Kapitel aus: Helmut Creutz: Das Geldsyndrom; Ullstein, 1997, 4. Auflage; ISBN 3-548-35456-4
Orginalausgabe 1993 by Wirtschaftsverlag Langen Müller in der F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München


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19. Kapitel
Die Überentwicklung der Spekulationen
„Die grenzüberschreitenden Umsätze im
Wertpapierverkehr haben sich in den achtzi-
ger Jahren sprunghaft erhöht. Sie erreichten
1988 nicht weniger als 1,3 Billionen DM,
womit sie sich in den letzten sieben Jahren
mehr als verzehnfacht haben.“
„Unser Geld“ *
*Lehrbuch für Schüler, Mitherausgeber Deutsche Bundesbank, Ausgabe 1989/90

 In einer „jungen“ Volkswirtschaft, das heißt einer Volkswirtschaft,
die nach einem Zusammenbruch mit neuem Geld neu begonnen
hat, sind Spekulationen anfangs so gut wie unbekannt. Alle Ein-
kommen fließen wieder in den Konsum, überschüssige Einkom-
men als Ersparnisse in die dringend notwendigen Investitionen.
 Dieser normale Zustand verändert sich im Laufe der Jahre, be-
dingt durch zwei Entwicklungen, die sich gegenseitig verstärken:
Einmal geht mit den eintretenden Sättigungsprozessen der Bedarf
an sinnvollen Investitionen zurück. Zum anderen sammeln sich
bei Minderheiten immer größere Geldvermögen an. Sowohl diese
Geldvermögensakkumulationen wie die sinkenden Renditen ver-
führen dazu, auch in riskantere Geschäfte einzusteigen. Manche
begnügen sich mit den vom Staat in solchen Zeiten zunehmend
installierten Spielcasinos, andere finden es interessanter, an den
Börsen zu spekulieren. Mit immer neuen Varianten werden diese
Börsen schließlich selbst zu einem Spielcasino, in dem Befugte
und auch Unbefugte mit Millionen und Milliarden herumjonglie-
ren. Dabei können sich an diesem Super-Monopoly nicht nur ein
paar Superreiche beteiligen. Vielmehr bieten clevere Finanzmak-
ler mit „Investmentfonds“ und ähnlichen Einrichtungen auch dem
„kleinen Mann“ Gelegenheit zum Mitspielen. Daß so was auch bei
breitgestreutem Risiko danebengehen kann, erlebten Hundert-
tausende bei einem der ersten weltweit agierenden Fonds, der von
dem fast legendären Bernie Cornfield in den 60er Jahren gegrün-
det wurde und keine zehn Jahre später in die Zahlungsunfähigkeit
geriet.




Wie verhielten sich die Banken?

Anfangs skeptisch und die Fonds als Konkurrenz ablehnend, stie-
gen die Banken schließlich selbst in immer größerem Umfang in
diese Fonds-Geschäfte ein. Ja, sie boten sogar ihren weniger be-
tuchten Kunden die Möglichkeit, sich per Kredit an diesem Spiel zu
beteiligen. Einmal brachten sie auf diese Weise die sich bei ihnen
anhäufenden Ersparnisse unter, zum zweiten waren sie bei jedem
Spielvorgang als Provisionskassierer mit dabei. Doch damit nicht
genug: Schließlich begannen sie sogar mit den Kundeneinlagen
selbst „große Räder“ zu drehen, um auf diese nicht ganz risikolose
Weise die Zinsen für die Ersparnisse zu erwirtschaften. Besondere
Abteilungen mit mehr oder weniger versierten Spezialisten wurden
eingerichtet, die allzuoft (und fast immer unbehelligt) nebenbei
einige eigene „Pferdchen“ mitlaufen ließen. Nur wenn sie eine
Bank in die Zahlungsunfähigkeit ritten und nichts mehr zu vertu-
schen war, kam so was einmal an die große Glocke. Man erinnere
sich nur an die Herstatt-Bank mit ihren cleveren „Devisenbeschaf-
fern“. Wie viele Millionen und Milliarden auf diese Weise insge-
samt in den Sand gesetzt wurden, wird man nie erfahren.
 Aber nicht nur solche Spezialisten aus der Umgebung der Ban-
ken und Börsen wagten sich mit immer größeren Summen in die
Spekulationsgefilde. Auch große Unternehmen mit übergroßen
„Kriegskassen“ stiegen in die lukrativen Geschäfte ein, bei denen
die kleinen Mitspieler mit weniger Insider-Wissen meistens die
Verlierer sind. Die Provision der Banken einsparend, richteten
sich die ganz großen Unternehmen sogar eigene Spekulationsab-
teilungen ein, mit Dutzenden von Mitarbeitern, die auf diese
weniger bekannte Art die überschüssigen Milliarden „arbeiten“
ließen. In welchem Maße man mit solchen Geschäften Gewinne
machen kann, läßt sich z. B. an der „Explosion“ der liquiden Mit-
tel der Firma Siemens in den 80er Jahren ablesen. Weniger Glück
hatte bekanntlich das VW-Werk mit dieser Masche. Hier ver-
schwand auf nicht ganz astreine Weise ein Betrag von einer halben
Milliarde, was fast nicht bemerkt worden wäre.
 Die Folge solcher Entwicklungen war und ist, daß unser Geld,
einmal als Tauschmittel erdacht, immer mehr zu einem Spekula-
tionsmittel verkommt. Je mehr jedoch diese falsch verstandene
Freizügigkeit des Geldverkehrs zunimmt, desto gefährlicher und
explosiver wird die gesamte Situation.




