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Weitere Texte von T. Betz

 


Thomas Betz:

 

 

Buchbesprechung für die “Zeitschrift für Sozialökonomie”

 

Bernard Lietaer: „Das Geld der Zukunft“, Riemann Verlag 1999,

mit einem Vorwort von Wilhelm Hankel

 

 

Nun macht das Beispiel also Schule: Nach George Soros hat sich mit Bernard Lietaer ein weiterer globaler Finanzjongleur vom Saulus zum Paulus gewandelt, wettert gegen die weltweit herrschenden Wirtschafts- und Finanzverhältnisse, zeichnet Horrorszenarien, aber versucht auch, Auswege aufzuzeigen. Dabei ist sein Hintergrund eher noch akademischer und noch professioneller:

 

Lietaer war in Belgien verantwortlich für die Einführung des ECU in der dortigen Zentralbank, in der Karibik Geschäftsführer des bislang erfolgreichsten Offshore-Währungsfonds (1990 erhob ihn die Business Week zum „Welt-Top-Währungshändler“), in vier Kontinenten Berater multinationaler Konzerne und in Südamerika Berater der Regierungen jeweils in Sachen ‚Optimierung von Devisengeschäften’, in Berkeley und an der ebenfalls in Kalifornien belegenen Sonoma State University Professor für internationales Finanzwesen und schließlich Präsident des größten elektronischen Zahlungssystems der Welt.

 

In seinem Buch steht sehr viel Richtiges und Wichtiges: So hören wir aus zweifelsohne berufenem Mund (s.o.), dass sich die europäischen Regierungen durch die Einführung des Euro in eine Sackgasse mit unhaltbar hohen Arbeitslosenquoten manövriert haben, dass sich im Wirtschaftswunderland USA in den letzten Jahren deutlich bis dramatisch die Arbeitsbedingungen verschlechtert, die Löhne verringert und die Arbeitszeiten verlängert haben, dass das Weltwährungssystem eine in der Geschichte beispiellose Macht gewonnen hat, die sich weder von nationalen noch internationalen Autoritäten mehr kontrollieren lässt und entsprechend alle Regierungen der Welt – auch die der USA – von den globalen Devisenmärkten dominiert und kontrolliert werden, dass das bestehende System deshalb zwingend Wachstum verlangt, damit Zinsen gezahlt werden können, um wenigstens teilweise den Grundmechanismus zu konterkarieren, dass zu zahlende Darlehenszinsen das Ausgangskapital von jemand anderem aufbrauchen und schließlich, dass eben jene Zinsen kontinuierlich Reichtum von einer breiten Mehrheit auf eine kleine Minderheit transferieren („Die obersten 1% der amerikanischen Bevölkerung besitzen heute größeren persönlichen Reichtum als die unteren 92% zusammen.“ – Tendenz steigend / „Das Vermögen der drei reichsten Milliardäre ist größer als das Bruttosozialprodukt der 48 ärmsten Länder der Welt.“ et.c.).

 

Genau wie Soros führt er die herrschende Lehre vor, die unbeirrt an der Überzeugung festhält, dass auf freien Märkten, also auch auf denen der Devisen, die Volatilität (d.i. die „Schwankungsintensität“) der Preise - im Falle von Devisen also der Kurse - rasch abnimmt, sobald sich diese Märkte etabliert haben und die die Spekulation rechtfertigt als „marktfremde“ Ungleichgewichte ausgleichendes Moment, welches auch insofern zur optimalen Ressourcenallokation beiträgt und welchem deshalb also auch produktiver Charakter zugebilligt werden kann. Genau wie Soros belegt er, dass die u.a. von ihm selbst zur Genüge (und immer noch?) betriebene Spekulation, die mittlerweile 98% des gesamten Devisenhandels ausmacht (nur 2% sind realwirtschaftlich induziert), auf den frei floatenden Devisenmärkten der vergangenen 3 Dekaden seit dem Zusammenbruch des Systems von Bretton Woods im Jahre 1971 zu einer um ein Vielfaches höheren Volatilität geführt hat. Er zeigt weiter, dass die weltweiten Währungsbewegungen und die Weltfinanzströme sich mitnichten ausgleichen, sondern vielmehr gegenseitig aufschaukeln, Gezeiten-gleich in Entwicklungsregionen ein- und wieder ausströmen und dabei gewaltige Finanzkrisen auslösen (Mexiko 1995, Asien 1997/98), die schwerste realwirtschaftliche Konsequenzen nach sich ziehen.

