Dr. jur. Daniel Paul Schreber, Senatspräsident beim Kgl. Oberlandesgericht Dresden a. D.

DENKWÜRDIGKEITEN EINES NERVENKRANKEN


An eine Veröffentlichung dieser Arbeit habe ich beim Beginn derselben noch nicht gedacht. Der Gedanke ist mir erst im weiteren Fortschreiten derselben gekommen. Dabei habe ich mir die Bedenken nicht verhehlt, die einer Veröffentlichung entgegenzustehen scheinen: es handelt sich namentlich um die Rücksicht auf einzelne noch lebende Personen. Auf der anderen Seite bin ich der Meinung, daß es für die Wissenschaft und für die Erkenntniß religiöser Wahrheiten von Werth sein könnte, wenn noch bei meinen Lebzeiten irgendwelche Beobachtungen von berufener Seite an meinem Körper und meinen persönlichen Schicksalen zu ermöglichen wären. Dieser Erwägungen gegenüber müssen alle persönlichen Rücksichten schweigen. 

Von der ganzen Arbeit sind niedergeschrieben: 

  • Die Denkwürdigkeiten selbst (Kap. I—XXII) in der Zeit vom Februar bis September 1900.
  • Die Nachträge unter I—VII in der Zeit vom Oktober 1900 bis Juni 1901.
  • Die zweite Folge der Nachträge Ende 1902.
In der Zeit, die seit dem ersten Beginn der Arbeit verflossen ist, haben sich meine äußeren Lebensschicksale wesentlich verändert. Während ich anfangs noch in fast gefänglicher Absperrung lebte, namentlich vom Umgang mit gebildeten Menschen, selbst von der (den sog. Pensionären der Anstalt zugänglichen) Familientafel des Anstaltsvorstands ausgeschlossen war, niemals aus den Mauern der Anstalt herauskam usw., ist mir nach und nach eine größere Bewegungsfreiheit und der Verkehr mit gebildeten Menschen in immer steigendem Maße ermöglicht worden. Ich habe endlich in dem in Kap. XX erwähnten Entmündigungsprozesse (allerdings erst in zweiter Instanz) einen vollständigen Erfolg erzielt, indem der unter dem 13. März 1900 ergangene Entmündigungsbeschluß des Königl. Amtgerichts Dresden durch rechtskräftig gewordenes Urtheil des Königl. Oberlandesgerichts Dresden vom 14. Juli 1902 aufgehoben worden ist. Meine Geschäftsfähigkeit ist damit anerkannt und die freie Verfügung über mein Vermögen mir zurückgegeben worden. In Betreff meines Verbleibens in der Anstalt habe ich schon seit Monaten die schriftliche Erklärung der Anstaltsverwaltung in Händen, daß meiner Entlassung ein grundsätzliches Bedenken nicht entgegen steht; ich gedenke demnach etwa mit Beginn des kommenden Jahres in meine Häuslichkeit zurückzukehren. 

Durch alle diese Veränderungen ist mir Gelegenheit gegeben gewesen, den Kreis meiner persönlichen Beobachtungen wesentlich zu erweitern. Manche meiner früher dargelegten Ansichten müssen danach eine gewisse Berichtigung erfahren; ich kann insbesondere keinen Zweifel darüber hegen, daß die sogenannte "Menschenspielerei« (die wundermäßige Einwirkung) sich auf mich und meine jeweilige nächste Umgebung beschränkt. Ich würde hiernach mancher Ausführung meiner Denkwürdigkeiten jetzt vielleicht eine andere Fassung geben. Nichtsdestoweniger habe ich es in der großen Hauptsache bei der Form, in der ich sie anfangs niedergeschrieben hatte, belassen. Aenderungen in den Einzelheiten würden die ursprüngliche Frische der Darstellung beeinträchtigen. Auch ist es nach meinem Dafürhalten ohne erhebliche Bedeutung, ob in Ansehung des weltordnungswidrigen Verhältnisses, das zwischen Gott und mir entstanden ist, die Auffassungen, die ich mir früher gebildet hatte, von mehr oder minder großen Irrtümern durchsetzt gewesen sind. Allgemeineres Interesse können ohnedies nur diejenigen Ergebnisse beanspruchen, zu denen ich auf Grund der von mir empfangenen Eindrücke und Erfahrungen hinsichtlich der in Frage kommenden dauernden Verhältnisse, des Wesens und der Eigenschaften Gottes, der Unsterblichkeit der Seele u. s. w. gelangt bin, und in dieser Beziehung habe ich auch nach meinen neueren persönlichen Erfahrungen an meinen früher, namentlich in Kap. 1, II, XVIII und XIX der Denkwürdigkeiten entwickelten Grundanschauungen nicht das mindeste zu ändern. 

Heilanstalt Sonnenstein bei Pirna, im Dezember 1902. 

Der Verfasser 

 

Offener Brief an Herrn Geh. Rath Prof. Dr. Flechsig.

Hochverehrter Herr Geh. Rath! 

In der Anlage gestatte ich mir, Ihnen ein Exemplar der von mir verfaßten "Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken" zu überreichen mit der Bitte, dieselben einer wohlwollenden Prüfung zu unterwerfen. 

Sie werden finden, daß in meiner Arbeit, namentlich in den ersten Kapiteln, Ihr Name des Öfteren genannt worden ist, zum Theil in Zusammenhängen, die geeignet sein könnten, Ihre Empfindlichkeit zu berühren. Ich bedauere dies selbst auf das Lebhafteste, vermag aber leider Nichts daran zu ändern, wenn ich nicht die Möglichkeit eines Verständnisses meiner Arbeit von vornherein ausschließen will. Jedenfalls liegt mir die Absicht eines Angriffs auf Ihre Ehre durchaus fern, wie ich denn überhaupt gegen keinen Menschen irgend einen persönlichen Groll hege, sondern mit meiner Arbeit nur den Zweck verfolge, die Erkenntniß der Wahrheit auf einem hochwichtigen, dem religiösen Gebiete, zu fördern. 

Daß ich in dieser Beziehung über Erfahrungen gebiete, die — zu allgemeiner Anerkennung ihrer Richtigkeit gelangt — in denkbar höchstem Maße fruchtbringend unter der übrigen Menschheit wirken würden, steht für mich unerschütterlich fest. Ebenso zweifellos ist mir, daß Ihr Name bei der genetischen Entwickelung der betreffenden Verhältnisse insofern eine wesentliche Rolle spielt, als gewisse, Ihrem Nervensystem entnommene Nerven zur "geprüften Seele" in dem in Kap. 1 der "Denkwürdigkeiten" bezeichneten Sinne geworden sind und in dieser Eigenschaft eine übersinnliche Macht erlangt haben, zufolge deren sie einen schädigenden Einfluß seit Jahren auf mich ausgeübt haben und bis auf diesen Tag noch ausüben. Sie werden, wie andere Menschen, geneigt sein, in dieser Annahme zunächst nur eine pathologisch zu beurtheilende Ausgeburt meiner Phantasie zu erblicken; für mich ist eine geradezu erdrückende Fülle von Beweisgründen für die Richtigkeit derselben vorhanden, worüber Sie das Nähere aus dem Gesammtinhalt meiner Denkwürdigkeiten entnehmen wollen. Noch jetzt empfinde ich täglich und stündlich die auf Wundern beruhende schädigende Einwirkung jener "geprüften Seele"; noch jetzt wird mir an jedem Tage Ihr Name von den mit mir redenden Stimmen in stets wiederkehrenden Zusammenhängen insbesondere als Urheber jener Schädigungen zu Hunderten von Malen zugerufen, obwohl die persönlichen Beziehungen, die eine Zeit lang zwischen uns bestanden haben, für mich längst in den Hintergrund getreten sind und ich selbst daher schwerlich irgendwelchen Anlaß hätte, mich Ihrer immer von Neuem, insbesondere mit irgendwelcher grollenden Empfindung zu erinnern. 

Seit Jahren habe ich darüber nachgedacht, wie ich diese Thatsachen mit der Achtung vor Ihrer Person, an deren Ehrenhaftigkeit und sittlichem Werth zu zweifeln ich nicht das mindeste Recht habe, vereinigen soll. Dabei ist mir nun ganz neuerdings, erst kurz vor Veröffentlichung meiner Arbeit, ein neuer Gedanke gekommen, welcher vielleicht auf den richtigen Weg zur Lösung des Räthsels führen könnte. Wie am Schlusse von Kap. IV und im Eingang von Kap. V der "Denkwürdigkeiten« bemerkt ist, besteht für mich nicht der leiseste Zweifel darüber, daß der erste Anstoß zu Demjenigen, was von meinen Aerzten immer als bloße "Halluzinationen« aufgefaßt worden ist, für mich aber einen Verkehr mit übersinnlichen Kräften bedeutet, in einer von ihrem Nervensystem ausgehenden Einwirkung auf mein Nervensystem bestanden hat. Worin könnte wohl die Erklärung dieses Umstands gefunden werden? Es scheint mir naheliegend, an die Möglichkeit zu denken, daß Sie — wie ich gern annehmen will, zunächst nur zu Heilzwecken — einen hypnotisirenden, suggerirenden oder wie immer sonst zu bezeichnenden Verkehr und zwar auch bei räumlicher Trennung mit meinen Nerven unterhalten haben. Bei diesem Verkehr könnten Sie auf einmal die Wahrnehmung gemacht haben, daß auch von anderer Seite in Stimmen, die auf einen übersinnlichen Ursprung hindeuten, auf mich eingesprochen werde. Sie könnten in Folge dieser überraschenden Wahrnehmung den Verkehr mit mir noch eine Zeit lang aus wissenschaftlichem Interesse fortgesetzt haben, bis Ihnen selbst die Sache sozusagen unheimlich geworden wäre und Sie sich daher veranlaßt gesehen hätten, den Verkehr abzubrechen. Dabei könnte es nun aber ferner geschehen sein, daß ein Theil Ihrer eigenen Nerven — Ihnen selbst wahrscheinlich unbewußt — auf einem nur übersinnlich zu erklärenden Wege Ihrem Körper entführt und als "geprüfte Seele" zum Himmel aufgestiegen, zu irgendwelcher übersinnlichen Macht gelangt wäre. Diese "geprüfte Seele" hätte dann, wie alle ungereinigten Seelen mit menschlichen Fehlern behaftet — dem von mir insoweit mit Sicherheit erkannten Seelencharakter gemäß — ohne jede Zügelung durch irgend Etwas, was der sittlichen Willenskraft des Menschen entspricht, nur von dem Streben rücksichtsloser Selbstbehauptung und Machtentfaltung sich leiten lassen, ganz in derselben Weise, wie dies nach Inhalt meiner "Denkwürdigkeiten" lange Zeit hindurch auch von Seiten einer anderen "geprüften Seele", der von W.‘schen Seele, geschehen ist. Es wäre also vielleicht möglich, daß alles Dasjenige, was ich in früheren Jahren irriger Weise Ihnen selbst zur Last legen zu müssen geglaubt habe — namentlich die unzweifelhaften schädigenden Einwirkungen auf meinen Körper — nur auf Rechnung jener "geprüften Seele" zu setzen wäre. Es würde dann auf Ihre Person auch nicht ein Schatten zu fallen brauchen und höchstens vielleicht der leise Vorwurf übrig bleiben, daß Sie, wie so manche Aerzte, der Versuchung nicht ganz zu widerstehen vermocht hätten, einen Ihrer Behandlung anvertrauten Patienten bei einem zufällig sich bietenden Anlasse von höchstem wissenschaftlichem Interesse neben dem eigentlichen Heilzwecke zugleich zum Versuchsobjekt für wissenschaftliche Experimente zu machen. Ja, es ließe sich sogar die Frage aufwerfen, ob nicht vielleicht das ganze Stimmengerede, daß irgend Jemand Seelenmord getrieben habe, darauf zurückzuführen sei, daß eine die Willenskraft eines andern Menschen bis zu einem gewissen Grade gefangen nehmende Einwirkung auf dessen Nervensystem — wie sie beim Hypnotisiren stattfindet den Seelen (Strahlen) überhaupt als etwas Unstatthaftes erschienen sei und daß man zu möglichst kräftiger Kennzeichnung dieser Unstatthaftigkeit mit der den Seelen durchaus eigenen Neigung zu hyperbolischer Ausdrucksweise in Ermangelung eines anderen gleich zur Verfügung stehenden Ausdrucks des irgendwie von früher her geläufigen Ausdrucks "Seelenmord" sich bedient habe. 

Ich brauche kaum hervorzuheben, von wie unberechenbarer Wichtigkeit es wäre, wenn meine vorstehend angedeuteten Vermuthungen in irgendwelcher Weise sich bestätigen, insbesondere in Erinnerungen, die Sie selbst in Ihrem Gedächtnisse bewahren, eine Unterstützung finden sollten. Meine ganze übrige Darstellung würde damit vor aller Welt an Glaubwürdigkeit gewinnen und ohne Weiteres in das Licht eines ernsten, mit allen erdenklichen Mitteln weiter zu verfolgenden wissenschaftlichen Problems treten. 

Demnach richte ich an Sie, hochgeehrter Herr Geh. Rath, die Bitte — ich möchte fast sagen: ich beschwöre Sie — Sich rückhaltslos darüber auszusprechen: 

1) Ob von Ihnen während meines Aufenthaltes in Ihrer Anstalt ein hypnotisirender oder dem ähnlicher Verkehr mit mir in der Weise unterhalten worden ist, daß Sie — insbesondere auch bei räumlicher Trennung — eine Einwirkung auf mein Nervensystem ausgeübt haben; 

2) ob Sie dabei in irgendwelcher Weise Zeuge eines von anderer Seite ausgehenden, auf übersinnlichen Ursprung hindeutenden Stimmenverkehrs geworden sind; endlich 

3) ob nicht in der Zeit meines Aufenthalts in Ihrer Anstalt auch Sie selbst — namentlich in Träumen — Visionen oder visionsartige Eindrücke empfangen haben, die u. A. von göttlicher Allmacht und menschlicher Willensfreiheit, von Entmannung, vom Verluste von Seligkeiten, von meinen Verwandten und Freunden, sowie von den Ihrigen, insbesondere dem in Kap. VI genannten Daniel Fürchtegott Flechsig und vielen anderen in meinen "Denkwürdigkeiten" erwähnten Dingen gehandelt haben,

wobei ich gleich hinzufügen will, daß ich aus zahlreichen Mittheilungen der in jener Zeit mit mir redenden Stimmen die allergewichtigsten Anhaltspunkte dafür habe, daß auch Sie derartige Visionen gehabt haben müssen. 

Indem ich an Ihr wissenschaftliches Interesse appelire, darf ich wohl das Vertrauen hegen, daß Sie den vollen Muth der Wahrheit haben werden, selbst wenn dabei etwa eine Kleinigkeit einzugestehen wäre, die Ihrem Ruf und Ihrem Ansehen bei keinem Einsichtigen einen ernsthaften Abbruch thun würde. 
Sollten Sie mir eine schriftliche Mittheilung zukommen lassen wollen, so dürfen Sie Sich versichert halten, daß ich dieselbe nur mit Ihrer Genehmigung und in denjenigen Formen, die Sie Selbst vorzuschreiben für gut finden, veröffentlichen würde. 
Bei dem allgemeinen Interesse, das dem Inhalte dieses Briefes zukommen dürfte, habe ich es für angemessen erachtet, denselben als "Offenen Brief" meinen "Denkwürdigkeiten" vordrucken zu lassen. 

Dresden, im März 1903. 

In vorzüglicher Hochachtung
Dr. Schreber, Senatspräsident a. D.
 
 

Einleitung

Da ich den Entschluß gefaßt habe, in absehbarer Zukunft meine Entlassung aus der Anstalt zu beantragen, um wieder unter gesitteten Menschen und in häuslicher Gemeinschaft mit meiner Frau zu leben, so wird es nothwendig sein, denjenigen Personen, die dann meine Umgebung bilden werden, wenigstens einen ungefähren Begriff von meinen religiösen Vorstellungen zu geben, damit sie die manchen scheinbaren Absonderlichkeiten meines Verhaltens wenn auch nicht vollständig begreifen, so doch mindestens von der Nothwendigkeit, die mir diese Absonderlichkeiten aufzwingt, eine Ahnung erhalten. 

Diesem Zwecke soll die folgende Niederschrift dienen, mit welcher ich versuchen werde, anderen Menschen von den übersinnlichen Dingen, deren Erkenntniß sich mir seit nahezu sechs Jahren erschlossen hat, eine wenigstens einigermaßen verständliche Darlegung zu geben. Auf volles Verständniß kann ich von vornherein nicht rechnen, da es sich dabei zum Theil um Dinge handelt, die sich in menschlicher Sprache überhaupt nicht ausdrücken lassen, weil sie über das menschliche Begriffsvermögen hinausgehen. Auch kann ich von mir selbst nicht einmal behaupten, daß Alles dabei für mich unumstößliche Gewißheit sei; Manches bleibt auch für mich nur Vermuthung und Wahrscheinlichkeit. Ich bin eben auch nur ein Mensch und daher an die Grenzen menschlicher Erkenntniß gebunden; nur soviel beruht für mich außer Zweifel, daß ich der Wahrheit unendlich viel näher gekommen bin, als alle anderen Menschen, denen göttliche Offenbarungen nicht zu Theil geworden sind. 

Um einigermaßen verständlich zu werden, werde ich viel in Bildern und Gleichnissen reden müssen, die vielleicht zuweilen nur annähernd das Richtige treffen; denn die Vergleichung mit bekannten menschlichen Erfahrungsthatsachen ist der einzige Weg, auf dem sich der Mensch die ihm in ihrem innersten Wesen doch immer unbegreiflich bleibenden übersinnlichen Dinge wenigstens bis zu einem gewissen Grade verständlich zu machen vermag. Wo das verstandesmäßige Begreifen aufhört, fängt eben das Gebiet des Glaubens an; der Mensch muß sich daran gewöhnen, daß es Dinge giebt, die wahr sind, obwohl er sie nicht begreifen kann. 

So ist beispielsweise gleich der Begriff der Ewigkeit etwas für den Menschen Unfaßbares. Der Mensch kann sich eigentlich nicht vorstellen, daß es ein Ding geben soll, das keinen Anfang und kein Ende hat, eine Ursache, die nicht wieder auf eine frühere Ursache zurückzuführen wäre. Und doch gehört, wie ich annehmen zu müssen glaube und alle religiös gesinnten Menschen mit mir annehmen, die Ewigkeit zu den Eigenschaften Gottes. Der Mensch wird immer geneigt sein zu fragen: "Wenn Gott die Welt geschaffen hat, wie ist denn dann Gott selbst entstanden?" Diese Frage wird ewig unbeantwortet bleiben. Aehnlich verhält es sich mit dem Begriffe des göttlichen Schaffens. Der Mensch kann sich immer nur vorstellen, daß aus bereits vorhandenen Stoffen durch Einwirkung umgestaltender Kräfte ein neuer Stoff entsteht, und doch glaube ich — wie ich auch in dem Folgenden mit einzelnen Beispielen belegen zu können hoffe — daß das göttliche Schaffen ein Schaffen aus dem Nichts ist. Auch in den Glaubenssätzen unserer positiven Religion ist Manches enthalten, was sich einem vollständigen Begreifen durch den menschlichen Verstand entzieht. Wenn die christliche Kirche lehrt, daß Jesus Christus Gottes Sohn gewesen sei, so kann dies immer nur in einem geheimnißvollen, mit der eigentlichen Bedeutung der menschlichen Worte sich nur annähernd deckenden Sinne verstanden werden, da Niemand behaupten wird, daß Gott als ein mit menschlichen Geschlechtswerkzeugen versehenes Wesen mit dem Weibe, aus dessen Schoße Jesus Christus hervorgegangen ist, Umgang gepflogen habe. — Aehnlich verhält es sich mit der Lehre von der Dreieinigkeit, der Auferstehung des Fleisches und anderen christlichen Glaubenssätzen. Damit will ich keineswegs gesagt haben, daß ich alle christlichen Glaubenssätze im Sinne unserer rechtgläubigen Theologie als wahr anerkenne. Im Gegentheil habe ich sicheren Grund anzunehmen, daß einige derselben bestimmt unwahr oder nur in großer Beschränkung wahr sind. Dies gilt z. B. von der Auferstehung des Fleisches, die nur etwa in der Form der Seelenwanderung auf eine relative und zeitlich beschränkte (nicht das Endziel der Entwickelung darstellende) Wahrheit Anspruch machen könnte, und von der ewigen Verdammniß, der gewisse Menschen verfallen sein sollen. Die Vorstellung einer ewigen Verdammniß — die auch für das menschliche Gefühl immer abschreckend bleiben würde, ungeachtet der m. E. auf Sophismen beruhenden Darlegung, mit der z. B. Luthardt in seinen apologetischen Vorträgen dieselbe annehmbar zu machen gesucht hat — entspricht nicht der Wahrheit, wie denn überhaupt der (menschliche) Begriff der Strafe — als eines zur Erreichung bestimmter Zwecke innerhalb der menschlichen Gemeinschaft dienenden Machtmittels — aus den Vorstellungen über das Jenseits in der Hauptsache wenigstens auszuscheiden ist. Hierüber kann erst weiter unten das Nähere ausgeführt werden. 

Ehe ich zu der Darlegung übergehe, wie ich in Folge meiner Krankheit in besondere und, wie ich gleich hinzufügen will, der Weltordnung an sich widersprechende Beziehungen zu Gott getreten bin, muß ich zunächst einige Bemerkungen über die Natur Gottes und der menschlichen Seele vorausschicken, die vorläufig nur als Axiome — des Beweises nicht bedürftige Sätze — hingestellt werden können und rücksichtlich deren eine Begründung, soweit dieselbe überhaupt möglich ist, erst im weiteren Verlaufe versucht werden kann. 
 

1. Kapitel – Gott und Unsterblichkeit

Die menschliche Seele ist in den Nerven des Körpers enthalten, über deren physikalische Natur ich als Laie nichts weiter aussagen kann, als daß sie Gebilde von außerordentlicher Feinheit — den feinsten Zwirnsfäden vergleichbar — sind, auf deren Erregbarkeit durch äußere Eindrücke das gesammte geistige Leben des Menschen beruht. Die Nerven werden dadurch in Schwingungen versetzt, die in nicht weiter zu erklärender Weise das Gefühl von Lust und Unlust erzeugen; sie besitzen die Fähigkeit, die Erinnerung an die empfangenen Eindrücke festzuhalten (das menschliche Gedächtniß) und zugleich die Kraft, durch Anspannung ihrer Willensenergie die Muskeln des Körpers, den sie bewohnen, zu irgend welchen beliebigen Thätigkeitsäußerungen zu veranlassen. Sie entwickeln sich von den zartesten Anfängen (als menschliche Leibesfrucht, als Kindesseele) zu einem weitschichtigen, die ausgedehntesten Gebiete des menschlichen Wissens umfassenden System (der Seele des gereiften Mannes). Ein Theil der Nerven ist blos zur Aufnahme sinnlicher Eindrücke geeignet (Gesichts-, Gehörs-, Tast-, Wollustnerven u. s. w.), die also nur der Licht-, Schall-, Wärme- und Kälteempfindung, des Hungergefühles, des Wollust- und Schmerzgefühles u. s. w. fähig sind; andere Nerven (die Verstandesnerven) empfangen und bewahren die geistigen Eindrücke und geben als Willensorgane dem ganzen Organismus des Menschen den Anstoß zu den Aeußerungen seiner auf die Außenwelt wirkenden Kraft. Dabei scheint das Verhältniß stattzufinden, daß jeder einzelne Verstandesnerv die gesammte geistige Individualität des Menschen repräsentirt, auf jedem einzelnen Verstandesnerv die Gesammtheit der Erinnerungen sozusagen eingeschrieben ist und die größere oder geringere Zahl der vorhandenen Verstandesnerven nur von Einfluß ist auf die Zeitdauer, während deren diese Erinnerungen festgehalten werden können. Solange der Mensch lebt, ist derselbe Körper und Seele zugleich; die Nerven (die Seele des Menschen) werden von dem Körper, dessen Funktion mit denen der höheren Thiere im Wesentlichen übereinstimmen, ernährt und in lebendiger Bewegung erhalten. Verliert der Körper seine Lebenskraft, so tritt für die Nerven der Zustand der Bewußtlosigkeit ein, den wir Tod nennen und der schon im Schlaf vorgebildet ist. Damit ist jedoch nicht gesagt, daß die Seele wirklich erloschen sei; die empfangenen Eindrücke bleiben vielmehr an den Nerven haften; die Seele macht nur sozusagen einen Winterschlaf durch, wie manche niederen Thiere, und kann in der weiter unten zu berührenden Weise zu neuem Leben erweckt werden. 

