Austausch von Gütern und Dienstleistungen auf einem freien Markt gewährleisten.

Sollte uns die Situation in den industrialisierten Ländern noch annehmbar erscheinen, so empfiehlt sich ein Blick auf die Länder der dritten Welt, die am meisten unter den Auswirkungen des heutigen Systems leiden. Auf der einen Seite erhöhen die großen amerikanischen und deutschen Banken ihre Rücklagen, um auf den finanziellen Bankrott ihrer Schuldner in den Entwicklungsländern vorbereitet zu sein, auf der anderen Seite importieren die Industriestaaten Kapital aus den Entwicklungsländern und nicht umgekehrt. Auch deswegen scheint die wirtschaftliche Lage bei uns noch annehmbar. Werden neue Kredite vergeben, um alte Schulden zu tilgen, so verlängert und potenziert dies nur die internationale Schuldenkrise. Wie dringend dieser Trend eine Änderung erfordert, wird unmißverständlich im Bericht der UN-Weltkommission für Umwelt und Entwicklung mit dem Titel "Unsere gemeinsame Zukunft" dargelegt. Er bestätigt, daß die scheinbar voneinander unabhängigen wirtschaftlichen und ökologischen Krisensituationen tatsächlich eine Einheit bilden.

Ökologie und Ökonomie werden - örtlich, regional, national und global - zunehmend zu einem zusammenhängenden Netz von Ursache und Wirkung verwoben... Schulden, die sie nicht bezahlen können, zwingen die afrikanischen Nationen, deren Einkommen aus Rohstoffexporten besteht, zur Übernutzung ihrer empfindlichen Böden und verwandeln so das Land in eine Wüste... Die Wirtschaftsgrundlage in anderen Entwicklungsgebieten der Welt leidet in ähnlicher Weise, sowohl aufgrund örtlich begangener Fehler, als auch durch die Funktionsweise des internationalen Wirtschaftssystems. Als Folge der 'Lateinamerikanischen Schuldenkrise' werden die Naturschätze dieser Region nicht für deren Entwicklung eingesetzt, sondern um die finanziellen Verbindlichkeiten ausländischer Kreditgeber zu begleichen. Solcher Umgang mit dem Schuldenproblem ist aus wirtschaftlicher, politischer und ökologischer Sicht kurzsichtig. Von der Bevölkerung der im Verhältnis armen Länder wird verlangt, daß sie sich mit ihrer wachsenden Armut abfindet, während gleichzeitig mehr und mehr ihre knappen Ressourcen exportiert werden. Wachsende Ungleichheit ist das größte 'Umweltproblem' der Erde. Gleichzeitig ist es das größte 'Entwicklungsproblem' (21).

Nach Alfred Herrhausen, bis 1989 Vorstandsmitglied und Sprecher der Deutschen Bank, geht "die Struktur und die Größenordnung des Problems über die traditionellen Problemlösungstechniken hinaus" (22). Diejenigen, die für das gegenwärtige Geldsystem verantwortlich sind, wissen, daß es keinen Bestand haben kann, aber entweder kennen sie die Alternative nicht oder sie wollen nichts von ihr wissen. Bankfachleute, mit denen ich über dieses Thema gesprochen habe, gaben zu, bislang nichts von einer Alternative zum gegenwärtigen Geldsystem gehört zu haben. Nachdem ich sie erklärt hatte, äußerten sie nicht selten das Gefühl, daß sie ihre Arbeitsplätze gefährdeten, wenn sie öffentlich darüber sprechen würden.

Abbildung 9

Eine Erklärung für die Furcht vor der Weiterverbreitung dieses Wissens in Bankkreisen geht aus Abbildung 9 hervor. Im Zeitraum zwischen 1950 und 1985 wuchs das Bruttosozialprodukt in der Bundesrepublik um das 18fache, die Schulden um das 51fache und Banktransaktionen um das 83fache. Das heißt, den Banken ist ein unverhältnismäßig großer Anteil des wirtschaftlichen Wachstums zugeflossen. Dies beruht sowohl auf Geschäften mit schwankenden Zinssätzen, wie auch auf dem zunehmenden Umfang der Spekulation mit Geld und Devisen, der Brokergebühren in die Höhe schießen ließ. Es erklärt auch den Unterschied im Wachstum zu den Arbeitseinkommen, die zweimal langsamer als Sachvermögen wachsen, während diese wiederum dreimal langsamer als Geldvermögen wachsen.

Abbildung 10

Solange die Banken die Langzeitentwicklung nicht in ihren Planungen mitbetrachten, werden Sie kein Interesse an einer öffentlichen Diskussion über die Funktionsweise des heutigen Geld- und Zinssystems haben. Im Moment verschleiern sie eher das Problem. Abbildung 10 zeigt einige Beispiele für die übliche irreführende Werbung, die Banken in Zeitungen und Zeitschriften rund um die Welt veröffentlichen. Geld soll "wachsen", so sagen sie. Noch öfter beeindrucken sie die Leute mit der Vorstellung, daß das Geld für sie "arbeiten" könnte. Aber wer hat Geld jemals wachsen oder arbeiten sehen? Wird Arbeit nicht immer von Menschen verrichtet, ob mit oder ohne Maschinen?

Diese Werbung verbirgt die Tatsache, daß jede Mark oder jeder Dollar, den jemand für seine Bankeinlagen erhält, zuvor erarbeitet werden mußte, um dann dem zuzufließen, der mehr Geld hat als er braucht. Mit anderen Worten: Menschen, die ihre Arbeitskraft verkaufen, werden in dem Maße ärmer, wie sich Erträge aus Geldvermögen vergrößern. Das, was die große Mehrheit der Bevölkerung selbst an Zinsen bekommt, hat sie bereits zuvor selbst erarbeitet (s. Abb. 4). Darin liegt das gesamte Geheimnis des "arbeitenden" Geldes, und die Banken wollen diese Art der Betrachtung nur zu gern bedeckt halten.

