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Thomas
Betz:
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Alle drei Autoren sind Professoren (G. Heinsohn, geb. 1943: Soziologie, R. Knieper, geb. 1941: Jura, O. Steiger, geb. 1938: Ökonomie) an der Universität Bremen und lehren dort seit 1973. Heinsohn und Steiger wurden insbesondere bekannt durch ihre Bücher Die Vernichtung der weisen Frauen (1985) – siehe unter (IV) – und Eigentum, Zins und Geld (1996) – siehe Besprechung auf SeiteXXXX....
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Kern ihrer Untersuchungen und Überlegungen ist die Überzeugung, dass der Wunsch nach Kindern in erster Linie ökonomisch bedingt ist und abhängig von der Vermögens- bzw. Eigentumssituation der potentiellen Eltern: Nur wer etwas hat, kann auch etwas weitergeben und also ein Motiv entwickeln, Erben in die Welt zu setzen. Diese sind – eben weil sie Erben sind bzw. Aussicht auf Erbschaft haben – wiederum ökonomisch motiviert, die Alterssicherung und -versorgung der Eltern zu gewährleisten, wodurch wiederum das Motiv der Eltern, Nachkommen zu generieren, abgesichert und bestärkt wird. Die Verfasser wenden sich entschieden gegen die (konventionelle) Vorstellung eines „natürlichen Kinderwunsches“. Typischerweise zu Nachkommenschaft motivierte Individuen sind insofern die eigenständigen und selbstverantwortlichen Produzenten, die über persönliches (oder auch genossenschaftliches wie im Kibbuz) Eigentum verfügen und dabei darauf achten, nicht mehr Kinder in die Welt zu setzten als zur vollen Reproduktion notwendig sind, also 2-3 pro gebärfähiger Frau. In der historischen Betrachtung sind dies also die klassischen Bauern, insbesondere auch die Leibeigenen des Mittelalters, denen natürlich auch an einer Mithilfe im Familienbetrieb gelegen ist. Typischerweise nicht motiviert sind hingegen die Sklaven und eigentumslosen „Proletarier“ der Antike sowie die Lohnarbeiter der Neuzeit.
Die Argumentationslinie beginnt im Altertum: Bereits die Griechen, mehr aber noch die Römer sind Eroberer und Unterwerfer und benötigen zu eben diesem Zweck mehr junge Männer, als zur Fortführung der jeweils individuellen Bauernwirtschaft erforderlich sind. Die nichterbenden Söhne müssen – auf Gedeih und Verderb – eigenes Land gewinnen und erklären damit umgekehrt den expansionistischen Drang dieser Kulturen. In den eroberten Gebieten wird die Bevölkerung versklavt und auf großflächigen Latifundien (im Eigentum römischer Bürger) eingesetzt. Aber die Sklavenwirtschaften produzieren konkurrenzlos billig und zerstören dadurch die traditionellen Betriebe, mithin dort also auch die Motivation für Nachwuchs und entsprechend die Menschen- und Sklavenquelle. Letztere versiegt, weil Sklavenzuchtversuche – anders als im neuzeitlichen Amerika – scheitern. Im Ergebnis sinkt die Bevölkerung vom Beginn der Kaiserzeit bis zum 3. Jahrhundert nC um 50%. Durch die Ungleichverteilung und den Menschenmangel wird die ökonomische Kraft und schließlich auch die militärische Macht immer mehr geschwächt und das Reich zerfällt. Gleichzeitig wird aber der Gott der Christen immer attraktiver für die, deren Leben am wenigsten gilt: Sklaven, Frauen und Kinder. Antitötungsmoral, Fortpflanzungsgebot und christliche Ethik gehen eine Verbindung ein mit dem Interesse der Kaiser an einer Wiederbevölkerung des Reiches: Das Christentum wird Staatsreligion.
