Kapitel aus Silvio Gesell: Die Natürliche Wirtschaftsordnung
Rudolf Zitzmann Verlag; Lauf bei Nürnberg; 9. Auflage; August 1949;
Herausgeber: Karl Walker
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2.5. Wie läßt sich die Forderung der Bodenverstaatlichung begründen?

Der gesunde Mensch beansprucht die ganze Erdkugel, er betrachtet sie als eins seiner
Glieder, als einen untrennbaren Hauptteil seines Körpers, und zwar die ganze Erdkugel,
nicht einen Teil davon; und die zu beantwortende Frage ist, wie ein jeder in den Voll-
gebrauch dieses Hauptorgans gelangen kann.

Teilung der Erde ist ausgeschlossen, denn durch die Teilung erhält jeder nur einen
Teil, während er doch das Ganze braucht. Kann man die Ansprüche der einzelnen Fami-
lienglieder auf die Suppenschüssel damit befriedigen, daß man diese zerschlägt und jedem
eine Scherbe hinwirft? Außerdem müßte bei jedem Begräbnis, bei jeder Geburt die Tei-
lung von neuem beginnen, ganz abgesehen davon, daß die Teile durch Lage, Beschaffen-
heit, Witterungsverhältnisse usw. sämtlich verschieden sind und darum niemand zufrieden-
gestellt werden kann. Denn während der eine seinen Teil auf sonniger Höhe haben möchte,
sucht der andere die Nähe einer Bierbrauerei auf. Die Teilung (heute in der Regel durch
Erbschaft) nimmt jedoch keine Rücksicht auf solche Wünsche, und so muß der Bier-
philister täglich von der sonnigen Höhe herunter, um unten im Tale sein Bäuchlein zu
füllen, während der andere nach der sonnigen Höhe lechzt und in der Talluft geistig und
körperlich verkümmert.

Durch die Teilung wird niemand befriedigt, die Teilung kettet den Menschen an die
Scholle, besonders wenn, wie das in der Regel der Fall ist, der Austausch der Teile (Um-
satz) durch Umsatzsteuern erschwert wird. So möchte mancher wohl aus Gesundheits-
rücksichten wegziehen, mancher, der mit der Nachbarschaft verfeindet ist, täte aus
Sicherheitsgründen wohl, eine andere Gegend aufzusuchen, aber sein Grundeigentum
läßt ihn nicht los.

Die Umsatzsteuer beträgt vielerorts in Deutschland 1-2-3 vom Hundert, im Elsaß
gar 5%. Bedenkt man, daß in der Regel die Grundstücke zu 3/4 belastet sind, so bilden die
5% Umsatzsteuer schon 20% der Anzahlung oder des Vermögens des Käufers. Wenn also
jemand nur fünfmal seinen Platz wechselt - was für die gute Entwicklung des Menschen
durchaus nicht zu viel ist -, so löst sich sein ganzes Bodenkapital in Steuern auf. Mit der
Wertzuwachssteuer der Bodenreformer; die nur beim Umsatz erhoben wird, verschlim-
mert man noch die Sache.

Für junge Landwirte ist der hohe Norden vortrefflich; mit dem Alter, wenn der Stoff-
wechsel träger wird, ist ein gemäßigter Himmelsstrich manchmal vorzuziehen, während
ganz alte Leute in warmen Ländern sich am wohlsten fühlen. - Wie soll man nun mittels
Teilung all diesen und tausend anderen Wünschen gerecht werden? Soll jeder seinen
Acker als Gepäckstück herumschleppen? Sollen sie ihr Teil hier verkaufen, um es dort
wieder zu kaufen? Was das bedeuten würde, weiß jeder, der dem Grundstückshandel
nicht unausgesetzte Aufmerksamkeit schenken kann, aber durch die Verhältnisse ge-
zwungen wird, seinen Platz mehrmals zu veräußern. Es geht ihm, wie dem Bauer, der eine
Kuh zu Markte führte und nach einer Reihe von Tauschgeschäften schließlich einen
Kanarienvogel heimbrachte. Darum muß gewöhnlich der Grundeigentümer für den Ver-
kauf "die Gelegenheit abwarten". Aber während er hier die Gelegenheit für den Verkauf,
und dann dort wieder die Gelegenheit für den Kauf abwartet, vergeht die Zeit, so daß er
gewöhnlich auf die Vorteile; die er vom Ortswechsel erwartet, verzichten muß. Wie man-
cher Bauer möchte gern in die Nähe der Stadt ziehen, um seinen begabten Kindern den
Besuch der Schulen zu ermöglichen, wie mancher möchte die Nähe der Stadt fliehen, um
seine Kinder in jungfräulicher Natur großzuziehen! Wie mancher gute Katholik, den sein
Erbteil unter die Protestanten verpflanzt hat, sehnt sich zurück in die katholische Ge-
meinde. Das Grundeigentum beraubt sie all dieser Genüsse; das Grundeigentum macht
aus ihnen Kettenhunde, Leibeigene, Sklaven des Bodens.

Und wie mancher; der gern bis an sein Lebensende die Scholle bebauen möchte, auf der
schon seit Urzeiten seine Väter den Pflug führten, wird von einem Gläubiger, einem
Wucherer, vom Steuervollstrecker vertrieben. Die Eigentumsgesetze verjagen ihn von
seinem Eigentum.

Und wie mancher, der von seinem Vater sein "Teil" geerbt und seine 9 Geschwister
nur durch eine Bodenverpfändung von 90% hat auszahlen können, wird jetzt durch die
Zinszahlung erdrosselt. Eine geringe Lohnsteigerung, ein schwacher Rückgang der Grund-
rente (der allein schon durch eine Herabsetzung der Schiffsfrachten herbeigeführt werden
kann) genügt, um ihm die Möglichkeit zu nehmen, den Zins zu zahlen, genügt, um die
ganze Wirtschaft unter den Hammer zu bringen. Die sogenannte Not der Landwirtschaft,
in die sämtliche deutschen Grundeigentümer geraten waren, war eine Folge der mit dem
Privatgrundeigentum untrennbar verbundenen Erbschaftsverschuldung des Bodens.

