ERSTER TEIL:
"Wenn den Unternehmern das Geldkapital zur Hälfte des
jetzigen Zinses angeboten würde,
so müßte auch bald der Zinsertrag aller übrigen
Kapitalien um die Hälfte heruntergehen.
Wenn z. B. ein Haus mehr Miete abwirft, als dem Unternehmer das
Baugeld an Zins kostet,
wenn der Zins des für das Roden eines Waldes ausgegebenen
Geldes weniger ausmacht als die
Pacht eines gleich guten Kulturbodens, so wird der Wettbewerb
unfehlbar eine Herabsetzung
der Mieten und Pachten auf die Höhe des herabgesetzten Geldzinses
herbeiführen (also den
Mehrwert schmälern), denn das sicherste Mittel, um ein aktives
Kapital (Haus, Acker) zu
entwerten (also um den Mehrwert zu Gunsten der Löhne zu beschneiden),
besteht doch darin,
neben ihm andere, neue Kapitalien zu schaffen und in Betrieb zu
setzen. Nach allen wirt-
schaftlichen Gesetzen vermehrt eine größere Erzeugung
auch die Masse des den Arbeitern
angebotenen Kapitals, hebt die Löhne und muß schließlich
den Zins (Mehrwert) auf Null
bringen."
Übersetzt aus Proudhon: Was ist Eigentum? (Qu'est-ce que
la proprieté? Paris.
E. Flamarion, Neue Ausgabe, S. 235.)
Die Beseitigung des arbeitslosen Einkommens, des sogenannten
Mehrwertes, auch
Zins und Rente genannt, ist das unmittelbare wirtschaftliche Ziel
aller sozialistischen
Bestrebungen. Zur Erreichung dieses Zieles wird allgemein der
Kommunismus, die
Verstaatlichung der Gütererzeugung mit all ihren Folgen,
verlangt, und mir ist nur ein
einziger Sozialist bekannt - P. J. Proudhon -, dessen Untersuchungen
über das Wesen
des Kapitals ihm auch eine andere Lösung der Aufgabe möglich
erscheinen ließen. Die
Forderung einer allgemeinen Verstaatlichung sämtlicher Erzeugung
wird mit der Natur,
d. h. mit den Eigenschaften der Produktionsmittel begründet.
Man sagt es harmlos, wie
man Selbstverständlichkeiten auszusprechen pflegt, daß
der Besitz der Produktions-
mittel dem Kapitalisten bei den Lohnverhandlungen den Arbeitern
gegenüber unter
allen Umständen ein Übergewicht verschaffen muß,
dessen Ausdruck eben der Mehr-
wert oder Kapitalzins ist und immer sein wird. Man kann es sich
einfach nicht vorstellen,
daß das heute auf seiten des Besitzes liegende Übergewicht
einfach dadurch auf die Besitz-
losen (Arbeiter) übergehen kann, daß man den Besitzenden
neben jedes Haus, jede Fabrik
noch ein Haus, noch eine Fabrik baut.
Der den Sozialisten von P. J. Proudhon bereits vor fünfzig
Jahren gezeigte Weg, das
Kapital mit unverdrossener, fleißiger, scharfsinniger und
ungehemmter Arbeit bewußt
anzugreifen und zur Strecke zu bringen, ist ihnen heute unverständlicher
noch als damals.
Man hat Proudhon zwar nicht ganz vergessen, aber niemand hat
ihn recht verstanden.
Sonst gäbe es heute kein Kapital mehr. Weil Proudhon sich
im Wege (Tauschbanken)
irrte, glaubte man überhaupt seiner Lehre nicht mehr - wohl
der beste Beweis, daß
man sie nie wirklich begriffen hatte. Man läßt eine
Sache nicht fahren, die man einmal
als richtig erkannt hat; man läßt sich von Fehlschlägen
nicht entmutigen.
Warum es der Marxschen Lehre vom Kapital gelang, die Proudhonsche
Lehre zu ver-
drängen und die sozialistische Bewegung zur Alleinherrschaft
zu bringen? Warum spricht
man in allen Zeitungen der Welt von Marx und seiner Lehre? Einer
meinte, das läge
an der Hoffnungslosigkeit und entsprechenden Harmlosigkeit der
Marxschen Lehre.