Mit dem Jahre 1302 kommt es zu gewaltigen klimatischen Verschlechterungen („kleine Eiszeit“) und in der Folge 1348 zum Ausbruch der Pest. Zwischen 1300 und 1400 sinkt die europäische Gesamtbevölkerung von 73 auf 45 Mio. Menschen, aber zwischen 1450 und 1700 steigt sie wieder von 50 auf 115 Mio. Der Anstieg kann nicht mit einer expansiven, dynamischen, familienorientierten Bauerngesellschaft erklärt werden, da die überwiegende Mehrheit der Landbevölkerung aus Leibeigenen besteht, die bestenfalls zur vollen Reproduktion motiviert sind, und – zunehmend – Lohnarbeitern, denen ein solches Interesse fremd ist. Die Autoren vertreten nun die These, dass die dennoch zu konstatierende gewaltige Bevölkerungsentwicklung ein direktes Ergebnis der nunmehr einsetzenden Bestrafung und Verfolgung von Verhütung, Abtreibung und heimlicher Kindestötung ist, die sich in einem dramatischen Anstieg der Geburten weit über die volle Reproduktion niederschlagen. Maßnahmen zur Überwindung des Menschenmangels und zur Abwendung eines Schicksals wie das des römischen Reiches erfolgen seitens des Staates wie der Kirche. Dazu gehört insbesondere die gewaltsame Verdrängung und Verbannung des Jahrtausende alten Wissens um Verhütung und Geburtenkontrolle, die ihren augenscheinlichsten Ausdruck in bestialischer Folter und millionenfachem Mord an Frauen findet: in der Hexenverbrennung. Speziell dieser Thematik haben Heinsohn und Steiger 6 Jahre später ihr Buch Die Vernichtung der weisen Frauen gewidmet (s.u.), in dem sie allerdings die Zahl der Tötungen auf 200.000 korrigieren. Dass es sich dabei keineswegs um einen irrationalen Einbruch des Mittelalters, sondern um konsequent rationales Vorgehen handelt, wird am Beispiel des französischen Staatsdenkers, Begründers der Quantitätstheorie und Schöpfers des modernen Souveränitätsbegriffes, Jean Bodin, deutlich gemacht, der 1580 die entschiedenste und brutalste Schrift zur Hexenverfolgung veröffentlicht: De la démonomanie des sorciers. Er ist mit diesem Werk gleichzeitig der Wegbereiter des neuzeitlichen Staates, dessen Besonderheit darin liegt, über seine "Polizey" für die Erhaltung und Vermehrung der Bürger, Menschenproduktion also, zu sorgen.
Es ist nun die dabei verordnete Unwissenheit in sexuellen Dingen, vor allem die Verhütungsunfähigkeit aller Bürger, die zusammen mit der Zulassung der bislang daran gehinderten (weil eigentumslosen) sozialen Schichten zur Eheschließung – der einzigen Form legaler Sexualbetätigung – zur endgültigen Bevölkerungsexplosion im 18. und besonders im 19. Jahrhundert führt. Ersteres sorgt für eine relative Zunahme der Geburten pro Ehe, letzteres für eine absolute Zunahme der (kinderreichen) Ehen. Ohne diese Entwicklung, den daraus resultierenden Expansionismus und die Auswanderungswellen ist die übermächtige Stellung Europas in der Welt nicht zu erklären. Aber der dadurch immer größer werdende Anteil der Proletarier an der Gesamtbevölkerung und deren immer defizitärere Sozialisation werden von den Oberschichten schließlich als Existenzbedrohung – persönlich wie des Systems – empfunden und der Widerstand gegen Geburtenkontrolle immer weiter aufgegeben. Die letzte Bestätigung für die ökonomische Bedingtheit des Kinderwunsches ist schließlich die aktuelle Situation moderner Industriegesellschaften, in denen die Altersversorgung entindividualisiert, das Zusammenleben der Generationen entkoppelt und die Bevölkerungszahlen rückläufig sind. Eine ausführliche Diskussion und Kritik (unter der Prämisse der These der Autoren) der Bevölkerungstheorien ökonomischer Klassiker und moderner Ideen sowie eine (mathematisch) formalisierte Betrachtung runden die revolutionären Gedanken ab.
(IV)
Die These der drei Autoren über die aus ökonomischen Motiven erzwungene Menschenproduktion wurde von Heinsohn und Steiger 1985 in Die Vernichtung der weisen Frauen weiterentwickelt. Hier zeigten sie, dass der Kern der These sich als die Lösung dreier miteinander verwobener historischer Rätsel im Europa des späten 15. Jahrhunderts entziffern lässt: 1. die Transformation der Bevölkerungskatastrophe des 14. Jahrhunderts in die Bevölkerungsexplosion, 2. die Große Hexenverfolgung und 3. das plötzliche Verschwinden der Geburtenkontrolle. Im Anschluss an diese Veröffentlichung kam es zu teilweise heftigen Auseinandersetzungen mit Feminismus, professioneller Hexenforschung, Rechtsgeschichte und Sexualwissenschaft. Sie sind in der 3. erweiterten Ausgabe dieses Buches ausführlich dokumentiert (s.u.).
(V)
1. G. Heinsohn / O. Steiger: Jean Bodin, das "Universalgenie der Neuzeit" oder: der wahre Meisterdenker – Neun bevölkerungstheoretische Thesen, in: European Demographic Information Bulletin 10:3 (1979)
2. G.
Heinsohn / O. Steiger: The Economic Theory of Fertility. An Alternative
Approach for an Economic Determination of Procreation, in: Metroeconomica 31:3
(1979, gedruckt 1981)
3. G. Heinsohn / O. Steiger: Die Vernichtung der weisen Frauen. Beiträge zur Theorie und Geschichte von Bevölkerung und Kindheit, Herbstein 1985, 3. erweiterte Ausgabe München 1989
4. G.
Heinsohn / O. Steiger: Inflation and Witchcraft or The Birth of Political
Economy: The Case of Jean Bodin Reconsidered, IKSF-Discussion-Paper No. 8,
Jan./Sept. 1997, Univ. Bremen
5. G. Heinsohn / O. Steiger: Birth
Control. The Political-Economic Rationale behind Bodin’s Démonomanie in: History of Political Economy 31:3 (1999)