Der "glückliche Erbe" des Privatgrundeigentums rackert sich ab, er rechnet, schwitzt
und kannegießert über Staatssachen - sein Eigentum zieht ihn unnachsichtlich in
die Tiefe.

Viel schlimmere Folgen noch für die "Teilhaber" hat die Teilung der Erde in Form
von gemeinsamem Eigentum (Kollektiveigentum), so wie das Gemeindeeigentum es dar-
stellt und die Genossenschaft es erstrebt. Ein Verkauf seines Anteils ist dem einzelnen nicht
möglich, und das Verlassen der Gemeinde ist mit dem Verluste des Anteils verknüpft. Die
Umsatzsteuer verwandelt sich hier in eine Umzugssteuer von 100 %. Es gibt Gemeinden,
die nicht nur keine Steuern erheben, sondern noch bares Geld verteilen. Um nun diese
Einnahmen nicht zu verlieren, bleibt mancher in der Gemeinde, trotzdem ihm die klima-
tischen, politischen, kirchlichen, geselligen Zustände, die Bier-und Lohnverhältnisse nicht
zusagen. Und ich bin überzeugt, daß es nirgends mehr Rechtshändel, Zank und Mord-
taten gibt, daß nirgends unglücklichere Leute leben müssen, als gerade in solchen reichen
Gemeinden. Auch bin ich überzeugt, daß die Lohnverhältnisse in solchen Gemeinden
schlechter als anderswo sein müssen, weil die für den Erfolg der Gewerbetätigkeit so nötige
und von den persönlichen Fähigkeiten bestimmte, freie Berufswahl durch die hier ge-
hemmte Freizügigkeit ganz außerordentlich beschränkt wird. Jeder ist hier auf die Industrie
angewiesen, die sich am Orte hat entwickeln können, und während der eine vielleicht als
Mann der Wissenschaft oder Tanzlehrer in der Welt sein Glück gemacht hätte, muß er hier,
weil er seine Gemeinderechte nicht verlieren will, als Holzhacker sein Leben fristen.

Auf die gleichen Nachteile der "Teilung der Erde" nur noch im Verhältnis wachsend,
stoßen wir, wenn wir die Erde unter die einzelnen Völker verteilen. Keinem Volke genügt
der ihm angewiesene Teil, keinem Volke kann dieser Teil genügen, muß doch zu seiner
gedeihlichen Entwicklung jedes Volk wie jeder einzelne Mensch über die ganze Erdkugel
verfügen können. Da nun der Teil nicht genügt, so sucht man durch Eroberung den
Besitz zu vergrößern. Aber zur Eroberung gehört kriegerische Kraft, und es ist ein durch
die Geschichte der Jahrtausende bestätigtes Gesetz, daß die Macht eines Staates sich
nicht dauernd in dem Maße vermehrt, wie sein Gebiet größer wird, sondern im Gegenteil
durch stete Eroberungen im Laufe der Zeit sich verringert. Deshalb ist es auch ausge-
schlossen, daß alle Völker der Erde jemals durch Eroberung unter eine Herrschaft kommen.
Die Eroberung beschränkt sich darum gewöhnlich auf kleine Happen, die dann bei einer
anderen Gelegenheit wieder verlorengehen. Was der eine durch die Eroberung gewinnt,
verliert der andere; und da dieser andere das gleiche Bedürfnis nach Ausdehnung hat,
so bereitet er sich auf Rückeroberung vor und lauert auf Gelegenheit, über den Nachbar
herzufallen.

So hat nun schon so ziemlich jedes Volk versucht, sich durch Eroberung in den ersehn-
ten Besitz der Erdkugel zu setzen, immer mit dem gleichen Mißerfolg. Das Schwert wird,
wie jedes Hundwerkszeug, stumpf durch den Gebrauch. Und welche Opfer werden diesen
kindischen Versuchen immer und immer wieder gebracht. Ströme von Blut, Berge von
Leichen, Meere von Geld und Schweiß. Dabei keine Spur eines Erfolges. Die Staaten-
karte unserer Erde sieht heute aus wie ein Bettlerrock, geflickt und zerfetzt; neue Grenz-
zäune erheben sich alle Tage, und eifersüchtiger denn je bewacht jeder seinen Knochen,
seine von den Vätern geerbte Bettelsuppe. Kann man heute noch mit vernünftigen Grün-
den hoffen, daß einmal ein Eroberer erstehen wird, der uns alle vereint? Unsinnig wäre
eine solche Hoffnung. Die Teilung führt zum Krieg und der Krieg kann nur zusammen-
flicken. Die Nähte reißen immer wieder auf. Der Mensch braucht die ganze Erde, die
ganze Kugel, keinen zusammengeflickten Fetzen. Und zwar jeder einzelne Mensch, jedes
einzelne Volk; und solange diesem Grundbedürfnis des Menschen nicht genügt wird,
gibt es Krieg. Mann gegen Mann, Volk gegen Volk, Erdteil gegen Erdteil. Wobei noch
zu beachten ist, daß der aus solchen Ursachen entbrannte Krieg stets und regelmäßig
das Gegenteil dessen erzeugen muß, was die Kriegführenden bezwecken. Trennung statt
der Einigung; Verkleinerung statt Vergrößerung; Abgründe statt Brücken.

Es ist ja wahr, daß mancher Spießbürger sich am "gemütlichsten" in einer verräucherten
Bierkneipe fühlt, daß er sich unsicher, unbehaglich fühlt oben auf dem Gipfel des Berges.
Auch von den Altpreußen erzählt man, daß sie der Vereinigung mit dem Deutschen Reiche
nur widerwillig zugestimmt haben; der neue Glanz blendete, die Erdteilung erzeugte eben
ein Bettlergeschlecht.