Kein Kapitalist fürchte diese Lehre, wie auch kein Kapitalist
die christliche Lehre
fürchtet. Es wäre geradezu vorteilhaft für das
Kapital, möglichst viel und breit von Marx
und Christus zu reden. Marx würde ja dem Kapital niemals
etwas anhaben können, weil
er die Natur des Kapitals falsch beurteilt. Bei Proudhon dagegen,
da heißt es aufpassen.
Besser ist es, ihn totzuschweigen. Er ist ein gefährlicher
Bursch, denn es ist einfach un-
bestreitbar, was er sagt, daß, wenn die Arbeiter ungestört,
ungehemmt, ununterbrochen
arbeiten dürften, das Kapital bald in einer Kapital-Überproduktion
(nicht mit Waren-
überproduktion zu verwechseln) ersticken würde. Das,
was Proudhon zur Bekämpfung
des Kapitals empfiehlt, kann heute unmittelbar in Angriff genommen
werden, ist also
gefährlich. Spricht doch das Marxsche Programm selber von
der gewaltigen Produktions-
kraft des mit den neuzeitlichen Werkzeugen ausgerüsteten,
modernen, geschulten Ar-
beiters. Marx kann mit dieser gewaltigen Produktionskraft durchaus
nichts anfangen; in
den Händen Proudhons wird sie zu einer Waffe allererster
Ordnung gegen das Kapital. Darum
redet viel und breit von Marx, so wird man Proudhon vielleicht
ganz vergessen.
Mir scheint, daß der Mann, der so redete, recht hat. Ging
es nicht auch so mit Henry
George und der deutschen sogenannten Bodenreformbewegung, mit
Damaschkes großer
"Wahrheit"? Weil die Grundbesitzer bald herausfanden,
daß es sich um ein Schaf in
Wolfskleidern (1) handelte, daß eine Besteuerung der Grundrente
wirksam nicht durch-
zuführen ist, so brauchte man den Mann und die Reform nicht
zu fürchten. Also durfte
die Presse frei von Henry Georges Schwärmerei reden. - Die
Bodenreformer waren
in der guten Gesellschaft überall gern gesehen. Jeder Agrarier,
jeder Kornzollspekulant
wurde Bodenreformer. Der Löwe hatte ja doch keine Zähne,
also durfte man mit ihm
spielen - wie so viele in den Sälen der vornehmen Welt mit
dem Christentum spielen.
Georges Buch erlebte die größte Auflage, die ein Buch
je erlebt hat. Alle Zeitungen
brachten Besprechungen!
Marx Untersuchung des Kapitals schlägt von Anfang an den
verkehrten Weg ein.
Wie es der erste beste Bauer macht, so betrachtet auch Marx das
Kapital als ein Sachgut.
Für Proudhon dagegen ist der Mehrwert nicht Produkt eines
Sachgutes, sondern eines
wirtschaftlichen Zustandes, eines Marktverhältnisses. Marx
sieht im Mehrwert einen
Raub, die Frucht des Mißbrauches einer Macht, die der Besitz
gibt. Für Proudhon
unterliegt der Mehrwert dem Gesetz von Angebot und Nachfrage.
Für Marx ist der
positive Mehrwert selbstverständlich, für Proudhon mußte
auch die Möglichkeit eines
negativen Mehrwertes in den Kreis der Betrachtung gezogen werden
(positiv = der
Mehrwert auf seiten des Angebots, d. i. der Kapitalisten, negativ
= Mehrwert auf
seiten der Nachfrage, d. i. der Arbeiter). Marx' Ausweg ist die
durch Organisation zu
schaffende politische Übermacht der Besitzlosen; Proudhons
Ausweg ist die Beseitigung des
Hindernisses, das uns von der vollen Entfaltung unserer Produktionskraft
abhält. Für Marx
sind Streik, Krisen willkommene Ereignisse, und das Mittel zum
Zweck ist die schließ-
liche gewaltsame Enteignung der Enteigner. Proudhon dagegen sagt:
Laßt euch unter
keiner Bedingung von der Arbeit abhalten, nichts stärkt das
Kapital mehr als der Streik,
die Krise, die Arbeitslosigkeit; nichts kann das Kapital schlechter
vertragen als unver-
drossene Arbeit. - Marx sagt: Der Streik, die Krise nähern
euch dem Ziele, durch den
großen Kladderadatsch werdet ihr ins Paradies eingeführt.