Gott ist von vornherein nur Nerv, nicht Körper, demnach etwas der menschliches Seele Verwandtes. Die Gottesnerven sind jedoch nicht, wie im menschlichen Körper nur in beschränkter Zahl vorhanden, sondern unendlich oder ewig. Sie besitzen die Eigenschaften, die den menschlichen Nerven innewohnen, in einer alle menschlichen Begriffe übersteigenden Potenz. Sie haben namentlich die Fähigkeit, sich umzusetzen in alle möglichen Dinge der erschaffenen Welt; in dieser Funktion heißen sie Strahlen; hierin liegt das Wesen des göttlichen Schaffens. Zwischen Gott und dem gestirnten Himmel besteht eine innige Beziehung. Ich wage nicht zu entscheiden, ob man geradezu sagen darf, daß Gott und die Sternenwelt eines und dasselbe ist, oder ob man sich die Gesammtheit der Gottesnerven als etwas noch über und hinter den Sternen Lagerndes und demnach die Sterne selbst und insbesondere unsere Sonne nur als Stationen vorzustellen hat, auf denen die schaffende Wundergewalt Gottes den Weg zu unserer Erde (und etwaigen anderen bewohnten Planeten) zurücklegt. Ebensowenig getraue ich mir zu sagen, ob auch die Weltkörper selbst (Fixsterne, Planeten u. s. w.) von Gott geschaffen worden sind, oder das göttliche Schaffen sich nur auf die organische Welt bezieht, und demnach neben der für mich unmittelbar gewiß gewordenen Existenz eines lebendigen Gottes doch auch noch Raum bliebe für die Nebularhypothese von Kant-Laplace. Die volle Wahrheit liegt vielleicht (nach Art der vierten Dimension) in einer für Menschen nicht faßbaren Diagonale beider Vorstellungsrichtungen. Jedenfalls ist die licht- und wärmespendende Kraft der Sonne, vermöge deren sie die Ursache alles organischen Lebens auf der Erde ist, nur als eine mittelbare Lebensäußerung Gottes anzusehen, weshalb denn auch die der Sonne von Alters her bei so vielen Völkern gezollte göttliche Verehrung zwar nicht die volle Wahrheit in sich schließt, aber doch einen hochbedeutsamen, von der Wahrheit selbst sich nicht allzuweit entfernenden Kern derselben enthält. 

Die Lehren unserer Astronomie hinsichtlich der Bewegungen, der Entfernung und der physikalischen Beschaffenheit der Himmelskörper u. s. w. mögen im Allgemeinen richtig sein. Allein, soviel ist mir auf Grund meiner inneren Erfahrungen unzweifelhaft, daß auch unsere Astronomie hinsichtlich der licht- und wärmespendenden Kraft der Gestirne und namentlich unserer Sonne die volle Wahrheit noch nicht erfaßt hat, sondern daß man dieselbe mittelbar oder unmittelbar nur als den der Erde zugewendeten Theil der schaffenden Wundergewalt Gottes aufzufassen hat. Als Beleg für diese Behauptung führe ich vorläufig nur die Thatsache an, daß die Sonne seit Jahren in menschlichen Worten mit mir spricht und sich damit als belebtes Wesen oder als Organ eines noch hinter ihr stehenden höheren Wesens zu erkennen giebt. Gott macht auch das Wetter; dies geschieht in Folge der stärkeren oder geringeren Wärmeausstrahlung der Sonne in der Regel sozusagen von selbst, kann aber in besonderen Fällen von Gott nach eigens damit verfolgten Zwecken in bestimmte Richtungen gelenkt werden. Ich habe z. B. ziemlich sichere Andeutungen darüber erhalten, daß der harte Winter des Jahres 1870-71 eine von Gott beschlossene Sache war, um bei gewissen Anlässen das Kriegsglück auf Seiten der Deutschen zu wenden, und auch das stolze Wort von der Vernichtung der spanischen Armada Philipps II. im Jahre 1588 "Deus afflavit et dissipati sunt" (Gott fachte den Wind an und sie verschwanden) enthält höchst wahrscheinlich eine geschichtliche Wahrheit. Dabei nenne ich die Sonne nur als das der Erde zunächstgelegene Werkzeug der Aeußerung der göttlichen Willensmacht; in Wirklichkeit kommt für die Gestaltung der Wetterlage auch die Gesammtheit der übrigen Gestirne in Betracht. Insbesondere entsteht Wind oder Sturm dadurch, daß sich Gott in größere Entfernung von der Erde zurückzieht; unter den jetzt eingetretenen weltordnungswidrigen Umständen hat sich das Verhältniß, um dies gleich im Voraus zu erwähnen, dahin verschoben, daß das Wetter in gewissem Maaße von meinem Thun und Denken abhängig ist; sobald ich mich dem Nichtsdenken hingebe, oder, was dasselbe besagt, mit einer von der Thätigkeit des menschlichen Geistes zeugenden Beschäftigung, z. B. im Garten mit Schachspielen aufhöre, erhebt sich sofort der Wind. Wer an dieser allerdings geradezu abenteuerlich klingenden Behauptung zweifeln wollte, dem kann ich fast täglich Gelegenheit geben, sich von ihrer Richtigkeit zu überzeugen, ebenso wie ich dies in neuerer Zeit schon wiederholt verschiedenen Personen (dem Geh. Rath, meiner Frau, meiner Schwester u. s. w.) gegenüber mit dem sogen. Brüllen gethan habe. Der Grund liegt eben darin, daß sich Gott, sobald ich mich dem Nichtsdenken hingebe, von mir als einer vermeintlich blödsinnigen Person zurückziehen zu können glaubt. 

Vermöge des von der Sonne und den übrigen Gestirnen ausgehenden Lichtes hat Gott die Fähigkeit, Alles was auf der Erde (und etwaigen anderen bewohnten Planeten) vorgeht, wahrzunehmen, der Mensch würde sagen: zu sehen; insofern kann man bildlich von der Sonne und dem Sternenlichte als dem Auge Gottes reden. Er hat Freude an Allem, was er sieht, als Erzeugnissen seiner Schöpferkraft, ähnlich wie der Mensch sich über seiner Hände Arbeit oder über das von seinem Geist Geschaffene freut. Dabei war jedoch — bis zu der weiter unten zu erwähnenden Krisis — das Verhältniß so, daß Gott die von ihm geschaffene Welt und die darauf befindlichen organischen Wesen (Pflanzen, Thiere, Menschen) im Allgemeinen sich selbst überließ und nur durch Fortdauer der Sonnenwärme für die Möglichkeit ihrer Erhaltung, Fortpflanzung u. s. w. sorgte. Ein unmittelbares Eingreifen Gottes in die Geschicke der einzelnen Menschen und Völker fand — ich bezeichne diesen Zustand als den weltordnungsmäßigen Zustand — in der Regel nicht statt. Ausnahmsweise konnte dies wohl ab und zu der Fall sein; allzuhäufig konnte und durfte es aber nicht geschehen, weil die damit verbundene Annäherung Gottes an die lebende Menschheit — aus weiter unten zu entwickelnden Gründen — für Gott selbst mit gewissen Gefahren verbunden gewesen wäre. So konnte etwa ein besonders inbrünstiges Gebet Gott vielleicht die Veranlassung geben, im einzelnen Falle mit einem Wunder helfend einzugreifen oder das Geschick ganzer Völker (im Kriege u. s. w.) durch Wunder in bestimmte Richtungen zu lenken. Er konnte sich auch mit einzelnen hochbegabten Menschen (Dichtern u. s. w.) in Verbindung setzen ("Nervenanhang bei demselben nehmen", wie die mit mir sprechenden Stimmen diesen Vorgang bezeichnen), um diese mit irgend welchen befruchtenden Gedanken und Vorstellungen über das Jenseits (namentlich im Traume) zu begnadigen. Allein zur Regel durfte ein solcher "Nervenanhang", wie gesagt, nicht werden, weil vermöge eines nicht weiter aufzuklärenden Zusammenhanges die Nerven lebender Menschen namentlich im Zustande einer hochgradigen Erregung eine derartige Anziehungskraft auf die Gottesnerven besitzen, daß Gott nicht wieder von ihnen hätte loskommen können, also in seiner eigenen Existenz bedroht gewesen wäre. 

Ein regelmäßiger Verkehr Gottes mit Menschenseelen fand nach der Weltordnung erst nach dem Tode statt. Den Leichen konnte sich Gott ohne Gefahr nähern, um ihre Nerven, in denen das Selbstbewußtsein nicht erloschen war, sondern nur ruhte, vermittelst der Strahlenkraft aus dem Körper heraus- und zu sich heraufzuziehen und sie damit zu neuem himmlischen Leben zu erwecken; das Selbstbewußtsein kehrte mit der Strahleneinwirkung zurück. Das neue jenseitige Leben ist die Seligkeit, zu der die Menschenseele erhoben werden konnte. Allerdings konnte dies nicht ohne vorgängige Läuterung und Sichtung der Menschennerven geschehen, die je nach der verschiedenen Beschaffenheit der Menschenseelen kürzerer oder längerer Zeit und nach Befinden noch gewisser Mittelstufen als Vorbereitung bedurfte. Für Gott — oder wenn man diesen Ausdruck vorzieht, im Himmel — waren nur reine Menschennerven zu gebrauchen, weil es ihre Bestimmung war, Gott selbst angegliedert zu werden und schließlich als "Vorhöfe des Himmels" gewissermaßen Bestandtheile Gottes selbst zu werden. Nerven sittlich verkommener Menschen sind geschwärzt; sittlich reine Menschen haben weiße Nerven; je höher ein Mensch sittlich in seinem Leben gestanden hat, desto mehr wird die Beschaffenheit seiner Nerven der vollkommenen Weiße oder Reinheit sich nähern, die den Gottesnerven von vornherein eigen ist. Bei sittlich ganz tiefstehenden Menschen ist vielleicht ein großer Theil der Nerven überhaupt nicht brauchbar; danach bestimmen sich die verschiedenen Grade der Seligkeit, zu der ein Mensch aufsteigen kann und wahrscheinlich auch die Zeitdauer, während deren ein Selbstbewußtsein im jenseitigen Leben sich aufrecht erhalten läßt. Ganz ohne vorgängige Läuterung der Nerven wird es kaum jemals abgehen, da schwerlich ein Mensch zu finden sein wird, der ganz von Sünde frei wäre, dessen Nerven nicht also irgend einmal in seinem vergangenen Leben durch unsittliches Verhalten verunreinigt worden wären. Eine ganz genaue Beschreibung des Läuterungsvorgangs zu liefern, ist auch für mich nicht möglich; immerhin habe ich verschiedene werthvolle Andeutungen darüber erhalten. Es scheint, daß das Läuterungsverfahren mit irgend einer für die Seelen das Gefühl der Unlust erzeugenden Arbeitsleistung oder einem mit Unbehagen verknüpften vielleicht unterirdischen Aufenthalt verbunden war, dessen es bedurfte, um sie nach und nach der Reinigung zuzuführen. 

Wer hierauf den Ausdruck "Strafe" anwenden will, mag ja in gewissem Sinne Recht haben; nur ist im Unterschied von dem menschlichen Strafbegriff daran festzuhalten, daß der Zweck nicht in der Zufügung eines Uebels, sondern nur in der Beschaffung einer nothwendigen Vorbedingung für die Reinigung bestand. Hiermit erklären sich, müssen aber zum Theil auch berichtigt werden, die den meisten Religionen geläufigen Vorstellungen von Hölle, Fegefeuer u. s. w. Die zu reinigenden Seelen lernten während der Reinigung die von Gott selbst gesprochene Sprache, die sog. "Grundsprache", ein etwas alterthümliches, aber immerhin kraftvolles Deutsch, das sich namentlich durch einen großen Reichthum an Euphemismen auszeichnete (so z. B. Lohn in der gerade umgekehrten Bedeutung für Strafe, Gift für Speise, Saft für Gift, unheilig für heilig u. s. w. Gott selbst hieß "rücksichtlich dessen, der ist und sein wird" —Umschreibung der Ewigkeit — und wurde mit "Ew. Majestät treugehorsamer" angeredet.) — Die Läuterung wurde als "Prüfung" bezeichnet; Seelen, die das Läuterungsverfahren noch nicht durchgemacht hatten, hießen nicht, wie man erwarten sollte, "ungeprüfte Seelen", sondern gerade umgekehrt, jener Neigung zum Euphemismus entsprechend "geprüfte Seelen". Die noch in der Läuterung begriffenen Seelen wurden in verschiedenen Abstufungen "Satane", "Teufel", "Hülfsteufel", "Oberteufel" und "Grundteufel" genannt; namentlich der letztere Ausdruck scheint auf einen unterirdischen Aufenthalt hinzuweisen. Die "Teufel" u. s. w. hatten, wenn sie als flüchtig hingemachte Männer gesetzt wurden, eine eigenthümliche Farbe (etwa das Möhrenroth) und einen eigenthümlichen widerwärtigen Geruch, wie ich selbst in einer ganzen Anzahl von Fällen in der sog. Pierson‘schen Anstalt in Coswig (mir als Teufelsküche bezeichnet) erlebt habe. Ich habe z. B. den Herrn v. W. und einen Herrn von O., den wir im Ostseebad Warnemünde kennen gelernt hatten, als Teufel mit eigenthümlich rothem Gesicht und rothen Händen und den Geh. Rath W. als Oberteufel gesehen. 

Von Judas Ischarioth habe ich vernommen, daß er wegen seines Verraths an Jesus Christus Grundteufel gewesen sei. Man darf sich aber diese Teufel nicht etwa, den christlichen Religionsbegriffen entsprechend, als Gott feindliche Mächte vorstellen, im Gegentheil waren dieselben fast durchgängig bereits sehr gottesfürchtig und unterlagen eben nur noch dem Reinigungsverfahren. Der oben aufgestellte Satz, daß Gott sich der deutschen Sprache in der Form der sog. "Grundsprache" bedient habe, darf natürlich nicht dahin verstanden werden, als ob die Seeligkeit nur für die Deutschen bestimmt gewesen sei. Immerhin waren die Deutschen in neuerer Zeit (wahrscheinlich seit der Reformation, vielleicht aber auch schon seit der Völkerwanderung) das auserwählte Volk Gottes, dessen Sprache sich Gott vorzugsweise bediente. Das auserwählte Volk Gottes in diesem Sinne sind nacheinander im Laufe der Geschichte — als die jeweilig sittlich tüchtigsten Völker — die alten Juden, die alten Perser (diese in ganz besonders hervorragendem Maße, worüber weiter unten das Nähere), die "Graeco-Romanen" (vielleicht in der Zeit des Römisch-Griechischen Alterthums, möglicher Weise aber auch als "Franken" zur Zeit der Kreuzzüge) und zuletzt eben die Deutschen gewesen. Verständlich waren für Gott im Wege des Nervenanhangs ohne Weiteres die Sprachen aller Völker. 

Den Zwecken der Läuterung unreiner Menschenseelen scheint auch die Seelenwanderung gedient zu haben, die, wie ich nach verschiedenen Erlebnissen anzunehmen Grund habe, in ausgedehntem Maaße stattgefunden hat. Die betreffenden Menschenseelen wurden dabei auf anderen Weltkörpern, vielleicht mit einer dunklen Erinnerung an ihre frühere Existenz, zu einem neuen menschlichen Leben berufen, äußerlich vermuthlich im Wege der Geburt, wie es sonst bei Menschen der Fall ist. Bestimmtere Behauptungen wage ich darüber nicht aufzustellen, namentlich auch darüber nicht, ob die Seelenwanderung nur dem Zwecke der Läuterung oder auch noch anderen Zwecken (Bevölkerung anderer Planeten?) gedient hat. Von den zu mir sprechenden Stimmen genannt oder sonst auf andere Weise bekannt geworden sind mir einige Fälle, wo die Betreffenden in dem späteren Leben eine wesentlich niedrigere Lebensstellung als in den früheren eingenommen haben sollen, worin vielleicht eine Art Bestrafung gelegen haben mag. 

Ein besonders bemerkenswerther Fall war der des Herrn v. W., dessen Seele eine Zeit lang ebenso, wie noch jetzt die Flechsig´sche Seele, einen sehr tiefgreifenden Einfluß auf meine Beziehungen zu Gott und demnach meiner persönlichen Schicksale ausgeübt hat. Von W. bekleidete zu der Zeit, als ich in der Pierson‘schen Anstalt (der "Teufelsküche") war, in dieser Anstalt die Stelle eines Oberwärters, nach meiner damaligen Auffassung — die ich mir auch jetzt noch nicht zu widerlegen vermag — nicht als wirklicher Mensch, sondern als "flüchtig hingemachter Mann" d. h. als eine durch göttliches Wunder vorübergehend in Menschengestalt gesetzte Seele. In der Zwischenzeit sollte er im Wege der Seelenwanderung als "Versicherungsagent Marx" schon ein zweites Leben auf irgend einem anderen Weltkörper geführt haben. 

Die durch den Läuterungsprozeß vollkommen gereinigten Seelen stiegen zum Himmel empor und gelangten dadurch zur Seligkeit. Die Seligkeit bestand in einem Zustande ununterbrochenen Genießens, verbunden mit der Anschauung Gottes. Für den Menschen würde die Vorstellung eines ewigen Nichtsthuns etwas Unerträgliches bedeuten, da der Mensch nun einmal an die Arbeit gewöhnt ist und für ihn, wie das Sprichwort besagt, erst die Arbeit das Leben süß macht. Allein man darf nicht vergessen, daß die Seelen etwas Anderes sind, als der Mensch, und daß es daher unzulässig sein würde, an die Empfindungen der Seelen den menschlichen Maaßstab anzulegen. Für die Seelen bedeutet eben das fortwährende Schwelgen im Genusse und zugleich in den Erinnerungen an ihre menschliche Vergangenheit das höchste Glück. Dabei waren sie in der Lage, im Verkehre unter einander ihre Erinnerungen auszutauschen und vermittelst göttlicher — sozusagen zu diesem Zwecke geborgter — Strahlen von dem Zustande derjenigen noch auf der Erde lebenden Menschen, für die sie sich interessiren, ihrer Angehörigen, Freunde usw. Kenntniß zu nehmen, und wahrscheinlich auch nach deren Tode bei dem Heraufziehen derselben zur Seligkeit mitzuwirken. Zurückzuweisen ist die Vorstellung, als ob etwa das eigene Glück der Seelen durch die Wahrnehmung, daß ihre noch auf der Erde lebenden Angehörigen in unglücklicher Lage sich befanden, hätte getrübt werden können. Denn die Seelen besaßen zwar die Fähigkeit, die Erinnerung an ihre eigene menschliche Vergangenheit zu bewahren, nicht aber neue Eindrücke, die sie als Seelen empfingen, auf eine irgend in Betracht kommende Zeitdauer zu behalten. Dies ist die natürliche Vergeßlichkeit der Seelen, welche neue, ungünstige Eindrücke alsbald bei ihnen verwischt haben würde. Innerhalb der Seligkeit gab es Gradabstufungen je nach der nachhaltigen Kraft, die die betreffenden Nerven in ihrem Menschenleben erlangt hatten und wahrscheinlich auch nach der Zahl der Nerven, die zur Aufnahme in den Himmel für würdig befunden worden waren. 

Die männliche Seligkeit stand höher als die weibliche Seligkeit, welche letztere vorzugsweise in einem ununterbrochenen Wollustgefühle bestanden zu haben scheint. Es würde ferner etwa die Seele eines Goethe, eines Bismarck u. s. w. ihr Selbstbewußtsein (Identitätsbewußtsein) vielleicht auf Jahrhunderte hinaus behauptet haben, während dies bei der Seele eines früh verstorbenen Kindes vielleicht nur auf soviel Jahre der Fall sein mochte, als die Lebensdauer im menschlichen Leben umfaßt hatte. Eine ewige Fortdauer des Bewußtseins, der oder jener Mensch gewesen zu sein, war keiner Menschenseele beschieden. Vielmehr war es die Bestimmung aller Seelen schließlich, verschmolzen mit anderen Seelen, in höheren Einheiten aufzugehen und sich damit nur noch als Bestandtheile Gottes ("Vorhöfe des Himmels") zu fühlen. Dies bedeutete also nicht einen eigentlichen Untergang — insofern war der Seele eine ewige Fortdauer beschieden — sondern nur ein Fortleben mit anderem Bewußtsein. Nur eine beschränkte Betrachtungsweise könnte darin eine Unvollkommenheit der Seligkeit — gegenüber der persönlichen Unsterblichkeit im Sinne etwa der christlichen Religionsvorstellungen — finden wollen. Denn welches Interesse hätte es für eine Seele haben sollen, des Namens, den sie einst unter Menschen geführt hatte, und ihrer damaligen persönlichen Beziehungen sich noch zu erinnern, wenn nicht nur ihre Kinder und Kindeskinder längst ebenfalls zur ewigen Ruhe eingegangen, sondern auch zahlreiche andere Generationen ins Grab gestiegen waren und vielleicht selbst die Nation, der sie einstmals angehört hatten, aus der Reihe der lebenden Völker gestrichen war. In dieser Weise habe ich — noch in der Zeit meines Aufenthalts in der Flechsig´schen Anstalt — die Bekanntschaft mit Strahlen gemacht, die mir als Strahlen — d. h. zu höheren Einheiten erhobene Complexe seliger Menschenseelen — des alten Judenthums ("Jehovastrahlen"), des alten Perserthums ("Zoroasterstrahlen") und des alten Germanenthums ("Thor- und Odinstrahlen") bezeichnet wurden und unter denen sich sicher keine einzige Seele mehr befand, welche ein Bewußtsein davon gehabt hätte, unter welchem Namen sie vor Tausenden von Jahren dem einen oder anderen dieser Völker angehört habe. 

Ueber den "Vorhöfen des Himmels" schwebte Gott selbst, dem im Gegensatz zu diesen "vorderen Gottesreichen" auch die Bezeichnung der "hinteren Gottesreiche" gegeben wurde. Die hinteren Gottesreiche unterlagen (und unterliegen noch jetzt) einer eigenthümlichen Zweitheilung, nach der ein niederer Gott (Ariman) und ein oberer Gott (Ormuzd) unterschieden wurde. Ueber die nähere Bedeutung dieser Zweitheilung vermag ich weiter Nichts auszusagen, als daß sich der niedere Gott (Ariman) vorzugsweise zu den Völkern ursprünglich brünetter Race (den Semiten) und der obere Gott vorzugsweise zu den Völkern ursprünglich blonder Race (den arischen Völkern) hingezogen gefühlt zu haben scheint. Bedeutsam ist, daß eine Ahnung dieser Zweitheilung sich in den religiösen Vorstellungen vieler Völker vorfindet. Der Balder der Germanen, der Bielebog (weißer Gott) oder Swantewit der Slawen, der Poseidon der Griechen und der Neptun der Römer ist mit Ormuzd, der Wodan (0din) der Germanen, der Czernebog (schwarzer Gott) der Slawen, der Zeus der Griechen und der Jupiter der Römer ist mit Anman identisch. Unter dem Namen "Ariman" und "Ormuzd" wurden mir der niedere und der obere Gott zuerst Anfang Juli 1894 (etwa am Schlusse der ersten Woche meines Aufenthalts in der hiesigen Anstalt) von den mit mir redenden Stimmen genannt; seitdem höre ich diese Namen tagtäglich. Der angegebene Zeitpunkt fällt zusammen mit der Aufzehrung der vorderen Gottesreiche, mit denen ich vorher (seit etwa Mitte März 1894) in Verbindung gestanden hatte. 