Welche Folgen haben Aktienspekulationen?

 Aktien galten früher oft als eine Art Lebensversicherung, manch-
mal sogar über Generationen hinweg. Heute sind sie fast nur noch
ein Spekulationspapier. Zwar bieten auch die Dividenden einen
Kaufanreiz, aber wichtiger sind die Kursgewinne, die man zwi-
schen Kauf und Verkauf zu machen hofft. Da zu jedem Kaufvor-
gang zwei gehören und beide jeweils glauben, richtig zu handeln, ist
das Ende offen. Wer die richtige Nase hatte, zeigt sich erst hinter-
her.
 Normalerweise sind - wie bei einer Spielbank - von Spekula-
tionsverlusten nur andere Mitspieler betroffen. Kommt es aber
zu einem überzogenen Börsenboom und irgendwann zu einem
Platzen des Ballons, dann wird von den davon ausgehenden Irri-
tationen und Störungen auch das normale Wirtschaftsgeschehen
belastet. Allerdings kommt es dabei nicht zu jenen „vielstelligen
Milliardenverlusten an Geld“, von denen 1987 selbst Wirtschafts-
journalisten berichteten. Denn verloren geht dabei nur speku-
lative Luft aus unrealistischen, hochgerechneten Gewinnhoff-
nungen, und selbst diese nur dann, wenn man nach dem Kursfall
verkauft.
 Doch da in solchen Situationen sogar die Notenbanken oft den
Kopf verlieren und - mangels funktionierender Umlaufsicherung
die Notenpresse laufen lassen, kann solch ein platzender Speku-
lationsballon sogar zur Inflation beitragen.
 Welche vielfältigen Auswirkungen die spekulativen Überent-
wicklungen haben, hat Wilhelm Hankel in seinem Buch „Vor-
sicht, unser Geld“ dargelegt.
 „Wenn der Kapitalumschlag das 15- bis 20fache des Güterum-
 schlages per Zeitperiode erreicht, dann schlägt dieser "spekula-
 tive Faktor" auch 15- bis 20mal stärker zu Buche als . . . die in
 Inlandswährung fakturierten Export- und Importpreise. Man
 verdient am reinen Geldhandel mehr als am "ehrlichen" Waren-
 geschäft. Aber nicht nur das. Die einstmals sicheren Geldmaß-
 stäbe und -kosten werden unsicher - insbesondere der Zins-
 maßstab.“
Und die Folge für uns alle hat er ebenfalls beschrieben:
 „70 % Bezieher fester und von der Konjunktur abhängiger Ar-
 beits- und Leistungseinkommen, vornehmlich in der Ersten
 und industrialisierten Welt, können nur müde oder resigniert
 lächeln, wenn ihnen die Vorzüge eines freien, deregulierten
 und gänzlich vaterlandslosen Welt-Kapitalmarktes gepriesen
 werden. Sie leiden unter den Folgen von Weltdepression,
 Schuldenkrise, Währungswirrwarr und Zinseskalation und ah-
 nen, daß die hektische und unkontrollierte Roulette- und Kasi-
 noatmosphäre dieser Märkte der eigentliche und tiefere Grund
 aller hausgemachten Probleme ist: von Arbeitslosigkeit bis
 Börsenunsicherheit und Firmenpleiten.“