Darum: weg mit diesen veralteten, stumpfen Werkzeugen, weg mit den Kanonen, weg
mit dem Puppenspiel. Weg mit den Zaunpfählen, mit den Zollgrenzen, ins Feuer mit den
Grundbüchern. Keine Teilung und Zertrümmerung der Erdkugel, keine Scherbe. Suum
cuique. Jedem das Ganze.

Wie kann man nun dieser Forderung, ohne Gütergemeinschaft, ohne weltstaatliche
Verbrüderung und ohne Aufhebung der staatlichen Selbständigkeit der einzelnen Volks-
haufen genügen? Freiland antwortet auf diese Frage.

Wird nun mit der Verwirklichung dieser Forderung nicht schon jedem das ganze, inner-
balb der Staatsgrenze gelegene Land zugänglich gemacht und als sein Eigentum erklärt?
Erhält nach diesem Verfahren nicht jeder das Land zugewiesen, wonach er sich sehnt, wird
nicht hierdurch jeder Wunsch, ja jede Laune und Grille berücksichtigt? Wird das Um-
zugsgut durch Freiland nicht um den ganzen Ballast des Grundeigentums erleichtert und
die Freizügigkeit nicht nur gesetzlich, sondern auch wirtschaftlich eingeführt?

Sehen wir näher zu. - Ein Bauer bewirtschaftet in der norddeutschen Tiefebene einen
großen Hof mit seinen Buben. Da jedoch die Söhne nichts von der Landwirtschaft wissen
wollen und in die Stadt ziehen, um ein Gewerbe zu betreiben, so wird der Hof zu groß für
den Bauer dessen Leistungsfähigkeit überdies durch Alter und Gebrechlichkeit abge-
nommen hat. Er möchte also einen kleineren Hof bewirtschaften und dies mit der Erfüllung
eines Jugendtraumes verbinden, nämlich auf Bergen zu wohnen. Auch möchte er nicht
weit von Frankfurt wohnen, weil sich seine Söhne dort niederließen. Das wäre nun heute
eine ziemlich schwierige, für einen Bauer fast unausführbare Sache.

Mit Freiland ist die Sache anders. Grundeigentum hat der Mann nicht, er ist also frei,
freizügig, wie ein Zugvogel. Selbst den Ablauf seines Pachtvertrages braucht er nicht ab-
zuwarten, da er ihn gegen Zahlung einer Buße alle Tage lösen kann. Er bestellt sich also
das bebilderte Verzeichnis, das die einzelnen Bezirke regelmäßig über die zur Pacht stehen-
den Höfe ausgeben, und merkt sich diejenigen Höfe, die seinen Verhältnissen am besten
entsprechen. An Auswahl wird es nicht fehlen, denn rechnen wir mit einer durchschnitt-
lichen Pachtdauer von 20 Jahren, so würde von je 20 Höfen jährlich einer frei, oder jährlich
etwa 150 000 Höfe, in Durchschnittsgröße von 10 ha - und zwar große und kleine, für
alle Verhältnisse im Gebirge, in der Ebene am Rhein, an der Elbe, an der Weichsel, in
katholischen und protestantischen Gegenden, in konservativen, liberalen, sozialistischen
Kreisen, im Morast, im Sande, am Meer, für Viehzüchter oder Zuckerrübenbauer, im
Walde, im Nebel, an frischen Bächen, in verräucherten Industriegegenden, in der Nähe
der Stadt, der Brauerei, der Garnison, des Bischofs, der Schule, im französischen und
polnischen Sprachgebiet, für Lungenkranke, für Herzleidende, für Starke und Schwache,
Alte und Junge - kurz gesagt, eine Auswahl von jährlich 150 000 Höfen, die zu seiner Ver-
fügung stehen, die sein Eigentum darstellen, die er nur zu bearbeiten braucht. Wird da
nicht jeder sagen können, daß er das ganze Reich besitzt? Was fehlt ihm denn noch zum
Besitze des Reiches? Mehr als einen Hof kann er doch nicht gleichzeitig bewohnen und
besitzen. Denn besitzen heißt darauf sitzen. Auch wenn er ganz allein auf der Erde wäre,
müßte er sich doch für einen Platz entschließen.

Gewiß man wird ihm eine Pacht abfordern, aber diese Pacht ist die Gegenleistung für
die Grundrente, die kein Erzeugnis des Bodens, sondern ein solches der Gesellschaft bildet.
Und der Mensch hat ein Recht auf die Erde, nicht auf die Menschen. Wenn also der Bauer
die Rente, die er in den Preisen seiner Feldfrüchte von der Gesellschaft erhebt, wieder als
Pacht an die gleiche Gesellschaft abträgt, so wirkt er einfach als Rechnungsführer, als
Steuerempfänger; sein Recht auf den Boden wird dadurch nicht verkümmert. Er gibt der
Gesellschaft zurück, was ihm diese im Preise der Bodenfrüchte über seine Arbeit hinaus
bezahlt hatte. Da nun aber der Pächter auch wieder Mitglied der Gesellschaft ist, so kommt
auf ihn auch wieder sein Anteil an den Pachtsummen. Er zahlt also tatsächlich auch nicht
einmal Pacht; er liefert nur die von ihm eingezogenen Grundrenten zur genauen Verrech-
nung an die Gesellschaft ab.

Wir müssen also zugeben, daß mit Freiland das Recht jedes Einzelnen auf das ganze
deutsche Gebiet in unbeschränkter Form geschützt und verwirklicht wird.

Aber mit der deutschen Scherbe ist dem seiner Würde bewußten Menschen nicht ge-
nügt. Er fordert das Ganze, die Erdkugel, als sein Eigentum, als ein untrennbates Glied
seiner selbst.