Nach meiner Erfahrung fürchten sich gerade diejenigen, die sich aufgrund ihrer Ausbildung dieses Problems und seiner Lösung bewußt sein sollten, damit meine ich die Wirtschaftswissenschaftler in aller Welt, als "Radikale" gebrandmarkt zu werden. Würden sie sich wirklich für zinsfreies Geld einsetzen, so würden Sie einem der dringendsten wirtschaftlichen Probleme der Welt tatsächlich an die Wurzel (=radix) gehen. Stattdessen wird Gesell und sein Konzept einer "Natürlichen Wirtschaftsordnung" in den Wirtschaftwissenschaften lediglich als einer der vielen historischen Versuche, eine Reform zu bewirken, abgehandelt. Einige der großen Persönlichkeiten unseres Jahrhunderts, wie Albert Einstein und John Maynard Keynes, sahen jedoch die Bedeutung der Vorschläge Gesells für eine Geldreform. Keynes äußerte bereits 1936 die Meinung, daß "die Zukunft mehr vom Geiste Gesells, als dem von Marx lernen werde" (23). Doch hat diese Zukunft bisher nicht begonnen. Obwohl Bankfachleute und Wirtschaftswissenschaftler nicht übermäßig weitsichtig sein müssen, um zu erkennen, daß eine Nutzungsgebühr im Geldsystem die Lösung des zentralen Dilemmas ermöglichen würde, mit dem sie sich seit Jahrzehnten abmühen, erfinden sie immer kompliziertere Wege, mit den Symptomen der Krankheit umzugehen. Der Wirtschaftshistoriker John L. King schreibt über die Bedeutung der Arbeit von Ökonomen:

"Ihre Zahlenspielereien und ihre computerisierten Formeln haben sich als extrem irrelevant erwiesen, und entsprechend berühmt sind die Fehler in ihren Vorhersagen. Es ist, als hätten wir diese Leute mit ihrer Ausbildung der Denkfähigkeit beraubt." (24)

Die wenigen Wirtschaftswissenschaftler, die die Gefahr begreifen wie Batra (25) und King (26), versuchen im wesentlichen, Ratschläge zu erteilen, wie man sich vor den Folgen des nächsten großen Zusammenbruchs schützen kann. Eine Alternative zum gegenwärtigen System bieten sie nicht an.

DIE REICHEN

Eine der kritischen Fragen, die stets von Leuten gestellt wird, die die Wirksamkeit des versteckten Umverteilungsmechanismus im heutigen Geldsystem verstanden haben, ist: Werden jene 10% der Bevölkerung, für die dieser Mechanismus gegenwärtig von Vorteil ist und die an wesentlichen Schalthebeln der Macht sitzen, es zulassen, daß das Geldsystem geändert wird, da sie dann nicht mehr die Möglichkeit hätten, von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung ein arbeitsfreies Einkommen zu beziehen?

Die historische Antwort lautet: Natürlich nicht - solange sie nicht von denen gezwungen werden, die bisher zahlen, werden sie den Ast, auf dem sie sitzen, nicht absägen. Die Antwort des neuen Zeitalters könnte anders lauten: Wenn sich diejenigen, die heute davon profitieren, der Tatsache bewußt werden, daß der Ast, auf dem Sie sitzen, an einem kranken Baum wächst, und daß es einen gesunden Baum gibt, der nicht früher oder später zusammenbricht, könnte ein gesunder Selbsterhaltungstrieb sie dazu bringen, den Baum zu wechseln. Letzteres würde gesellschaftliche Evolution bedeuten - ein "weicher Weg"; ersteres hingegen gesellschaftliche Revolution - der "harte Weg".

Der evolutionäre Weg gäbe den Reichen die Möglichkeit, ihr Geld zu behalten, das sie bisher durch Zinsen gewonnen haben. Der revolutionäre Weg wird unweigerlich zu fühlbaren Verlusten führen. Der erste würde auch nicht dazu führen können, daß sie wegen ihres Gewinns aus Zinsen angeklagt werden, weil ihr Verhalten gegenwärtig - und das solange, bis wir das neue Geldsystem einführen - völlig rechtens ist. Der zweite Weg der gesellschaftlichen Revolution könnte schmerzvoll sein. Der evolutionäre Weg bedeutet, daß es kein arbeitsfreies Einkommen mehr gibt, dafür aber ein stabiles Geld, niedrige Preise und möglicherweise geringere Steuern. Der revolutionäre Weg bedeutet wachsende Unsicherheit, Instabilität, höhere Inflation, höhere Preise und höhere Steuern, was uns die Entwicklung in der Dritten Welt täglich vor Augen führt.

Nach meinen Erfahrungen mit Menschen, die der letzten 10%-Kategorie angehören, sind sie sich weder bewußt, wie das Zinssystem wirklich funktioniert, noch, daß es eine praktische Alternative gibt. Mit wenigen Ausnahmen würden Sie sich eher für Stabilität als für mehr Geld entscheiden, da sie meistens genug für sich selbst und ihre Nachkommen haben.

Die zweite Frage lautet: Was geschieht, wenn diese Leute ihr Geld in andere Länder transferieren, wo sie weiterhin Zinsen erhalten, statt es auf ihrem Sparkonto zu belassen, wo es zwar seinen Wert behält, jedoch keine Zinsen einbringt?

Das ließe sich im Anfang einer solchen Umstellung wahrscheinlich nur durch politische, rechtliche und wirtschaftliche Sanktionen verhindern, könnte aber sehr kurze Zeit nach Einführung der Reform ins Gegenteil umschlagen. Der Unterschied zwischen dem, was durch Zinsen nach Abzug der Inflation verdient würde, könnte dann ungefähr dem entsprechen, was sich als Wertsteigerung des neuen Geldes, das nicht der Inflation unterliegt, im eigenen Land ergibt. Möglicherweise liegt die Gefahr genau andersherum, daß sich das Land, welches sich zu einer Geld-, Boden- und Steuerreform entschließt, zu einer "Super-Schweiz" mit einer stabilen Währung bei einem ökologischen Wirtschaftsboom entwickelt. In der Vergangenheit zahlten Geldanleger in der Schweiz zeitweilig sogar dafür, daß sie ihr Geld auf einem Bankkonto ohne Zinserträge liegen lassen durften.