Das Problem der Wechselkursspekulation

Wechselkurse geben den Preis einer Währung, ausgedrückt in
einer anderen, wieder. Ein Wechselkurs von 1 : 2,2 zwischen Dol-
lar und DM besagt beispielsweise, daß man für einen Dollar 2,20
DM geben muß.
 Vor nicht allzulanger Zeit konnte man den Wechselkursen noch
die tatsächliche Kaufkraft der verschiedenen Währungen ablesen.
Der Kurs spielte sich auf eine Höhe ein, daß man mit dem einge-
tauschten Geld im anderen Land in etwa die gleichen Gütermengen
erwerben konnte wie mit dem eigenen Geld in der Heimat. Solche
Kurse, die die „Kaufkraftparität“ der Währungen widerspiegeln,
veränderten sich nur langsam gegeneinander. Entweder war das
dann die Folge unterschiedlicher Leistungsentwicklungen oder
unterschiedlicher Kaufkraftveränderungen.
 Diese „normalen“ Zeiten sind jedoch längst vorbei. Kauf und
Verkauf von Währungen finden heute nur zu einem Bruchteil für
Handels- oder Urlaubszwecke statt. Vielmehr werden Währun-
gen spekulativ gekauft und verkauft, manchmal nur für Tage oder
Stunden. Das ist einmal darauf zurückzuführen, daß die Wechsel-
kurse nicht vom Markt, sondern von der Politik her bestimmt bzw.
richtiger: manipuliert werden. Die Folge solcher festgelegten
Wechselkurse sind zunehmende Ungerechtigkeiten beim Lei-
stungsaustausch zwischen den beteiligten Ländern. Irgendwann,
wenn dann der marktfern festgelegte Wechselkurs nicht mehr zu
halten ist, kommt es zu einer Zwangsanpassung an die Realität.
Diese, die Marktgesetze außer Kraft setzenden Wechselkursfest-
legungen führen jedoch nicht nur zu immensen Vorteilen einer
Seite auf Kosten der anderen (man denke nur an den Dollar-DM-
Kurs bis 1973!), sie bieten auch der Spekulation ein völlig neues
Feld mit ungeahnten Gewinnmöglichkeiten. Denn wer eine solche
Anpassung vermutet, braucht nur kurz vorher in die unterbewer-
tete Währung einzusteigen, um sie nach der Anhebung wieder los-
zuschlagen. Das heißt, er kann in kürzester Zeit Gewinne ma-
chen, die alles bisher Dagewesene in den Schatten stellten.




Wie kommt es zu den verrückt spielenden Wechselkursen?

 Wer beim Stand von 4,40 DM für den Dollar Anfang der 70er
Jahre in DM umstieg und nach der ersten Wechselkurskorrektur
auf 4 DM je Dollar wieder zurücktauschte, wurde in wenigen Ta-
gen um zehn Prozent reicher. Selbst wenn jemand sechsmal im
Jahr solche Kursspekulationen mitmachte und dabei viermal ver-
lor, lag die Gewinnspanne noch über der aller anderen Geldanla-
gemöglichkeiten. Kein Wunder, daß diese Spekulationsart immer
beliebter wurde. Damit war Geld nicht mehr nur ein Mittel, mit
dem man Aktien- oder Warenspekulationen betrieb, es perver-
tierte selbst zu einer spekulativen Ware.
 Bald merkte man, daß dieses Spekulationsgeschäft mit Wäh-
rungen noch eine Stufe höher zu schrauben war. Man brauchte gar
nicht auf die Kursanpassungen der Regierungen zu warten. Man
konnte sie selbst bewirken! Zumindest konnte man dieser Ent-
wicklung nachhelfen. Und das war ganz einfach: man brauchte
nur verstärkt aus einer Währung in die andere umzusteigen, um
durch die Übernachfrage Kursanstiege auszulösen. Konkret:
Wenn in einem großen Maße DM verkauft und Dollar gekauft
werden, fällt der Kurs der deutschen Währung und der Dollar
steigt. Ein bereits vorhandenes marktwidriges Gefälle wird da-
durch in eine Größenordnung getrieben, die schließlich die Regie-
rungen zu Korrekturen zwingen muß.





Wie reagieren die Verantwortlichen?