Auch diese Schwierigkeit löst Freiland. Denken wir uns Freiland auf alle Länder aus-
gedehnt; ein Gedanke, der alles Absonderliche verliert, wenn wir überlegen, daß so manche
eigenvölkische Einrichtung die Grenzen des Landes überschreitet und sich die ganze
Welt erobert. Also angenommen, Freiland sei international eingeführt und durch Verträge
dahin ergänzt worden, daß einwandernde Bürger anderer Staaten als gleichberechtigt
angesehen werden, was ja schon heute in bezug auf die Gesetze so ziemlich allgemein der
Fall ist. Was fehlt dann noch an der Verwirklichung des Rechtes jedes einzelnen Menschen
auf den Besitz der ganzen Erdkugel? Die ganze Welt bildet von nun an sein uneinge-
schränktes Eigentum: er kann überall, wo es ihm gefällt, sich ansiedeln (heute zwar auch
schon, aber nur wenn er Geld hat), und zwar völlig umsonst, denn die Pacht, die er be-
zahlt, wird, wie gesagt, nicht eigentlich vom Boden erhoben sondern als Gegenleistung
der Grundrente, die er in den Preisen seiner Erzeugnisse von der Gesellschaft erhebt und
die ihm in den Staatsleistungen zurückgegeben wird.

Also durch Freiland kommt jeder einzelne Mensch in den Besitz der ganzen Erdkugel.
Sie gehört ihm; sie ist, wie sein Kopf, sein unbeschränktes Eigentum, sie ist mit ihm ver-
wachsen; sie kann ihm nicht auf Grund eines protestierten Wechsels, einer Pfandschuld,
einer Gutschrift für einen verkrachten Freund, abgenommen, abgeschnitten werden. Er
kann machen, was er will, trinken, an der Börse spielen; sein Eigentum ist unantastbar.
Ob er das Erbe seiner Väter mit 12 Geschwistern teilen muß, oder ob er einziges Kind ist
- für das Grundeigentum ist das gleichgültig geworden. Ganz unabhängig von seinem
Tun und Lassen bleibt die Erde sein Eigentum. Liefert er die im Preise der Ackererzeug-
nisse eingezogene Rente nicht an die Gesellschaft ab, so wird man ihn unter Vormund-
schaft stellen, aber die Erde bleibt darum nicht weniger sein Eigentum.

Durch die Bodenverstaatlichung kommt jedes Kind als Grundeigentümer zur Welt, und
zwar hält jedes Kind, ob ehelich oder unehelich geboren, wie das Christuskind zu Prag die
Erdkugel in der Hand. Den Schwarzen, den Roten, den Gelben, den Weißen, allen ohne
Ausnahme gehört die Erde ungeteilt.

Staub bist du, und in Staub wirst du zerfallen. Das scheint wenig, aber man unter-
schätze die wirtschaftliche Bedeutung dieses Staubes ja nicht. Denn dieser Staub ist ein
Bestandteil der Exde, die jetzt noch den Grundbesitzern gehört. Um zu werden und zu
wachsen, brauchst du Bestandteile der Erde; schon ein geringer Fehlbetrag an Eisen in
deinem Blut bringt dich um deine Gesundheit. Ohne die Erde und (falls diese den Grund-
besitzern gehört) ohne Erlaubnis der Grundbesitzer darf niemand geboren werden. Das ist
durchaus keine Übertreibung. Die Untersuchung deiner Asche ergibt gewisse Mengen
erdiger Bestandteile, die niemand aus der Luft gewinnen kann. Diese erdigen Bestandteile
gehörten einmal der Erde oder ihren Eigentümern, sie sind von diesen gekauft oder
ihnen gestohlen worden. Eins von beiden.

In Bayern wurde die Erlaubnis zum Heiraten von einem gewissen Einkommen ab-
hängig gemacht. Die Erlaubnis zur Geburt wird gesetzlich allen denen versagt, die den
Staub nicht bezahlen können, der für den Aufbau ihres Knochengerüstes nötig ist.

Ohne Erlaubnis der Grundbesitzer darf aber auch niemand sterben, denn in Staub wirst
du zerfallen, und dieser Staub beansprucht Platz auf der Erde; und was nun wenn der
Grundbesitzer dir diesen Platz versagt? Wer daher ohne Erlaubnis auf dem Boden eines
Grundbesitzers stirbt, bestiehlt diesen Besitzer. Wer darum seine Begräbnisstelle nicht
bezahlen kann, fährt geradewegs in die Hölle. Darum sagt auch das spanische Sprichwort:
Er hat nicht, wo er zum Sterben hinfallen darf. Und die Bibel: Des Menschen Sohn hat
nicht, wo er sein Haupt hinlegen kann.

Aber zwischen Wiege und Sarg liegt das ganze lange Leben, und das Leben ist ja be-
kanntlich ein Verbrennungsvorgang. Der Körper ist ein Ofen, worin eine beständige
Hitze erhalten werden muß, wenn der Lebensfunken nicht erlöschen soll. Diese Wärme
sucht man innerlich durch Nahrungszufuhr äußerlich durch Kleidung und Wohnung
als Schutz gegen Wärmeausstrahlung zu erhalten.

Nun gehören aber wieder die Nahrungsmittel, wie auch die Kleiderstoffe und die
Baustoffe der Wohnungen zu den Erzeugnissen der Erde, und was nun, wenn die Eigen-
tümer dieser Erde dir diese Stoffe verweigern?

Ohne die Erlaubnis der Erdbesitzer wird also niemand essen, sich kleiden, überhaupt
leben dürfen.