Im Gegensatz dazu zog in den U.S.A. die Hochzinspolitik zu Beginn der Reagan-Aera solch einen Überfluß von Geld aus aller Welt an, daß nur über eine zunehmende Inflation und drastische Abwertung den Verpflichtungen der ausländischen Kreditgeber nachzukommen war. Bei einem Zinssatz von 15%, was ein gängiger Zinssatz zu Beginn dieser Hochzinsphase war, hätten die U.S.A. bereits nach 5 Jahren ungefähr das Doppelte des geliehenen Betrages an ihre ausländischen Investoren zurückzahlen müssen. Beim ursprünglichen Wert des Dollars wäre das niemals möglich gewesen. Als weitere Folge dieser Politik wurden die USA innerhalb von 8 Jahren zur größten Schuldnernation der Welt.

Eine gewaltige Menge von spekulativem Geld - sie wird auf etwa 500 Milliarden Dollar geschätzt - zirkuliert rund um die Welt, von einen Finanzzentrum zum anderen, auf der Suche nach gewinnbringenden Anlagemöglichkeiten. Das zeigt, daß nicht Knappheit an Geld unser Problem ist, sondern daß es an "vernünftigen" Investitionsmöglichkeiten im gegenwärtigen Geldsystem mangelt. Mit Einführung eines zinsfreien Geldes in einer Region oder in einem Land würde an einem Beispiel sichtbar, wie schnell soziale und ökologische Projekte umsetzbar werden, die sich im Vergleich zur zinsschaffenden Kraft des Geldes heute "nicht rechnen", und schließlich eine stabile und sehr vielfältige Wirtschaft entstehen kann. Wahrscheinlich würde überschüssiges Geld aus dem Ausland und Inland hier investiert, weil statt der Zinsen Gewinne gemacht werden und keine Inflation diese schmälert.

Aus diesem Grund ist es für reiche Menschen letztlich sinnvoller, eine rechtzeitige Geldreform und ein dauerhaftes System zu unterstützen, als durch wachsende Instabilität des jetzigen Systems den unausweichlichen Zusammenbruch zu riskieren.

Eine dritte Frage betrifft jene, die von ihrem Kapital leben, aber zu alt sind, um zu arbeiten. Was wird mit ihnen geschehen, falls es keine Zinsen mehr gibt?

Es läßt sich nachweisen, daß jeder, der gegenwärtig von seinen Zinsen leben kann, während seiner Lebenszeit von seinen Ersparnissen leben kann, wenn ein zinsfreies Geldsystem eingeführt wird. Nur wird damit das Kapital aufgezehrt.

Wer 1 Million DM besitzt, gehört bereits zu den reichsten 4 % der Bevölkerung. Aber einige Menschen in dieser Gruppe verdienen weit mehr als 1 Million DM an Zinsen täglich. Offiziellen Quellen zufolge betrug das tägliche Einkommen der reichsten Frau der Welt, der englischen Königin, 1985 ca. 700 000 Pfund (ungefähr 2 Millionen DM) (27). Der Sultan von Brunei, der reichste Mann der Welt, mit einem Vermögen von 25 Milliarden Dollar (8), hat ein stündliches Einkommen aus Zinsen und Dividenden von einer Viertelmillion Dollar (29). Firmen wie Siemens, Daimler-Benz und Krupp werden von der deutschen Presse als große Banken mit einer kleinen Produktionsfassade bezeichnet, weil sie aus Geldvermögen wesentlich mehr verdienen als aus Produktionsbetrieben. Obwohl weder die englische Königin noch Firmen wie Siemens, Daimler-Benz oder General Motors offiziell politische Machtpositionen innehaben, wirkt sich ihr Eigentum an Geld doch tatsächlich als inoffizielle Macht aus. Skandale über Zahlungen führender Firmen an politische Parteien in Westdeutschland, in U.S.A. oder anderen westlichen Ländern zeigen, wie Demokratien gefährdet werden, wenn der beschriebene Umverteilungsmechanismus des Geldes weiterhin zugelassen wird.

Zwar glauben wir, in einer Demokratie zu leben, aber dies ist bestenfalls noch eine Oligarchie und wird im schlimmsten Fall in ein faschistisches Regime münden, da die Macht des Geldes in den Händen von immer weniger Menschen keiner politischen Kontrolle untersteht.

Im Mittelalter dachten die Menschen, daß es ihnen schlecht gehe, wenn sie den Zehnten, also ein Zehntel ihres Einkommens oder ihrer Erzeugnisse, an den Feudalherrn abliefern mußten. Heute entfallen mehr als ein Drittel im Preis der Güter und Dienstleistungen auf den Kapitaldienst für die Geldbesitzer. Daß es den meisten trotzdem wirtschaftlich besser geht als im Mittelalter, haben wir der industriellen Revolution, zunehmender Automatisierung der Wirtschaft, einem ungeheuer großen Raubbau an den Rohstoffvorkommen dieser Welt zu verdanken. Erst durch das Verständnis des Umverteilungsmechanismus im Geldsystem wird jedoch klar, warum wir immer noch mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben.

Es erhebt sich somit die Frage, ob wir endlich bereit sind, die Gefahren der gesellschaftlichen Ungerechtigkeit und des ökologischen Kollapses, die durch das jetzige Geldsystem verursacht werden, zu begreifen und dies zu verändern, oder ob wir warten wollen, bis ein weltweiter ökologischer oder ökonomischer Zusammenbruch, ein Krieg oder eine gesellschaftliche Revolution stattfindet. Daß Einzelne oder kleine Gruppen von sich aus das Geldsystem ändern können, ist wenig wahrscheinlich. Wir müssen daher versuchen, eine breite Information der Bevölkerung zu erreichen und diejenigen, die das Wissen haben, was verändert werden muß, zusammenzubringen mit jenen, die die Macht haben, politische Veränderungen zu bewirken. Dabei ist zu beachten, daß niemand angeklagt werden kann, der heute von dem Zinssystem profitiert, weil das bisher völlig legal ist: was bewirkt werden kann, ist, daß die Ungerechtigkeit des Systems aufhört.