 

Lietaer geht davon aus, dass sich die Krisentendenz innerhalb der nächsten 20 Jahre insbesondere durch 4 von ihm so genannte „Megatrends“ weiter verschärfen wird:

 

1.     Die historisch beispiellose Überalterung der Bevölkerung, die die Frage nach deren Finanzierbarkeit aufwirft.

2.     Die Informationsrevolution, die eine Größenordnung an Freisetzung von Arbeitskräften nach sich ziehen wird, welche nicht mehr durch Wachstum zum Ausgleich gebracht werden kann.

3.     Die Klimaveränderung und das Artensterben, welche die Schattenhaftigkeit der kurzfristigen Renditeorientierung immer augenscheinlicher werden lassen.

4.     Die drohende Währungsinstabilität, die auf Spekulation zum einen, auf die Divergenz von Real- und monetärer Sphäre zum anderen zurückzuführen ist.

 

Für die Welt im Jahre 2020 entwirft er 4 verschiedene Szenarien, deren jeweilige Eintrittswahrscheinlichkeit von 2 Dimensionen abhängig ist: Dem Umstand, ob es zu einem globalen Währungszusammenbruch kommt und dem Ausprägungsgrad des menschlichen Egoismus.

 

Für den Fall, dass es zu keinem Währungszusammenbruch kommt, aber der Egoismus stark ausgeprägt bleibt, haben wir in 2020 das „Jahrtausend der Konzerne“: Es gibt keine Nationalstaaten mehr, sondern nur noch global operierende Mega-Unternehmen. Entsprechend existieren auch keine nationalstaatlichen Gesetze, kein nationalstaatliches Geld und keine Staatsbürgerschaften mehr, sondern Regeln, die die Konzerne für die Interaktionen untereinander aufstellen, Geld, das ebenfalls von den Konzernen selbst herausgegeben wird und „Konzernbürgerschaften“, die mit dem Privileg eines Arbeitsplatzes verknüpft sind. Doch die Zahl der staatenlosen Arbeits- und Chancenlosen ist groß: Sie sind völlig verarmt, campieren im Freien und haben keinerlei Zugangsmöglichkeit zu den Wohn- und Wirkungsstätten der „Bürger“ bzw. den Verwaltungszentren der Konzerne.

 

Kommt es zum Währungszusammenbruch bei gleichzeitig im Vergleich zu heute schwächer ausgeprägter egoistischer Grundhaltung, werden wir uns in 2020 analog der Situation nach dem Zusammenbruch des römischen Weltreiches in sog. „Schutzgemeinschaften“ wiederfinden; kleinen, lokalen Gruppen, die ihre eigenen Regeln des Zusammenlebens, auch ihre eigenen Währungen, gestalten und für die höchster Orientierungsmaßstab eine soziale Größenordnung ist, die noch Übersichtlichkeit und Überschaubarkeit gewährleistet.

 

Die „Hölle auf Erden“ erleben wir in 2020 dann, wenn das bestehende Weltwährungssystem zusammengebrochen und der Egoismus stark ausgeprägt geblieben ist: Keine neue Gesellschafts- und Währungsform konnte sich durchsetzen und der Alltag besteht in einem buchstäblichen Kampf ‚jeder gegen jeden’. Zeitgenössische Vorläufer einer solchen Situation sieht Lietaer im Ghetto-Dschungel amerikanischer Großstadt-Slums, wo die Parias der Zivilisation ohne jeden Schutz, aber auch ohne jede Kontrolle bereits heute die Hölle auf Erden praktizieren.

 

Ohne Währungszusammenbruch, aber mit höher entwickeltem menschlichen Bewusstsein (weniger Egoismus) leben wir im Jahre 2020 in einer Welt „nachhaltigen Wohlstands“, in der diverse Währungsinnovationen einen Währungszusammenbruch auch dauerhaft verhindern und eine „integrierte Wirtschaft“ ermöglichen, die nicht nur materielle, sondern auch soziale und kulturelle Bedürfnisse befriedigt und in der alte und neue Währungssysteme einander ausgleichen und erfolgreich ergänzen.

 

Lietaer sieht seine Aufgabe nun darin, die Eintrittswahrscheinlichkeit von Szenario No. 4 zu erhöhen, indem er vorschlägt, das bestehende Währungssystem nicht etwa zu ersetzen, sondern durch sog. „Komplementärwährungen“ zu ergänzen. Er betont, dass bereits in den 30-er-Jahren des 20. Jahrhunderts in Europa und Amerika extensive Erfahrungen mit Komplementärwährungen, wie er sie versteht, gemacht worden sind, beschreibt ausführlich die Freigeldexperimente von Wörgl und Schwanenkirchen, findet lobende Worte für Silvio Gesell und weist darauf hin, dass neben Irving Fisher und John Maynard Keynes auch zeitgenössische Nobelpreisträger für Ökonomie wie Maurice Allais und Lawrence Klein ihre Wertschätzung gegenüber Gesells Ideen bezeugen. Gerade für deutsche Leser ist es interessant, zu erfahren, wie vielfältig und lange die Tradition solcher Lösungsansätze auch in den USA ist. (Offenbar kam es bei der Übernahme der Präsidentschaft durch Roosevelt beinahe zum Durchbruch für umlaufgesichertes Geld, weil Irving Fisher sich gemeinsam mit Kollegen beim designierten Präsidenten entschieden dafür eingesetzt hat und die Wirkungsmechanismen sehr ernsthaft diskutiert wurden.)