Nein, sagt Proudhon, es ist
nicht wahr, es ist Schwindel, - alle diese Mittel entfernen euch
vom Ziel. Nie wird dem
Zins dadurch auch nur 1 % abgeluchst werden. Marx sieht im Privateigentum
eine Kraft
und Übermacht. Proudhon erkennt hingegen, daß diese
Übermacht im Geld ihren Stütz-
punkt hat und daß unter anderen Verhältnissen die Kraft
des Eigentums sich sogar in
eine Schwäche verwandeln kann.
Ist, wie Marx sagt, das Kapital ein Sachgut, auf dessen Besitz
die Übermacht der
Kapitalisten beruht, so müßte mit jeder Vermehrung
dieser Sachgüter das Kapital ent-
sprechend gestärkt werden. Wiegt ein Bündel Stroh, eine
Schubkarre voll Wertliteratur
2 Zentner, so wiegen zwei Bündel, zwei Schubkarren überall,
zu allen Zeiten, genau
4 Zentner. Und wirft ein Haus 1000 Mark Mehrwert ab im Jahr, so
müssen zehn Häuser,
die daneben erbaut werden, immer und selbstverständlich 10
x 1000 Mark abwerfen -
die Richtigkeit vorausgesetzt, daß das Kapital als Sachgut
zu betrachten ist.
Wir wissen aber; daß man das Kapital nicht wie die Sachgüter
zusammenzählen kann,
daß im Gegenteil sehr oft das neu hinzukommende Kapital
vom bereits bestehenden
abgezogen werden muß. Das kann man alle Tage beobachten.
Unter Umständen gelten
10 Zentner Fische auf dem Markt mehr als 1000 Zentner. Wie teuer
würde die Luft sein,
wenn sie nicht so massenhaft vertreten wäre. Jetzt erhält
sie jeder umsonst.
Als, nicht lange vor Ausbruch des Krieges, die verzweifelten
Hausbesitzer in den Vor-
orten Berlins auf den Niedergang der Mieten - also des Mehrwertes
- hinwiesen und
in den bürgerlichen Zeitungen allen Ernstes von der
Bauwut (2) der Arbeiter und Unternehmer,
von der
Baupest (2), die im Häuserkapital herrsche,
gesprochen wurde, da konnte jeder die wahre Natur des Kapitals
in ihrer ganzen Er-
bärmlichkeit sehen. Das von den Marxisten so gefürchtete
Kapital stirbt an der Baupest,
reißt vor der Bauwut der Arbeiter aus! Wenn Proudhon und
Marx damals gelebt hätten!
Hört auf zu bauen, hätte Marx gesagt, klagt, bettelt,
jammert über Arbeitslosigkeit, streikt
obendrein, denn jedes Haus, das ihr baut, mehrt die Macht der
Kapitalisten, wie 2 + 2 = 4
ist. Die Macht des Kapitals wird gemessen am Mehrwert, und dieser
am Zinsfuß. Je
höher der Mehrwert, der Zins des Hauses, um so mächtiger
ist zweifellos das Kapital. Darum
empfehle ich euch, laßt ab von dieser ungefesselten Bauwut,
verlangt den acht-, den
sechsstündigen Arbeitstag, denn je mehr ihr Häuser baut,
desto größer ist selbstverständ-
lich der Mehrwert, und Wohnungsmiete ist - Mehrwert! Also Schluß
mit der Baupest;
je weniger ihr baut, um so billigere Wohnungen werdet ihr vorfinden.