DIE ARMEN

Im statistischen Durchschnitt besaß jeder Haushalt in Westdeutschland 1986 ein privates Geldvermögen von etwa 90 000 DM. Das würde auf das Beste unseren Wohlstand beweisen, wenn es auch nur annähernd gleichmäßig verteilt wäre. Jedoch stehen wir vor der unangenehmen Wahrheit, daß, wie Abbildung 11 zeigt, die eine Hälfte der Bevölkerung zusammen nur 4% des gesamten Reichtums besitzt, die andere aber 96%. Und dabei wächst der Reichtum von 10% der Bevölkerung kontinuierlich auf Kosten aller übrigen.

Abbildung 11

Das erklärt beispielsweise, warum Familien der unteren Mittelklasse in der BRD zunehmend finanzielle Unterstützung durch soziale Wohlfahrtseinrichtungen beantragen müssen. Arbeitslosigkeit und Armut wachsen, obwohl ein dichtes "soziales Netz" errichtet wurde, um beides zu überwinden.

Der größte Anteil bei der Umverteilung von Reichtum entfällt auf den Zins, der jeden Tag 500 bis 600 Millionen DM von den Arbeitenden auf die Kapitalbesitzer überträgt. Obwohl sozial orientierte Regierungen das sich daraus ergebende Ungleichgewicht durch Besteuerung auszugleichen versuchen, führt das nirgends auch nur annähernd zu einem Ausgleich. Zusätzlich treffen die Kosten einer wachsenden Sozial-Bürokratie jeden in Form wachsender Steuern. Dabei werden selten die menschlichen Kosten von Zeit und Energie, nicht zuletzt die der Demütigung in der Auseinandersetzung mit der Bürokratie, mit in die Rechnung einbezogen.

Die Absurdität eines Geldsystems, das die Menschen zunächst ihres gerechten Anteils an der Wirtschaft beraubt, um ihnen dann - in einem unglaublich ineffizienten Verfahren - einen Teil dieses Geldes durch Zahlungen im Wohlfahrtssystem wieder zurückzugeben, wurde kaum jemals von Experten untersucht, noch öffentlich diskutiert. Solange jene 80% der Bevölkerung, die ständig bezahlen, nicht begreifen, auf welche Weise sie das tun, wie könnte es auch anders werden?

Abbildung 12

Einer der wichtigsten Beweise für die Vorreiterfunktion des Zinses in Bezug auf die wirtschaftliche Entwicklung stellt Abbildung 12 dar. Der Vergleich von steigenden Zinssätzen und einer steigenden Zahl von Pleiten in Handel und Industrie und ebenso der steigenden Arbeitslosenzahl, die mit einem Zeitverzug von ungefähr zwei Jahren folgt, ergibt einen eindeutigen Beweis für die Vorreiterfunktion, d.h. die Bedeutung des Zinses im wirtschaftlichen Geschehen und ein weiteres zwingendes Argument für die Einführung eines zinsfreien Geldes. Wiederum sind in dieser Statistik nicht die zusätzlichen sozialen Kosten von Alkoholismus, zerrütteten Familien und zunehmender Kriminalität erfaßt. Auch sie könnten durch die Geldreform höchst wirkungsvoll vermindert werden.

Abbildung 13

Abbildung 13 veranschaulicht das Dilemma der Länder der dritten Welt, wo wir unsere eigene Situation wie durch ein Vergrößerungsglas sehen. Die wesentlich krassere Situation wird durch den gleichen Strukturfehler im Geldsystem verursacht. Im Unterschied zu den industriell entwickelten Länder, die als Ganzes gewinnen, zahlen jedoch die unterentwickelten Länder drauf. Wir erhalten jeden Tag 200 Millionen Dollar an Zinszahlungen aus den Ländern der Dritten Welt; diese Menge ist doppelt so groß wie die "Entwicklungshilfe", die wir ihnen gewähren, wovon ein Drittel lediglich zur Deckung der Zinsen früherer Kredite gewährt wird. Das, was Wohlfahrtsorganisationen jedes Jahr mit viel Aufwand bei uns zusammenbetteln, reicht der Dritten Welt gerade, um den Zinsverpflichtungen für dreieinhalb Tage nachzukommen.

1989 betrug die offizielle Gesamtschuldenlast Brasiliens 115 Milliarden Dollar. Diese Summe wird von den Zinszahlungen und Amortisationen der letzten 16 Jahre in Höhe von 176 Milliarden Dollar bei weitem übertroffen. D.h., die Schulden sind bereits bezahlt. Wenn wir dies nicht anerkennen, gibt es keine Hoffnung, daß sich die Entwicklungsländer aus der andauernden Krisensituation befreien können. Wenn Krieg mit Verhungern, Tod, sozialem und individuellem Elend gleichzusetzen ist, dann sind wir bereits mitten im "Dritten Weltkrieg". Dies ist kein offiziell erklärter Krieg. Es ist ein Krieg, der mit Wucherzinsen, manipulierten Preisen und unfairen Handelsbedigungen geführt wird. Es ist ein Krieg, der die Menschen in Arbeitslosigkeit, Krankheit und kriminelles Verhalten treibt. Werner Rosenberger spricht in diesem Zusammenhang von "Systemkorruption", welche korrupte Machthaber (Mobuto, Marcos, Noriega, Ceausescu, Honnecker) in Ländern der Dritten Welt und in sozialistischen Ländern, die ihre gewaltigen Vermögen auf sicheren Auslandskonten haben, mit den Großvermögenden aller Länder, die ohne Leistung Millionen an Zinsen beziehen, verbindet. Rosenberger sagt dazu: "Das Schreckliche an der Situation sind m.E. nicht die korrumpierten Machthaber. Sie werden, wie auch wieder die jüngste Geschichte zeigt, früher oder später gestürzt. Das wirklich arge ist die Tatsache, daß die jeweiligen Nachfolger, die neuen Machthaber, wohl von Reformen reden, aber keine tauglichen wirtschaftlichen Reformmodelle zur Hand haben." (30)

Zweifellos beträgt die Zahl derjenigen, die in dem bestehenden Geldsystem am schlechtesten abschneiden, mehr als dreiviertel der Weltbevölkerung. Kurzfristig könnte sich die Situation der Dritten Welt ändern, würden ihre Schulden ganz oder teilweise von den Gläubigernationen und Banken erlassen. Bekanntlich wird dies von fortschrittlichen Kirchenvertretern, Wirtschaftswissenschaftlern und Bankiers gefordert und teilweise in die Tat umgesetzt. Wird aber der grundlegende Fehler des Geldsystems nicht eliminiert, so ist die nächste Krise bereits vorprogrammiert.