 

Nach Lietaers Überzeugung ist der historische Ausgangspunkt jeder menschlichen Gesellschaft der einer „Geschenkgesellschaft“, in der der Tausch von Gaben, die keiner materiellen Bewertung unterliegen und also auch nicht „gegeneinander aufgerechnet“ werden, das Zusammenleben der Menschen bestimmt. Diese Wechselseitigkeit werde zerstört und die Gemeinschaften zerfallen, sobald (konventionelles) Geld ins Spiel komme. Er beruft sich dabei auf diverse persönliche Beobachtungen, aber auch anthropologische Untersuchungen bei Naturvölkern. Komplementärwährungen billigt er nun aufgrund ihres Tauschcharakters und ihrer altruistischen Grundausrichtung die Fähigkeit zu, Wechselseitigkeit und die Zusammenarbeit untereinander wieder zu fördern statt sie zu zerstören, und also auch dazu beizutragen, das menschliche Bewusstsein im Sinne einer Minderung der egoistischen Komponente höherzuentwickeln.

 

Für ihn sind Komplementärwährungen idealerweise durch zwei wichtige Attribute gekennzeichnet: Zum einen sollen sie an die Stelle konventionellen Geldes treten in einer Situation, in der sich dieses aus dem Markt zurückzieht, sei es, weil es – im klassischen Sinn – gehortet wird, sei es, weil der Geldschöpfungsprozeß durch die zurückgehende Kreditnachfrage eingeschränkt wird; beides sind Krisensymptome. Zum anderen sollen sie „nachhaltig“ wirken; d.h. sie sind durch eine entsprechende Gebühr mit einer Umlaufsicherung versehen (Lietaer nennt sie auch „Nachhaltigkeitsgebühr“), sollen damit der Polarisation zwischen Arm und Reich entgegensteuern und an kurzfristiger Rendite orientierte und ökologisch fragwürdige Projekte zugunsten langfristiger und eben nachhaltiger Planungen zurückdrängen. Dabei sind die Komplementärwährungen selbst generell nicht zinstragend.

 

Die Währungsexperimente der 30-er-Jahre erfüllten beide Funktionen. Aber auch die Initiativen der Gegenwart (Lietaer selbst zählt weltweit 1.900) sind für ihn wichtige Ausgangspunkte. Er meint damit in erster Linie die sich immer weiter verbreitenden sog. Tauschringe, deren Teilnehmer sich für erfolgte Lieferungen oder Leistungen gegenseitig Kredite gewähren, die typischerweise zinslos sind und aber eben deshalb auch nicht die Wirkung einer Umlaufsicherung entfalten. Lietaer erläutert die wichtigsten Ausformungen, darunter die LETS (Local Exchange Trading System) mit der nationalen Währung als Recheneinheit, die globale Verbreitung gefunden haben und sich in Neuseeland mittlerweile auch staatlicher Unterstützung erfreuen, weil sie sich in Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit tatsächlich segensreich auswirken und dadurch den politischen Druck im Hinblick auf inflationsträchtige Zinssenkungen neutralisieren konnten, die „Time Dollars“, bei denen als Recheneinheit die Arbeitsstunde fungiert, das Schweizer System WIR sowie einige Modelle, die über das Prinzip des Tauschhandels hinausgehen und in denen tatsächlich „Geld“ geschöpft wird, weshalb sie wegen der damit einhergehenden Inflationsgefahr auch mit Vorsicht zu genießen seien.

 

In diesem Zusammenhang versteht sich das Buch durchaus auch als konkrete Handlungsanweisung: Im Abschnitt „Ihre eigene Komplementärwährung“ werden Aspekte wie der richtige Zeitpunkt der Einführung, Führungsqualitäten der Initiatoren und Repräsentanten sowie Fragen des Designs angesprochen. Im Anhang findet sich ein 10-Punkte-Programm zum Start, Internet-Adressen und Hinweise auf dort kostenlos verfügbare Tauschring-Software, Beschreibungen von Aufklärungsspielen et.c..