Das in dem Vorstehenden entwickelte Bild von der Natur Gottes und der Fortdauer der menschlichen Seele nach dem Tode weicht in manchen Beziehungen nicht unerheblich von den christlichen Religionsvorstellungen über diese Gegenstände ab. Gleichwohl scheint mir ein Vergleich zwischen beiden nur zu Gunsten des ersteren ausfallen zu können. Eine Allwissenheit und Allgegenwart Gottes in dem Sinne, daß Gott beständig in das Innere jedes einzelnen lebenden Menschen hereinsah, jede Gefühlsregung seiner Nerven wahrnahm, also in jedem gegebenen Zeitpunkte "Herz und Nieren prüfte", gab es allerdings nicht. Allein dessen bedurfte es auch nicht, weil nach dem Tode die Nerven der Menschen mit allen Eindrücken, die sie während des Lebens empfangen hatten, offen vor Gottes Auge dalagen und danach das Urtheil über ihre Würdigkeit zur Aufnahme in das Himmelreich mit unfehlbarer Gerechtigkeit erfolgen konnte. Im Uebrigen genügte die Möglichkeit, sobald irgend ein Anlaß dazu gegeben schien, sich im Wege des Nervenanhangs Kenntniß von dem Innern eines Menschen zu verschaffen. Auf der anderen Seite fehlt dem von mir entworfenen Bilde jeder Zug von Härte oder zweckloser Grausamkeit, der manchen Vorstellungen der christlichen Religion und in noch höherem Grade denjenigen anderer Religionen aufgeprägt ist. Das Ganze der Weltordnung erscheint danach als ein "wundervollen Aufbau", gegen dessen Erhabenheit alle Vorstellungen, welche sich Menschen und Völker im Laufe der Geschichte über ihre Beziehungen zu Gott gebildet haben, nach meinem Urtheil weit zurücktreten. 
 

2. Kapitel - Ein Krisis der Gottesreiche? Seelenmord

In diesen "wundervollen Aufbau" ist nun in neuerer Zeit ein Riß gekommen, der mit meinem persönlichen Schicksal auf das engste verknüpft ist. Die tieferen Zusammenhänge in einer für den menschlichen Verstand vollkommen faßbaren Weise darzustellen ist auch für mich unmöglich. Es sind dunkle Vorgänge, deren Schleier ich auf Grund meiner persönlichen Erlebnisse nur theilweise lüften kann, während ich im Uebrigen nur auf Ahnungen und Vermuthungen angewiesen bin. Einleitend habe ich dazu zu bemerken, daß bei der Genesis der betreffenden Entwicklung deren erste Anfänge weit, vielleicht bis zum 18. Jahrhundert zurückreichen, einestheils die Namen Flechsig und Schreber (wahrscheinlich nicht in der Beschränkung auf je ein Individuum der betreffenden Fämilien) und anderntheils der Begriff des "Seelenmords" ein Hauptrolle spielen. 

Um mit letzerem zu beginnen, so ist die Vorstellung, daß es möglich sei, sich in irgendwelcher Weise der Seele eines Anderen zu bemächtigen, um sich auf Kosten der betreffenden Seele entweder ein längeres Leben oder irgendwelche andere, über den Tod hinausreichenden Vortheile zu verschaffen, in Sage und Dichtung bei allen Völkern verbreitet. Ich erinnere beispielsweise nur an Goethe´s Faust, Lord Byron´s Manfred, Weber´s Freischütz usw. Gewöhnlich wird allerdings dem Teufel dabei eine Hauptrolle zugeschrieben, der sich die Seele eines Menschen mittelst eines Tröpfchens Blut gegen irgendwelche irdischen Vortheile verschreiben läßt usw., ohne daß man freilich recht sieht, was der Teufel mit der eingefangenen Seele eigentlich beginnen sollte, wenn man nicht annehmen will, daß ihm das Quälen einer Seele als Selbstzweck ein besonderes Vergnügen bereitet habe. 

Mag aber auch diese letztere Vorstellung schon aus dem Grunde, daß es einen Teufel als eine gottfeindliche Macht nach dem Obigen überhaupt nicht giebt, in das Reich der Fabel zu verweisen sein, so giebt doch immerhin die weite Verbreitung des Sagenmotivs vom Seelenmorde oder Seelenraube zum Nachdenken Veranlassung, da es wenig wahrscheinlich ist, daß sich solche Vorstellungen bei so vielen Völkern gleichmäßig ohne jeden thatsächlichen Hintergrund gebildet haben sollten. Da nun die mit mir redenden Stimmen seit den ersten Anfängen meiner Verbindung mit Gott (Mitte März 1894) bis jetzt tagtäglich die Tatsache, daß von irgend einer Seite "Seelenmord" getrieben worden sei, als sei die Ursache der über die Gottesreiche hereingebrochenen Krisis bezeichnen, wobei in früherer Zeit Flechsig als Urheber des Seelenmords genannt wurde, während man jetzt schon seit längerer Zeit in beabsichtigter Umkehr des Verhältnisses mich selbst als denjenigen, der Seelenmord getrieben habe, "darstellen" will, so gelange ich zu der Annahme, daß irgend einmal, vielleicht schon in früheren Generationen, ein als Seelenmord zu bezeichnender Vorgang zwischen den Familien Flechsig und Schreber stattgefunden habe, wie ich denn auf Grund weiterer Vorgänge der Ueberzeugung bin, daß zu der Zeit, als meine Nervenkrankheit einen schwer heilbaren Charakter anzunehmen schien, ein Seelenmord von irgend einer Seite, wenn auch erfolglos, an mir versucht worden ist. 

Wahrscheinlich sind dann dem ersten Seelenmorde nach dem Grundsatze l‘appetit vient en mangeant noch weitere Seelenmorde an den Seelen anderer Menschen gefolgt. Ob wirklich einen Menschen die sittliche Verantwortung für den ersten Fall des Seelenmords trifft, will ich dahin gestellt sein lassen; in dieser Beziehung bleibt eben Vieles dunkel. Möglicherweise hat es sich zuerst um einen der Eifersucht entsprungenen Kampf bereits aus dem Leben abgeschiedener Seelen gehandelt. Die Flechsig´s und die Schreber´s gehörten nämlich beide, wie der Ausdruck lautete, "dem höchsten himmlischen Adel" an; die Schreber‘s führten insbesondere den Titel "Markgrafen von Tuscien und Tasmanien", entsprechend einer Gewohnheit der Seelen, sich, einer Art persönlicher Eitelkeit folgend, mit etwas hochtrabenden irdischen Titeln zu schmücken. Aus beiden Familien kommen verschiedene Namen in Betracht, aus der Familie Flechsig insbesondere außer dem Professor Paul Theodor Flechsig auch ein Abraham Fürchtegott Flechsig und ein Daniel Fürchtegott Flechsig, welcher letzterer Ausgangs des 18. Jahrhunderts gelebt haben und wegen eines seelenmordartigen Vorgangs "Hülfsteufel" gewesen sein soll. Jedenfalls habe ich mit dem Professor Paul Theodor Flechsig und mit Daniel Fürchtegott Flechsig (ob auch mit dem ersteren in der Eigenschaft als Seele?) lange Zeit in Nervenanhang gestanden und Seelentheile von beiden im Leibe gehabt. Die Seele Daniel Fürchtegott Flechsigs ist schon seit Jahren verschwunden (hat sich verflüchtigt); von der Seele des Prof. Paul Theodor Flechsig existirt mindestens ein Theil (d. h. also eine gewisse Anzahl von Nerven, die ursprünglich das inzwischen allerdings stark abgeschwächte Identitätsbewußtsein des Prof. Paul Theodor Flechsig hatten) als "geprüfte Seele" noch jetzt am Himmel. Da ich von dem Stammbaum der Familie Flechsig aus andern Quellen, als den Mittheilungen der mit mir redenden Stimmen, nicht die geringste Kenntniß habe, so wäre es vielleicht nicht ohne Interesse, festzustellen, ob unter den Vorfahren des jetzigen Professors Flechsig sich wirklich ein Daniel Fürchtegott Flechsig und ein Abraham Fürchtegott Flechsig befunden hat. 

Ich nehme nun an, daß es irgend einmal einem Träger des Namens Flechsig — einem Menschen der diesen Namen führte — gelungen ist, einen ihm zum Zweck göttlicher Eingebungen oder auch anderen Gründen gewährten Nervennahang zur Festhaltung der göttlichen Strahlen zu miß brauchen. Selbstverständlich handelt es sich dabei nur um eine Hypothese, die aber, wie sonst bei menschlich-wissenschaftlichen Untersuchungen, solange festgehalten werden muß, bis man einen besseren Grund für die zu erklärenden Vorgänge findet. Daß ein göttlicher Nervenanhang gerade einer Person gewährt wurde, die sich mit Ausübung der Nervenheilkunde befaßte, erscheint sehr naheliegend, da es sich einestheils dabei voraussetzlich um einen geistig hochstehenden Menschen handelte, anderntheils alles Dasjenige, was das menschliche Nervenleben betrifft, schon in dem instinktiven Bewußtsein, daß sich aus einer unter den Menschen überhandnehmenden Nervosität irgendwelche Gefahren für die Gottesreiche ergeben könnten, für Gott von besonderem Interesse sein mußte. Die Heilanstalten für Geisteskranke hießen daher in der Grundsprache "Nervenanstalten Gottes". Sollte der oben erwähnte Daniel Fürchtegott Flechsig derjenige gewesen sein, der zuerst durch Mißbrauch eines göttlichen Nervenanhangs gegen die Weltordnung gefehlt hat, so würde der Umstand, daß derselbe mir andrerseits von den mit mir redenden Stimmen als Landgeistlicher bezeichnet worden ist, wohl nicht unbedingt entgegenstehn, da zu der Zeit, als Daniel Fürchtegott Flechsig gelebt haben soll — im 18. Jahrhundert etwa zur Zeit Friedrichs des Großen — öffentliche Heilanstalten für Geisteskranke noch nicht existirten. 

Man würde sich also vorzustellen haben, daß eine derartige — vielleicht neben einem sonstigen Beruf — mit Ausübung der Nervenheilkunde befaßte Person irgend einmal im Traume wunderbare Bilder gesehen und wunderbare Dinge erfahren zu haben geglaubt habe, denen weiter nachzuforschen sie sich theils durch die allgemeine menschliche Wißbegier, theils durch ein gerade bei ihr vorhandenes wissenschaftliches Interesse angespornt gefühlt habe. Der Betreffende brauchte dabei vielleicht zunächst noch gar nicht das Bewußtsein zu haben, daß es sich um einen mittelbaren oder unmittelbaren Verkehr mit Gott handele. Er suchte sich vielleicht in einer der folgenden Nächte die Traumbilder wieder in das Gedächtniß zurückzurufen und machte dabei die Erfahrung, daß in dem alsdann eintretenden Schlafe die Traumbilder in derselben oder etwas veränderter Gestalt mit einer weiteren Ergänzung der früheren Mittheilungen wiederkehrten. Nunmehr wuchs natürlich das Interesse, zumal der Träumende vielleicht erfahren mochte, daß diejenigen, von denen die Mittheilungen ausgingen, seine eignen Vorfahren seien, denen neuerdings von Mitgliedern der Familie Schreber in irgendwelcher Beziehung der Rang abgelaufen sei. Er machte nun vielleicht den Versuch, durch Anspannung seiner Willensenergie nach Art der Gedankenleser — eines Cumberland usw. — auf die Nerven mit ihm lebender Menschen einzuwirken und brachte dabei in Erfahrung, daß dies in gewissem Maße möglich sei. Er widersetzte sich der Wiederaufhebung des einmal von göttlichen Strahlen mittelbar oder unmittelbar bei ihm genommenen Nervenanhangs, oder machte dieselben von Bedingungen abhängig, die man ihm bei der natürlichen Schwäche des Seelencharakters im Verhältniß zum lebenden Menschen und zufolge der Unmöglichkeit, in dauerndem Nervenanhang mit einem einzigen Menschen zu bleiben, nicht verweigern zu können glaubte. Auf diese Weise kann man sich vorstellen, daß irgend etwas Aehnliches wie eine Verschwörung zwischen einem derartigen Menschen und Elementen der vorderen Gottesreiche zum Nachtheile des Schreber´schen Geschlechtes etwa in der Richtung, daß ihnen die Nachkommenschaft oder wenigstens die Wahl von Berufen, die, wie derjenige eines Nervenarztes, in nähere Beziehungen zu Gott führen konnten, versagt werden solle, zu Stande gekommen sei. Bei dem, was oben hinsichtlich der Verfassung der Gottesreiche und der (beschränkten) Allgegenwart Gottes bemerkt worden ist, brauchte ein solches Treiben noch nicht gleich zur Kenntniß der hinteren Gottesreiche zu kommen. Auch gelang es vielleicht den Verschwörern — um diesen Ausdruck beizuhalten — etwaige Bedenken dadurch zu beschwichtigen - daß man bei Angehörigen der Familie Schreber in unbewachten Momenten, wie sie wohl jeder Mensch in seinem Leben einmal hat, Nervenanhang nehmen ließ, um auch der nächsthöheren Instanz in der Hierarchie der Gottesreiche die Ueberzeugung beizubringen, daß es auf eine Schreberseele nicht ankommen könne, wenn es sich darum handle, irgend eine Gefahr für den Bestand der Gottesreiche abzuwenden. So konnte man vielleicht dazu kommen, einem von Ehrgeiz und Herrschsucht eingegebenen Streben, das in seinen Konsequenzen zu einem Seelenmorde — falls es etwas Derartiges giebt — also zur Auslieferung einer Seele an einen Anderen, etwa zur Erreichung eines längeren irdischen Lebens oder zur Aneignung der geistigen Kräfte des Betreffenden oder zur Verschaffung einer Art persönlicher Unsterblichkeit, oder zu irgendwelchen sonstigen Vortheilen führen konnte, nicht gleich von vornherein mit voller Entschiedenheit entgegenzutreten. Auf der anderen Seite mochte die Gefahr, die daraus für die Gottesreiche selbst entstehen konnte, unterschätzt werden. Man fühlte sich im Besitze einer ungeheuren Macht, welche den Gedanken gar nicht aufkommen ließ, daß jemals ein einzelner Mensch Gott selbst gefährlich werden könne. In der That habe ich nach Alledem, was ich später von der Wundergewalt Gottes erfahren und erlebt habe, nicht den mindesten Zweifel darüber, daß Gott — das Fortbestehen weltordnungsmäßiger Verhältnisse vorausgesetzt — jeder Zeit in der Lage gewesen wäre, einen ihm unbequemen Menschen durch Zusendung einer todbringenden Krankheit oder durch Blitzschlag zu vernichten. 

Zu diesen schärfsten Mitteln glaubte man aber vielleicht dem vorausgesetzten Seelenmörder gegenüber nicht gleich schreiten zu müssen, wenn dessen Vergehen zunächst nur in dem Mißbrauch eines göttlichen Nervenanhangs bestand, der die Perspektive auf einen daraus hervorgehenden Seelenmord nur von ferne zu eröffnen schien und wenn sonstige persönliche Verdienste und sonstiges sittliches Verhalten desselben nicht erwarten ließen, daß es zu einem solchen Aeußersten kommen werde. Worin das eigentliche Wesen des Seelenmords und sozusagen die Technik desselben besteht, vermag ich außer dem im Obigen Angedeuteten nicht zu sagen. Hinzuzufügen wäre nur noch etwa (folgt eine Stelle, die sich zur Veröffentlichung nicht eignet). Soweit im Uebrigen dem jetzigen Geh. Rath Prof. Flechsig oder einem seiner Vorfahren wirklich die Urheberschaft an "Seelenmorden" zur Last zu legen sein sollte, ist für mich das Eine wenigstens unzweifelhaft, daß der Betreffende von den mir inzwischen bekannt gewordenen übersinnlichen Dingen zwar eine Ahnung erlangt haben mußte, aber sicher nicht bis zu einer tieferen Erkenntniß Gottes und der Weltordnung durchgedrungen war. Denn wer auf diese Weise zu einem festen Gottesglauben und zu der Gewißheit, daß ihm ohnedies eine Seligkeit nach Maßgabe der Reinheit seiner Nerven verbürgt sei, gelangt war, konnte unmöglich auf den Gedanken kommen, sich an den Seelen Anderer zu vergreifen. Ebensowenig würde dies bei Jemandem der Fall gewesen sein, der auch nur im Sinne unserer positiven Religion als gläubig zu bezeichnen gewesen wäre. Welche Stellung der jetzige Geh. Rath Prof. Flechsig in religiösen Dingen eingenommen hat und noch einnimmt, ist mir unbekannt. Sollte er, wie so viele moderne Menschen, zu den Zweiflern gehört haben oder gehören, so würde ihm ja daraus an sich kein Vorwurf zu machen sein, am wenigstens von mir, der ich selbst bekennen muß, dieser Kategorie solange angehört zu haben, bis ich durch göttliche Offenbarungen eines Besseren belehrt worden bin. 

Wer sich die Mühe genommen hat, das Vorstehende mit einiger Aufmerksamkeit zu lesen, dem wird vielleicht unwillkürlich der Gedanke gekommen sein, daß es aber doch dann übel mit Gott selbst bestellt gewesen sein müsse oder bestellt sei, wenn das Verhalten eines einzelnen Menschen ihm irgend welche Gefahren habe bereiten können und wenn sich gar Gott selbst, wenn auch nur in untergeordneten Instanzen, zu einer Art Konspiration gegen im Grunde genommen unschuldige Menschen habe verleiten lassen. Ich kann einem solchen Einwurf nicht alle Berechtigung absprechen, möchte aber doch nicht unterlassen hinzuzufügen, daß in mir dadurch der Glaube an die Größe und Erhabenheit Gottes und der Weltordnung nicht erschüttert worden ist. Ein Wesen von derjenigen absoluten Vollkommenheit, die ihm die meisten Religionen beilegen, war und ist allerdings auch Gott selbst nicht. Die Anziehungskraft, d. h. dasjenige auch für mich seinem innersten Wesen nach unergründliche Gesetz, vermöge dessen Strahlen und Nerven sich gegenseitig anziehen, birgt einen Keim von Gefahren für die Gottesreiche in sich, deren Vorstellung vielleicht schon der germanischen Sage von der Götterdämmerung zu Grunde liegt. Eine wachsende Nervosität unter den Menschen konnte und kann diese Gefahren erheblich steigern. Daß Gott einen lebenden Menschen nur von außen sah, eine Allgegenwart und Allwissenheit Gottes in Bezug auf das Innere des lebenden Menschen aber — als Regel — nicht bestand, ist schon oben erwähnt worden. Auch die ewige göttliche Liebe bestand im Grunde genommen nur der Schöpfung als Ganzem gegenüber. Sobald eine Kollision der Interessen mit einzelnen Menschen oder Menschheitsgruppen, (man denke an Sodom und Gomorrha!) vielleicht sogar der ganzen Bewohnerschaft eines Planeten (durch Zunahme der Nervosität und Unsittlichkeit) sich ergab, mußte in Gott der Selbsterhaltungstrieb wie in jedem anderen belebten Wesen sich regen. Allein vollkommen ist schließlich doch alles Dasjenige, was seinem Zwecke entspricht, sollte auch die menschliche Einbildungskraft sich irgend einen noch idealeren Zustand auszumalen vermögen. Und dieser Zweck, für Gott die ewige Freude an seiner Schöpfung und für die Menschen die Daseinsfreude während ihres Erdenlebens und nach dem Tode das höchste Glück in Form der Seligkeit, wurde doch erreicht. Es wäre ganz undenkbar gewesen, daß Gott irgend einem einzelnen Menschen das ihm gebührende Maß der Seligkeit versagt hätte, da jede Vermehrung der "Vorhöfe des Himmels" nur dazu dienen konnte, seine eigene Macht zu erhöhen und die Schutzwehren gegen die aus der Annäherung an die Menschheit erwachsenden Gefahren zu verstärken. Eine Kollision der Interessen Gottes und einzelner Menschen konnte unter der Voraussetzung weltordnungsmäßigen Verhaltens der letzteren gar nicht eintreten. Wenn es trotzdem in meinem Falle aus Anlaß des vorausgesetzten Seelenmords zu einer solchen Interessenkollision gekommen ist, so ist dies nur in Folge einer so wunderbaren Verkettung von Umständen geschehen, daß ein solcher Fall in der Weltgeschichte wohl noch niemals vorgekommen ist und, wie ich hoffen möchte, auch niemals wieder vorkommen wird. Und auch in diesem so ganz eigenartigen Falle trägt die Weltordnung die Heilmittel für die ihr geschlagenen Wunden in sich selbst; die Remedur liegt in der Ewigkeit. Während ich früher (etwa 2 Jahre lang) annehmen zu müssen geglaubt habe und nach meinen damaligen Erlebnissen auch annehmen mußte, daß die dauernde Fesselung Gottes an meine Person den Untergang der ganzen Erdenschöpfung bis auf etwas Wunderspielerei in meiner unmittelbaren Nähe zur Folge gehabt habe, habe ich diese Auffassung in neuerer Zeit wesentlich einzuschränken gehabt. 

Es sind einzelne Menschen recht unglücklich geworden; ich selbst habe, wie ich wohl sagen darf, eine grausige Zeit durchlebt und eine bittere Schule der Leiden durchgemacht. Auf der anderen Seite hat das seit sechs Jahren ununterbrochen fortdauernde Zuströmen von Gottesnerven in meinen Körper den Verlust der ganzen bis dahin angesammelten Seligkeit und die vorläufige Unmöglichkeit der Neubegründung von Seligkeiten zur Folge gehabt, sodaß die Seligkeit sozusagen suspendirt ist, alle Menschen, die seitdem gestorben sind und noch sterben werden, bis auf Weiteres nicht selig werden können. Für die Gottesnerven selbst vollzieht sich der Uebergang in meinen Körper widerwillig und mit einem Gefühl des Unbehagens, das sich in fortwährenden Hülferufen der von der Gesammtmasse losgelösten Nerventheile, die ich tagtäglich am Himmel höre, zu erkennen giebt. Allein alle diese Verluste können wieder ausgeglichen werden, sofern es eine Ewigkeit giebt, wenn auch vielleicht Tausende von Jahren erforderlich sein mögen, um den früheren Zustand vollständig wiederherzustellen. 
 

3. Kapitel

Das unter I und II Ausgeführte war nothwendig, um das Verständniß des Folgenden vorzubereiten. Was bisher zum Theil nur als Axiom hingestellt werden konnte, wird dabei zugleich diejenige Begründung finden, die nach Lage der Sache überhaupt möglich ist. 

Ich behandele nun zunächst einige Vorkommnisse an andern Mitgliedern meiner Familie, die denkbarer Weise in Beziehung zu dem vorausgesetzten Seelenmord stehen könnten, und die jedenfalls alle ein mehr oder weniger räthselhaftes, nach sonstigen menschlichen Erfahrungen schwer zu erklärendes Gepräge an sich tragen. 

(Der weitere Inhalt des Kapitels kommt als zur Veröffentlichung ungeeignet für den Druck in Wegfall.) 
 

4. Kapitel - Persönliche Erlebnisse der ersten und im Beginn der zweiten Nervenkrankheit

Ich komme nunmehr auf meine eigenen persönlichen Schicksale während der beiden Nervenkrankheiten, die mich betroffen haben, zu sprechen. Ich bin zweimal nervenkrank gewesen, beide Male in Folge von geistiger Ueberanstrengung; das erste Mal (als Landgerichtsdirektor in Chemnitz) aus Anlaß einer Reichstagskandidatur, das zweite Mal aus Anlaß der ungewöhnlichen Arbeitslast, die ich beim Antritt des mir neuübertragenen Amtes eines Senatspräsidenten beim Oberlandesgericht Dresden vorfand. 

Die erste der beiden Krankheiten trat in ihren Anfängen im Herbst 1884 hervor und war Ende 1885 vollständig geheilt, sodaß ich am 1. Januar 1886 das Amt eines Landgerichtsdirektors und zwar bei dem Landgericht Leipzig, wohin ich inzwischen versetzt worden war, wieder antreten konnte. Die zweite Nervenkrankheit begann im Oktober 1893 und dauert jetzt noch an. In beiden Fällen habe ich einen größeren Theil der Krankheitszeit in der bei der Universität zu Leipzig bestehenden, vom Prof. jetzigen Geh. Rath Dr. Flechsig geleiteten Irrenklinik zugebracht, das erste Mal von Anfang Dezember 1884 bis Anfang Juni 1885, das zweite Mal von etwa Mitte November 1893 bis etwa Mitte Juni 1894. In beiden Fällen habe ich beim Eintritt in die Anstalt von einem Antagonismus, der zwischen den Familien Schreber und Flechsig bestanden habe und von den übersinnlichen Dingen, von denen ich in den vorhergehenden Kapiteln gehandelt habe, nicht die leiseste Ahnung gehabt. 