Vielleicht hätte Marx sich gehütet, solchen Unsinn
auszusprechen, aber so denken
und handeln die Arbeiter doch heute auf Grund der Marxschen Lehre,
die das Kapital
als Sachgut behandelt.
Dagegen Proudhon. Immer drauf los! Her mit der Bauwut, her mit
der Baupest! hätte
er gesagt. Arbeiter, Unternehmer, laßt euch unter keiner
Bedingung die Maurerkelle
aus der Hand winden. Schlagt sie tot, die euch von der Arbeit
abhalten. Das sind eure
Erbfeinde. Man bringe die vor meine Augen, die von Baupest, von
Wohnungsüberpro-
duktion reden, solange die Wohnungsmieten noch Spuren von Mehrwert,
von Kapital-
zins zeigen! Das Kapital soll an der Baupest zugrunde gehen! Seit
etwa 5 Jahren hat
man euch ohne Aufsicht eurer Bauwut überlassen, und schon
spüren es die Kapitalisten
schon schreien sie über den Niedergang des Mehrwertes; schon
ist der Hauszins von 4
auf 3 % gefallen - also um ein volles Viertel. Noch 3 x 5 Jahre
ungestörter Arbeit,
und ihr werdet in mehrwertfreien Häusern euch breit machen,
wirklich einmal "wohnen"
können. Das Kapital stirbt, ihr seid dabei und auf dem Wege,
es mit eurer Arbeit zu
vernichten!
Die Wahrheit ist faul wie ein Krokodil im Schlamm des ewigen
Nils. Die Zeit gilt
für sie nicht; es kommt ihr auf ein Menschenalter nicht an;
sie ist ja ewig.
Aber die Wahrheit hat einen Impresario, der, sterblich wie der
Mensch, es immer
eilig hat. Ihm ist Zeit Geld, immer ist er rührig und aufgeregt.
Dieser Impresario heißt
"Irrtum".
Der Irrtum kann nicht faul im Grab die Ewigkeiten an sich vorbeiziehen
lassen. Er
stößt überall an und wird überall gestoßen.
Allen liegt er überall im Wege. Niemand
läßt ihn ruhen. Er ist der wahre Stein des Anstoßes.
Darum kommt es gar nicht darauf an, daß man Proudhon totschweigt.
Sein Gegner
selbst, Marx, sorgt mit seinen Irrtümern schon dafür,
daß die Wahrheit zutage gefördert
wird. Und in diesem Sinne kann man sagen: Marx ist zum Impresario
Proudhons ge-
worden. Proudhon hat sich noch nie im Grabe umgedreht; er ruht.
Seine Worte haben
ewigen Wert. Aber Marx hat es eilig. Er hat keine Ruhe, bis Proudhon
erwacht und ihm
die ewige Ruhe im Museum menschlicher Irrungen gibt.
Und wäre Proudhon wirklich totgeschwiegen worden, die Natur
des Kapitals ändert
sich doch nicht. Ein anderer findet die Wahrheit. Auf den Namen
der Finder kommt
es ihr nicht an.
Der Verfasser dieses Buches ist auf die gleichen Wege geraten,
die Proudhon wandelte,
und kam auch zu denselben Schlüssen. Vielleicht war es sogar
ein Glück daß er nichts
von der Proudhonschen Kapitaltheorie wußte, denn so konnte
er unbefangen an die
Arbeit gehen. Und Unbefangenheit ist die beste Vorbereitung für
die Forschung.
Der Verfasser hat mehr Glück als Proudhon gehabt. Er fand
nicht nur das, was
Proudhon bereits vor fünfzig Jahren entdeckte, d. i. die
wahre Natur des Kapitals, er
fand oder erfand darüber hinaus noch den gangbaren Weg zu
dem Proudhonschen Ziele.
Und auf diesen kommt es schließlich an.
Proudhon fragte: warum haben wir zu wenig Häuser, Maschinen
und Schiffe? Er
gab darauf auch die richtige Antwort: weil das Geld den Bau nicht
gestattet! Oder um
seine eigenen Worte zu gebrauchen: "weil das Geld eine Schildwache
ist, die, an den
Eingängen der Märkte aufgestellt, die Losung hat, niemand
durchzulassen. Das Geld,
so meint ihr, sei ein Schlüssel des Marktes (worunter hier
der Austausch der Erzeug-
nisse zu verstehen ist) - es ist nicht wahr - das Geld ist ein
Riegel".