Auch das ist durchaus keine Übertreibung. Die Amerikaner versagen den Chinesen
die Einwanderung, die Australier weisen von ihren Küsten alle ab, deren Haut nicht
hellweiß ist; selbst schiffbrüchige Malaien, die an der australischen Küste Schutz suchten,
wurden mitleidlos wieder ausgewiesen. Und wie verfährt bei uns die Polizei mit allen,
die nicht über die Mittel verfügen, sich die Güter der Erde zu kaufen? "Du hast nichts,
du lebst aber, folglich stiehlst du. Deine Körperwärme, die nur die Frucht eines mit
Bodenerzeugnissen unterhaltenen Feuers sein kann, verrät deine Missetat, verrät, daß
du stiehlst! Marsch ins Gefängnis!" Darum pflegen ja auch die Handwerksburschen
sich einen unantastbaren eisernen Geldfonds zuzulegen; darum stellen sie sich, im Voll-
bewußtsein ihrer Schuld, mit den Worten vor: Entschuldigen Sie, ein armer Reisender.

Häufig hört man die Redensart: "Der Mensch hat ein natürliches Recht auf die Erde."
Das ist aber Unsinn, denn dann könnte man auch sagen, der Mensch habe ein Recht
auf seine Glieder. Von "Rechten" sollten wir hier nicht reden, sonst könnte man ja
auch sagen, die Tanne habe ein Recht, ihre Wurzeln in die Erde zu senken. Kann der
Mensch im Luftballon sein Leben verbringen? Die Erde gehört zum Menschen, sie bildet
einen organischen Teil seiner selbst; wir können uns den Menschen ohne die Erde eben-
sowenig denken wie ohne Kopf und Magen. Wie der Kopf, so ist auch die Erde ein
Teil ein Glied des Menschen. Wo beginnt der Verdauungsvorgang beim Menschen und
wo hört er auf? Dieser Vorgang fängt nirgendwo an und hat auch kein Ende, er bildet
einen geschlossenen Kreis ohne Anfang und Ende. Die Stoffe, die der Mensch braucht,
sind im Rohzustand unverdaulich - sie müssen vorher bearbeitet werden, eine Ver-
dauung durchmachen. Und diese Vorarbeit verrichtet nicht der Mund, sondern die
Pflanze. Diese sammelt und verwandelt die Stoffe, so daß sie auf ihrem weiteren Weg
durch den Verdauungskanal zu Nahrungsstoff werden können. Die Pflanzen mit ihrem
Standort in der Erde gehören also ebenso zum Menschen, wie der Mund, die Zähne,
der Magen.

Jedoch ist dem Menschen nicht, wie der Pflanze, mit einem Teile der Erde gedient;
er braucht die ganze Erde, und zwar braucht jeder einzelne Mensch die ganze Erde
ungeteilt. In Tälern und auf Inseln wohnende oder durch Mauern und Zölle abge-
schlossene Völker verkümmern, sterben aus. Handelsvölker dagegen, die mit allen Er-
zeugnissen der Erde ihr Blut würzen, bleiben frisch, vermehren sich und erobern die
Welt. Die leiblichen und geistigen Bedürfnisse der Menschen senken ihre Wurzeln in
jedes Krümelchen der ganzen Erdrinde; sie umfassen die Erde wie mit Polypenarmen.

Alles braucht der Mensch nicht einen Teil. Er braucht die Früchte der heißen und der
gemäßigten Zone, wie auch die des hohen Nordens, er braucht für seine Gesundheit die
Gebirgs-, See- und Wüstenluft: Zur Geistesauffrischung braucht er den Verkehr und
die Erfahrung aller Völker der Erde. Er braucht alles, selbst die Götter der verschiedenen
Völker braucht er als Vergleichsgegenstände für seine Religion. Die ganze Erdkugel, so
wie sie da im prächtigen Flug um die Sonne kreist, ist ein Teil, ein Organ des Menschen,
jedes einzelnen Menschen.

Dürfen wir nun gestatten, daß einzelne Menschen Teile dieser Erde, Teile von uns
selbst, als ausschließliches und ausschließendes Eigentum in Beschlag nehmen, Zäune
errichten und mit Hunden und abgerichteten Sklaven uns von Teilen der Erde abhalten,
uns ganze Glieder vom Leibe reißen? Bedeutet ein solches Vorgehen nicht dasselbe,
wie eine Verstümmelung an uns selbst?

Man wird vielleicht diesen Vergleich nicht gelten lassen wollen, weil das Abschneiden
eines Grundstückes nicht mit Blutverlust verbunden ist. Blutverlust! Wäre es doch nur
gemeiner Blutverlust! Eine gewöhnliche Wunde heilt; man schneidet ein Ohr, eine Hand
ab: der Blutstrom versiegt, die Wunde vernarbt. Aber die Wunde, die uns die Ampu-
tation eines Grundstückes am Leibe hinterläßt, eitert ewig, vernarbt nie. An jedem
Zinszahlungstage springt die Wunde immer wieder auf, und das rote goldene Blut fließt
in Strömen ab. Bis aufs Weiße wird da der Mensch geschröpft, blutleer wankt er einher.
Das Abschneiden eines Grundstückes von unserem Leibe ist der blutigste aller Eingriffe,
er hinterläßt eine jauchige, klaffende Wunde, die nur unter der Bedingung heilen kann,
daß das geraubte Glied wieder angesetzt wird.

Aber wie? Ist nicht die Erde schon zerstückelt, in Scherben zerschlagen, zerteilt und
verteilt? Und hat man darüber keine Urkunden ausgestellt, die geachtet werden müssen?
Nein, das ist Unsinn, nichts als Unsinn!

Wer hat die Urkunden ausgestellt; wer hat sie unterschrieben? Ich selbst habe in
meinem Namen niemals in die Teilung der Erde, meiner Glieder, eingewilligt; und was
andere für mich ohne meine Zustimmung getan haben, was geht das mich an! Für mich
sind alle diese Urkunden wertloses Papier. Ich habe die Einwilligung zur Verstümmelung
nicht gegeben, die aus mir einen Krüppel macht. Darum fordere ich meine geraubten
Glieder zurück und erkläre jedem den Krieg, der mir einen Teil der Erde vorenthält.