 Daß solche Wechselkursspekulationen die Wirtschaft und vor al-
lem den grenzüberschreitenden Handel auf vielfältige Weise bela-
sten, bedarf keiner Erklärung. Verständlich ist, daß die Verant-
wortlichen darum um Stabilisierungen bemüht sind. Statt jedoch
die Hauptursachen der Spekulationen aus der Welt zu schaffen,
nämlich marktfern festgeschriebene Wechselkurse wie die ständi-
gen und unterschiedlich hohen Inflations- und Zinsraten, oder
statt zumindest den Währungsspekulanten das Handwerk zu le-
gen, reagiert man weitgehend nur defensiv.
 Deuten sich z. B. in Europa zwischen den EWS Währungen
Disparitäten an, wäre der einfachste Schritt eine marktgerechte
Korrektur der festgesetzten Kursbandbreite oder am besten gleich
freie Wechselkurse. Doch obwohl jeder die Inflationsraten wie die
wirtschaftlichen Gegebenheiten in den betroffenen Ländern
kennt, machen die Politiker solche ganz normalen Korrekturen zu
einer Prestigefrage. Das heißt, sie wollen vor ihren Wählern nicht
zugeben, daß ihre Politik oder die ihrer Notenbank weniger er-
folgreich ist als die anderer Länder.
 Um nun die Spekulanten von der zunehmenden Abwanderung
aus der abwertungsverdächtigen Währung abzuhalten, erhöht
man die Zinsen. Daß man mit einer Erhöhung der Zinsen die eige-
ne Wirtschaft belastet, nehmen die Verantwortlichen in Kauf.
Nehmen die spekulativen Abwanderungen trotz erhöhter Zin-
sen weiter zu und damit der Druck auf die Wechselkurse, müssen
die Notenbanken nach den Zinsmanipulationen erneut als
Feuerwehr eingreifen. Diesmal mit sogenannten Stützungskäu-
fen. Dabei kann die Notenbank des abwertungsverdächtigen Lan-
des mit den gehaltenen Devisenreserven die eigene Währung auf-
kaufend stützen und die des aufwertungsverdächtigen Landes
schwächen. Greift auch die Notenbank des aufwertungsverdächti-
gen Landes ein, muß sie mit zusätzlichem eigenen Geld die schwa-
che Währung kaufen. Mit dieser Geldvermehrung drückt sie je-
doch nicht nur den Kurswert der eigenen Währung herunter, sie
gefährdet damit auch deren Stabilität. Kurz: Sie produziert damit
ein Inflationspotential, das sie nur insoweit mit einiger Sicherheit
wieder unschädlich machen kann, wie sie den Banken anschlie-
ßend die Zuteilungskontingente zu verringern in der Lage ist. Das
heißt, zu dem Irrsinn festgezurrter Wechselkurse, dem Irrsinn ge-
statteter Währungsspekulationen und dem Irrsinn erhöhter Lock-
zinsen kommt nun noch ein weiterer Irrsinn hinzu, jener der Stüt-
zungskäufe!





Was spielt sich in unseren Tagen ab?