Die erste Krankheit verlief ohne jede an das Gebiet des Uebersinnlichen anstreifenden Zwischenfälle. Von der Behandlungsweise des Professor Flechsig habe ich während derselben in der Hauptsache nur günstige Eindrücke empfangen. Einzelne Mißgriffe mögen vorgekommen sein. Ich war schon während meiner damaligen Krankheit und bin noch jetzt der Meinung, daß Nothlügen, die der Nervenarzt zwar vielleicht manchen Geisteskranken gegenüber nicht ganz entbehren kann, aber doch stets nur mit äußerster Vorsicht anwenden sollte, mir gegenüber wohl kaum jemals am Platze waren, da man in mir doch bald einen geistig hochstehenden Menschen von ungewöhnlich scharfem Verstand und scharfer Beobachtungsgabe erkennen mußte. Und für eine Nothlüge konnte ich es doch nur ansehen, wenn z. B. Prof. Flechsig meine Erkrankung nur als eine Bromkalivergiftung darstellen wollte, die dem Sanitätsrath Dr. R. in S., in dessen Behandlung ich vorher gewesen war, zur Last zu legen sei. Auch von gewissen hypochondrischen Vorstellungen, die mich damals beherrschten, namentlich der der Abmagerung, hätte ich nach meinem Dafürhalten wohl rascher befreit werden können, wenn man mich die Waage, die zur Ermittelung des Körpergewichts diente — die damals in der Universitätsklinik befindliche Waage war von einer eigenthümlichen mir unbekannten Konstruktion — einige Male selbt hätte bedienen lassen. Indessen sind dies Nebendinge, auf die ich kein großes Gewicht lege; man wird vielleicht auch von dem Leiter einer großen Anstalt, in welcher sich Hunderte von Patienten befinden, nicht verlangen können, daß er sich so eingehend in die Geistesverfassung eines einzelnen von ihnen versenke. Die Hauptsache war, daß ich schließlich (nach einer längeren Rekonvalescenzreise) geheilt wurde und ich konnte daher damals nur von Gefühlen lebhaften Dankes gegen Prof. Flechsig erfüllt sein, denen ich auch durch einen späteren Besuch und ein nach meinem Dafürhalten angemessenen Honorar noch besonderen Ausdruck gegeben habe. Fast noch inniger wurde der Dank von meiner Frau empfunden, die in Professor Flechsig geradezu Denjenigen verehrte, der ihr ihren Mann wiedergeschenkt habe und aus diesem Grunde sein Bildniß Jahrelang auf ihrem Arbeitstische stehen hatte. 

Nach der Genesung von meiner ersten Krankheit habe ich acht, im Ganzen recht glückliche, auch an äußeren Ehren reiche und nur durch die mehrmalige Vereitelung der Hoffnung auf Kindersegen getrübte Jahre mit meiner Frau verlebt. In Juni 2893 wurde mir (zunächst durch den Herrn Minister Dr. Schurig persönlich) die Nachricht von meiner bevorstehenden Ernennung zum Senatspräsident beim Oberlandesgericht Dresden zu Theil. 

In diese Zeit fallen einige Träume, denen ich damals keine besondere Beachtung geschenkt habe und auch jetzt noch nach dem Sprüchworte "Träume sind Schäume" keine weitere Beachtung schenken würde, wenn ich nicht nach den inzwischen gemachten Erfahrungen wenigstens an die Möglichkeit, daß sie mit einem bei mir genommenen göttlichen Nervenanhang zusammenhingen, denken müßte. Es träumte mir einige Male, daß meine frühere Nervenkrankheit wieder zurückgekehrt sei, worüber ich dann natürlich im Traume ebenso unglücklich war, als ich mich nach dem Erwachen glücklich fühlte, daß es eben nur ein Traum gewesen war. Ferner hatte ich einmal gegen Morgen noch im Bette liegend (ob noch halb schlafend oder schon wachend weiß ich nicht mehr) eine Empfindung, die mich beim späteren Nachdenken in vollständig wachem Zustande höchst sonderbar berührte. Es war die Vorstellung, daß es doch eigentlich recht schön sein müsse, ein Weib zu sein, das dem Beischlaf unterliege. — Diese Vorstellung war meiner ganzen Sinnesart so fremd; ich würde sie, wie ich wohl sagen darf, bei vollem Bewußtsein mit solcher Entrüstung zurückgewiesen haben, daß ich nach dem inzwischen von mir Erlebten allerdings die Möglichkeit nicht ganz von der Hand weisen kann, es seien irgendwelche äußere Einflüsse, die mir diese Vorstellung eingegeben haben, mit im Spiele gewesen. 

Am 1. Oktober 1893 trat ich mein neues Amt als Senatspräsident beim Oberlandesgericht Dresden an. Die Arbeitslast, die ich vorfand, war, wie bereits bemerkt, ungemein groß. Dazu kam das meinetwegen vom Ehrgeiz eingegebene, aber doch auch im Interesse des Amtes gebotene Bestreben, mir durch unbestreitbare Tüchtigkeit meiner Leistungen zunächst das erforderliche Ansehen bei meinen Kollegen und den sonst betheiligten Kreisen (Rechtsanwälten u. s. w.) zu verschaffen. Diese Aufgabe war um so schwerer und stellte auch an den Takt im persönlichen Verkehr um so größere Anforderungen, als die Mitglieder des (Fünfrichter-) Kollegiums, in dem ich den Vorsitz zu führen hatte, mir fast sämmtlich im Alter weit (bis zu 20 Jahren) überlegen und obendrein mit der Praxis des Gerichtshofs, in den ich neu eintrat, immerhin in gewisser Beziehung vertrauter waren. So geschah es, daß ich mich schon nach einigen Wochen geistig übernommen hatte. Der Schlaf fing an zu versagen und zwar gerade etwa in dem Zeitpunkte, als ich mir sagen konnte, die Schwierigkeiten der Einrichtung in das neue Amt, in die neuen Wohnungsverhältnisse etc. seien in der Hauptsache überwunden. Ich fing an Bromnatrium zu nehmen. Gelegenheit zu geselliger Zerstreung, die mir jedenfalls viel wohler gethan haben würde — wie ich daraus entnahm, daß ich nach dem einzigen Male, wo wir zu einer Abendgesellschaft eingeladen waren, erheblich besser schlief — gab es bei unserer Unbekanntschaft in Dresden fast gar nicht. Die ersten ganz schlechten, d. h. nahezu völlig schlaflosen Nächte fielen in die letzten Tage des Monats Oktober oder in die ersten Tage des Monats November. Hierbei ereignete sich ein merkwürdiges Vorkommniß. In mehreren Nächten, in denen ich keinen Schlaf zu finden vermochte, machte sich in unserem Schlafzimmer ein in kürzeren oder längeren Pausen wiederkehrendes Knistern in der Wand bemerkbar, welches mich jedesmal, wenn ich im Einschlafen begriffen war, aus dem Schlaf wieder erweckte. Wir dachten damals natürlich an eine Maus, obwohl es immerhin ziemlich auffällig erscheinen mußte, daß eine Maus sich in dem ersten Stockwerke eines durchaus massiv gebauten Hauses eingeschlichen haben sollte. Nachdem ich aber ähnliche Geräusche inzwischen unzählige Male gehört habe und jetzt tagtäglich bei Tag und bei Nacht in meiner Nähe höre, die ich nunmehr unzweifelhaft als göttliche Wunder erkannt habe - zumal auch die mit mir redenden Stimmen sie als solche, als sogen. "Störungen" bezeichnen — kann ich, ohne eine ganz bestimmte Behauptung darüber aufstellen zu wollen, wenigstens den Verdacht nicht abweisen, daß auch damals schon ein solches Wunder in Frage gewesen sei, d. h. daß von Anfang an die mehr oder minder bestimmte Absicht vorgelegen habe, meinen Schlaf und später meine Genesung von der aus der Schlaflosigkeit hervorgegangenen Krankheit zu einem vorläufig noch nicht näher zu bezeichnenden Zwecke zu verhindern. 

Meine Krankheit nahm nun bald einen bedrohlichen Charakter an; bereits am 8. oder 9. November war ich auf Anrathen des von mir konsultierten Dr. Ö. genöthigt, einen zunächst achttägigen Urlaub zu nehmen, den wir benutzen wollten, um den Prof. Flechsig zu befragen, auf den wir ja nach seinen Heilerfolgen bei der ersten Krankheit unser ganzes Vertrauen setzten. Wir (meine Frau und ich) reisten, da es ein Sonntag war, wo man nicht erwarten konnte, den Prof. Flechsig anzutreffen, über Chemnitz und brachten die Nacht vom Sonntag zum Montag bei meinem dortigen Schwager K. zu. Hier wurde noch am selben Abend eine Morphiuminjektion gemacht und in der Nacht zum ersten Male Chloral gegeben — durch einen Zufall wohl nicht gleich Anfangs in der im Voraus bestimmten Dosis, nachdem ich bereits am Abend Herzbeklemmungen, wie bei der ersten Krankheit, in solcher Stärke empfunden hatte, daß mir schon das Begehen einer mäßig ansteigenden Straße Angstzustände verursachte. Auch die Nacht in Chemnitz war schlecht. Am folgenden Tage (Montag) früh fuhren wir nach Leipzig und vom Bayrischen Bahnhof unmittelbar mit der Droschke nach der Universitätsklinik zu Professor Flechsig, welcher bereits am Tage vorher durch Telegramm auf den Besuch vorbereitet worden war. Es folgte eine längere Unterredung, bei welcher Prof. Flechsig, wie ich nicht anders sagen kann, eine hervorragende Beredtsamkeit entwickelte, die nicht ohne tiefere Wirkung auf mich blieb. Er sprach von Fortschritten, die die Psychiatrie seit meiner ersten Krankheit gemacht habe, von neu erfundenen Schlafmitteln u. s. w. und gab mir Hoffnung, die ganze Krankheit durch einen einmaligen ausgiebigen Schlaf, der womöglich von Nachmittags 3 Uhr bis gleich zum folgenden Tag andaueren sollte. 

In der Folge dessen befestigte sich meine Stimmung, zumal die Nerven durch die mehrstündige Reise in frischer Morgenluft und die Tageszeit (Vormittags) etwas gekräftigt sein mochten. Wir holten zunächst das verordnete Schlafmittel in der Apotheke gleich selbst ab, aßen dann bei meiner Mutter in deren Wohnung und ich brachte den Rest des Tages u. A. mit einem kleinen Spaziergang im Ganzen recht leidlich zu. Das Aufsuchen des Bettes (in der Wohnung meiner Mutter) erfolgte natürlich nicht schon um 3 Uhr, sondern wurde (wohl einer geheimen Instruktion entsprechend, die meine Frau empfangen hatte) bis zur 9. Stunde verzögert. Unmittelbar vor dem Schlafengehen traten aber wieder bedenklichere Symptome hervor. Unglücklicher Weise war auch das Bett in Folge zu langen Lüftens zu kalt, so daß mich sofort ein heftiger Schüttelfrost ergriff und ich das Schlafmittel schon in hochgradiger Aufregung einnahm. Dasselbe verfehlte in Folge dessen seine Wirkung fast gänzlich und meine Frau gab mir daher schon nach einer oder weniger Stunden das als Reserve in Bereitschaft gehaltene Chloralhydrat nach. Die Nacht verlief trotzdem in der Hauptsache schlaflos und ich verließ während derselben auch bereits einmal in Angstzuständen das Bett, um vermittelst eines Handtuchs oder dergleichen Vorbereitungen zu einer Art Selbstmordversuch zu machen, woran meine darüber erwachte Frau mich hinderte. Am anderen Morgen lag bereits eine arge Nervenzerrüttung vor; das Blut war aus allen Extremitäten nach dem Herzen gewichen, meine Stimmung aufs Aeußerste verdüstert und Professor Flechsig, nach dem bereits am frühen Morgen geschickt wurde, hielt daher nunmehr meine Unterbringung in seiner Anstalt für geboten, nach der ich denn nun auch in seiner Begleitung sofort in der Droschke abfuhr. 

Nach einem warmen Bade wurde ich sofort ins Bett gebracht, das ich nun während der nächsten 4 oder 5 Tage überhaupt nicht wieder verließ. Als Wärter wurde mir ein gewisser R... beigegeben. Meine Krankheit wuchs in den nächsten Tagen rapid; die Nächte verliefen meist schlaflos, da die schwächeren Schlafmittel (Kampher u. s. w.), mit denen man es zunächst wohl versuchen wollte, um nicht gleich dauernd zum Chloralhydrat überzugehen, ihre Wirkung versagten. Irgend eine Beschäftigung konnte ich nicht treiben; auch von meiner Familie sah ich Niemand. Die Tage verliefen daher unendlich traurig; mein Geist war fast nur mit Todesgedanken beschäftigt. Es scheint mir, wenn ich rückblickend an jene Zeit zurückdenke, als ob der Heilplan des Professor Flechsig darin bestanden habe, meine Nervendepression zunächst bis auf einen beliebigen Tiefstand herabzudrücken, um dann durch einen plötzlichen Stimmungsumschwung auf einmal die Heilung herbeizuführen. Nur so wenigstens kann ich mir den folgenden Vorgang erklären, für den ich sonst eine geradezu böswillige Absicht annehmen müßte. 

Etwa in der vierten oder fünften Nacht nach meiner Aufnahme in die Anstalt wurde ich mitten in der Nacht von zwei Pflegern aus dem Bett gerissen und in eine für Demente (Tobsüchtige) eingerichtete Schlafzelle gebracht. Ich befand mich ohnedies schon in aufgeregtester Stimmung, sozusagen in einem Fieberdelirium und wurde natürlich durch diesen Vorgang, dessen Beweggründe ich nicht kannte, aufs Aeußerste erschreckt. Der Weg führte durch das Billardzimmer, und hier entspann sich, da ich gar nicht wußte, was man mit mir vorhatte, und mich demnach widersetzen zu müssen glaubte, ein Kampf zwischen mir, der ich nur mit dem Hemd bekleidet war, und den beiden Pflegern, wobei ich mich am Billard festzuhalten versuchte, schließlich aber überwältigt und in die obenerwähnte Zelle abgeführt wurde. Hier überließ man mich meinem Schicksal; ich verbrachte den Rest der Nacht in der nur mit einer eisernen Bettstelle und Bettstücken ausgestatteten Zelle wohl größtenteils schlaflos, hielt mich für gänzlich verloren und machte in der Nacht auch einen natürlich mißlungenen Versuch, mich vermittelst des Bettuchs an der Bettstelle aufzuhängen. Der Gedanke, daß einem Menschen, dem mit allen Mitteln der ärztlichen Kunst Schlaf nicht mehr zu verschaffen sei, schließlich Nichts weiter übrig bleibe, als sich das Leben zu nehmen, beherrschte mich vollständig. Daß dies in Anstalten nicht geduldet werde, war mir bekannt, ich lebte aber in dem Wahne, daß dann nach Erschöpfung aller Heilversuche eine Entlassung zu erfolgen habe — lediglich zu dem Zwecke, damit der Betreffende in seiner Behausung oder sonstwo seinem Leben ein Ende mache. 

Als der nächste Morgen anbrach, war es daher für mich eine große Überraschung, daß ich überhaupt noch ärztlichen Besuch erhielt. Es erschien der Assistenzarzt des Professor Flechsig, Dr. Täuscher, und dessen Mittheilung, daß man gar nicht daran denke, das Heilverfahren aufzugeben, in Verbindung mit der ganzen Art und Weise, wie er mich aufzurichten suchte — ich kann auch ihm die Anerkennung nicht versagen, daß er bei dieser Gelegenheit vorzüglich sprach — hatte wieder einmal einen sehr günstigen Stimmungsumschwung bei mir zur Folge. Ich wurde wieder in das vorher von mir bewohnte Zimmer geführt und verlebte den besten Tag, den ich während meines ganzen (zweiten) Aufenthalts in der Flechsig´schen Anstalt gehabt habe, d. h. den einzigen Tag, an welchem mich eine hoffnungsfreudige Stimmung belebte. Auch der Wärter R. benahm sich äußerst taktvoll und geschickt in seiner ganzen Unterhaltung, sodaß ich mich manchmal hinterdrein gefragt habe, ob nicht auch bei ihm (ebenso wie bei Dr. Täuscher) höhere Eingebungen erfolgt seien. Ich spielte am Vormittag sogar etwas Billard mit ihm, nahm am Nachmittag ein warmes Bad und behauptete mich bis zum Abend in der befestigten Stimmung, die ich erlangt hatte. Es sollte der Versuch gemacht werden, ob ich ganz ohne Schlafmittel schlafen könne. Ich ging in der That auch verhältnismäßig ruhig zu Bett, aber zum Schlaf kam es nicht. Nach einigen Stunden war es mir auch nicht mehr möglich, meine ruhige Stimmung zu behaupten; der Blutandrang nach dem Herzen schaffte mir wieder Angstzustände. Nach dem Wärterwechsel — an meinem Bett saß stets ein Wärter, der in der Mitte der Nacht von einem anderen abgelöst wurde — wurde wohl schließlich noch etwas Schlafmachendes gewährt — Nekrin oder so ähnlich war der Name — und ich fiel wohl noch in etwas Schlaf, der jedoch irgendwelche nervenstärkende Wirkung nicht hervorbrachte. Vielmehr war ich am nächsten Morgen in der alten Nervenzerrüttung, dieselbe war so arg, daß ich das mir vorgesetzte Frühstück wieder herausbrach. Einen besonders schreckhaften Eindruck gewährten mir die gänzlich verzerrten Gesichtszüge, die ich beim Erwachen an dem Wärter R. wahrzunehmen glaubte. 

Von nun ab wurde für die Nacht regelmäßig Chloralhydrat gereicht und es folgte mehrere Wochen lang eine wenigstens äußerlich etwas ruhigere Zeit, da auf diese Weise meistens wenigstens leidlicher Schlaf gemacht wurde. Ich empfing regelmäßige Besuche meiner Frau und verbrachte auch etwa in den letzten beiden Wochen vor Weihnachten immer einen Theil des Tages im Hause meiner Mutter. Dabei blieb jedoch die Nervenüberreizung bestehen und wurde wohl eher schlimmer als besser. In den Wochen nach Weihnachten machte ich auch täglich mit meiner Frau und dem Wärter Spazierfahrten in der Droschke. Jedoch war mein Kräftezustand so herunter, daß ich beim Aussteigen aus der Droschke (im Rosenthal oder im Scheibenholz) jeden kleinen zu Fuß zurückzulegenden Weg von ein paar hundert Schritten als ein Wagnis empfand, zu dem ich mich nicht ohne innere Angst entschloß. Auch sonst war mein ganzes Nervensystem in einem Zustande tiefster Erschlaffung begriffen. Irgendwelche geistige Beschäftigung, etwa Zeitungslesen oder dergleichen konnte ich entweder gar nicht oder nur in dem allergeringsten Maaße vornehmen. Selbst vorwiegend mechanische Beschäftigungen, wie das Zusammensetzen von Geduldspielen, das Legen von Patiencen und dergleichen steigerte meine Nervenerregung so, daß ich meist nach kurzer Zeit davon ablassen mußte; kaum daß ich am Abend eine Zeit lang mit dem Wärter R... ein paar Damenpartien zu spielen vermochte. Essen und Trinken nahm ich in dieser Zeit meist mit gutem Appetit zu mir, auch pflegte ich damals noch täglich einige Zigarren zu rauchen. Die Nervenerschlaffung steigerte sich unter dem gleichzeitigen Wiederhervortreten von Angstzuständen, als man dann ab und zu den Versuch machte, anstatt des die Nerven zwar auf kurze Zeit immerhin etwas stärkenden, auf die Dauer aber doch angreifenden Chloralhydrates schwächere Schlafmittel anzuwenden. Mein Lebensmuth war vollständig gebrochen; jede andere Aussicht, als auf einen schließlich etwa durch Selbstmord zu vollziehenden tödlichen Ausgang war in mir entschwunden; zu den Zukunftsplänen, mit denen mich meine Frau hin und wieder aufzurichten versuchte, schüttelte ich ungläubig den Kopf. 

Ein weiterer und in meinem Leben einen wichtigen Abschnitt bezeichnenden Nervensturz trat dann etwa gegen den 1. Februar 1894 ein, als meine Frau, die bis dahin täglich einige Stunden mit mir zusammengewesen war und auch die Mittagsmahlzeiten mit mir in der Anstalt eingenommen hatte, eine viertägige Reise nach Berlin zu ihrem Vater unternahm, um sich auch selbst einige Erholung, deren sie dringend bedurfte, zuzuwenden. In diesen vier Tagen war ich soweit heruntergekommen, daß ich nach der Rückkehr meiner Frau sie nur noch ein einziges Mal wiedersah und dann selbst die Erklärung abgab, ich könnte nicht wünschen, daß meine Frau mich in dem herabgekommenen Zustande, in dem ich mich befand, überhaupt noch weiter sehe. Die Besuche meiner Frau fielen von dieser Zeit ab weg; als ich sie nach längerer Zeit vereinzelte Male an dem Fenster eines gegenüberliegenden Zimmers wiedersah, waren inzwischen so wichtige Veränderungen in meiner Umgebung und in mir selbst vorgegangen, daß ich in ihr nicht mehr ein lebendes Wesen, sondern nur eine hingewunderte Menschengestalt nach der Art der "flüchtig hingemachten Männer" zu erblicken glaubte. Entscheidend für meinen geistigen Zusammenbruch war namentlich eine Nacht, in welcher ich eine ganz ungewöhnliche Anzahl von Pollutionen (wohl ein halbes Dutzend) in dieser einen Nacht hatte. 

Von nun an traten die ersten Anzeichen eines Verkehrs mit übersinnlichen Kräften, namentlich eines Nervenanhangs hervor, den Professor Flechsig mit mir in der Weise unterhielt, daß er zu meinen Nerven sprach, ohne persönlich anwesend zu sein. Von dieser Zeit ab gewann ich auch den Eindruck, daß Professor Flechsig nichts Gutes mit mir im Schilde führe; Bestätigung schien mir dieser Eindruck dadurch zu finden, daß Professor Flechsig, als ich einmal bei einem persönlichen Besuche ihn aufs Gewissen fragte, ob er wirklich an die Möglichkeit einer Heilung bei mir glaubte, zwar gewisse Vertröstungen abgab, aber — so schien es mir wenigstens — mir dabei nicht mehr in die Augen sehen konnte. 

Es ist nun hier der Ort, auf die Natur der bereits mehrfach erwähnten inneren Stimmen einzugehen, welche seitdem unaufhörlich zu mir sprechen, und zugleich auf die nach meinem Urtheil der Weltordnung innewohnende Tendenz, nach welcher es unter gewissen Umständen zu einer "Entmannung" (Verwandlung in ein Weib) eines Menschen ("Geistersehers") kommen muß, der zu göttlichen Nerven (Strahlen) in einen nicht mehr aufzuhebenden Verkehr getreten ist. Der Darlegung dieser Verhältnisse, die allerdings über die Maaßen schwierig ist, sei das folgende Kapitel bestimmt. 
 

5. Kapitel - Fortsetzung. Nervensprache (innere Stimmen). Denkzwang. Entmannung unter Umständen ein Postulat der Weltordnung

Außer der gewöhnlichen menschlichen Sprache giebt es noch eine Art Nervensprache, deren sich der gesunde Mensch in der Regel nicht bewußt wird. Am besten läßt sich meines Erachtens eine Vorstellung davon gewinnen, wenn man sich Vorgänge vergegenwärtigt, bei denen der Mensch gewisse Worte in einer bestimmten Reihenfolge seinem Gedächtnisse einzuprägen sucht, also z. B. ein Schulkind ein Gedicht, das es in der Schule aufzusagen hat, oder ein Geistlicher eine Predigt, die er in der Kirche halten will, auswendig lernt. Die betreffenden Worte werden dann im Stillen aufgesagt (ebenso wie bei einem stillen Gebet, zu dem die Gemeinde von der Kanzel aus aufgefordert wird), d. h. der Mensch veranlaßt seine Nerven, sich in diejenigen Schwingungen zu versetzen, welche dem Gebrauch der betreffenden Worte entsprechen, die eigentlichen Sprachwerkzeuge (Lippen, Zunge, Zähne u. s. w.) werden dabei entweder gar nicht oder nur zufällig mit in Bewegung gesetzt. 