'Aber hier auf diesen vergilbten Pergamenten steht die Unterschrift deiner Vor-
fahren!" Ganz recht, ich lese dort meinen Namen - aber ob der Name gefälscht wurde,
wer weiß es? Und wenn auch die Unterschrift echt wäre, wofür sogar die Möglichkeit
eines Beweises fehlt, so sehe ich neben der Unterschrift ein Loch, das vom Dolch her-
rührt, mit dem die Unterschrift erpreßt wurde, da doch niemand ohne unmittelbare
Lebensgefahr einzelne seiner Glieder opfert. Auch der Fuchs beißt sich wohl ein Bein
ab, aber nur, wenn er in der Falle sitzt. Und schließlich: ist denn heute jemand ver-
pflichtet, die Schulden seiner Vorfahren anzuerkennen? Sind die Kinder für die Sünden
ihrer Vorfahren haftbar? Dürfen die Eltern ihre Kinder verstümmeln, darf der Vater
seine Tochter verkaufen? Unsinn, alles Unsinn.

Den Kindern der Säufer wird ein Vormund bestellt; und wer sagt, daß nicht alle diese
Grundbuchurkunden im Rausche unterschrieben wurden? Wahrhaftig, man möchte
glauben, unsere Vorfahren hätten in ewigem Rausche gelebt! Säufer wären es gewesen,
die die Erde verjubelt haben, Säufer, wie die alten Germanen, die im Rausche Weib und
Kind aufs Spiel setzten. Nur durch denTrunk verkommenes Gesindel verkauft sich oder
seine Glieder, nur heruntergekommene Menschen können die Grundbuchurkunden frei-
willig unterschrieben haben. Denke man sich doch nur, es käme vom Monde herunter
ein Mann mit einer Schnapsflasche, um hier Land für den Mond zu kaufen! Würde man
ihm erlauben, Teile dieser Erde, große und kleine, fortzuschleppen? Und doch ist es
völlig gleich, ob die Erde auf den Mond getragen wird, oder ob ein Grundeigentümer
sie in Beschlag nimmt. Der Grundeigentümer läßt nach Einziehung der Grundrente
ja doch nur Öd- und Wüstland zurück. Wenn unsere Grundeigentümer auf der Kapital-
flucht die gesamte Ackerkrume Deutschlands aufrollten und ins Ausland verschleppten,
- für das Volk wäre das gleichgültig. Trotz der Hungersnot führten die in Paris prassen-
den russischen Grundbesitzer riesige Mengen Getreide aus Rußland aus, so daß selbst
die Kosaken in Not gerieten und man zum Aufrechterhalten der Ordnung ein Ausfuhr-
verbot erließ.

Kann man also anders annehmen, als daß die Unterschriften im Grundbuch mit dem
Dolche erpreßt, mit der Schnapsflasche erschwindelt wurden? Das Grundbuch, das ist
das Verbrecheralbum Sodoms und Gomorrhas, und wenn irgendein Grundbesitzer die
Verantwortung für die Handlungen seiner Vorfahren übernehmen möchte, so müßte
man ihn gleich wegen Betrugs und Erpressung einsperren.

Jakob erpreßte von seinem Bruder für einen Teller Linsen dessen ganze Viehweide,
als dieser, dem Verhungern nahe, von der Wolfsjagd heimkehrte. Sollen wir nun diesem
Wucher die sittliche Weihe geben, dadurch, daß wir die Nachkommen Esaus mit der
Polizei von der Benutzung jener Weide abhalten?

Jedoch, wir brauchen nicht bis auf Esau zurückzugreifen, um die Urgeschichte unserer
Urkunden aufzudecken. "Die Besiedelung der meisten Länder hat ursprünglich auf dem
Wege der Okkupation, der Eroberung, stattgefunden, und auch später hat oft genug das
Schwert die bestehende Teilung wieder verändert." (1)

Und wie wird heute unter unseren Augen die Besetzung eines Landes betrieben?
Für eine Flasche Schnaps für sich und ein buntes Kleid für seine Gemahlin veräußerte
der schwarze Hererokönig das von ihm den Hottentotten entrissene Land. Millionen von
Hektar, die ganze Weide ihrer Herden. Wußte er, was er tat, als er mit dem Schnapse
im Kopfe das verräterische + unter das Schriftstück setzte? Wußte er, daß dieses Schrift-
stück nunmehr als wertvolle Urkunde wie ein Heiligtum in eisernem Schranke aufbe-
wahrt, von einer Schildwache Tag und Nacht behütet würde? Wußte er, daß nunmehr
er und sein ganzes Volk auf jenes unbeholfene Kreuz genagelt würden, daß er von da
ab für jede seiner Kühe eine Rente würde zahlen müssen - er, seine Kinder, seine Enkel,
heute, morgen, ewig? Das wußte er nicht, als er das von den Missionaren erlernte Zeichen
des Kreuzes auf das Schriftstück malte. Wie kann man auch mit dem Christuszeichen
betrogen und bestohlen werden? Und wenn er die Bedeutung des Schriftstückes kannte,
warum hat man den Lumpen als Volksverräter nicht an den ersten besten Baum geknüpft?
Aber er wußte es nicht, das geht ganz klar daraus hervor, daß, als der Inhalt der Urkunde
in die Tat umgesetzt wurde, er sich erhob, um das "betrügerische Gesindel" (in den
deutschen Zeitungen nannte man die unglücklichen Eingeborenen, die ihren "Freiheits-
krieg" mit den ihnen zur Verfügung stehenden Waffen führen, in der Regel - Mord-
brenner, Diebe, Gesindel usw.) zu vertreiben. Freilich nutzlos, denn nun wurde eine
Hetz- und Treibjagd veranstaltet, und die wenigen, die nicht zur Strecke gebracht
wurden, hat man in die Wüste gedrängt, wo sie verhungern werden (siehe die öffentliche
Bekanntmachung des Generals Trotha).