KIRCHEN UND SPIRITUELLE GRUPPEN

Im Laufe der Geschichte haben viele politische und religiöse Führer, wie Moses, Aristoteles, Jesus, Mohammed, Luther, Zwingli und Gandhi, versucht, die soziale Ungerechtigkeit, die der kontinuierliche Bezug von Zinsen verursacht, durch entsprechende Hinweise oder ein Verbot von Zinszahlungen zu verhindern. So steht in Moses 22,24: "Wenn du deinem Bruder, einem Armen, Geld leihst, so sollst du ihm gegenüber nicht wie ein Wucherer handeln. Ihr dürft ihm keinen Zins auflegen." (31) Und Aristoteles sagte in Politik 1,3: "Der Wucherer ist mit vollstem Recht verhaßt, weil das Geld hier selbst die Quelle des Erwerbs ist und nicht dazu gebraucht wird, wozu es erfunden ward. Denn für den Warenaustausch entstand es, der Zins aber macht aus Geld mehr Geld. Daher auch sein Name (Geborenes). Denn die Geborenen sind den Erzeugern ähnlich. Der Zins aber ist Geld von Geld, so daß er von allen Erwerbszweigen der Naturwidrigste ist." (32)

Übersetzt man den griechischen Urtext wörtlich, so steht bei Lukas 6,35 "Leihet, ohne etwas dafür zu erhoffen" (33), und das Konzil von Nicäa im Jahr 325 nach Chr. verbot allen Klerikern das Zinsnehmen. Die Strafe bei Übertreten des Verbotes war die sofortige Entfernung aus dem Amt. 1139 beschloß das zweite Lateranskonzil: "Wer Zins nimmt, soll aus der Kirche ausgestoßen und nur nach strengster Buße und mit größter Vorsicht wieder aufgenommen werden. Einem Zinsnehmer, der ohne Bekehrung stirbt, soll das christliche Begräbnis verweigert werden." (34)

Martin Luther (1483-1546) wendete sich in mehreren Schriften leidenschaftlich gegen Wucher und Monopole: "Darum ist ein Wucherer und Geizhals wahrlich kein rechter Mensch; er sündigt auch nicht eigentlich menschlich. Er muß ein Werwolf sein, schlimmer noch als alle Tyrannen, Mörder und Räuber, schier so böse wie der Teufel selbst. Er sitzt nämlich nicht als ein Feind, sondern als ein Freund und Mitbürger im Schutz und Frieden der Gemeinde und raubt und mordet dennoch greulicher als jeder Feind und Mordbrenner. Wenn man daher die Straßenräuber, Mörder und Befehder rädert und köpft, um wieviel mehr noch sollte man da erst alle Wucherer rädern und foltern, alle Geizhälse verjagen, verfluchen und köpfen..." (35)

Der Reformator Ulrich Zwingli (1484-1531) ging in Richtung Säkularisierung einen Schritt weiter, indem er einerseits den Zins für ungöttlich und unchristlich erklärt, andererseits dem Staat das Recht zuerkennt, den Zinsfuß festzusetzen. (36)

Sie alle wußten wohl um die Ursache des Problems, boten jedoch keine praktikable Lösung an, wie der Geldumlauf gesichert werden konnte, und damit blieb der grundlegende Fehler im System bestehen. Das Zinsverbot der Päpste im europäischen Mittelalter, auf Grund dessen Christen, die Zinsen nahmen, exkommuniziert wurden, verlagerte beispielsweise das Problem auf die Juden, denen es erlaubt war, von Menschen anderer Religionszugehörigkeit Zinsen zu nehmen. Letztere wurden seit dieser Zeit immer mehr zu den fahrenden Bankiers der Welt. Bereits durch das alte Testament wurde den jüdischen Gemeinden vermittelt, daß Zinsen auf Dauer jeden sozialen Organismus zerstören. Deshalb wurde von alters her das "Jubeljahr" akzeptiert, der Erlaß aller Zinsen und Schulden im Durchschnitt nach jeweils 7 Jahren. Sicherlich konnte damit der Schaden, den der Zins anrichtete, begrenzt, eine dauerhafte Lösung aber nie erreicht werden.

Während die Führungsspitze der katholischen Kirche in Lateinamerika dem westlichen Modell des Kapitalismus zuneigt, orientieren sich die Priester an der Basis eher am kommunistischen Modell. (37) In einem zinsfreien Geldsystem könnte jetzt die historische Chance einer Lösung liegen, die weder kapitalistisch noch kommunistisch ist, sondern über beide hinausgeht. Sie würde in weit höherem Maße Gerechtigkeit sichern als jedes denkbare Hilfsprogramm. Sie würde eine stabile Wirtschaft ermöglichen und die Bemühungen der Kirche um den Frieden in der Welt erheblich unterstützen.

Heutzutage fordern die Kirchen immer wieder zu Spenden auf, um die Folgen des Umverteilungsprozesses durch das Geldsystem und die härtesten sozialen Probleme sowohl in den industriell entwickelten, als auch in den Entwicklungsländern zu lindern. Dies ist jedoch nur ein Kurieren an den Symptomen, das den Systemfehler im Geldwesen nicht berührt.

Ein Zinsverbot besteht auch in den Islamischen Ländern. Hier zahlt man für einen Kredit keine Zinsen, stattdessen wird die Bank, die das Geld leiht, zum Teilhaber im Geschäft - und später an den jeweiligen Gewinnen. Das mag in einigen Fällen besser, in anderen schlechter sein als Zinszahlungen. Es ändert sich aber nichts an dem Tatbestand, daß Besitzende auf Kosten anderer Einkommen beziehen.