Der Gebrauch dieser Nervensprache hängt unter normalen (weltordnungsmäßigen) Verhältnissen natürlich nur von dem Willen desjenigen Menschen ab, um dessen Nerven es sich handelt; kein Mensch kann an und für sich einen anderen Menschen zwingen, sich dieser Nervensprache zu bedienen. Bei mir ist nun aber seit der obenerwähnten kritischen Wendung meiner Nervenkrankheit der Fall eingetreten, daß meine Nerven von außen her und zwar unaufhörlich ohne jeden Unterlaß in Bewegung gesetzt werden. 

Die Fähigkeit, in dieser Weise auf die Nerven eines Menschen einzuwirken, ist vor allen Dingen den göttlichen Strahlen eigen; darauf beruht es, daß Gott von jeher in der Lage war, einem schlafenden Menschen Träume einzugeben. Ich selbst habe die Einwirkung zunächst als eine vom Professor Flechsig ausgehende empfunden. Die Erklärung dieses Umstands kann ich nur darin suchen, daß Professor Flechsig es in irgendwelcher Weise verstanden hat, sich göttliche Strahlen dienstbar zu machen; später haben dann außer den Nerven des Professors Flechsig auch unmittelbare göttliche Strahlen sich mit meinen Nerven in Verbindung gesetzt. Die Art und Weise der Einwirkung hat im Laufe der Jahre immermehr der Weltordnung und dem natürlichen Rechte des Menschen auf freie Verfügung über den Gebrauch seiner Nerven widersprechende, ich möchte sagen immer groteskere Formen angenommen. 

So trat die Einwirkung schon verhältnismäßig früh in der Form des Denkzwangs auf — ein Ausdruck, den mir die inneren Stimmen selbst genannt haben, der aber anderen Menschen kaum bekannt sein wird, weil die ganze Erscheinung außerhalb aller menschlichen Erfahrung liegt. Das Wesen des Denkzwangs besteht darin, daß der Mensch zu unablässigem Denken genöthigt wird, mit andern Worten das natürliche Recht des Menschen, seinen Verstandesnerven von Zeit zu Zeit durch Nichtsdenken (wie am ausgeprägtesten im Schlafe geschieht) die erforderliche Ruhe zu gönnen, wurde mir von Anfang an durch die mit mir verkehrenden Strahlen verschränkt, die fortwährend zu wissen begehrten, woran ich denke. Man stellte also z. B. geradezu — in diesen Worten — die Frage: "Woran denken Sie denn jetzt?" und da diese Frage schon an und für sich der komplette Unsinn ist, insofern bekanntlich der Mensch ebensowohl — zu gewissen Zeiten — Nichts, wie auf der anderen Seite Tausenderlei auf einmal denken kann, und da also meine Nerven auf diese widersinnige Frage an und für sich nicht reagierten, so war man sehr bald genötigt, zu einem System von Gedankenfälschungen seine Zuflucht zu nehmen, indem man sich z. B. auf obige Frage selbst die Antwort gab: "An die Weltordnung sollte derjenige" scilicet denken, d. h. meine Nerven durch Strahlenwirkung nöthigte, diejenigen Schwingungen zu machen, die dem Gebrauch dieser Worte entsprechen. Dabei wuchs mit der Zeit die Anzahl der Stellen, von welchen der Nervenanhang ausging: abgesehen von dem Professor Flechsig, dem Einzigen, den ich wenigstens eine Zeit lang noch bestimmt unter den Lebenden wußte, in der Hauptsache abgeschiedene Seelen, welche sich in steigendem Maaße für mich zu interessiren begannen. 

Ich könnte hier Hunderte, wenn nicht Tausende von Namen nennen, darunter zahlreiche Namen, von denen ich nach Jahren, nachdem mir durch Zeitungen und Briefe wieder einiger Verkehr mit der Außenwelt eröffnet war, erfahren habe, daß sie noch unter den Lebenden weilen sollen, während ich damals, da sie als Seelen im Wege des Nervenanhangs mit mir verkehrten, natürlich nicht anders annehmen konnte, als daß sie längst das Zeitliche gesegnet hatten. Bei sehr vielen Trägern dieser Namen stand das religiöse Interesse im Vordergrund, namentlich waren sehr viele Katholiken darunter, die nach dem von mir in bestimmten Richtungen einzuschlagenden Verhalten eine Förderung des Katholicismus, insbesondere eine Katholisirung Sachsens und Leipzigs erwarteten; hierher gehören Pfarrer St. in Leipzig, "14 Leipziger Katholiken" (von denen mir nur der eine Name des Generalkonsuls D. genannt worden ist, vermuthlich ein katholischer Verein oder der Vorstand eines solchen). Jesuitenpater S. in Dresden, das erzbischöfliche Ordinariat in Prag, der Domkapitular Moufang, die Kardinäle Rampolla, Galimberti und Casati, der Papst selbst, der einen eigenthümlich "sengrigen Strahl" führte, endlich zahlreiche Mönche und Nonnen; bei einer bestimmten Gelegenheit zogen auf einmal 240 Benediktinermönche unter Führung eines Paters, dessen Name ähnlich wie Starkiewicz lautete, als Seelen in meinen Kopf ein, um darin ihren Untergang zu finden. Bei anderen Seelen waren mit religiösen Interessen gemischte nationale Motive in Frage; unter ihnen ein Wiener Nervenarzt, dessen Name zufällig mit dem des obengenannten Benediktinerpaters identisch war, ein getaufter Jude und Slawophile, der durch mich Deutschland slavisch machen und gleichzeitig die Herrschaft des Judenthums darin begründen wollte; er schien in seiner Eigenschaft als Nervenarzt, ähnlich wie der Professor Flechsig für Deutschland, England und Amerika (also im Wesentlichen germanische Staaten) eine Art Verwalter der Gottesinteressen für eine andere Gottesprovinz (namentlich die slavischen Gebietsteile Oesterreichs) zu sein, woraus sich einige Zeit zwischen ihm und Professor Flechsig ein der Eifersucht entsprungener Kampf um die Vorherrschaft entspann. Eine andere Gruppe bildeten hauptsächlich gewesene Mitglieder des Corps Saxonia in Leipzig, welchem Professor Flechsig als Konkneipant angehört hatte und denen daher, wie ich annahm, durch diesen zur Seligkeit verholfen worden war, unter ihnen Rechtsanwalt Dr. G. S. in Dresden, Dr. med. S. in Leipzig, Oberamtsrichter G. und zahlreiche jüngere Mitglieder des Corps, die später als "die unter der Cassiopeja Hängenden" bezeichnet wurden. Auf der andern Seite gab es auch viele Burschenschafter, deren Sache eine Zeit lang einen großen Aufschwung gewonnen hatte, sodaß sie in der Lage gewesen waren, die Planeten Jupiter, Saturn und Uranus zu besetzen; die hervorstechendsten Namen darunter waren A. K., Rechtsanwalt, Vicepräsident des Preußischen Abgeordnetenhauses, den ich übrigens in meinem Leben nie persönlich gekannt habe, Rektor Professor W. und Rechtsanwalt H. in Leipzig. Diese und die vorerwähnten Mitglieder des Corps Saxonia schienen die ganze Sache, um die es sich in meinem Kopfe handelte, nur als eine Fortsetzung des alten Streits zwischen Corps und Burschenschaften zu halten. Weiter nenne ich Geh. Rath Dr. Wächter, der eine Art Führerschaftstellung aufs dem Sirius und Geh. Kirchenrath Dr. Hoffmann, der eine ebensolche Stellung auf den Plejaden einnehmen sollte, und die danach, als obendrein schon längere Zeit verstorben, bereits eine höhere Stufe der Seligkeit erstiegen zu haben schienen. Beide hatten mich im Leben persönlich gekannt und daher vermuthlich aus diesem Grunde ein gewisses Inter~ esse an mir genommen. 

Endlich seien noch genannt verschiedene meiner Verwandten (außer meinem Vater und meinem Bruder, die schon oben erwähnt wurden, meine Mutter, meine Frau und mein Schwiegervater), mein bereits im Jahre 1864 verstorbener Jugendfreund Ernst K. und ein Prinz, der als "kleiner Mann" in dem später zu erläuternden Sinne auf meinem Kopfe erschien und darauf sozusagen spazieren ging. 

Alle diese Seelen sprachen als "Stimmen" mehr oder minder gleichgiltig auf mich ein, jede von ihnen ohne von der Anwesenheit der anderen etwas zu wissen. Welcher heillose Wirrwarr dadurch in meinem Kopf entstand, wird jeder, der nicht die ganze Darstellung nur für eine krankhafte Ausgeburt meiner Phantasie erachten will, ermessen können. Immerhin hatten die Seelen damals noch eigene Gedanken und waren daher im Stande, mir Mittheilungen zu machen, die mein Interesse im höchsten Grade in Anspruch nahmen, auch auf Fragen Antworten zu geben, während jetzt schon seit langer Zeit das Gerede der Stimmen nur in einer entsetzlich eintönigen Wiederholung derselben immer wiederkehrenden (auswendig gelernten) Phrasen besteht. Den Grund davon werde ich später angeben. Neben diesen sich als Einzelindividuen zu erkennen gebenden Seelen traten übrigens gleichzeitig immer andere Stimmen hervor, welche sich als Gottes Allmacht selbst in stets höher aufsteigenden Instanzen gerirten, und denen die erwähnten Einzelseelen gewissermaßen als Vorposten zu dienen schienen. 

Der zweite Punkt, der in diesem Kapitel behandelt werden soll, betrifft die der Weltordnung innewohnende Tendenz zur "Entmannung" eines in dauernden Verkehr mit Strahlen getretenen Menschen. — Derselbe hängt zusammen einestheils mit der Natur der Gottesnerven, vermöge deren die Seligkeit, wenn auch nicht auschließlich, so doch mindestens zugleich eine hochgesteigerte Wollustempfindung ist, anderentheils mit dem anscheinend der Weltordnung zu Grunde liegenden Plan, im Falle von Weltkatastrophen, die eine Vernichtung der Menschheit auf irgend einem Weltkörper — in specie beabsichtigt oder nicht — zur Nothwendigkeit machen, eine Erneuerung des Menschengeschlechtes zu ermöglichen. Wenn auf irgend einem Weltkörper sittliche Fäulnis ("wollüstige Ausschweifungen") oder vielleicht auch Nervosität die ganze Menschheit derart ergriffen hatten, daß von ihren übermäßig geschwärzten Nerven eine nennenswerthe Ergänzung der Vorhöfe des Himmels nicht erwartet werden konnte, oder eine bedrohliche Steigerung der Anziehungskraft auf die Gottesnerven zu befürchten war, so konnte ein Untergang des Menschengeschlechts auf diesem Weltkörper entweder (durch verheerende Seuchen etc.) vielleicht von selbst eintreten oder auch von Gott beschlossen und durch Erdbeben, Überschwemmungen u. s. w. in´s Werk gesetzt werden. Vielleicht war es auch für Gott möglich, einen dem Untergange zu widmenden Planeten die Wärme der Sonne (oder des betreffenden anderen zu seiner Erwärmung dienenden Fixsternes) ganz oder theilweise zu entziehen, womit auf das von der Wissenschaft, soviel mir bekannt, noch nicht gelöste Problem von den Eiszeiten ein neues Licht fallen würde. Der Einwand, daß zur Zeit der irdischen Eiszeiten die Menschheit überhaupt nur erst in ihren (diluvialen) Anfängen existiert habe, würde kaum als durchschlagend angesehen werden können. Wer sagt uns denn, ob nicht zu der betreffenden Zeit auf irgend einem anderen Planeten, meinetwegen der Venus, bereits eine hochentwickelte Menschheit vorhanden war, deren Vernichtung nach dem obigen im Plane Gottes liegen mußte und nicht ohne gleichzeitige erhebliche Abkühlung der in ihrer Entwicklung noch zurückgebliebenen Erde vor sich gehen konnte? In allen solchen Dingen muß der Mensch versuchen, sich über die kleinlichen, ihm sozusagen im Blute liegenden geozentrischen Vorstellungen hinwegzusetzen und die Sache von dem erhabeneren Standpunkte der Ewigkeit aus zu betrachten. Wohl möglich also, daß in diesem Sinne den Vorstellungen Curvier´s von periodisch aufeinander gefolgten Weltkatastrophen ein Stück Wahrheit zu Grunde liegt. Es wurde dann zur Erhaltung der Art ein einzelner Mensch — vielleicht der relativ noch sittlich tüchtigste — zurückbehalten, den die mit mir redenden Stimmen als den "ewigen Juden" bezeichneten. Der Sinn dieser Bezeichnung ist also ein etwas anderer als derjenige, der der gleichnamigen Sage vom Juden Ahasver zu Grunde liegt; dagegen wird man unwillkürlich an die Sagen von Noah, Deukalion und Pyrrha u. s. w. erinnert. Auch die römische Gründungsage gehört möglicherweise hierher, wonach Rhea Sylvia die späteren Könige Romulus und Remus nicht von einem irdischen Vater, sondern unmittelbar vom Kriegsgott Mars empfangen haben soll. Der ewige Jude (in dem angegebenen Sinne) mußte entmannt (in ein Weib verwandelt) werden, um Kinder gebären zu können. Die Entmannung ging in der Weise vor sich, daß die (äußeren) männlichen Geschlechtswerkzeuge (Hodensack und männliches Glied) in den Leib zurückgezogen wurden und unter gleichzeitiger Umgestaltung der inneren Geschlechtswerkzeuge in die entsprechenden weiblichen Geschlechtsorgane verwandelt wurden, sie geschah vielleicht in mehrhundertjährigem Schlaf, da doch auch eine Veränderung des Knochenbaus (Becken u. s. w.) hinzu kommen mußte. Es fand also eine Rückbildung statt oder eine Umkehr desjenigen Entwicklungsprozesses, der in jeder menschlichen Leibesfrucht im vierten oder fünften Monate der Schwangerschaft stattfindet, je nachdem die Natur dem künftigen Kinde das männliche oder das weibliche Geschlecht zuertheilen will. In den ersten Monaten der Schwangerschaft sind bekanntlich beide Geschlechter angelegt, und die Eigenthümlichkeiten desjenigen Geschlechts, das nicht zur Entwickelung gelangt, bleiben nach Befinden wie die männlichen Brustwarzen als rudimentäre Organ auf einer niedrigeren Entwickelungstufe stehen. Die Fähigkeit, das bezeichnete Entmannungswunder zu vollziehen, ist den niederen Gottes-("Ariman")-strahlen eigen; die Strahlen des oberen Gottes ("Ormuzd") haben die Fähigkeit, die Männlichkeit bei gegebener Veranlassung wiederherzustellen. Den Vollzug dieses Entmannungswunders habe ich, wie bereits in Anmerkung 1 erwähnt, an meinem eigenen Körper während meines Aufenthalts zu zwei verschiedenen Malen (auf kurze Zeit) selbst erlebt, daß das Wunder nicht zur vollen Entwickelung gelangt, beziehentlich wieder rückgängig gemacht worden ist, beruhte eben nur darauf daß nicht nur reine Gottesstrahlen vorhanden waren, sondern außerdem auch noch Strahlen, die von geprüften (unreinen) Seelen geführt wurden (Flechsig´sche u. s. w. Strahlen), durch deren Einwirkung die Durchführung des Verwandlungsprozesses in seiner weltordnungsmäßigen Reinheit verhindert wurde. Die Erhaltung des ewigen Juden und seine Versorgung mit den nothwendigen Lebensbedürfnissen wurde durch "flüchtig hingemachte Männer" besorgt, es wurden also zu diesem Zwecke Seelen vorübergehend durch Wunder in Menschengestalt gesetzt, wahrscheinlich nicht bloß auf die Lebensdauer des ewigen Juden selbst, sondern auf mehrere Generationen hinaus, bis die Nachkommenschaft desselben zahlreich genug war, um sich selbst erhalten zu können. Dies scheint die weltordnungsmäßige Hauptbestimmung des Instituts der "flüchtig hingemachten Männer" gewesen zu sein; ob dasselbe außerdem vielleicht noch dazu gedient hat, um zu reinigenden Seelen in der ihnen hierdurch gegebenen menschlichen Gestalt irgend welche zu ihrer Reinigung erforderliche Arbeitsleistungen auferlegen zu können‚ wage ich nicht zu entscheiden; jedenfalls bestand der Zweck der flüchtig hingemachten Männer nicht in einer bloßen Wunderspielerei, wozu sie mir gegenüber in der letzten Zeit meines Aufenthalts in der Flechsig´schen Anstalt, während meines Aufenthalts in der Pierson´schen Anstalt und wohl auch noch in der ersten Zeit meines Aufenthalts in der hiesigen Anstalt ausgeartet sind. 

Von dieser der Weltordnung innewohnenden Tendenz, wonach unter gewissen Voraussetzungen die Entmannung eines Menschen vorgesehen ist, muß nun nach meiner Auffassung Professor Flechsig irgendwelche Ahnung gehabt haben, sei es, daß er sozusagen von selbst daraufgekommen ist, oder sei es, daß ihm diese Vorstellungen, was ich für das Wahrscheinlichere halten möchte, erst von göttlichen Strahlen eingegeben worden sind. Dabei waltet nun aber ein fundamentales Mißverständnis ob, welches sich seitdem wie ein rother Faden durch mein ganzes Leben hindurchzieht und welches eben darauf beruht, daß Gott nach der Weltordnung den lebenden Menschen eigentlich nicht kannte und nicht zu kennen brauchte, sondern weltordnungsmäßig nur mit Leichen zu verkehren hatte. Auf der anderen Seite kommt diejenige Abhängigkeit in Betracht, in welche sich Gott dem Professor Flechsig oder dessen Seele gegenüber dadurch begeben hatte, daß er sich den von diesem nun einmal erlangten und seitdem mißbräuchlich festgehaltenen Nervenanhang nicht mehr zu entziehen wußte. So entstand ein System des Lavirens, bei welchem Versuche meine Nervenkrankheit doch noch zu heilen mit dem Bestreben, mich als einen in Folge der immer mehr sich steigernden Nervosität Gott selbst gefährlich werdenden Menschen zu vernichten, mit einander abwechselten. Es ergab sich daraus eine Politik der Halbheit ("Halbschürigkeit" wie der wiederholt von mir gehörte Ausdruck lautete), welche ganz dem Charakter der Seelen entsprach, die nun einmal das ununterbrochene Genießen gewöhnt sind und daher die dem Menschen eigenthümliche Fähigkeit, durch augenblickliche Opfer oder augenblicklichen Verzicht auf den Genuß sich dauernde Vortheile für die Zukunft zu verschaffen, nicht oder nur in wesentlich geringerem Grade besitzen. Zugleich wurde die einmal mit meinen Nerven hergestellte Verbindung, je mehr man gegen mich zu wundern anfing, immer unlöslicher; andrerseits hatte Professor Flechsig, inmittelst verstanden, sich mit seiner ganzen Seele oder einem Theile derselben zum Himmel aufzuschwingen und sich damit selbst — ohne Tod und vorgängige Reinigung — zum Strahlenführer zu machen. Auf diese Weise wurde ein gegen mich gerichtetes Komplott fertig (etwa im März oder April 1894), welches dahinging, nach einmal erkannter oder angenommener Unheilbarkeit meiner Nervenkrankheit mich einem Menschen in der Weise auszuliefern, daß meine Seele demselben überlassen, mein Körper aber —in mißverständlicher Auffassung der obenbezeichneten, der Weltordnung zu Grunde liegenden Tendenz — in einen weiblichen Körper verwandelt, als socher dem betreffenden Menschen zum geschlechtlichen Mißbrauch überlassen und dann einfach "liegen gelassen", also wohl der Verwesung anheimgegeben werden sollte. Was aus dem "liegen gelassenen" Mensehen werden solle, ob derselbe damit auch wirklich todt sei, darüber scheint man sich keine ganz klare Rechenschaft gegeben zu haben. Darüber, daß dieses Komplot wirklich bestanden hat, habe ich nicht den geringsten Zweifel, immer mit der Maaßgabe, daß ich eine Betheiligung des Professors Flechsig in seiner Eigenschaft als Mensch nicht zu behaupten wage. Natürlich war von solchen Dingen, soweit der Professor Flechsig mir als Mensch gegenüber trat, mit keinem Worte die Rede. In dem gleichzeitig von ihm als Seele unterhaltenen Nervenanhange aber, d. h. in der im Eingang dieses Kapitels bezeichneten Nervensprache aber wurde dieser Absicht ganz unverhüllt Ausdruck gegeben. Dazu kam, daß auch die äußere Behandlungsweise dieser mir in der Nervensprache angekündigten Absicht zu entsprechen schien; man hielt mich wochenlang unter Entziehung meiner Kleidungsstücke im Bette fest, um — wie ich glaubte — mich wollüstigen Empfindungen, die durch die bereits in meinem Körper nach und nach eindringenden weiblichen Nerven angeregt werden konnten, zugänglicher zu machen; man wendete auch Mittel (Medikamente) an, die nach meiner Ueberzeugung den gleichen Zweck verfolgten und die ich daher mich anzunehmen weigerte, oder wenn sie mir durch die Wärter mit Gewalt eingeflößt wurden, wieder ausspie. Man kann sich vorstellen, wie mein ganzes männliches Ehr- und Selbstgefühl, meine ganze sittliche Persönlichkeit gegen dieses schändliche Vorhaben, nachdem ich dasselbe einmal mit Sicherheit erkannt zu haben glaubte, sich aufbäumte, zumal ich gleichzeitig, angeregt durch die ersten Offenbarungen, die ich durch den Verkehr mit anderen Seelen über göttlich Dinge erhalten hatte, von heiligen Vorstellungen über Gott und Weltordnung ganz erfüllt war. Gänzlich abgeschnitten von der Außenwelt, ohne jeden Verkehr mit meiner Familie, nur in den Händen roher Wärter, mit denen mich ab und zu zu prügeln, mir von den inneren Stimme als Probe meines männlichen Muthes sozusagen zur Pflicht gemacht wurde, konnte daher kein anderer Gedanke in mir entstehen, als daß jede noch so schreckliche Todesart einem so schmachvollen Ende vorzuziehen sei. Ich beschloß daher, durch den Hungertod meinem Leben ein Ende zu machen und wies jede Speise zurück, zumal die inneren Stimmen mir immer vorredeten, daß es eigentlich meine Pflicht sei, Hungers zu sterben und mich dadurch gewissermaaßen für Gott zu opfern, jeder Genuß einer Mahlzeit, nach der mein Körper doch wieder verlangte, also eine unwürdige Schwäche sei. Die Folge davon war, daß das sogenannte "Fütterungssystem" eingerichtet wurde, d. h. daß die Wärter, deren in der Hauptsache immer dieselben um mich herum waren — außer dem schon genannten R. ein gewisser H. und noch ein dritter, dessen Namen ich nicht kenne — mir die Speisen in den Mund zwangen, was theilweise mit der größten Rohheit geschah. Es ist wiederholt vorgekommen, daß der eine derselben meine Hände festhielt und der andere, während ich im Bette lag, auf mir kniete, um mir die Speisen in den Mund zu schütten oder das Bier in den Mund zu gießen. 