Das auf diese Weise besetzte Land hat man dann, laut amtlicher Auskunft, wie folgt,
verteilt (2):

1. Deutsche Kolonialgesellschaft für Südwestafrika ........ 135 000 qkm

2. Siedelungsgesellschaft..... ·.... · · · · · · · · · . . . . . . . . . . . 20 000 qkm

3. Hanseatische Land-, Minen- und Handelsgesellschaft.............10 000 "

4. Kaoko Land- und Minengesellschaft ...... · ...................... 103 000 "

5. Southwestafrika Co. Ltd. ....................................... ... 13 000 "

6. South Afrika Territories Ltd. ......................................... 12 000 qkm

Sa.295 000 qkm
gleich 900 Millionen Morgen Land.

Was haben diese 6 Erwerber wohl für die 900 Millionen Morgen Land gegeben?
Einen Schnaps, ein Linsengericht. So ging es und geht es in Afrika, in Asien, in Australien.

In Südamerika hat man es noch bedeutend einfacher gemacht, da hat man sich das
Schriftstück mit dem + als Unterschrift gespart: Man schickte den General Roca, den
nachherigen Präsidenten, mit einer Bande Soldaten gegen die Indianer aus, um diese von
den fruchtbaren Weideplätzen der Pampa zu vertreiben. Man knallte die Mehrzahl nieder,
schleppte die Weiber und Kinder nach der Hauptstadt als billige Arbeitskräfte, und
trieb den Rest über den Rio Negro. Das Land wurde dann unter die Soldaten verteilt
und verschrieben, die in der Regel nichts Eiligeres zu tun hatten, als ihre Rechte zu ver-
kaufen - für Schnaps und bunte Tücher. (3)

So, nicht anders, entstanden "die heiligen, unantastbaren Rechte" der heutigen Be-
sitzer des besten, fruchtbarsten Bodens, den es vielleicht in der Welt gibt. Der Tummel-
platz von Millionen von Schafen, Pferden und Kühen, der Boden für ein schon im Ent-
stehen begriffenes neues großes Volk befindet sich heute im Besitz einer Handvoll Leute,
die nichts weiter dafür gegeben haben als - eine Flasche Schnaps.

In Nord-Amerika waren die in jüngster Zeit besiedelten Ländereien meistens unbe-
wohnt. Da konnte sich jeder einfach nehmen soviel er brauchte. Jeder Erwachsene,
Mann oder Frau, hatte da das Recht auf 160 Acker Land, so daß Familien mit 6 er-
wachsenen Kindern 1000 Acker gleich 400 ha beanspruchen konnten. Gegen die kleine
Verpflichtung, einige Bäume zu pflanzen und zu pflegen, durfte jeder die doppelte Anzahl
Acker (also 320) in Besitz nehmen. Nach einer Reihe von Jahren (6) wurden Besitztitel
ausgeschrieben, und das Land war dann verkäuflich. Durch Ankauf solcher "Heim-
stätten" für billiges Geld (denn für eine Sache, die man so ohne weiteres überall in Besitz
nehmen kann, konnte nicht viel gefordert werden) sind dann die Riesenfarmen von Tau-
senden von Hektar entstanden. Preis: eine Flasche Schnaps, ein Linsengericht. So be-
sitzen zwei Luxemburger Bauern, die Herren Müller und Lux, in Kalifornien heute
einen Landsitz so groß, daß Preußen und Lippe bequem darin Platz finden würden.
Preis: eine Flasche Schnaps, ein Linsengericht.

Die Northern-Pacific-Eisenbahn erhielt von der Regierung die Genehmigung zum
Bau der Eisenbahn umsonst, dazu noch die Hälfte des Landes, das sich rechts und links
der Bahn hinzieht, und zwar 40 Meilen landeinwärts. Man denke: 40 Meilen rechts und
links der ganzen, 2000 Meilen langen Bahn! Preis? Ein Schnaps? Nein, weniger als ein
Schnaps - umsonst!

Bei der Kanada-Pacific-Bahn verhält es sich ähnlich. In der von dieser Bahngesell-
schaft ausgegebenen Flugschrift "Die neue Weltstraße nach dem Orient" heißt es S. 5:
"Die Gesellschaft übernahm den Bau der 1920 Meilen, wofür sie von der Regierung
eine Anzahl wertvoller Vorrechte und Freiheiten, ferner 25 Millionen Dollars in Geld,
25 (sage und schreibe fünfundzwanzig) Millionen Morgen Ackerland und 638 Meilen
schon fertiger Eisenbahn erhalten hat."

Wer nun etwa glaubt, daß als Preis dieser Leistungen die zu bauende Eisenbahn an-
zusehen wäre, der irrt sich gewaltig. Die erwähnte Flugschrift sagt, die ganze Bahn solle
Eigentum der Gesellschaft sein. Aber wo, so wird man fragen, ist denn die Gegen-
leistung der geschenkten 25 Millionen Morgen Ackerland, der 25 Millionen Dollars in Geld,
der 638 Meilen fertiger Eisenbahn und der wertvollen Freiheiten? Antwort: ein Schnaps,
ein Linsengericht, die Verlustgefahr (Risiko) für die Verzinsung des Anlagekapitals.

So gingen hier durch einen Federstrich 25 Millionen Morgen Ackerland in den Privat-
besitz über, in einem der fruchtbarsten, schönsten und gesündesten Länder. Man hatte
sich nicht einmal die Mühe gegeben, sich das Land anzusehen, das da verschenkt werden
sollte. Erst während des Bahnbaues "entdeckte" man die außerordentliche Fruchtbar-
keit des Bodens, die Schönheit der Landschaft, den Reichtum an Kohlen und Erzen.
Und das war nicht Afrika, sondern in dem sonst durch seine treffliche Verwaltung
rühmlichst bekannten Kanada.

So entsteht heute der Privatgrundbesitz in Ländern, von denen Europa so abhängig
ist wie von den eigenen Äckern.