Das spirituelle Wissen und die spirituellen Techniken, die sich in vielen Teilen der Welt verbreiten, weisen auf tiefgreifende Bewußtseinsänderungen bei einer zunehmenden Zahl von Menschen hin. Ihre Arbeit für inneren Wandel legt die Basis für äußeren Wandel, in dem die friedliche Transformation des Geldsystems ein wichtiger Aspekt ist. Deshalb liegt eine große Verantwortung bei all jenen, die sich humanitären Zielen verpflichtet fühlen, die praktischen Möglichkeiten durch eine Geldreform genauer zu erkennen, als das bisher der Fall war.

HANDEL UND INDUSTRIE

Die Preise von Waren und Dienstleistungen in einer zins- und inflationsfreien Wirtschaft würden, genau wie heute in kapitalistischen Gesellschaftssystemen, durch Angebot und Nachfrage reguliert werden. Was sich jedoch verändern würde, ist die Verzerrung des "freien Marktes" durch den Zins. Durchschnittlich trägt in Westdeutschland jeder industrielle Arbeitsplatz eine Schuldenlast von 70 - 80 Tausend DM. Das heißt, 23% der mittleren Arbeitskosten sind allein für Zinsen aufzubringen (38). Was das bedeutet, zeigt Abbildung 14. Zu den Zinsen auf geborgtes Kapital müssen weiterhin die Zinsen auf das Eigenkapital der Firma hinzugefügt werden. Beide orientieren sich am Zinssatz des Kapitalmarktes. Hierin liegt der Grund, daß Schulden ungefähr zwei- bis dreimal schneller als die wirtschaftliche Produktivität eines Landes steigen (siehe auch Abb. 5). Die Bedingungen verschlechtern sich zunehmend für jene, die ein Unternehmen gründen wollen und für die arbeitende Bevölkerung.

Abbildung 14

Gegenwärtig beobachten wir eine steigende Konzentration in allen industriellen Bereichen. Kleine Geschäfte und Industriefirmen werden von größeren aufgekauft und größere wiederum von noch größeren, bis eines Tages in der sogenannten "freien Marktwirtschaft" nahezu jeder für einen multinationalen Konzern arbeitet. Diese Entwicklung wird durch größere Stückzahlen, niedrigere Preise und damit größere Konkurrenzfähigkeit und von dem Geld, was große Unternehmen auf dem Kapitalmarkt verdienen, beschleunigt.

Wollen sich dagegen kleine und mittlere Firmen vergrößern - müssen sie sich gewöhnlich Geld borgen und belasten sich somit durch Zinsen. Sie können weder in Bezug auf die Menge noch Kapitalerträge konkurrieren.

Bis zum heutigen Zeitpunkt hängt unsere Wirtschaft vom Kapital ab. Dazu sagte der westdeutsche Industrielle H. M. Schleyer einmal treffend: "Kapital muß bedient werden!" Mit der neuen Geldordnung, d.h. Neutralem Geld, wird Kapital so beschaffen sein, daß es den Bedürfnissen der Wirtschaft dient. Will es Verluste vermeiden, so muß es sich selbst anbieten. Also muß es uns dienen!

DIE LANDWIRTSCHAFT

Die Landwirtschaft ist zwar heute eine Industrie. Sie muß aber langfristig noch immer auf ökologischen Prinzipien aufbauen. Ökologische Vorgänge folgen der qualitativen Wachstumskurve (Abb. la). Hingegen muß die industrielle Entwicklung dem quantitativen Wachstum von Zins und Zinseszins folgen (Abb. 1c). Da die Natur nicht im gleichen Maße wie das Kapital wachsen kann, Kapital aber noch "bedient" werden muß, ergibt sich ein Zwang zur wachsenden Ausbeutung der natürlichen Ressourcen in der Landwirtschaft, welcher zur Bedrohung für unser Überleben geworden ist.

In der ersten Phase der Industrialisierung der Landwirtschaft kauften die Bauern zunehmend größere Maschinen. Größere Landwirte kauften dann kleinere Höfe, die sich Maschinen nicht leisten konnten und vergrößerten so ihre Betriebe noch weiter. Zu diesem Zweck erhielten sie zusätzlich staatliche Subventionen und Steuererleichterungen, mußten aber häufig auch Kredite aufnehmen. Um diese abzuzahlen, wird das mögliche aus Boden, Pflanzen und Tieren herausgeholt. Die Folgen des Raubbaus sind: fruchtbare Böden trocknen aus und werden hart und verdichtet; Wasservorräte verschmutzen; 50% der Artenvielfalt ging verloren; viele Produkte werden überproduziert und können nur mit staatlichen Subventionen verkauft werden; der Einsatz von geschmacksarmen Hybridkulturen stieg rapide an, ebenso wie die totale Abhängigkeit von Ölimpörten für Transport, Kunstdünger, Insektizide, Pestizide usw.; Regenwälder werden vernichtet, um Rohstoffe für Verpackungssmaterialien zu gewinnen für die langen Transporte zwischen den Stätten der Produktion, der Lagerung, der Weiterverarbeitung, des Verkaufs und des Endverbrauchs.

Obwohl das Zinsproblem nur als ein Faktor unter anderen zu dieser Entwicklung beiträgt, kann die Einführung des zinsfreien Geldes von besonderer Bedeutung für den zum Überleben wichtigen Bereich der Landwirtschaft sein. Durch zinsfreie Kredite in Kombination mit einer Boden- und Steuerreform, die den Boden erschwinglich und die Vergiftung des Bodens und Wassers teuer machen würden, wäre es endlich möglich, eine flächendeckende Umstellung von der hochindustrialisierten Intensivlandwirtschaft auf eine biologische Anbauweise durchzuführen. Werden zusätzlich neue Technologien für eine dauerhafte Landwirtschaft und Kultur erforscht und unterstützt, so würde sich daraus möglicherweise ein Lebensstil entwickeln, der die Verbindung Stadt und Land, von Arbeit und Muße, Hand- und Kopfarbeit, "high and low technology" zuläßt (39). Auf diese Weise könnte dem Einzelnen, der Landwirtschaft und der Gesellschaft eine ganzheitliche Entwicklung ermöglicht werden.