So war ferner jedes Bad, das ich nahm, mit Ertränkungsvorstellungen verknüpft. Man sprach — in der Nervensprache — von "Reinigungsbädern" und "heiligen Bädern"; die letzteren sollten eben die Bestimmung haben, mir Gelegenheit zum Selbstertränken zu geben; ich bestieg fast jedes Bad in der inneren Angst, daß dasselbe dazu dienen solle, meinem Leben ein Ende zu machen. Die inneren Stimmen (namentlich die oben erwähnten dem Corps Saxonia angehörigen Seelen, sogen. Cassiopejabrüder) redeten fortwährend in diesem Sinne auf mich hinein und verhöhnten mich, daß es mir dazu an dem männlichen Muthe fehle; ich machte daher auch wiederholt den Versuch, den Kopf unter das Wasser zu stecken, wobei dann die Wärter in einzelnen Fällen meine Füße über dem Wasser festhielten, also das Selbstmordvorhaben scheinbar begünstigten, meinen Kopf auch wohl wiederholt untertauchten, dann aber unter allerhand rohen Witzen mich zwangen, aus dem Wasser wiederaufzutauchen und das Bad schließlich zu verlassen. In dem mit Professor Flechsig unterhaltenen Nervenanhang verlangte ich von demselben fortwährend Cyankali oder Strychnin, um mich zu vergiften, (einen Tropfen "Saft-Gift", wie es in der Grundsprache hieß) und Professor Flechsig — als Seele im Nervenanhang — verhielt sich diesem Verlangen gegenüber keineswegs ablehnend — sondern stellte dessen Gewährung immer halb und halb in Aussicht, machte aber die Verabreichung desselben in stundenlangen Nervenanhangsunterhaltungen immer heuchlerischer Weise von gewissen Garantieen abhängig, ob ich das Gift, wenn es mir gegeben werden würde, auch wirklich trinken würde u. s. w. Kam dann bei ärztlichen Besuchen Professor Flechsig als Mensch zu mir, so wollte er natürlich von solchen Dingen wiederum nichts wissen. Auch vom Lebendigbegrabenwerden als Mittel, meinem Leben ein Ende zu machen, war wiederholt die Rede. Dabei war es vom menschlichen Gesichtspunkt aus, der mich damals noch vorzugsweise beherrschte, wohl durchaus natürlich, daß ich meinen eigentlichen Feind immer nur in Professor Flechsig oder dessen Seele erblickte (später kam noch die von W.‘sche Seele hinzu, worüber weiter unten das Nähere) und Gottes Allmacht als meine natürliche Bundesgenossin betrachtete, die ich nur dem Professor Flechsig gegenüber in einer Nothlage wähnte und deshalb mit allen erdenklichen Mitteln bis zur Selbstaufopferung unterstützen zu müssen glaubte. Daß Gott selbst der Mitwisser, wenn nicht gar der Anstifter des auf den an mir zu verübenden Seelenmord und die Preisgabe meines Körpers als weibliche Dirne gerichteten Plans gewesen sei, ist ein Gedanke, der sich mir erst sehr viel später aufgedrängt hat, ja zum Theil, wie ich sagen darf, mir erst während der Niederschrift des gegenwärtigen Aufsatzes zu klarem Bewußtsein gekommen ist. Zugleich habe ich aber hier, um die religiösen Vorstellungen und Gefühle anderer Menschen nicht zu verwirren, denselben Gedanken wiederholten Ausdruck zu geben, die bereits am Schlusse von Kapitel II ausgeführt worden sind. So schändlich — subjektiv genommen — das ganze Vorhaben mir erscheinen mußte, so stehe ich doch nicht an anzuerkennen, daß dasselbe von demjenigen Selbsterhaltungstriebe eingegeben war, der bei Gott ebenso natürlich ist wie bei jedem anderen belebten Wesen, — ein Selbsterhaltungstrieb, der, wie schon in anderem Zusammenhang ausgeführt worden ist, Gott in der That unter Umständen dazu zwingen mußte, die Vernichtung nicht nur einzelner Menschen, sondern vielleicht ganzer Weltkörper mit allen darauf geschaffenen Wesen in Aussicht zu nehmen. Auch von Sodom und Gomorrha wird uns im 19. Kapitel des ersten Buchs Moses erzählt, daß eine Vernichtung dieser Städte durch Schwefel- und Feuerregen erfolgt sei, obwohl unter ihren Bewohnern eine wenn auch nur vielleicht sehr geringe Anzahl "Gerechter" sich befunden hätte. Auch sonst wird im ganzen Bereich der geschaffenen Welt Niemand eine Unsittlichkeit darin finden, wenn — ohne Widerspruch mit der Weltordnung — der Stärkere den Schwächeren überwindet, das höher kultivirte Volk ein auf niedrigerer Kulturstufe stehendes von seinen Wohnplätzen verdrängt, die Katze die Maus frißt, die Spinne die Mücke tödtet u. s. w. Der Begriff der Sittlichkeit existirt überhaupt nur innerhalb der Weltordnung, d. h. des natürlichen Bandes, welches Gott mit der Menschheit zusammenhält; wo die Weltordnung einmal gebrochen ist, da bleibt nur eine Machtfrage übrig, in welcher das Recht des Stärkeren entscheidet. Das sittlich Anstößige lag also in meinem Falle nur darin, daß Gott sich selbst außerhalb der auch für ihn maßgebenden Weltordnung gestellt hatte; dazu war er aber, wenn auch nicht gerade unmittelbar gezwungen, so doch mindestens in Folge einer für Seelen schwer widerstehlichen Versuchung veranlaßt worden, die ihm durch das Vorhandensein der unreinen ("geprüften") Seele des Professors Flechsig im Himmel bereitet worden war. Vermöge der ihr damals noch in ziemlich hohem Grade eigenen menschlichen Intelligenz hatte sich überdies die Flechsig‘sche Seele gewisse technische Vortheile (worüber weiter unten das Nähere) gegenüber den jedesmal zunächst mit ihr in Berührung kommenden Gottesnerven zu verschaffen gewußt, die nun einmal als Seelen die Fähigkeit zu selbstverleugnender Aufopferung, deren es bedurft hätte, um mir einen zu meiner Heilung ausreichenden Schlaf zu verschaffen und damit die Flechsig‘sche Seele unschädlich zu machen, nicht besaßen. Ich bin daher geneigt, die ganze Entwicklung aus dem Gesichtspunkte eines Verhängnisses zu betrachten, bei welcher weder auf Seite Gottes, noch auf meiner Seite von sittlicher Verschuldung die Rede sein kann. Auf der anderen Seite bewährt aber wiederum die Weltordnung ihre ganze Größe und Erhabenheit dadurch, daß sie in einem so regelwidrig gearteten Falle auch Gott selbst die Machtmittel versagt, um einen der Weltordnung widersprechenden Zweck zu erreichen. Alle auf Verübung eines Seelenmords, auf Entmannung zu weltordnungswidrigen Zwecken (d. h. zur Befriedigung der geschlechtlichen Begierde eines Menschen) und später auf Zerstörung meines Verstandes gerichteten Versuche sind gescheitert. Ich gehe aus dem anscheinend so ungleichen Kampfe eines einzelnen schwachen Menschen mit Gott selbst, wennschon nach manchen bitteren Leiden und Entbehrungen, als Sieger hervor, weil die Weltordnung auf meiner Seite steht. Auch meine äußere Lage und mein körperliches Befinden bessert sich schon jetzt von Jahr zu Jahr. So lebe ich denn in dem zuversichtlichen Glauben, daß die ganze Verwickelung nur eine Episode darstellen wird, die schließlich auf die eine oder andere Weise zur Wiederherstellung weltordnungsmäßiger Zustände führen wird. Vielleicht kann sogar das persönliche Ungemach, das ich zu erdulden gehabt habe, und der Verlust der bisherigen Seligkeiten einen gewissen Ausgleich dadurch finden, daß für die Menschheit aus Anlaß meines Falles mit einem Schlage die Erkenntniß religiöser Wahrheiten in ungleich höherem Maße erschlossen wird, als auf dem Wege der wissenschaftlichen Forschung bei aller Anwendung menschlichen Scharfsinnes in Jahrhunderten oder überhaupt jemals möglich gewesen wäre. Welchen unschätzbaren Gewinn es für die Menschheit bedeuten würde, wenn durch meine persönlichen Schicksale, namentlich auch in ihrer noch bevorstehenden Gestaltung dem bloßen Materialismus und ebenso einem unklaren Pantheismus ein und für alle Male der Boden entzogen werde, braucht in Worten kaum ausgedrückt zu werden. 

6. Kapitel - Persönliche Erlebnisse, Fortsetzung. Visionen. "Geisterseher" 

Die Zeit, die ich in dem vorstehenden Kapitel zu schildern versucht habe — etwa von Mitte März bis Ausgang Mai 1894, angenommen einmal, daß es sich dabei wirklich nur um einige irdische Monate und nicht etwa um Jahrhunderte gehandelt habe — ist, wie ich wohl sagen darf, die grausigste Zeit meines Lebens gewesen. Und doch war diese Zeit auch die heilige Zeit meines Lebens, wo meine Seele ganz begeistert von den übersinnlichen Dingen, die immer massenhafter auf mich eindrangen, inmitten der rohen Behandlung, die ich äußerlich erfuhr, von den erhabensten Vorstellungen über Gott und Weltordnung erfüllt war. Dabei war ich doch von Jugend auf ein Mensch gewesen, der zu Allem eher geneigt gewesen war, als zu religiöser Schwärmerei. Alle Menschen, die mir in meinem früheren Leben irgend näher getreten sind, werden mir bezeugen müssen, daß ich eine ruhige, leidenschaftslose, klar denkende, fast nüchterne Natur war, deren individuelle Begabung weit mehr in der Richtung kühler verstandesmäßiger Kritik lag als in schöpferischer Thätigkeit einer freiwaltenden Einbildungskraft. Ich war, wenn ich mich auch hin und wieder bei kleinen familiären Anlässen in Gelegenheitsversen versucht habe, keineswegs das, was man einen Dichter zu nennen pflegt. Auch war ich nicht einmal (seit der Zeit meines Jünglingsalters) ein eigentlich gläubiger Mensch im Sinne unserer positiven Religion gewesen. Ich war zwar ebensowenig zu irgendwelcher Zeit ein Religionsverächter gewesen, ich vermied es vielmehr, viel über religiöse Dinge zu sprechen, und hatte von jeher die Empfindung, daß man Menschen, die das Glück hatten, sich auch in späteren Jahren einen frommen Kinderglauben bewahren zu können, in diesem Glück nicht stören dürfe. Allein ich selbst hatte mich doch zuviel mit naturwissenschaftlichen Dingen, namentlich mit Werken, die auf dem Boden der sogen. modernen Entwickelungslehre standen, beschäftigt, als daß ich nicht wenigstens zu Zweifeln an der buchstäblichen Wahrheit alles Dessen, was die christliche Religion lehrte, hätte gelangen müssen. Der Gesammteindruck bei mit war zwar immer der gewesen, daß der Materialismus nicht das letzte Wort in göttlichen Dingen sein könne, allein ebensowenig hatte ich mich zu einem festen Glauben an die Existenz eines persönlichen Gottes aufzuschwingen oder mir denselben zu bewahren vermocht. 

Wenn ich es nun versuchen will, in Betreff der Zeit, die ich vorstehend meine heilige Zeit genannt habe, in diesem Kapitel noch einige weitere Einzelheiten zu geben, so bin ich mir der Schwierigkeiten, die sich mir dabei entgegenstellen, wohl bewußt. Die Schwierigkeiten sind theils äußerer, theils innerer Natur. Einmal bin ich bei einem solchen Versuche nur auf mein Gedächtniß angewiesen, da ich zu jener Zeit irgend welche Aufzeichnungen zu machen nicht in der Lage war: es stand mir weder Schreibmaterial zur Verfügung, noch würde ich auch zu schriftlichen Aufzeichnungen eine Neigung empfunden haben, da ich damals — ob mit Recht oder Unrecht bleibe vorläufig dahingestellt — die ganze Menschheit untergegangen glaubte, also irgend ein Zweck für schriftliche Aufzeichnungen nicht ersichtlich gewesen wäre. Sodann waren die Eindrücke, die auf mich einstürmten, ein so wunderbares Gemisch von natürlichen Ereignissen und Vorgängen übersinnlicher Natur, daß es für mich unendlich schwer fällt, bloße Traumbilder von Erlebnissen in wachem Zustande zu unterscheiden, also bestimmt zu sagen, inwieweit allem demjenigen, was ich erlebt zu haben glaube, auch wirklich historische Realität zukommt. Meine Erinnerungen aus jener Zeit müssen daher in gewissem Grade das Gepräge der Verworrenheit an sich tragen. 

Ein Theil meiner Erinnerungen will zu keiner der mir im Wesentlichen bekannten Räumlichkeiten der Flechsig‘schen Anstalt recht stimmen; hieraus in Verbindung mit anderen Umständen ergaben sich für mich Zweifel darüber, ob ich auch wirklich die ganze Zeit, um die es sich hier handelt, in der Flechsig‘schen Anstalt und nicht zeitweise irgendwo anders gewesen sei. Die ärztliche Behandlung lag außer in den Händen des Professor Flechsig in den Händen zweier Assistenzärzte, Dr. Täuscher und Dr. Quentin. In der Zeit, von der ich jetzt handele, gab es eine Periode, wo die Ärzte überhaupt nicht zu sehen, sondern nur Wärter — immer die oben Genannten — um mich herum waren. In dieser Zeit machte mir die Anstalt selbst einen völlig verwaisten Eindruck; auch von anderen Patienten sah ich, wenn ich den vor meinem Zimmer gelegenen Korridor betrat, wenig oder gar nichts. Geraume Zeit danach erschien dann Professor Flechsig wieder, aber wie schon oben erwähnt, in einer mir wenigstens einen nicht unwesentlich veränderten Eindruck machenden Gestalt; die Assistenzärzte habe ich in der letzten Zeit meines Aufenthalts in der Anstalt, soviel ich mich erinnere, entweder gar nicht oder nur in ganz vereinzelten Fällen gesehen. 

Bereits im vorigen Kapitel ist erwähnt worden, daß in Folge meiner beständig anwachsenden Nervosität und der dadurch gesteigerten Anziehungskraft eine immer größere Anzahl abgeschiedener Seelen sich zu mir angezogen fühlte — in erster Linie immer solche, die aus persönlichen Beziehungen im Leben noch ein besonderes Interesse für mich bewahrt haben mochten — um sich dann auf meinem Kopfe oder in meinem Leibe zu verflüchtigen. Der Vorgang endete in sehr zahlreichen Fällen damit, daß die betreffenden Seelen zuletzt noch als sog. "kleine Männer" — winzige Figürchen in Menschenform, aber vielleicht nur von der Größe einiger Millimeter — ein kurzes Dasein auf meinem Kopfe führten, um dann völlig zu verschwinden. Ich nehme an, daß diese Seelen, die bei ihrer ersten Annäherung vielleicht noch über eine ziemlich große Zahl von Nerven verfügten und daher ein noch ziemlich kräftiges Identitätsbewußtsein hatten, bei jeder Annäherung einen Theil ihrer Nerven vermöge der Anziehungskraft zu Gunsten meines Körpers einbüßten und schließlich nur noch aus einem einzigen Nerv bestanden, der dann auf Grund eines wunderbaren, nicht weiter zu erklärenden Zusammenhangs die Form eines "kleinen Mannes" in dem oben angegebenen Sinne annahm, als letzte Daseinsform der betreffenden Seelen vor ihrem völligen Verschwinden. Dabei wurden mir in sehr vielen Fällen die Sterne oder Sternbilder genannt, von denen sie ausgingen oder "unter denen sie hingen", Namen, die zum Theil mit den üblichen astronomischen Bezeichnungen übereinstimmten, zum Theil aber auch nicht. So wurden besonders häufig genannt die Cassiopeja, die Wega, die Capella, auch ein Stern "Gemma" (von dem ich nicht weiß, ob er einer astronomischen Bezeichnung entspricht); ferner die "Crucianer" (vielleicht das südliche Kreuz?) das "Firmament" u. a. m. Es gab Nächte, wo die Seelen schließlich als "kleine Männer" zu Hunderten, wenn nicht zu Tausenden auf meinem Kopfe sozusagen herabträufelten. Dabei warnte ich immer vor der Annäherung, weil ich jedesmal nach früheren Vorgängen das Bewußtsein von der ins Maßlose gesteigerten Anziehungskraft meiner Nerven hatte, während die Seelen eine so bedrohliche Anziehungskraft immer zunächst für ganz unglaublich hielten. Andere Strahlen, die sich als Gottes Allmacht selbst in der obenbezeichneten Weise gerierten, trugen andere Bezeichnungen wie "der Herr der himmlischen Heerschaaren", "der gute Hirte", "der Allmächtige", usw. usw. Im Zusammenhang mit diesen Erscheinungen trat in den Visionen, die ich allnächtlich hatte, schon sehr früh die Vorstellung eines Weltuntergangs als Folge der nicht mehr lösbaren Verbindung zwischen Gott und mir in den Vordergrund. Von allen Seiten trafen Hiobsposten ein, daß nunmehr auch dieser oder jene Stern, dieses oder jene Sternbild habe "aufgegeben" werden müssen; bald hieß es, nunmehr sei auch die Venus "überfluthet", bald, nunmehr müsse das ganze Sonnensystem "abgehängt" werden, bald, die Cassiopeja (das ganze Sternbild derselben) habe zu einer einzigen Sonne zusammengezogen werden müssen, bald, nur die Plejaden seien vielleicht noch zu retten usw. usw. Während ich diese Visionen in der Nacht hatte, glaubte ich am Tage zu bemerken, daß die Sonne meinen Bewegungen folgte; wenn ich in dem einfenstrigen Zimmer, das ich damals inne hatte, mich hin und herbewegte, so sah ich den Sonnenschein meinen Bewegungen entsprechend bald an der (von der Thür aus gerechnet) rechten bald an der linken Wand. Es ist schwer für mich, bei dieser Wahrnehmung, die ich, wie erwähnt, am Tage gemacht habe, an eine Sinnestäuschung zu glauben, zumal ich mich erinnere, auf diese mich natürlich mit Entsetzen erfüllende Wahrnehmung einmal bei einem Besuche den Assistenzarzt Dr. Täuscher aufmerksam gemacht zu haben. Als ich dann in späterer Zeit wieder regelmäßig in den Garten kam, habe ich — wenn mich meine Erinnerung nicht völlig trügt — "zwei Sonnen" auf einmal am Himmel stehen sehen, von denen die eine unsere irdische Sonne, die andere das zu einer einzigen Sonne zusammengezogene Sternbild der Cassiopeja sein sollte. Dabei hat sich aus der Gesammtheit meiner Erinnerungen der Eindruck in mir festgesetzt, als ob der betreffende nach gewöhnlicher menschlicher Annahme nur drei bis vier Monate umspannende Zeitraum in Wirklichkeit eine ungeheuer lange Zeit umfaßt haben müsse, als ob einzelne Nächte die Dauer von Jahrhunderten gehabt hätten, sodaß innerhalb dieser Zeit sehr wohl die tiefgreifendsten Veränderungen mit der ganzen Menschheit mit der Erde selbst und dem ganzen Sonnensystem sich vollzogen haben konnten. In Visionen war wiederholt davon die Rede gewesen, daß das Werk einer 14000jährigen Vergangenheit verloren sei — diese Ziffer sollte wahrscheinlich die Zeitdauer der Bevölkerung der Erde mit Menschen bezeichnen — und daß der Erde nur noch die Dauer von etwa 200 Jahren beschieden sei — wenn ich nicht irre, wurde die Ziffer 212 genannt —; in der letzten Zeit meines Aufenthalts in der Flechsig‘schen Anstalt erachtete ich diesen Zeitraum für bereits abgelaufen, hielt mich demzufolge für den einzigen noch übrig gebliebenen wirklichen Menschen und die wenigen menschlichen Gestalten, die ich außer mir noch sah —den Professor Flechsig selbst, einige Wärter und sehr wenige, vereinzelte Patienten von mehr oder weniger abenteuerlicher Erscheinung — nur für hingewunderte, "flüchtig hingemachte Männer". Ich erwog Möglichkeiten, wie die, daß die ganze Flechsig‘sche Anstalt oder vielleicht die Stadt Leipzig mit ihr aus der Erde "ausgehoben" und nach irgend einem anderen Weltkörper versetzt worden sei, Möglichkeiten, auf die die Fragen der mit mir redenden Stimme, ob denn Leipzig noch stehe usw. manchmal hinzudeuten schienen. Den Sternhimmel betrachtete ich als ganz oder wenigstens in der Hauptsache erloschen. Irgendwelche Gelegenheit zur Berichtigung derartiger Vorstellungen war mir nicht geboten. Das Fenster meines Schlafzimmers war in der Nacht mit einem schweren hölzernen Laden verschlossen, sodaß mir der Anblick des nächtlichen Himmels entzogen war. Am Tage sah ich über die Mauern des Anstaltsgartens hinaus nur wenige der unmittelbar anstoßenden Gebäude. In der Richtung des Bayrischen Bahnhofs sah ich über die Mauern der Anstalt hinweg nur einen schmalen Streifen Landes, der mir einen durchaus fremdartigen, von der eigentlichen Beschaffenheit der mir wohlbekannten Gegend völlig abweichenden Eindruck machte; man sprach zuweilen von einer "heiligen" Landschaft. Das Pfeifen der Eisenbahnzüge, das mir doch kaum hätte entgehen können, habe ich lange Zeit hindurch niemals vernommen. Nur das Fortbrennen der Gasflammen machte mich in der Annahme einer völligen Isolierung der Flechsig‘schen Anstalt wieder irre, da ich danach doch irgend einen Zusammenhang mit der Stadt Leipzig annehmen mußte, wenn ich nicht gerade an die Möglichkeit eines für die Anstalt eigens errichteten Gasometers denken wollte. Ich bewahre ferner Erinnerungen in meinem Gedächtnisse, deren Eindruck ich nur im Allgemeinen dahin bezeichnen kann, daß es mir so ist, als ob ich selbst eine Zeit lang noch in einer zweiten, geistig minderwerthigen Gestalt vorhanden gewesen sei. Ob etwas Derartiges im Wege von Wundern denkbar wäre, ob es möglich gewesen wäre, mich mit einem Theile meiner Nerven in einem zweiten Körper noch einmal zu setzen, muß ich dahingestellt sein lassen. Ich kann nur wiederholen, daß ich Erinnerungen habe, die auf eine solche Möglichkeit hinzudeuten scheinen. In der zweiten minderwerthigen Gestalt, von der ich selbst den Bewußtseinseindruck bewahre, nur im Besitze geringerer Verstandeskräfte gewesen zu sein, wurde mir gesagt, es sei schon ein anderer Daniel Paul Schreber vorhanden gewesen, der geistig sehr viel veranlagter gewesen sei, als ich. Da in dem mir sehr genau bekannten Stammbaum meiner Familie niemals ein anderer Daniel Paul Schreber vor mir existiert hat, so glaube ich diesen anderen Daniel Paul Schreber nur auf mich selbst als im Vollbesitz meiner Nerven befindlich, beziehen zu dürfen. In der zweiten minderwerthigen Gestalt muß ich dann an irgend einem Tage, wenn ich den Ausdruck brauchen darf, sanft verschieden sein; ich habe die Erinnerung, daß ich in einem Zimmer, das ich mit keiner der mir bekannten Räumlichkeiten der Flechsig‘schen Anstalt in Uebereinstimmung bringen kann, im Bette lag und dabei das deutliche Bewußtsein eines allmählichen Auslöschens meiner Seele hatte, ein Zustand, der übrigens, abgesehen von wehmüthigen Erinnerungen an meine Frau, deren ich dabei viel gedachte, durchaus den Charakter eines schmerzlosen friedlichen Hinüberschlummerns hatte. Auf der andern Seite gab es eine Zeit, wo die mit mir im Nervenanhang stehenden Seelen von einer Mehrheit von Köpfen (d. h. mehreren Individualitäten in demselben Schädel) redeten, die sie bei mir vorfanden und gleichsam erschreckt zurückfuhren etwa mit dem Ausdruck: "Um Himmelswillen, das ist ja ein Mensch mit mehreren Köpfen". Ich bin mir wohl bewußt, wie phantastisch alles Derartige für andere Menschen klingen muß; ich gehe demnach auch nicht soweit zu behaupten, daß alles darüber Erzählte objektive Wirklichkeit gewesen ist; ich referiere nur, welche Eindrücke als Erinnerungen noch in meinem Gedächtnisse haften. 