Schon vor Jahren hat die Weltbank einmal festgestellt, daß etwa
15- bis 20ma1 so viele Milliarden weltweit über die Grenzen trans-
feriert werden, wie der Welthandel erforderlich macht. Es dürfte
klar sein, daß fast alle diese gewaltigen Kapitaltransfers keine In-
vestitionen im Sinn haben, sondern nur auf Spekulationsgewinne
aus sind. Wie die Geier bei einem verendenden Wild, sammeln sie
sich vor allem in der Nähe „verendender“ Wechselkurse an.
 Das war schon 1973 so, als Bretton Woods mit seinen starren
Kursen zu Grabe getragen wurde, aber auch bei jeder Bandbrei-
tenkorrektur im EWS. Zweistellige DM-Milliardenbeträge wur-
den von der Bundesbank jedesmal aus dem Fenster geworfen,
ohne daß man den Ursachen dieser Störungen einmal ernsthaft
nachgegangen wäre. Und da die Spekulationsmassen in der Welt
immer größer werden, geraten die Notenbanken immer mehr ins
Hintertreffen.
 Als im September 1992 die Lira, das Pfund und einige andere
Währungen aus dem Ruder liefen, hat die Bundesbank sage und
schreibe 92 Mrd. DM für Stützungskäufe ausgegeben und damit
die von ihr herausgegebene Geldmenge um rund die Hälfte erwei-
tert. Die gleiche Bundesbank, die seit einigen Jahren die Inflation
mit hohen Zinsen zu bekämpfen sucht!
 Trotz dieser kaum noch vorstellbaren Eingriffe waren die Kurse
nicht zu halten. Weder die vereinte Kraft der Notenbanken noch
Regierungsgarantien oder mehrfache Zinserhöhungen konnten
gegen die Wucht der spekulierenden Massen etwas ausrichten,
was deren Größe erahnen läßt. Man hatte sich von dem sinkenden
Schiff des Pfundes und der Lira auf die sichere Insel der DM bege-
ben, und das hat sich wieder einmal gelohnt.
 Normalerweise sind alle diese Spekulationsgeschäfte letztend-
lich Nullsummenspiele. Die Behauptung, daß sich durch solche
Spekulationen die Geldmenge oder die Geldvermögen vermeh-
ren, ist darum falsch. Es kommt nur zu Verlagerungen innerhalb
des Mitspielerkreises. Die Verlierer versuchen ihre Verluste
durch erneute Spekulationen wieder wettzumachen. Als Folge
wird immer schneller und hektischer mit immer größeren Summen
die Spekulationsspirale angetrieben, wodurch die Umsätze in ir-
reale Höhen schießen.
 Zu echten Gewinnen für die Spekulanten kommt es jedoch,
wenn sich die Notenbanken mit Stützungskäufen in die Spekula-
tion hineinziehen lassen und schließlich verlieren, das heißt die
Wechselkurse korrigieren müssen. So mußte z. B. die Bundes-
bank nicht nur die zuviel herausgegebenen 92 Mrd. DM durch
Verringerung der laufenden Geldzuteilungen an die Banken wie-
der einfangen. Sie mußte auch versuchen, die teuer gekauften
Auslandswährungen wieder loszuwerden, was aufgrund der gefal-
lenen Kurse nur mit Verlusten möglich ist. Diese Verluste werden
also von der gesamten Volkswirtschaft getragen, letztlich von den
arbeitsleistenden Menschen.
 Angesichts der weltweit spekulierenden, immer größeren Geld-
überschüsse ist man geneigt, an irgendwelche dahinterstehenden
geheimnisvollen Mächte zu glauben. In Wirklichkeit wird dieses
Spiel jedoch hauptsächlich von einigen tausend Banken und
Börsenmaklern rund um den Globus betrieben, weitgehend mit
fremdem Geld. Dabei beeinflußt man einmal die Zinsen mit den
Wechselkursspekulationen, um dann wieder den Wechselkurs mit
Zinsspekulationen aus den Angeln zu heben - immer auf Kosten
der Stabilität der betroffenen Volkswirtschaften. Selbst staatliche
Banken pokern dabei gegen ihre eigene Notenbank, wie „Die
Zeit“ am 2.10.1992 von der Hamburgischen Landesbank berich-
tete. - Der Irrsinn ist nicht mehr zu überbieten!





Wohin führen uns die Spekulationen?

Unvorstellbar große und immer größer werdende Milliardenbe-
träge an überschüssiger Kaufkraft vagabundieren um den Erdball
und überrollen die Notenbanken wie die Politiker, die - wenn sie
handeln - meist noch das Falsche tun.
 Betrachtet man das Ganze aus der Distanz, dann lassen sich
sowohl die Regierungen (die das Wohl des Volkes mehren sollen!)
wie die Notenbankverantwortlichen (die die Währungen stabil
halten wollen!), von den Spekulanten förmlich an der Nase vor-
führen. Von jenen Spekulanten, denen sie gemeinsam sowohl die
Möglichkeit wie die offizielle Genehmigung zu diesem „Spiel“ ge-
geben haben, bei dem sie zunehmend unterliegen.
 Immer mehr pervertiert dabei der monetäre Markt zu einem
Kriegsschauplatz. Während vorher noch vom „Dollar-Monopoly“
die Rede war, schrieben im August 1992 die Zeitungen schon von
einem „Guerillakrieg am Devisenmarkt“, bei dem die „entschei-
dende Waffe“ der Dollar ist. Wenige Wochen später zeigte es sich,
daß mit Lira und Pfund in kurzer Zeit noch mehr zu machen war.
Und nach der „Schlacht um das Pfund“ wurde am 24. September
der „Frontalangriff auf den Franc“ angekündigt, der allerdings
bisher noch „zurückgeschlagen“ werden konnte.
 Und damit sich „morgen“ noch mehr Personen am „Guerilla-
krieg“ beteiligen können, wurden am gleichen Tag die Schüler in
den Zeitungen eingeladen, in die „Geheimnisse der Börse“ einzu-
steigen und mit Hilfe der Banken und fiktiven Kapitals von
100.000 DM zu spekulieren. - Geld regiert nicht nur die Welt, es
macht sie zunehmend zu einem Irrenhaus!