DIE ÖKOLOGIE UNSERES PLANETEN

Wenn wir unser Wirtschaftswachstum an der Zunahme des Bruttosozialproduktes messen, dann vergessen wir gewöhnlich, daß sich diese Zunahme jedes Jahr auf einen größeren Betrag bezieht. So ist ein 2,5%iges Wachstum heute tatsächlich viermal soviel, wie in den 50'er Jahren. Es ist leicht verständlich, warum Industrielle und Gewerkschaften regelmäßig wiederkehrend Maßnahmen fordern, die das Wirtschaftswachstum weiter anheizen: In Phasen sinkender Wachtumsraten wird die Diskrepanz zwischen Einkommen aus Kapital und Einkommen aus Arbeit verschärft, bzw. die Umverteilung von Einkommen aus Arbeit zum Kapital hin wird fühlbarer. Und das bedeutet sowohl wachsende soziale Probleme als auch wirtschaftliche und politische Spannungen.

Andererseits erschöpfen sich die natürlichen Ressourcen durch kontinuierliches Wirtschaftswachstum. Daher haben wir im gegenwärtigen Geldsystem nur die Wahl zwischen ökologischem und ökonomischem Zusammenbruch. Zusätzlich wird die Konzentration von Geld in den Händen von immer weniger Menschen und großen multinationalen Konzernen zu einem anhaltenden Bedarf an Großinvestitionen führen, wie z.B. dem Bau von Atomkraftwerken, überdimensionalen Staudämmen (wie in Brasilien) und Waffen für Kriegsgebiete.

Nach rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten war das jahrelange politisch widersprüchliche Verhalten der USA und der europäischen Staaten, die auf der einen Seite immer größere und bessere Waffen gegen Rußland installierten und auf der anderen Seite den Export von Butter, Weizen und technologischem Wissen nach Rußland gestatteten, wirtschaftlich durchaus sinnvoll. Der militärische Sektor war ein Bereich, in dem sich die Sättigungsgrenze unbegrenzt hinausschieben ließ, solange der "Feind" in gleichem Maße fähig war, schnellere und größere Waffen zu entwickeln. Zudem bezifferten sich Profite im militärischen Sektor weit höher als in irgendeinem Bereich der zivilen Wirtschaft. Die Einsicht, daß ein Weltkrieg heute von niemandem mehr gewonnen werden kann, scheint sich nun langsam in Ost und West durchzusetzen. Ob die freiwerdenden Mittel ökologisch sinnvoll eingesetzt werden, ist die nächste Überlebensfrage. Das Vordrängen der Banken und multinationalen Konzerne in die Ostblockländer seit der umwälzenden Entwicklung im Herbst und Winter 1989/90 scheint eher darauf hinzuweisen, daß hier eine Chance gesehen wird, durch weitere wirtschaftliche Expansion die fundamentale Lösung der sozialen und ökologischen Probleme im Westen noch einmal aufschieben zu können.

Solange sich jede Investition mit den Zinserträgen auf dem Geldmarkt messen lassen muß, werden die meisten ökologischen Investitionen, die auf dauerhafte Systeme ausgerichtet sind, nur schwer im gebotenen größeren Maßstab zu verwirklichen sein. Heutzutage einen Kredit für ökologische Investitionen aufzunehmen, bedeutet gewöhnlich wirtschaftlichen Verlust. Würde der Zins entfallen, könnten sich ökologische Investitionen oft selbst tragen - und das wäre für viele Menschen durchaus akzeptabel - obwohl der Unterschied zu Gewinnen in anderen Anlagen (z.B. in der Waffenproduktion) bestehen bliebe.

Betrachten wir z.B. die Investition in einen Sonnenkollektor zur Warmwasseraufbereitung. Wären dabei wie üblich nur 2% Rendite auf unser Geld zu erwarten, während unser Spargeld auf der Bank eine Rendite von 7% einbringen würde, so wäre diese Investition unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht ratsam. Andererseits wäre diese Technologie zur Reduktion des Energieverbrauchs und der Luftschadstoffe langfristig volkswirtschaftlich und ökologisch durchaus sinnvoll. Mit Neutralem Geld wäre diese Investition wie zahlreiche andere zur Aufrechterhaltung und Verbesserung der biologischen Lebensgrundlagen möglich, weil das eingesetzte Kapital nur mit einem stabilen Geldwert konkurrieren muß. Für viele Menschen wäre es ausreichend, wenn sie durch die Finanzierung von Umweltschutzmaßnahmen und die Einführung ökologischer Technologien wenigstens nichts verlieren würden.

Wo Zinszahlungen entfallen, wäre es allgemein nicht mehr notwendig, auf Kapital eine hohe Rendite zu erwirtschaften, wodurch sich der Zwang zu Überproduktion und Konsum vermindern würde. Das heißt, das Wirtschaftsvolumen könnte sich leichter dem wirklichen Bedarf anpassen. Die Preise könnten durchschnittlich um 30%-50% gesenkt werden, den Anteil, den jetzt die Zinsen kosten. Theoretisch brauchten die Menschen, die nicht von Kapitalerträgen leben, und das sind über 90% der Menschen in der Bundesrepublik, nur noch zwei Drittel oder die Hälfte der Zeit zu arbeiten, um den jetzigen Lebensstandard zu erhalten.

KÜNSTLER

Wie Dieter Suhr in seinem Buch "Geld ohne Mehrwert - Entlastung der Marktwirtschaft von monetären Transaktionskosten" (40) beschreibt, würde sich in einer Gesellschaft mit Neutralem Geld quantitatives Wachstum wahrscheinlich sehr bald in qualitatives Wachstum wandeln. Hätten Menschen die Wahl, ihr neues wertstabiles Geld einfach zu sparen, ohne daß es Zinsen einbringt, oder es aber in Glas, Porzellan, Möbel, Kunsthandwerk oder ein solide gebautes Haus mit einem stabilen Wert zu investieren, so würden sie es vermutlich häufig zur Bereicherung ihres täglichen Lebens investieren. Je größer die Nachfrage nach dauerhafteren Gütern und Kunstwerken, umso mehr würden diese produziert. Wir dürften auf diese Weise eine völlige Veränderung der kulturellen Werte und Tätigkeiten erleben. Kunst und Kultur würden wirtschaftlich konkurrenzfähig, wie zur Zeit des Brakteatengeldes im mittelalterlichen Europa (s. Kapitel 4).