Das Geld läßt es einfach nicht zu, daß neben
jedes Haus noch ein zweites gebaut
werde. Sobald das Kapital den herkömmlichen Zins nicht mehr
abwirft, streikt das
Geld und unterbricht die Arbeit. Das Geld wirkt also tatsächlich
wie ein Schutzmittel
gegen Baupest und Arbeitswut. Es nimmt das Kapital (Häuser,
Fabriken, Schiffe) in
seinen Schutz gegen jede Kapitalvermehrnng.
Als Proudhon diese Riegel- oder Sperrnatur des Geldes erkannt
hatte, stellte er die
Forderung: Bekämpfen mir dies Vorrecht des Geldes, indem
wir die Ware und Arbeit zu
barem Gelde erheben. Denn zwei Vorrechte heben sich gegenseitig
auf, wenn sie ein-
ander gegenübertreten. Hängen wir dasselbe Übergewicht
des Geldes auch der Ware an,
so heben sich beide Übergewichte gegenseitig auf!
Das war Proudhons Gedanke und Vorschlag, und um diesen auszuführen,
gründete
er die Tauschbanken. Sie schlugen bekanntlich fehl.
Und doch ist die Lösung der Aufgabe, die Proudhon nicht
glücken wollte, einfach
genug. Man braucht dazu nur einmal den gewohnten Standpunkt des
Geldbesitzers zu
verlassen und sich die Aufgabe vom Standpunkt der Arbeit und des
Warenbesitzers
anzusehen. Dann findet man die Lösung sofort. Die Ware ist
die wahre Grundlage der
Volkswirtschaft, nicht das Geld. Aus Waren und ihren Zusammensetzungen
bestehen
99 % unseres Reichtums, nur 1 % besteht aus Geld: Betrachten und
behandeln wir
also die Ware, wie man Grundmauern betrachtet, d. h., rühren
wir nicht daran; lassen
wir die Waren so, wie sie auf dem Markte erscheinen. Wir können
ja doch nichts daran
ändern. Fault, bricht, vergeht die Ware, gut, so lassen wir
sie vergehen. Es ist ja ihre
Natur. Mögen wir Proudhons Tauschbanken noch so sehr verbessern,
wir können es
nicht verhindern, daß die Zeitung, die morgens um 6 Uhr
von Schnelläufern ausgeschrieen
wird, zwei Stunden danach schon zum Ausschußpapier geworfen
werden muß, wenn sie
keinen Käufer fand. Auch müssen wir beachten, daß
das Geld allgemein als Sparmittel
gebraucht wird; daß alles Geld, das als Tauschmittel dem
Handel dient, in die Spar-
kassen mündet und dort liegen bleibt, bis es vom Zins herausgelockt
wird. Wie wollen
wir aber auch für die Sparer die Waren auf die Rangstufe
des baren Geldes (Gold) er-
heben? Wie wollen wir es machen, daß die Sparer, statt Geld
zu sparen, ihre Spar-
büchsen oder Sparkammern mit Stroh, Büchern, Speck,
Tran, Häuten, Guano, Dynamit,
Porzellan usw. füllen? Und das ist es doch, was Proudhon
eigentlich erstrebte, wenn er
Waren und Geld auf gleiche Rangstufe setzen, sie vollkommen gleichwertig
machen
wollte. Proudhon hatte übersehen, daß das heutige Geld
nicht nur Tauschmittel, sondern
auch Sparmittel ist, und daß für die Vorratskammern
der Sparer Geld und Kartoffeln,
Geld und Kalk, Geld und Tuch niemals und in keinem Verhältnis
als Dinge gleichen
Wertes angesehen werden. Ein Jüngling, der für seine
alten Tage spart, wird eine einzige
Goldmünze dem Inhalte des größten Warenhauses
vorziehen.
