Till Weiher

TRAUMTAGEBUCH
 

74-76 - Ein Schatten in der offenen Tür des Kinderzimmers, ein Hund, ein Collie neben meinem Gitterbett, bellt. Licht fällt vom Flur in das Zimmer, sein Schatten auf den Teppich. Er will mich beißen.

Ich werde von Buschmännern gefangen. Bei Tempelruinen unter einem weißen Himmel wird meinem Begleiter eine Metallstange in den Mund getrieben. Seine Augen treten hervor. 

Jemand wird auf einem Feldweg von Vögeln angefallen. 

Im Wald vor einem Hang beige Bäume mit Ästen wie Tentakeln.

Bilder von Korridoren, von Stangen und Bolzen versperrt. Mein Cousin ist in Budapest verschollen. Seine Mutter schreit meine Eltern und mich an, wir seien schuld, wir waren schließlich zuerst in Budapest und hatten ihm das empfohlen. 

31.1.88 - Fieber. Ich bestehe aus einer Schlange, einer alten Frau und zwei weiteren Elementen. Ihr Streit und ihre Einigung. Immer neue Kombinationen der Ziffern 4, 7, 9 und 2. Widerliches Gefühl.

Ich steige die Treppen in einem alten Mietshaus hinauf. Zwei Leute auf einer Bank. Als ich näher herankomme, sehe ich, daß beide erstochen und tot sind. Ich gehe weiter in ein großes weißes Zimmer. Ein kurzer Korridor mit blauem Teppich führt zu einer Halle. Überall Tote, wie Wachspuppen, auf Stühlen sitzend, in einer Badewanne liegend, friedliche ernste Gesichter, wenig Blut.

In dunklen Korridoren hängen tote Narren aus Paternostern. 

Am Ende eines weißen Korridors sind drei Türen, jeweils eine in jeder Wand. Die Tür an der Stirnseite ist offen. Links geht es in ein Badezimmer. Man kann dieses Zimmer nur verlassen, indem man sich aufrecht in den Abfalleimer stellt. Der Boden des Eimers, an dem Kot klebt, öffnet sich, und man fällt durch eine Röhre. Es geht zu einem blauen Pavillon, abends, mit tanzenden Paaren. Am Teich wird ein Haus gebaut, vielleicht für mich. Mein Vater und ein Freund fangen in einem Tümpel voller Entengrütze Tintenfische und schneiden diese auf, während sie noch leben. Die nassen Tentakel auf einem Baumstamm. 

Die Revolution ist da. Auf dem Platz vor dem Schöneberger Rathaus Menschenmengen. Ich sehe Prinz Charles, der sehr traurig aussieht, dann James Grauerholz. William Burroughs nähert sich und sagt: "This is taking more time than I thought." 

28.2.92 - Flug über einen Vergnügungspark. Überall das Gerüst der Achterbahn. Weiter über Flüsse, der Himmel kippt nach unten weg. Auf einem Weg vor einem Wald kommen mir Läufer entgegen. Einer von ihnen öffnet den Mund, und ein Frosch springt heraus, der für ihn weiterschwimmt, in dem Fluß, zu dem der Weg geworden ist. Alle anderen Läufer tun dasselbe. Die Frösche wachsen auf Menschengröße, ihre Haut glatt und stark. Ich schwimme an ihren schwarzen, starren, nicht unfreundlichen Blicken vorbei. 

Ein verbranntes Haus in Vietnam, auf dem Fußboden wächst Gras. Hohe schmale Fenster, weißes Licht. Alles tot, auch der Schmerz. Sehr schöne Musik. Dschunken ankern an einer Mole am Ufer eines Flusses. Eine schwarzgekleidete Gestalt. Das Wasser grau. Die wundervolle Ruhe, wenn das Schlimmste geschehen ist. 

Im Zimmer meiner Eltern. Draußen ist es Nacht. Puppen aus Kunststoff krabbeln wie Insekten in großer Zahl auf dem Fensterbrett und verschwinden wieder. Dann sehe ich in der Scheibe eine große, dicke Puppe mit Babyhäubchen. Die Puppe ist nicht hinter der Scheibe, sie ist ein Spiegelbild, und zwar von mir. Und als ich den Mund aufmache zum Schrei, der nur ein stöhnendes Luftschnappen wird, klappt auch der Puppe der Mund auf, eine gräßliche Mischung aus Lächeln und Brüllen. Der starre Blick ihrer Augen. 

Ein Spiegel hängt in meinem Zimmer. Ich halte mir die Hände vor die Augen und sehe mich trotzdem. Ein entsetzliches Gefühl. 

23.5.93 - Krieg in Jugoslawien, ein Soldat schaut hinter einer Maschine hervor, eine Steigung hoch. In einem Wald ein Zaun als Grenzmarkierung, neben dem Fotos der Gladbecker Geiselnahme liegen, oder Fotos aus einem Film über diese Geiselnahme. Brustbilder wie Fotos von Stars. Hinter dem Zaun macht eine Frau ihrem Mann Vorwürfe: "Ich bin nur ein Anhängsel für dich!" Der Mann sagt: "Nicht mal das!" Die Frau ist verzweifelt, aber ich denke, vielleicht ist das ein Kompliment... 

25.8.93 - Eine alte Frau sitzt an einem Tisch in einem kargen Raum unter der Erde. Ihre Hände sind abgeschlagen, die Stümpfe bandagiert. Ich soll die Bandagen wechseln. 

3.10.93 - Mishima wird von einem Mönch gefragt: "Erinnerst du dich an den Teich, in dem nur noch die Schädlinge lebendig waren?" Parasiten in einem Wassertank mit Betonrändern: ein Bild von Mishimas Seele. 

24.7.94 - In der Höhle von Brion Gysin Hassan Sabbah. Er fragt mich: "Is it that? Is it that? Is it that? Now where is it?" Hysterisches Gelächter. 

18.1.95 - Ich suche nach einem Hotel auf dem Gelände vor einem zum Schrottplatz umfunktionierten Sportstadion. Ich sehe in der Nähe eines Bunkereingangs eine hohle Eisenstange, die senkrecht in einem Betonblock steckt. Ich halte die Stange wie ein Mikrophon und brülle hinein: "Behold the Eye of the Beholder!" Es hallt im Bunker wieder. Im Gras ein sich umarmendes Liebespaar, beide tragen graues Gefieder, wie Vögel. Später sitze ich in einer Bar und esse etwas. Ein Bekannter kommt und schüttet Abfall auf meinen Teller.

12.3.95 - Auf einem Dachboden. Ich sehe im Hof Soldaten, einer greift sich zwei Frauen, um sie zu vergewaltigen. Ich folge den dreien und schieße ihm in den Kopf, aber er lebt weiter und schießt nun auf mich. Ich denke: Gleich werden die Sonne und die Sterne aufgehen. Sie gehen dann auch auf, wie Explosionen am Himmel, mein Triumph.