FRAUEN UND KINDER

Warum haben Frauen in der Welt des Geldes sowenig Einfluß? Sowohl die Börse wie die Banken sind das Reich der Männer, und Ausnahmen scheinen die Regel nur zu bestätigen. Aus langjähriger Erfahrung mit Frauenprojekten bin ich sicher, daß die meisten Frauen intuitiv fühlen, daß mit diesem Geldsystem etwas nicht stimmt. Gleichwohl wissen sie - ebenso wie die meisten Männer - nicht, was falsch ist oder was verändert werden muß.

Der langanhaltende Kampf der Frauen um Gleichberechtigung und wirtschaftliche Unabhängigkeit hat die Frauen jedoch sensibel gemacht gegenüber Vorgängen, die wie die Spekulation mit Geld, große soziale Ungerechtigkeit erzeugen. Die meisten Frauen wissen aus ihrer eigenen Erfahrung, daß immer irgend jemand für das arbeiten muß, was ein anderer ohne Arbeit erhält. Zu jener Hälfte der Bevölkerung, die nur 4% des gesamten gesellschaftlichen Reichtums besitzt (Abb. 11), gehören in der Mehrheit Frauen, weil ihre Arbeit (Hausarbeit, Kindererziehung) nicht bezahlt wird.

Seit dem Anfang der freiwirtschaftlichen Bewegung und Silvio Gesells Buch "Die natürliche Wirtschaftsordnung" (41) ist eine Idee lebendig, die ebenso schnell einleuchtet wie die Anpassung des Geldes an die natürlichen Wachstumskurven, und die Tatsache, daß der Boden genauso wie Luft und Wasser allen Menschen gehört. Oft wird sie jedoch schamhaft verschwiegen oder als zu weitgehend abgetan. Es ist die Idee, daß der Mehrwert aus dem Boden den Frauen und Kindern zukommen sollte, weil sie dafür sorgen, daß er weiter existiert. Helmut Creutz kommt dabei zu folgendem Ergebnis:

"Faßt man beide abzuschöpfenden Größen aus dem Wertzugewinn und der Wertverzinsung des Bodens in der BRD in Höhe von jeweils 60 Mrd. zusammen, stünde also im Jahr etwa ein Betrag von 120 Mrd. für die Auszahlung als Mütter- oder Erziehergehalt bzw. für den Familienlastenausgleich zur Verfügung. Der einfachste Verteilungsweg wäre der über die Zahl der Kinder bzw. Jugendlichen. Zieht man einmal alle Jugendlichen bis zum 18. Lebensjahr in gleicher Höhe für die Verteilung in Betracht (1970 bei der letzten Volkszählung etwa 13,6 Mio.), dann ergäbe sich ein jährlicher Pro-Kopf-Betrag in Höhe von rund 8.800 DM und ein monatlicher von rund 730 DM." (42)

Durch einen "Lastenausgleich" nicht aus Steuermitteln, sondern sozusagen als Vorgriff auf das, was sie mit ihrer Arbeit der Kindererziehung leisten (die Generation von Menschen, die den Mehrwert des Bodens erarbeiten), wird die wirtschaftliche Grundlage für die Emanzipation von Frauen und Kindern geschaffen. (Daß auch Männer dort, wo sie die Kinder erziehen, in den Genuß dieses Lastenausgleichs kommen, ist selbstverständlich.) Ohne wirtschaftliche Grundlage gibt es keine Freiheit. Und doch - wie weit sind wir bisher mit dem Versuch, auch Hausarbeit und Kindererziehung zur bezahlten Arbeit zu machen, gekommen? Kaum über die Einschätzung der Frau als Wirtschafterin hinaus - aber nur im Falle, daß sie an den Folgen eines Unfalls stirbt - und eine Versicherung dem Mann Schadenersatz leisten muß.

Frauen und Kinder tragen überall in der Welt den überwältigenden Teil der Last, die durch das gegenwärtige Geld- und Bodenrecht in der Form von wirtschaftlichem Chaos und sozialem Elend verursacht wird. Mit Neutralem Geld, das im Grunde ein "technisch verbessertes Austauschmittel" ist und dem Kindergeld aus der Bodenrente würde sich ihr Los drastisch verbessern. Da sie wissen, was Ausbeutung heißt, ist zu erwarten, daß sich viele Frauen maßgeblich für ein gerechteres Tauschmittel einsetzen werden. Nach Einführung des neuen Systems würden sie sich voraussichtlich in viel höherem Ausmaß mit Bankgeschäften und Investitionsfragen beschäftigen, weil sie dann statt in einem lebensverneinenden in einem lebensfördernden System tätig wären.

Ein Geldsystem, das sich mit wachsendem Bedarf ausdehnt und mit dem Wachstum aufhört, wenn der Bedarf gedeckt ist, entspricht unserer biologischen Erfahrung mit optimalen Wachstumsmustern (Abb. la). "Lebende Systeme" wie Pflanzen, Tiere und Menschen und besonders Kinder, aber gehören zur "Frauenwelt", während die "Männerwelt" automatisiert, d.h. Menschen und alles was nach eigenen Gesetzen wächst und lebt, auszuschalten sucht. Diese andere Haltung zum Leben ist wichtig, wenn wir die Kräfte erkennen wollen, die eine Veränderung des jetzigen Geldsystems unterstützen können.

Am meisten wird den Frauen, im Hinblick auf sich selbst und ihre Kinder, daran liegen, daß statt eines weiteren revolutionären Weges, der immer nur menschliches Leid verursacht hat, ein sanfterer evolutionärer Weg möglich wird.


Dieser Text wurde ins Netz gebracht von: W. Roehrig. Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.
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