Sollen wir nun, nachdem wir wissen, wie der Privatgrundbesitz heute entsteht, noch
weiter danach forschen, wie er gestern entstand? "Peor es menearlo", sagt der Spanier:
schlimmer wird es, je mehr man darin herumrührt. Sollen wir die Kirche fragen, auf
wieviel Grad die Hölle geheizt worden war, als die Sterbende ihren Landsitz der Kirche
vermachte? Sollen wir die Grafen, Fürsten, Freiherren fragen, durch welche hochver-
räterischen Mittel sie vom schwächlichen, kranken Kaiser die Umwandlung des mit der
Heeresfolge belasteten Lehens in lastenfreies Besitztum erwirkten; wie sie den Einfall
räuberischer Nachbarn als hochwillkommene Gelegenheit benutzten, um vom Kaiser
Vorrechte und Grundbesitz zu erpressen? "Peor es menearlo." Es stinkt, wenn man
darin herumrührt. Sollen wir die englischen Landlords fragen, wie sie eigentlich zum
Grundbesitz in Irland gelangten? Raub, Mord, Hochverrat und Erbschleicherei, das
wären die Antworten auf diese Fragen. Und wer mit diesen Antworten etwa nicht zu-
friedengestellt ist, dem werden die alten Mären und Trinklieder, der jämmerliche, körper-
liche und geistige Zerfall der Rasse die gewünschte, volle Auskunft über die Herkunft
des Privatgrundbesitzes geben. Er wird sich überzeugen, daß unsere Ahnen eine Bande
von Säufern waren, die das Erbe ihrer Nachkommen verjubelt haben und die sich den
Teufel um das Schicksal der folgenden Geschlechter kümmerten. Nach uns die Sint-
flut, das war ihr Wahlspruch.

Sollen wir nun die "altehrwürdigen" Zustände, die diese lustigen Brüder geschaffen
haben, aufrecht erhalten, aus frommer Ehrfurcht vor den Flaschen, die dabei geleert
wurden, aus Dankbarkeit für das verseuchte Blut, für die verkrüppelten Glieder, die sie
uns hinterließen?

Die Werke der Toten sind für uns nicht maßgebend; jedes Zeitalter hat seine eigenen
Aufgaben zu erfüllen, übrigens auch gerade genug damit zu tun. Das tote Laub der
Bäume fegt der Herbststurm fort, den toten Maulwurf auf dem Wege, den Mist der
weidenden Herden verscharren die Käfer, kurz die Natur sorgt dafür, daß das Abge-
storbene vernichtet werde, damit die Erde immer jung und frisch bleibe. Die Natur
haßt alles, was an den Tod erinnert. Ich habe noch niemals beobachtet, daß das bleiche
Gerippe einer dürren Fichte dem aufstrebenden jungen Geschlechte als Stütze und
Leiter gedient hätte. Ehe noch das Samenkorn keimt, hat den dürren Baum der Sturm
schon gestürzt. Im Schatten der alten Bäume kann das junge Geschlecht nicht gedeihen;
kaum aber sind die alten gefällt, so wächst und gedeiht alles.

So laßt uns also mit dem Toten auch seine Werke und Gesetze begraben. Errichtet
aus den alten Urkunden und Grundbüchern einen Scheiterhaufen und legt den Toten
darauf. Der Sarg ist ein schlechtes, allzu enges Bett, und was sind die Gesetze und Grund-
bücher für uns anderes als Särge, worin die geistige Hülle unserer Vorfahren gebettet liegt?

Fort also ins Feuer mit dem vermoderten Plunder! Der Asche, nicht der Leiche, ent-
steigt der Phönix!


(1) Anton Menger: Das Recht auf den vollen Arbeitsertrag. 4. Aufl. S. 2.

(2) Deutsche Volksstimme. 20. Dezember 1904.

(3) Im Hamburger Fremdenblatt vom 22. Dez. 1904 finde ich folgende Mitteilung:
"Latifundien in Argentinien. Hamburg, 22. Dez. Wie der hiesige Generalkonsul mit-
teilt, haben kürzlich Verkäufe von großen Ländereien in Argentinien stattgefunden, die
deutlich zeigen, wie sehr der Wert von Grund und Boden auch in diesem Lande steigt.
Antonio Devoto kaufte in dem Territorium der Pampa von der englischen Gesellschaft
South American Land Company ein Areal von 116 Leguas mit 12 000 Stück Hornvieh,
300 000 Schafen usw. für 6 1/2 Millionen Dollars = etwa 50 000 Dollars per Legua von
2 500 ha. - Jose Guazzone, der Weizenkönig genannt, kaufte im Bezirk Navarria in der
Provinz Buenos Aires 5 Leguas à 200 000 Dollars. - Die Jewish Colonisation Society
kaufte 40 Leguas, teils in Pique, teils in der Pampa Central zum Preise von 88 000 Dollars
per Legua, die der Verkäufer, Herr Federico Leloir im Jahre 1879 für 400 Dollars per
Legua erstand. - Alle diese Ländereien der Pampa, die im Jahro 1878 von den Indianer-
horden befreit wurden, eind 1879/80 von der Regierung zu 400 Dollars die Legua von
2500 ha öffentlich verkauft worden; sie eignen sich besonders für Viehzucht, und ihr Wert
hat sich seitdem um das 150 - 200 fache gesteigert, ein gutes Zeichen für das Gedeihen
und die Zukunft des Landes."
Hierzu ist noch zu bemerken, daß die berechnete 200fache Preissteigerung in Wirklich-
keit bedeutend größer ist. Die 400 Dollars für die Legua von 2500 ha waren in moneda
corriente zahlbar, wovon 30 auf einen heutigen Peso gingen. Die Preissteigerung ist also
30 x 200 = 6000fach. Es wird erzählt, daß die Soldaten ihre Landanteile für Streich-
hölzchen (Cajas de fosforos) verkauften.


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Dieser Text wurde im Juli 1997 ins Netz gebracht von: W. Roehrig.
Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.