Darf die Freizügigkeit des Kapitalverkehrs eingeschränkt werden?

Freiheit und Freizügigkeit können in komplexen Beziehungen im-
mer nur im Rahmen einschränkender Regelungen und Grenzen
praktiziert werden. Grenzen für die Freiheit jedes Tuns ergeben
sich immer dann, wenn die Wahrnehmung von Freiheit für andere
mit Einschränkungen, Nachteilen oder Gefährdungen verbunden
ist.
 Wer z. B. die Freizügigkeit des Straßenverkehrs so versteht,
daß man mit beliebiger Geschwindigkeit auf jeder beliebigen Stra-
ßenseite in jede beliebige Richtung fahren kann, garantiert ein
Chaos und macht die Straßen zu einem Schlachtfeld.
 Genau dieses Freiheitsverständnis aber hat man heute beim Ka-
pitalverkehr. Und diese „Freiheit“ wird von den Verantwort-
lichen auch noch verteidigt, statt den Mißbrauch einzuschränken,
durch den die Märkte und Volkswirtschaften immer mehr unter
die Räder kommen.
 Selbst Insider, wie der Direktor der Rothschildbank in Paris,
Bernard Esambert, Berater französischer Präsidenten, beklagte
in der Fernsehsendung „Alptraum Zinsen - Geld zerstört die
Welt“ (WDR III, 23. 11. 92) die „wahnsinnige Vorherrschaft“ des
Geldes in der Wirtschaft. Und weiter wörtlich: „Das hat zu einem
System geführt, das absolut nicht mehr demokratisch kontrolliert
werden kann, weder von den Zentralbanken noch von den Natio-
nen.“
 In der gleichen Sendung schätzte ein Insider der Citibank in
Frankfurt den Umfang des weltweiten Devisenhandels pro Tag
„bis zu 1000 Mrd. Dollar“ ein, ein Volumen, das ein Vielfaches
des täglichen Welt-Sozialprodukts beträgt und das sich in den Sep-
tembertagen 1992 „leicht sogar verdoppelt haben könnte“.
 Mit welchen problematischen Folgen und irrealen Ergebnissen
gerade diese Spekulationen gegen die Notenbanken verbunden
sind, machte kein Geringerer als der letzte Präsident der Deut-
schen Bundesbank, Helmut Schlesinger, in einem Vortrag am
1. Dezember 1992 in Köln deutlich:
 „Unbegrenzte obligatorische Interventionen unter den Zen-
 tralbanken in dem Ausmaß wie gehabt sind kein Beitrag zur
 Stabilität des Systems, im Gegenteil; aber sie sind ein gewalti-
 ger Anreiz für die Spekulation. Tatsache ist, daß hier Schuld-
 ner- wie Gläubigernotenbanken erhebliche Verluste erlitten
 haben, während bereits ein einzelner Spekulant bekanntgege-
 ben hat, daß er allein gegenüber dem Pfund einen Gewinn von
 rd. 950 Mio. US-$ erzielt hat. Dies ist nicht nur teuer für den
 Steuerzahler, sondern letztlich auch funktionslos.“
 So unglaublich es ist: Bei dem „einzelnen Spekulanten“, der auf
Kosten der Allgemeinheit in wenigen Tagen oder Wochen fast
eine Milliarde Dollar hinzugewonnen hat, handelt es sich nicht um
eine Bank oder einen Fonds, sondern tatsächlich - wie man in den
Tageszeitungen lesen konnte - um eine einzelne Person, nämlich
um George Soros, einen gebürtigen Ungarn, der es in den USA
mit Geldgeschäften zum Milliardär gebracht hat. Geht man davon
aus, daß der Kursverlust des britischen Pfundes bei 15 Prozent
gelegen hat, mußte er insgesamt rund sechs Milliarden Dollar ein-
setzen, um jene 950 Millionen zu gewinnen. Doch brauchte er
dazu nur einen Bruchteil eigenen Geldes, da er sich den größten
Teil der Spekulationsmasse geliehen und nach dem Schnitt wieder
zurückgezahlt hat. Wäre die Rechnung nicht aufgegangen, hätte
er lediglich die Zinsen für die kurze Leihzeit als Verlust verbuchen
müssen.


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Kapitel aus: Helmut Creutz: Das Geldsyndrom; Ullstein, 1997, 4. Auflage; ISBN 3-548-35456-4
Orginalausgabe 1993 by Wirtschaftsverlag Langen Müller in der F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München
Mit Zustimmung des Autors digitalisiert für INWO Deutschland e.V.