Die mit der Vorstellung eines Weltuntergangs im Zusammenhang stehenden Visionen, deren ich, wie bereits erwähnt, unzählige hatte, waren zum Theil grausiger Natur, zum Theil aber wiederum von unbeschreiblicher Großartigkeit. Ich will nur einiger weniger gedenken. In einer derselben fuhr ich gleichsam in einem Eisenbahnwagen oder einem Fahrstuhl sitzend, in die Tiefen der Erde hinab und machte dabei sozusagen die ganze Geschichte der Menschheit oder der Erde rückwärts durch, in den oberen Regionen gab es noch Laubwälder; in den unteren Regionen wurde es immer dunkeler und schwärzer. Beim zeitweiligen Verlassen des Gefährtes wandelte ich wie auf einen großen Friedhof, wobei ich u. A. die Stätten, wo die Bewohnerschaft Leipzigs lag, auch das Grab meiner eigenen Frau kreuzte. Ich drang, wieder in dem Gefährt sitzend, nur bis zu einem Punkte 3 vor; den Punkt 1, der den Uranfang der Menschheit bezeichnen sollte, scheute ich mich zu betreten. Beim Rückwärtsfahren stürzte der Schacht hinter mir ein, unter steter Gefährdung eines gleichzeitig darin befindlichen "Sonnengottes". Im Zusammenhang damit hieß es dann, daß zwei Schächte vorhanden gewesen seien (ob dem Dualismus der Gottesreiche entsprechend?); als die Nachricht kam, daß auch der Zweite Schacht eingestürzt sei, gab man alles verloren. Ein anderes Mal durchquerte ich die Erde vom Ladogasee bis Brasilien und baute dort in einem schloßartigen Gebäude in Gemeinschaft mit einem Wärter eine Mauer zum Schutz der Gottesreiche gegen eine sich heranwälzende gelbliche Meeresfluth — ich bezog es auf die Gefahr syphilitischer Verseuchung. Wiederum ein anderes Mal hatte ich das Gefühl, als ob ich selbst zur Seligkeit heraufgezogen würde; ich hatte dann gleichsam von den Höhen des Himmels herab unter einem blauen Gewölbe ruhend die ganze Erde unter mir, ein Bild von unvergleichlicher Pracht und Schönheit; als den zur Bezeichnung des Bildes dienenden Namen hörte ich einen Ausdruck ungefähr wie "Gottseibeieinanderaussicht" lautend. Bei anderen Vorgängen bin ich zweifelhaft, ob es sich um bloße Visionen oder nicht wenigstens zum Theil um wirkliche Erlebnisse handelt. Ich erinnere mich, daß ich sehr oft in der Nacht nur mit dem Hemd bekleidet (alle Kleidungsstücke waren mir ja weggenommen) auf der Diele meines Schlafzimmers gesessen habe, nachdem ich das Bett irgend welchem inneren Antriebe folgend verlassen hatte. Die Hände, die ich hinter meinem Rücken auf den Boden gestemmt hatte, wurden mir dann von bärenartigen Gestalten (schwarzen Bären) von Zeit zu Zeit fühlbar in die Höhe gehoben; andere "schwarze Bären", größere und kleinere, sah ich mit glühenden Augen um mich herum in der Nähe sitzen. Meine Bettstücken gestalteten sich zu sogenannten "weißen Bären". Durch die Luke in der Thür meines Schlafzimmers sah ich gelbe Männer von Untermittelgröße hin und wieder vor der Thür meines Schlafzimmers erscheinen, mit denen ich irgend welchen Kampf aufzunehmen bereit sein mußte. Katzen mit glühenden Augen erschienen zeitweise auf den Bäumen des Anstaltsgartens, wenn ich noch in wachem Zustande war, d. i. in den späteren Abendstunden. Ich habe ferner Erinnerungen, nach denen ich eine Zeit lang in einem Schlosse an irgend einem Meer gewesen bin, das in der Folge wegen drohender Überflutung verlassen werden mußte und aus dem ich dann nach langer, langer Zeit in die Flechsigsche Anstalt zurückgekehrt bin, in der ich mich auf einmal in den mir von früher bekannten Verhältnissen wiederfand. Vor den Fenstern meines Schlafzimmers sah ich beim Oeffnen der Läden am frühen Morgen einen dichten Wald, nur wenige Meter vom Fenster enfernt, soviel mir erinnerlich, hauptsächlich aus Birken und Fichten bestehend. Die Stimmen nannten ihn einen heiligen Wald. Mit dem Garten der Universitäts-Nervenklinik, einer jungen, erst seit 1882 angelegten Anpflanzung, die im Wesentlichen nur aus Reihen einzelner Bäume entlang der Wege bestand, hatte dieser Anblick nicht die entfernteste Aehnlichkeit. Daß ein solcher Wald, wenn er wirklich vorhanden war, nicht in drei bis vier Monaten hätte herauswachsen können, ist selbstverständlich. Mein Kopf war in Folge des massenhaften Zuströmens von Strahlen sehr häufig von einem Lichtschimmer umflossen, ähnlich wie der Heiligenschein von Christus u. s. w. auf Bildern dargestellt wird, nur unvergleichlich reicher und glänzender: der sog. "Strahlenkrone". Die Reflexwirkung dieser Strahlenkrone war so stark, als eines Tages der Professor Flechsig mit dem Assistenzarzt Dr. Quentin an meinem Bette erschien, letzterer dabei vor meinen sehenden Augen verschwand; das Gleiche war ein anderes Mal auch mit dem Wärter H. der Fall. Längere Zeit war davon die Rede, daß ich selbst unter dem Schutze der Cassiopeja verbleiben sollte, während die Sonne irgend welcher anderen Bestimmung zugeführt, wahrscheinlich dem ihr zugehörigen Planetensystem, also auch unserer Erde erhalten werden sollte. Die Anziehungskraft meiner Nerven war jedoch so stark, daß dieser Plan nicht ausgeführt werden konnte, die Sonne vielmehr da, wo ich mich befand, verbleiben oder ich selbst zurückversetzt werden mußte. 

Nach solchen Eindrücken, deren Deutung ich vielleicht in einem der späteren Kapitel versuchen werde, wird man es einigermaßen verständlich finden, daß ich Jahre hindurch in dem Zweifel gelebt habe, ob ich mich wirklich auf der Erde oder nicht vielmehr auf irgend einem anderen Weltkörper befinde. Noch im Jahre 1895 habe ich die Möglichkeit erwogen, ob ich mich nicht auf dem Phobos befinde, einem Trabenten des Planeten Mars, der mir in irgend welchem Zusammenhange einmal von den Stimmen genannt worden war und ob ich in dem Mond, den ich zu dieser Zeit manchmal am Himmel stehen sah, nicht den zugehörigen Hauptplaneten Mars zu erblicken habe. 

In der Sprache der Seelen hieß ich in der im gegenwärtigen Kapitel behandelten Zeit "Der Geisterseher" d. h. ein Mensch, der Geister sieht, mit Geistern oder abgeschiedenen Seelen Verkehr hat. Namentlich pflegte die Flechsig‘sche Seele von mir als den "größten Geisterseher aller Jahr. hunderte" zu reden, worauf ich dann, von größeren Gesichtspunkten ausgehend, ab und zu wohl einhielt, daß man wenigstens von dem größten Geisterseher aller Jahrtausende sprechen müsse. In der That wird, seitdem die Welt steht, wohl kaum ein Fall, wie der meinige, vorgekommen sein, daß nämlich ein Mensch nicht blos mit einzelnen abgeschiedenen Seelen, sondern mit der Gesammtheit aller Seelen und mit Gottes Allmacht selbst in kontinuirlichen, das heißt einer Unterbrechung nicht mehr unterliegenden Verkehr getreten wäre. In der ersten Zeit suchte man zwar noch Unterbrechungen herzustellen; man unterschied noch "heilige Zeiten", d. h. solche Zeiten, in denen ein Nervenanhang oder ein Strahlenverkehr oder ein Sprechen von Stimmen — alles im Grunde genommen nur verschiedene Ausdrücke für denselben Vorgang — stattfinden sollte und "nichtheilige Zeiten", in denen man den Strahlenverkehr aufzugeben beabsichtigte. Allein bald duldete die übermäßige Anziehungskraft meiner Nerven keine solchen Pausen oder Unterbrechungen mehr; es gab nur noch "heilige Zeiten". Geisterseher minderen Grades mag es wohl schon vor meinem Falle in größerer oder geringerer Zahl gegeben haben. Um nicht bis auf die biblische Vorgänge zurückzugehen, halte ich z. B. in dem Falle der Jungfrau von Orléans oder der Kreuzfahrer bei Auffindung der heiligen Lanze in Antiochien oder des Kaisers Constantin bei der bekannten für den Sieg des Christenthums entscheidenden Vision: In hoc signo vinces einen vorübergehend eingetretenen Strahlenverkehr, vorübergehende göttliche Eingebungen für sehr wahrscheinlich. Auch bei stigmatisierten Jungfrauen mag wohl hin und wieder das Gleiche angenommen werden dürfen. In Sage und Dichtung aller Völker wimmelt es förmlich von Bewegungen mit Geistern, Elfen, Kobolden u. s. w., und die Annahme, daß man es bei allen diesen Vorstellungen nur mit willkürlichen Erfindungen der menschlichen Einbildungskraft ohne irgend welchen realen Hintergrund zu thun habe, erscheint mir einfach thöricht. Mit Interesse habe ich demzufolge davon Kenntniß genommen, daß nach dem mir (während ich mit Abfassung dieser Niederschrift beschäftigt war) auf einige Zeit leihweise zur Verfügung gestellten Lehrbuch der Psychiatrie von Kräpelin (5. Auflage, Leipzig 1896, Seite 95 ff. und namentlich Seite 110 ff.) die Vorstellung, mit irgendwelchen Stimmen in übernatürlichem Verkehr zu stehen, auch sonst bei Menschen, deren Nerven sich in einem Zustande von krankhafter Erregung befanden, öfters beobachtet worden ist. Ich will durchaus nicht bezweifeln, daß man es in sehr vielen derartigen Fällen mit bloßen Sinnestäuschungen zu thun haben mag, als welche sie in dem genannten Lehrbuche durchweg behandelt werden. Allein die Wissenschaft würde meines Erachtens doch sehr unrecht thun, wenn sie alle derartige Erscheinungen als jeder objektiven Realität entbehrend mit der Bezeichnung als "Sinnestäuschungen" in die allgemeine Rumpelkammer der unwirklichen Dinge werfen wollte, wie dies vielleicht bei den von Kräpelin Seite 108 ff. behandelten, mit übersinnlichen Dingen nicht in Zusammenhang stehenden Sinnestäuschungen gerechtfertigt sein mag. Ich halte es durchaus nicht für ausgeschlossen, daß es sich wenigstens in einer gewissen Anzahl derartiger Fälle um wirkliche Geisterseher niederen Grades in dem vorher entwickelten Sinne gehandelt hat. Dabei soll nicht in Abrede gestellt werden, daß zugleich eine krankhaft erhöhte Erregbarkeit der Nerven vorgelegen hat, insofern eben erst vermöge der dadurch erhöhten Anziehungskraft der Nerven die Entstehung eines Verkehrs mit übersinnlichen Kräften ermöglicht und begünstigt worden ist. Daß bei mir bloße Sinnestäuschungen vorliegen sollen, erscheint mir schon vornherein psychologisch undenkbar. Denn die Sinnestäuschung, mit Gott oder abgeschiedenen Seelen in Verkehr zu stehen, kann doch füglich nur in solchen Menschen entstehen, die in ihren krankhaft erregten Nervenzustand bereits einen sicheren Glauben an Gott und an die Unsterblichkeit der Seele mitgebracht haben. Dies ist aber bei mir nach dem im Eingang dieses Kapitels Erwähnten gar nicht der Fall gewesen. Auch die sogen. Medien der Spiritisten dürften, wenn schon in vielen Fällen Selbsttäuschung und Betrug mit unterlaufen mag, doch in einer nicht geringen Zahl von anderen Fällen als wirkliche Geisterseher niederen Grades in dem angegebenen Sinne anzusehen sein. Man hüte sich also in solchen Dingen vor unwissenschaftlicher Generalisierung und vorschneller Aburtheilung. Wenn die Psychiatrie nicht schlechthin alles Uebersinnliche leugnen und solchergestalt mit beiden Füßen in das Lager des nackten Materialismus treten will, so wird sie nicht umhin können, die Möglichkeit anzuerkennen, daß man es bei Erscheinungen der beschriebenen Art unter Umständen mit wirklichen Vorgängen zu thun habe, die sich nicht ohne Weiteres mit dem Schlagworte "Sinnestäuschungen" abfertigen lassen. 

Ich kehre nach dieser Abschweifung zu dem eigentlichen Gegenstande meiner Arbeit zurück und werde in dem nächsten Kapitel eine Fortsetzung des Bisherigen folgen lassen, wobei ich theils noch einige weitere dem Gebiete des Uebersinnlichen angehörige Punkte, die in dem Zusammenhang des Vorhergehenden nicht gut untergebracht werden konnten, berühren, theils namentlich auch meine äußeren Lebensschicksale während der Zeit, von der ich gegenwärtig handle, besprechen werde. 
 

7. Kapitel - Persönliche Erlebnisse, Fortsetzung; eigenartige Krankheitserscheinungen. Visionen 

Genauere chronologische Angaben bin ich in betreff der Zeit, die zwischen den letzten Besuchen meiner Frau (Mitte Februar 1894) und dem Ende meines Aufenthalts in der Flechsig‘schen Anstalt (Mitte Juni 1894) in der Mitte liegt, aus dem bereits erwähnten Grunde zu machen nicht im Stande. Nur einige wenige Anhaltspunkte stehen mir in dieser Beziehung zu Gebote. Ich habe die Erinnerung, daß mir etwa Mitte März 1894, als der Verkehr mit übersinnlichen Kräften bereits in ziemlicher Stärke hervorgetreten war, ein Zeitungsblatt vorgelegt wurde, in dem so etwas wie meine eigene Todesnachnicht zu lesen war; ich faßte diesen Vorgang als einen Wink auf, daß ich auf irgendwelche Rückkehr in die menschliche Gesellschaft nicht mehr zu rechnen habe. Ob es sich bei der betreffenden Wahrnehmung um einen wirklichen Vorgang oder um eine im Wege der Vision erzeugte Sinnestäuschung gehandelt hat, wage ich nicht zu behaupten. Nur der Eindruck ist mir geblieben, daß es bei diesem und ähnlichen Vorkommnissen, wenn wirklich Visionen in Frage gewesen sein sollten, Visionen waren, in denen Methode lag, d. h. daß ein gewisser Zusammenhang bestand, welcher mich jedenfalls erkennen ließ, was man mit mir vorhatte. Es war die Zeit, in welcher ich, wie schon erwähnt, dauernd, bei Tag und Nacht, im Bette festgehalten wurde; ob und wieviel Wochen vermag ich nicht zu sagen. Um die Zeit der Osterfeiertage — wann Ostern im Jahre 1894 fiel, weiß ich nicht — muß dann mit der Person des Professor Flechsig eine wichtige Veränderung vorgegangen sein. Ich habe vernommen, daß derselbe während dieser Feiertage eine Erholungsreise nach der Pfalz oder dem Elsaß unternommen haben soll. Im Zusammenhang damit habe ich Visionen gehabt, wonach sich Professor Flechsig entweder zu Weißenburg im Elsaß oder im Polizeigefängniß in Leipzig erschossen habe; ich habe auch — als Traumbild — seinen Leichenzug gesehen, der sich von seiner Wohnung nach dem Thonberg zu (also eigentlich nicht in der Richtung, die man nach der damaligen Verbindung der Universitäts-Nervenklinik mit dem inneren Johannisfriedhofe vermuthen sollte) bewegte. In anderen Visionen war mir derselbe wiederholt in Begleitung eines Schutzmannes oder in der Unterhaltung mit seiner Frau erschienen, deren Zeuge ich im Wege des Nervenanhangs wurde und wobei sich Professor Flechsig seiner Frau gegenüber "Gott Flechsig" nannte, sodaß diese geneigt war, ihn für verrückt zu halten. Daß es sich bei diesen Visionen nicht um Vorgänge handelt, die sich gerade genau in der Weise, wie ich sie gesehen zu haben glaubte, wirklich zugetragen haben, ist mir jetzt wenigstens unzweifelhaft. Wohl aber halte ich ihre Deutung in dem Sinne für statthaft, daß sie eine Kundgebung der göttlichen Auffassung waren, was mit Professor Flechsig hätte geschehen sollen. Dagegen ist es ein wirklicher, d. h. nach der Bestimmheit meiner Erinnerung in diesem Punkte für mich subjektiv gewisser Vorgang — mögen mir nun andere Menschen darin Glauben schenken können oder nicht — daß ich ungefähr um dieselbe Zeit die Seele und zwar wahrscheinlich die ganze Seele des Professor Flechsig vorübergehend im Leibe gehabt habe. Es war ein ziemlich umfänglicher Ballen oder Knäuel, den ich am ehesten mit einem entsprechenden Volumen Watte oder Spinngewebe vergleichen möchte, der mir im Wege des "Wunders" in den Bauch geschleudert worden war, vermuthlich, um darin seinen Untergang zu finden. Diese Seele im Leibe zu behalten, sozusagen zu verdauen, wäre bei dem Umfang derselben wahrscheinlich ohnedies eine Unmöglichkeit gewesen; ich entließ dieselbe jedoch, als sie sich zu befreien strebte, freiwillig, einer Art Regung des Mitleids folgend, und sie entrang sich darauf durch meinen Mund wieder nach außen. Ueber die objektive Realität dieses Vorgangs habe ich um so weniger einen Zweifel, als ich später noch in einer ganzen Anzahl anderer Fälle in die Lage gekommen bin, Seelen oder Seelentheile in meinem Mund aufzunehmen und davon insbesondere noch eine ganz sichere Erinnerung an die üble Geruchs- und Geschmacksempfindung bewahre, welche derartige unreine Seelen demjenigen, in dessen Körper sie durch den Mund eintreten, verursachen. 

An die vorstehend erwähnten Vorgänge schloß sich, soviel mir erinnerlich, diejenige Periode an, welche mir von den Stimmen als die Zeit des ersten Gottesgenichtes bezeichnet wurde. Zufällig habe ich hier noch einige Daten im Gedächtnisse behalten, die mir von irgend welcher Seite genannt worden sein müssen; danach hätte das erste Gottesgericht den Zeitraum vom 2. oder 4. bis 19. April 1894 umfaßt. Dem "ersten Gottesgerichte" folgten dann noch eine Anzahl weiterer Gottesgerichte, die jedoch dem ersten an Großartigkeit der Eindrücke im Ganzen nicht unwesentlich nachstanden. Es handelte sich bei dem "ersten Gottesgerichte" um eine Reihe fortlaufender, bei Tag und bei Nacht erfolgender Visionen, denen, wenn ich so sagen darf, eine gemeinschaftliche Generalidee zu Grunde lag. Es war die Vorstellung, daß, nachdem aus den Kreisen des deutschen Volkes heraus durch den Konflikt zwischen Professor Flechsig und mir eine für den Bestand der Gottesreiche gefährliche Krisis sich ergeben habe, dem deutschen Volke, insbesondere dem evangelischen Deutschland nicht mehr die Führerschaft als auserwähltes Volk Gottes belassen werden könne, daß dasselbe vielleicht sogar bei Besetzung anderer "Weltkugeln" ("bewohnten Planeten?") ganz ausfallen müsse, sofern nicht ein Kämpe für das deutsche Volk auftrete, der die fortdauernde Würdigkeit desselben erweise. Dieser Kämpe sollte bald ich selbst sein, bald eine andere von mir zu bezeichnende Persönlichkeit, und ich habe in Folge dessen auf das Drängen der im Nervenanhang mit mir redenden Stimmen die Namen einer Anzahl hervorragender Männer als den nach meinem Dafürhalten für einen solchen Streit geeigneten Kämpen genannt. Im Zusammenhang mit dem bezeichneten Grundgedanken des ersten Gottesgerichts stand das bereits im vorigen Kapitel erwähnte Vordringen des Katholizismus, des Judenthums und des Slaventhums. Auch hierauf bezügliche Visionen habe ich in ziemlicher Anzahl gehabt, u. a. den Frauenflügel der Universitäts-Nervenklinik als zu einem Nonnenkloster oder einer katholischen Kapelle eingerichtet, barmherzige Schwestern in den Räumen unter dem Dache der Anstalt sitzen gesehen usw. usw. Dann aber hieß es, auch mit dem Katholizismus gehe es nicht mehr; nach dem Tode des jetzigen Papstes und eines Zwischenpapstes Honorius sei ein weiteres Konklave nicht mehr zu Stande gekommen, weil die Katholiken den Glauben verloren hätten usw. usw. Alles dies habe ich in der damaligen Zeit für wirkliche geschichtliche Vorgänge gehalten und demzufolge eine vielleicht mehrhundertjährige Entwicklung als bereits der Vergangenheit angehörig gelaubt. Diese Auffassung kann ich natürlich jetzt nicht mehr aufrecht erhalten. Nachdem ich — freilich erst nach dem Verlauf mehrerer Jahre — durch Zeitungen und Briefe wieder in einen gewissen Verkehr mit der Außenwelt getreten bin, nachdem ich an dem Zustande der Baulichkeiten, die ich in der hiesigen Anstalt selbst und in deren Umgebung sehe, sowie an der Beschaffenheit der früher von mir besessenen und inzwischen in ziemlicher Anzahl in meine Hände zurückgelangten Bücher, Musikalien und sonstigen Gebrauchsgegenstände nichts entdecken kann, was mit der Annahme einer großen zeitlichen Kluft, die in der Geschichte der Menschheit sich ergeben habe, verträglich wäre, kann ich mich der Anerkennung nicht entziehen, daß äußerlich betrachtet alles beim alten geblieben ist. Ob nicht gleichwohl eine tiefgreifende innere Veränderung sich vollzogen hat, wird weiter unten besprochen werden. 

Von wesentlichem Einfluß auf meinen damaligen Vorstellungskreis waren auch gewisse Mittheilungen, die sich darauf bezogen, was alles in einer künftigen Seelenwanderung aus mir werden solle. Es wurden mir nacheinander die Rollen einer "Hyperboräerin", eines "Jesuitenzöglings in Ossegg", eines "Bürgermeisters von Klattau", eines "Elsässer Mädchens, das ihre Geschlechtsehre gegen einen siegreichen französischen Offizier zu vertheidigen hat", endlich "eines Mongolenfürsten" zugedacht. Bei allen diesen Voraussagen glaubte ich einen gewissen Zusammenhang mit dem aus den übrigen Visionen sich ergebenden Gesammtbild zu erkennen. Das Loos, eine "Hyperboräerin" zu werden, erschien mir als ein Hinweis darauf, daß für die Erde ein der allgemeinen Vereisung nahekommender Wärmeverlust entweder schon eingetreten sei oder bevorstehe; es war auch sonst davon die Rede gewesen, daß die Sonne sich in "Jupitersentfernung" zurückgezogen habe. Die künftige Bestimmung zu einem Jesuitenzögling in Ossegg, zu einem Bürgermeister in Klattau und zu einem Elsässer Mädchen in der oben bezeichneten Lage faßte ich als Weissagungen auf, daß der Protestantismus dem Katholizismus und das deutsche Volk im Kampfe mit seinen romanischen und slavischen Nachbarn entweder schon unterlegen sei oder noch unterliegen werde; die mir eröffnete Aussicht endlich, ein "Mongolenfürst" zu werden, erschien mir als eine Andeutung, daß, nachdem alle arischen Völker sich als Stützen der Gottesreiche ungeeignet erwiesen hätten, nunmehr eine letzte Zuflucht bei nichtarischen Völkern genommen werden müsse. —Ein verhängnißvoller Wendepunkt in der Geschichte der Erde und der Menschheit schien mir damals durch die Ereignisse eines einzelnen, mir bestimmt erinnerlichen Tages bezeichnet zu sein, an dem vom Ablauf der »Weltuhren" die Rede war und gleichzeitig fortwährend ein ungewöhnlich reiches Zuströmen von Strahlen nach meinem Körper unter prachtvollen Lichterscheinungen erfolgte. Was es mit dem Ausdruck "Ablauf der Weltuhren" für eine Bewandtniß hatte, vermag ich nicht zu sagen; es hieß, die ganze Menschheit würde wiederkehren, nur zwei nicht, nämlich ich selbst und der bereits im Kapitel V genannte Jesuitenpater S. Von diesem Zeitpunkte ab scheint dasjenige Verhältniß seinen Anfang genommen zu haben, das mir seitdem zu Hunderten und Tausenden Malen als "die verfluchte Menschenspielerei" bezeichnet worden ist. Ich habe Grund anzunehmen, daß seitdem das ganze Menschheitsgetriebe in einem Umfange, den ich bei den mir hinsichtlich meines Aufenthalts auferlegten Beschränkungen nicht vollständig zu übersehen vermag, nur noch künstlich im Wege unmittelbarer göttlicher Wunder aufrechterhalten wird. In meiner Nähe ist dies sicher der Fall, ich empfinde jedes Wort, das mit mir oder sonst in meiner Nähe gesprochen wird, jeden Schritt eines Menschen den ich höre, jeden Pfiff einer Eisenbahn, jeden Böllerschuß, der etwa bei Vergnügungsfahrten von Dampfern abgegeben wird usw., zugleich mit einem gegen meinen Kopf geführten Streiche, der in demselben eine mehr oder minder schmerzhafte Empfindung hervorruft, schmerzhafter, wenn Gott sich in größere Entfernung zurückgezogen hat, minder schmerzhaft, wenn er in größerer Nähe liegt. Ich vermag fast mit unfehlbarer Sicherheit vorauszusagen, wann eine solche Lebensäußerung eines Menschen in meiner Nähe, die dann "Störung" genannt und von mir als Streich empfunden wird, erfolgen muß, nämlich allemal dann, wenn das in meinem Körper vorhandene Wollustgefühl eine so starke Anziehungskraft auf die Gottestrahlen gewonnen hat, daß man, um sich wieder zurückziehen zu können, einer solchen "Störung" bedarf. Bis auf welche Entfernung dieses Aufziehen anderer Menschen durch göttliche Wunder, wenn ich diesen Ausdruck brauchen darf, stattfindet, vermag ich nicht zu sagen. Ich komme auf das ganze Verhältniß im weiteren Verlaufe noch des Näheren zurück. 