Also lassen wir die Waren in Ruhe. Sie sind das Gegebene, die
Welt, der sich der Rest
zu fügen hat. Sehen wir uns dafür einmal das Geld näher
an. Hier können wir schon
eher Änderungen vornehmen. Muß das Geld so sein, wie
es ist? Muß das Geld als Ware
besser sein als die Waren, denen es als Tauschmittel dienen soll?
Muß bei einer Feuers-
brunst im Warenhaus, bei einer Überschwenmung, bei einer
Krise, einem Moden-
wechsel, einem Krieg usw. das Geld allein vor Schaden bewahrt
bleiben? Warum muß
das Geld besser sein als die Waren, denen es als Tauschmittel
dienen soll? Und ist dieses
"Bessersein" nicht eben das Vorrecht, dessen Bestehen
wir als die Ursache des Mehr-
wertes erklären, dessen Beseitigung Proudhon erstrebte? Also
weg mit den Vorrechten
des Geldes! Das Geld soll als Ware für niemand, auch für
den Sparer, Spekulanten und
Kapitalisten nicht besser sein als der Inhalt der Märkte,
Läden, Eisenbahnschuppen.
Das Geld soll also, wenn es den Waren gegenüber keine Vorrechte
haben darf, wie die
Waren verrosten, verschimmeln, verfaulen; es soll zerfressen werden,
erkranken, davon-
laufen, und wenn es verendet, soll der Besitzer noch den Lohn
des Abdeckers be-
zahlen. Dann erst werden wir sagen können, Geld und Ware
ständen auf gleicher
Rangstufe und wären vollkommen gleichwertige Dinge - so wie
es Proudhon haben
wollte.
Geben wir dieser Forderung eine kaufmännische Formel. Wir
sagen: die Besitzer
der Waren erleiden durchweg während der Lagerzeit einen Verlust
an Menge und Güte
der Waren. Daneben sind die Lagerkosten (Miete, Versicherungen,
Wartung und so
weiter) zu zahlen. Wieviel macht das aufs Jahr berechnet und im
Durchschnitt? Sagen
wir einmal 5% - was eher zu niedrig als zu hoch gegriffen ist.
Wieviel hat aber ein Bankhaus, ein Kapitalist ein Sparer von seinem
Gelde abzu-
schreiben, das er zu Hause oder in der Sparkasse aufbewahrt? Um
wieviel war der Kriegs-
schatz im Juliusturm zu Spandau in den 44 Jahren, die er dort
lagerte, weniger geworden?
Um keinen Pfennig war der Schatz kleiner geworden!
Ist das aber so, so haben wir auch schon die Antwort auf unsere
Frage: wir hängen
dem Geld den gleichen Verlust an, den die Waren auf Lager erleiden!
Dann ist das Geld
nicht mehr besser als die Ware, dann ist es für jeden einerlei,
ob er Geld oder Waren besitzt
oder spart, dann sind Geld und Ware vollkommen gleichwertig, dann
ist Proudhons Rätsel
gelöst, seine Seele aus dem Fegefeuer befreit; die Fesseln
sind zerschnitten, die die
Menschheit seit jeher an der Entfaltung ihrer Kräfte hinderten.
Die Ausgestaltung dieser Untersuchung zu einem sozialpolitischen
Programm (die
natürliche Wirtschaftsordnung) brachte es mit sich, daß
ich die Lösung des in Rede
stehenden Rätsels erst im 3.-5. Teil bringe und den Teil
"Freiland" vorausschicke.
Durch diese Anordnung wurde die Übersichtlichkeit gehoben,
das Ziel, die natürliche
Wirtschaftsordnung, besser enthüllt. Wem es aber darauf ankommt,
vor allem zu er-
fahren, wie Proudhons Problem nun gelöst worden ist, der
beginne mit Teil 3-5 und
lese zum Schlusse Teil 1 und 2.
(2) Ausdrücke aus dem "General-Anzeiger
von Groß-Lichterfelde".
Dieser Text wurde im Juli 1997 ins Netz gebracht von:
W. Roehrig.
Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.
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