 

Lietaer möchte aber die bereits bestehenden wie die noch zu schaffenden Komplementärwährungen durch eine globale Referenzwährung namens „Terra“ vervollkommnen. Um angesichts des Auseinanderdriftens von monetärer und realer Sphäre (die Geldvolumina wachsen schneller als die Bruttosozialprodukte) Währungsstabilität zu gewährleisten, soll die Terra durch Rohstoffe wie Öl, Weizen, Kupfer und durch Edelmetalle wie Gold vollständig gedeckt sein. Dabei könne sogar gewissermaßen per definitionem durch eine Gleichschaltung des Wahrenkorbs für die Inflations-Statistik mit dem für die Deckung der Terra 100%-ige Stabilität gewährleistet werden. Die Nachhaltigkeitsgebühr sei gewissermaßen von Natur aus eingebaut und bestehe einfach in den Kosten für die Lagerung der Waren im Warenkorb. Getreu seiner Überzeugung, dass die Nationalstaaten ohnehin bereits ihren Bedeutungs-Zenit überschritten haben, soll die Terra auch gar nicht von einzelnen Staaten oder Staatengemeinschaften – etwa der UNO – eingeführt werden, sondern gleich von den multinationalen Konzernen selbst. Nicht nur nach seinem Dafürhalten, sondern auch nach dem zahlreicher - allerdings von ihm ungenannter - Vertreter von IWF und BIZ könnten unter den heutigen geopolitischen Gegebenheiten grundlegende Initiativen einer derartigen Dimension, wie sie die Terra ja nun mal darstellt, nur noch vom privaten Sektor ausgehen.

 

(Davon kann man nun halten, was man will.) Die von ihm anfangs korrekt konstatierte und mit Argwohn bedachte allmähliche Machtübernahme durch die Konzerne steht in auffälligem Gegensatz zu seinem Vertrauen in dieselben betreffend die Schaffung einer Währungsalternative, die offenbar zügellosem Wachstum und weiterer Konzentration von Reichtum und Macht entgegengerichtet sein soll. Am Ende des Kapitels kommen ihm offenbar auch selbst Zweifel. Er schreibt: „Letzten Endes läuft alles auf die Frage hinaus, ob Wirtschaftskapitäne willens und in der Lage sind, die Verantwortung für eine Reform des bestehenden Währunssystems zu übernehmen mit dem Ziel, die Wirtschaft dadurch wahrhaft nachhaltig zu machen.“

 

Die Abhandlung über die Terra gehört sicher nicht zu den Stärken des Buches. Zu viele Fragen bleiben ungeklärt. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Lietaer das wichtige Thema auf zu wenigen Seiten abhandelt. Der angedachte Funktions- und Wirkungsmechanismus erschließt sich jedenfalls nicht vollständig: Sollen die Marktteilnehmer nun tatsächlich die Terra-Warenkorb-Waren halten? Und falls dies - in welcher Form auch immer – von Dienstleistern übernommen werden kann: Wie sollte sich eine mit derartigen – nunmehr im Wortsinne – Durchhaltekosten belastete Währung gegen die nach wie vor existierenden konventionellen Währungen (zu denen volle Konvertierbarkeit gewährleistet sein soll) durchsetzen, um dadurch erst ihre „nachhaltige“ Wirkung zu entfalten?

 

Diese Frage nach der Bedeutungsgewinnung und Durchsetzbarkeit müssen sich auch die anderen Komplementärwährungen, eben die Tauschringe, gefallen lassen: Bei den von Lietaer beschriebenen Beispielen schimmert immer auch eine gehörige Portion Idealismus der Beteiligten durch; eine Charaktereigenschaft, die man zwar erwarten darf, aber gegenwärtig noch nicht einfordern kann und mit der man im Alltag des „business as usual“ realistischerweise nicht rechnen sollte. Bei der von Lietaer postulierten Koexistenz konventioneller Währungen mit sog. komplementären können letztere nur eine Nischenfunktion erfüllen. Dies tun sie aber sehr gut und nachgewiesenermaßen zum Teil sogar besser als konventionelle Währungen. Insofern ist zu hoffen, dass sein Buch im Kreise aller, die sich mit Tauschringen theoretisch oder praktisch auseinandersetzen oder dies wenigstens vorhaben, möglichst viel Verbreitung findet. Es bleibt aber zu fürchten, dass sein Buch alleine nicht ausreicht, um „nachhaltigen Wohlstand“ für alle zu schaffen. Aber vielleicht soll es das auch gar nicht. Für Früjahr 2000 ist eine Fortsetzung angekündigt: „Mysterium Geld“