Was die Veränderungen am Sternhimmel betrifft, so bin ich jetzt der Meinung, daß die Nachrichten über den Verlust des oder jenes Sternes, des oder jenen Sternbildes (vergl. Kap. VI.) sich nicht auf die Sterne selbst bezogen haben — diese sehe ich ja nach wie vor am Himmel — sondern nur auf die unter den betreffenden Sternen angesammelten Seligkeiten. Diese aber sind sicher vollständig aufgezehrt worden, d. h. die betreffenden Nerven in Folge der Anziehungskraft in meinem Körper aufgegangen, in welchem sie dann den Charakter weiblicher Wollustnerven angenommen und meinem Körper auch sonst ein mehr oder weniger weibliches Gepräge, insbesondere meiner Haut die dem weiblichen Geschlechte eigenthümliche Weichheit verliehen haben. Dagegen ist auf der anderen Seite für mich gewiß, daß Gott, der früher in ungeheuerer Entfernung von der Erde lagerte, genöthigt worden ist, sich näher an die Erde heranzuziehen, die damit in früher nie gekannter Weise zum unmittelbaren und andauernden Schauplatz göttlicher Wunder geworden ist. Vor allen Dingen konzentriren sich diese Wunder auf meine Person und meine Umgebung. Belege für diese Behauptung, soweit sie sich nicht schon aus dem Bisherigen ergaben, gedenke ich noch später beizubringen. An dieser Stelle will ich vorläufig nur bemerken, daß die damit eingetretene Veränderung, eben weil sie der Weltordnung widerspricht, mit gewissen Uebelständen für Gott selbst verknüpft und möglicher Weise auch sonst von verhängnißvollen Folgen begleitet gewesen ist. Von Strahlen, die die heilige Ruhe gewöhnt waren, wie sie etwa auf den höchsten Berggipfeln der Erde zu herrschen pflegt, wird es nämlich unangenehm und mit einer Art schreckhafter Wirkung empfunden, daß sie nunmehr an allen meinen Gehörseindrücken, z. B. dem Geräusch der Eisenbahnen theilnehmen müssen. Ich habe ferner Grund, anzunehmen, daß die Sonnenausstrahlung seit dem angegebenen Zeitpunkte (oder vielleicht etwa 1/4 Jahr später, worüber weiter unten das Nähere) unmittelbar von Gott und zwar von dem niederen Gott ("Ariman") übernommen worden ist; dieser wird jetzt (seit Juli 1894) von den zu mir redenden Stimmen mit der Sonne geradezu identifiziert. Der obere Gott ("Ormuzd") hat sich noch in größerer, vielleicht immer noch kolossaler Entfernung gehalten; ich sehe das Bild desselben als eine kleine, sonnenähnliche Scheibe, die vermöge ihrer Winzigkeit jedoch fast einem bloßen Punkte gleicht, in kurzen Zwischenräumen im Innern meines Kopfes auf den Nerven desselben erscheinen. Vielleicht ist es also gelungen, außer unserm an der Sonne (Ariman) erleuchteten und erwärmten Planetensystem noch ein zweites Planetensystem zu erhalten, auf dem der Fortbestand der Schöpfung durch die von dem oberen Gott (Ormuzd) ausgehende Licht- und Wärmeausstrahlung ermöglicht wird. Dagegen ist es mir mindestens sehr zweifelhaft, ob nicht die Bewohnerschaft aller anderen Weltkörper, auf denen, als zu andern Fixsternen gehörig, sich etwa ein organisches Leben entwickelt hatte, dem Untergange hat geweiht werden müssen. 

Der Zeit, während deren ich dauernd im Bette festgehalten worden war, folgte gegen das Ende meines Aufenthalts in der Flechsig‘schen Anstalt eine Zeit, in der wieder regelmäßige Spaziergänge im Garten derselben stattfanden. Dabei nahm ich allerhand wunderbare Dinge wahr. Daß ich zwei Sonnen zugleich am Himmel zu sehen geglaubt habe, ist schon oben erwähnt worden. Eines Tages stand der ganze Garten in einem so üppigen Blumenflor, daß das Bild der Erinnerungen, die ich aus der ersten Zeit meiner Krankheit von dem Garten der Universitäts-Nervenklinik, einer überaus schmucklosen Anlage, hatte, nur sehr wenig entsprach, die Erscheinung wurde als Flechsig‘sches Wunder bezeichnet. Ein anderes Mal waren in einem ungefähr in der Mitte des Gartens gelegenen Pavillon eine Anzahl Damen anwesend, die Französisch sprachen, ein in dem Garten der Männerabtheilung einer öffentlichen Heilanstalt für Geisteskranke gewiß sehr merkwürdiger Vorgang. Die wenigen Patienten, die in dem Garten außer mir zuweilen erschienen, machten alle einen mehr oder minder abenteuerlichen Eindruck, in dem einen derselben glaubte ich einmal einen Verwandten von mir, den Mann einer meiner Nichten, den jetzigen Professor Dr. F. in K. zu erkennen, der mich scheu ansah, ohne jedoch ein Wort mit mir zu sprechen. Ich selbst kam mir, wenn ich mit einem schwarzen Mantel und einem schwarzen Klapphut auf einem Feldstuhl im Garten saß, wie ein steinerner Gast vor, der aus längst vergangenen Zeiten in eine fremde Welt zurückgekehrt sei. 

Eine sehr bemerkenswerthe Veränderung hatte sich inzwischen mit meinem Schlafe vollzogen. Während in den ersten Monaten des Jahres 1894 mir nur mit dea stärksten Schlafmitteln (Chloralhydrat) Schlaf und auch damit zum Theil nur mangelhaft hatte verschafft werden können und dann noch für einige Nächte Morphiuminjektionen gemacht worden waren, fielen in der letzten Zeit meines Aufenthaltes in der Flechsig‘schen Anstalt wohl mehrere Wochen — alle Schlafmittel weg. Ich schlief — wenn auch zum Theil unruhig und stets unter mehr oder minder aufregenden Visionen — ohne alle künstlichen Mittel: mein Schlaf war Strahlenschlaf geworden. Strahlen haben nämlich unter Anderen auch nervenberuhigende und schlafmachende Wirkung. Diese Behauptung wird um so glaubhafter erscheinen, als schon der gewöhnlichen Sonnenausstrahlung eine ähnliche Wirkung, wenngleich in ungleich schwächerem Grade, beizumessen ist. Jeder Psychiater weiß, daß die Nervenerregung bei Nervenkranken in der Nacht erheblich zunimmt, am Tage aber, namentlich in den späteren Vormittagsstunden, nach mehrstündiger Einwirkung des Sonnenlichts eine wesentliche Beruhigung einzutreten pflegt. In ungleich höherem Grade ergiebt sich dieser Erfolg, wenn der Körper, wie in meinem Falle, unmittelbare göttliche Strahlen empfängt. Zur Herstellung des Schlafes ist dann nur eine verhältnißmäßig geringe Menge von Strahlen erforderlich; nur müssen, seit es außer den eigentlichen göttlichen Strahlen auch noch abgeleitete (d. h. von unreinen oder geprüften Seelen geführte Flechsigsche usw.) Strahlen giebt, alle diese Strahlen vereinigt sein. Ist dies der Fall, so verfalle ich alsbald in Schlaf. Als ich diese Erscheinung in der letzten Zeit meines Aufenthalts in der Flechsig‘schen Anstalt wahrnahm, war ich nach deti außerordentlichen Schwierigkeiten, mit denen mir bis dahin nur Schlaf hatte bereitet werden können, zunächst aufs Höchste verwundert; erst im Laufe der Zeit bin ich mir über den Grund der Erscheinung klar geworden. 

An meinem Körper wurden, abgesehen von den schon mehrfach erwähnten Veränderungen an meinem Geschlechtstheile, im Laufe der Zeit allerhand Krankheitssymptome völlig ungewöhnlicher Art bemerkbar. Ich muß bei Besprechung derselben noch einmal auf die bereits in den vorhergehenden Kapiteln erwähnte Vorstellung eines Weltuntergangs zurückkommen, den ich nach den mir zu Theil gewordenen Visionen entweder für noch bevorstehend hielt oder bereits der Vergangenheit angehörig glaubte. Ueber die Art und Weise, wie sich derselbe vollzogen haben mochte, hatte ich mir je nach den Eingebungen, die ich erhielt, verschiedene Ansichten gebildet. In erster Linie dachte ich immer an eine Verminderung der Sonnenwärme durch größere Entfernung der Sonne und eine damit eingetretene mehr oder weniger allgemeine Vereisung. In zweiter Linie dachte ich an Erdbeben oder dergleichen, wobei ich nicht unerwähnt lassen will, daß mir einmal die Mittheilung gemacht worden ist, das große Erdbeben von Lissabon im Jahre 1755 habe mit einem dem meinigen ähnlichen Falle eines Geistersehers in Zusammenhang gestanden. Ferner stellte ich mir als Möglichkeit vor, die Kunde, daß sich auf einmal in der modernen Welt so etwas wie ein Zauberer in der Person des Professor Flechsig aufgethan habe und ich als eine doch immerhin in weiteren Kreisen bekannte Persönlichkeit plötzlich verschwunden sei, habe Furcht und Schrecken unter den Menschen verbreitet, die Grundlagen der Religion zerstört und das Umsichgreifen einer allgemeinen Nervosität und Unsittlichkeit verursacht, in deren Folge dann verheerende Seuchen über die Menschheit hereingebrochen seien. Diese letztere Vorstellung wurde namentlich dadurch begünstigt, daß längere Zeit hindurch von zwei in Europa kaum noch bekannten Krankheiten, der Lepra und der Pest, die Rede war, die in der Menschheit um sich gegriffen haben sollten und von denen sich Spuren auch an meinem eigenen Körper zeigten. Von der Lepra will ich letzteres nicht ganz bestimmt behaupten; wenigstens könnte es sich dabei nur um geringe Ansätze dieser Krankheit gehandelt haben, da ich eine sichere Erinnerung an einzelne derselben angehörige Symptome nicht besitze. Immerhin habe ich die Namen der verschiedenen Formen, in denen die "Lepra" aufgetreten sein sollte, im Gedächtnis behalten. Es wurden genannt die "Lepra onientalis", die "Lepra indica", die "Lepra hebraica" und die "Lepra aegyptiaca". Als Laie in der Medicin habe ich diese Ausdrücke früher nie vernommen, weiß auch nicht, ob sie den in der medicinischen Wissenschaft angenommenen technischen Bezeichnungen für die betreffenden Krankheitsformen entsprechen. Ich erwähne dieselben an gegenwärtiger Stelle zugleich zur Widenlegung der Annahme, als ob es sich bei mir um bloße mir von meinen eigenen Nerven vorgegaukelte Sinnestäuschungen handele; denn wie sollte ich, ohne jegliche eigene Kenntniß von Abarten der genannten Krankheit, von selbst auf derartige Ausdrücke verfallen sein? Dafür, daß bei mir irgend welche Keime der Lepra vorhanden gewesen sein müssen, spricht der Umstand, daß ich eine Zeit lang veranlaßt wurde, gewisse seltsam klingende Beschwörungsformeln auszusprechen, wie: "Ich bin die erste Lepraleiche und führe eine Lepraleiche" — Beschwörungsformeln, die, soweit ich verstanden habe, damit zusammenhingen, daß die an der Lepra Erkrankten sich als dem sicheren Tode verfallen zu betrachten und einander beim Eingraben in die Erde zur Herbeiführung eines mindestens erträglichen Todes behülflich zu sein hatten. Dagegen habe ich der Pest angehörige Krankheitserscheinungen an meinem Körper zu verschiedenen Malen in ziemlich starken Andeutungen gehabt. Es handelte sich hier um verschiedene Formen der Pest: die blaue Pest, die braune Pest, die weiße Pest und die schwarze Pest. Die weiße Pest war die ekelhafteste dieser Formen; die braune und die schwarze Pest waren mit Ausdünstungen des Körpers verbunden, die bei der ersteren einen leimartigen, bei der letzteren einen rußartigen Geruch verbreiteten; bei der schwarzen Pest waren dieselben einige Male so stark, daß mein ganzes Zimmer davon erfüllt war. Von der braunen Pest habe ich noch in der ersten Zeit meines Aufenthalts in der hiesigen Anstalt, im Sommer 1894, schwache Spuren bemerkt. Die Pest galt den Seelen als eine Nervenkrankheit, demnach als eine "heilige Krankheit"; ob sie mit der jetzt ab und zu wohl vorkommenden Beulenpest irgend eine Verwandtschaft hatte, weiß ich nicht. Immerhin verblieb es auch hinsichtlich der Pest bei mehr oder weniger starken Andeutungen, zu einer vollkommenen Entwickelung der Krankheitsbilder kam es nicht. Der Grund lag darin, daß die Krankheitserscheinungen durch nachfolgende reine Strahlen immer wieder beseitigt werden mußten. Man unterschied nämlich "sehrende" und "segnende" Strahlen; die ersteren waren mit Leichengift oder irgend einem anderen Fäulnißstoff beladen und trugen also irgend einen Krankheitskeim in den Körper hinein oder brachten eine sonstige zerstörende Wirkung in demselben hervor. Die segnenden (reinen) Strahlen heilten den Schaden wieder, den jene angerichtet hatten. 

Andere Vorgänge an meinem Körper hatten einen noch engeren Zusammenhang mit übersinnlichen Dingen. Bereits in den früheren Kapiteln ist bemerkt worden, daß die Strahlen (Gottesnerven), welche der Anziehung unterlagen, dieser nur widerwillig folgten, weil dieselbe zu einem Verluste der eigenen Existenz führte, also dem Selbsterhaltungstriebe wiedersprach. Man suchte daher immer die Anziehung wieder aufzuheben, m. a. W. von meinen Nerven wieder loszukommen. Das einzige durchgreifende Mittel zu diesem Zwecke wäre die Heilung meiner Nervenkrankheit durch Verschaffung ausgiebigen Schlafs gewesen. Hierzu konnte man sich aber nicht oder wenigstens nicht konsequent entschließen, weil dies nur im Wege selbstverleugnender Aufopferung der jedesmal zunächst betheiligten Strahlen möglich gewesen wäre, zu der eben die Fähigkeit oder die Entschiedenheit des Willens nicht vorhanden war. 

Man versuchte es daher im Laufe der Zeit mit allen erdenklichen anderen Mitteln, die sich aber der Natur der Sache nach sämmtlich als durchaus ungeeignet erwiesen. Immer war hierbei die Vorstellung maßgebend, mich "liegen zu lassen", d. h. zu verlassen, was man in der Zeit, von der ich jetzt handele, durch Entmannung und Preisgebung meines Körpers als den einer weiblichen Dirne, ab und zu wohl auch durch Tödtung und später durch Zerstörung meines Verstandes (Blödsinnigmachen) erreichen zu können glaubte. 

Hinsichtlich der Entmannungsbestrebungen machte man aber bald die Erfahrung, daß die allmähliche Anfüllung meines Körpers mit Wollust-(weiblichen) Nerven gerade umgekehrt wirkte, die dadurch in meinem Körper entstehende sogenannte "Seelenwollust" die Anziehungskraft vielmehr erhöhte. Man setzte mir daher in jener Zeit zu oft wiederholten Malen "Skorpione" in den Kopf, winzige krebs- oder spinnenartige Gebilde, die in meinem Kopf irgendwelche Zerstörungsarbeit verrichten sollten. Dieselben hatten Seelencharakter, waren also sprechende Wesen; man unterschied nach der Stelle, von der sie ausgegangen waren, "arische" und "katholische" Skorpione; die ersteren waren etwas größer und kräftiger. Diese Skorpione zogen sich aber regelmäßig aus meinem Kopfe wieder heraus, ohne mir Schaden zu thun, als sie die Reinheit meiner Nerven und die Heiligkeit meiner Gesinnung wahrnahmen — einer der zahllosen Triumphe, die ich in ähnlicher Weise auch später noch vielfach erlebt habe. Man suchte ferner, eben weil die Heiligkeit meiner Gesinnung eine zu große Anziehungskraft auf die Seelen ausübte, meine geistige Individualität in der verschiedenartigsten Weise zu verfälschen. Die "Jesuiten" d. h. wohl abgeschiedene Seelen früherer Jesuiten, bemühten sich wiederholt, mir einen anderen "Bestimmungsnerven" in den Kopf zu setzen, durch den mein Identitätsbewußtsein verändert werden sollte; man überzog meine innere Schädelwand mit einer anderen "Gehirnmembran", um die Erinnerung an mein eigenes Ich in mir auszulöschen. Alles ohne irgendwelchen nachhaltigen Erfolg. Man versuchte endlich meine Nerven zu schwärzen, indem man mir die geschwärzten Nerven andrer (verstorbener) Menschen in den Körper hereinwunderte, vermuthlich in der Annahme, daß sich die Schwärze (Unreinheit) dieser Nerven meinen eigenen Nerven mittheilen würde. In Betreff dieser geschwärzten Nerven will ich einige Namen nennen, deren Träger sich sämmtlich in der "Flechsig‘schen Hölle" befunden haben sollten, was mich auf die Annahme leitet, daß Professor Flechsig über die betreffenden Nerven irgendwelche Verfügungsgewalt besessen haben muß. Es waren darunter ein gewisser Bernhard Haase — nur zufällig mit einem entfernten Verwandten von mir namensidentisch — ein schlechter Kerl, der irgendwelche Verbrechen, Mordthaten oder dergleichen sich sollte haben zu Schulden kommen lassen; ferner ein gewisser R. ein Studiengenosse und Verbindungsbruder von mir, der, weil er nicht gut gethan und ein ziemlich dissolutes Leben geführt hatte, nach Amerika gegangen war, und dort meines Wissens im dortigen Sezessionskriege 1864 oder 1865 gefallen ist; endlich ein gewisser Julius Emil Haase; dieser machte ungeachtet seiner geschwärzten Nerven den Eindruck einer sehr ehrenwerten Persönlichkeit. Er war wohl zur Zeit des Frankfurter Attentats alter Burschenschafter und dann praktischer Arzt, wenn ich recht vernommen habe, in Jena gewesen. An dem zuletzt erwähnten Falle war besonders interessant, daß die Seele dieses Julius Emil Haase vermöge der in ihrem Leben erlangten wissenschaftlichen Erfahrung mir sogar noch gewisse medizinische Rathschläge zu ertheilen in de Lage war; auch in Betreff der Seele meines Vaters war dies, wie ich bei dieser Gelegenheit nachtragen will, in gewissem Maße der Fall gewesen. Irgendwelcher dauernde Erfolg ergab sich aus der Anwesenheit der geschwärzten Nerven in meinem Körper nicht; sie verloren sich mit der Zeit, ohne an der Beschaffenheit meiner eigenen Nerven etwas zu ändern. 

Noch manche wunderbare Dinge könnte ich aus der Zeit meines Aufenthalts in der Flechsig‘schen Anstalt erzählen. Ich könnte von Vorgängen erzählen, auf Grund deren ich annehmen darf, daß der Volksglaube, wonach Irrlichter abgeschiedene Seelen sind, in vielen Fällen, wenn nicht in allen Fällen Wahrheit ist; ich könnte erzählen von "Wandeluhren", d. h. den Seelen abgeschiedener Ketzer, die in mittelalterlichen Klöstern Jahrhunderte lang unter Glasglocken aufbewahrt worden sein sollen (wobei auch so etwas wie Seelenmord mituntergelaufen) und die Fortdauer ihres Lebens durch eine mit unendlich eintönig traurigem Gesumme verbundene Vibrirung bekundeten (ich selbst habe den Eindruck im Wege des Nervenanhangs empfunden) usw. usw. Ich will aber, um nicht zu weitläufig zu werden, meinen Bericht über meine Erlebnisse und Erinnerungen aus der Zeit meines Aufenthalts in der Flechsig‘schen Anstalt hiermit abschließen. 

8. Kapitel - Persönliche Erlebnisse während des Aufenthalts in der Dr. Pierson‘schen Anstalt. "Geprüfte Seelen" 

Aus dem vorstehend Erzählten geht hervor, daß ich in den letzten Monaten meines Aufenthalts in der Flechsig‘schen Anstalt unter dem Eindruck der verschiedenartigsten Befürchtungen stand hinsichtlich irgendwelcher Gefahren, die meinem Körper oder meiner Seele aus dem unlösbar gewordenen Strahlenverkehr zu drohen schienen und die zum Theil auch schon eine recht greifbare Gestalt angenommen hatten. Am verabscheuungswürdigsten erschien mir die Vorstellung, daß mein Körper nach der beabsichtigten Verwandlung in ein weibliches Geschöpf irgend welchem geschlechtlichen Mißbrauch unterliegen sollte, zumal eine Zeitlang sogar davon die Rede war, daß ich zu diesem Zwecke den Wärtern der Anstalt vorgeworfen werden sollte. Im Uebrigen spielte die Befürchtung vom "Liegengelassenwerden" eine Hauptrolle, sodaß ich eigentlich jeden Abend mit dem Zweifel in das Bett meiner Zelle ging, ob sich die Thür der letzteren am nächsten Morgen überhaupt wieder öffnen werde; auch das nächtliche Herausholen aus der Zelle zu einer mitten in der Nacht auszuführenden Ertränkung war ein Schreckbild, mit dem meine Einbildungskraft nach dem, was die Stimmen mit mir redeten, sich beschäftigte und beschäftigen mußte. 

Als daher eines Tages (etwa Mitte Juni 1894) am frühen Morgen drei Wärter mit einem Handkoffer, in welchem meine wenigen Effekten verpackt waren, in meiner Zelle erschienen, und mir ankündigten, daß ich mich zur Abreise aus der Anstalt fertig machen sollte, hatte ich zunächst nur den Eindruck der Befreiung aus einem Aufenthalt, in welchem mir eine unbestimmte Menge von Gefahren drohte. Ich wußte nicht, wohin die Reise gehen sollte, erachtete es auch nicht der Mühe werth, danach zu fragen, weil ich die genannten Wärter überhaupt nicht für Menschen, sondern für "flüchtig hingemachte Männer« hielt. Das Ziel der Reise erschien mir gleichgiltig; ich hatte nur das eine Gefühl, daß es mir schlechter an keinem Ort der Welt ergehen könne, als es mir in der Flechsig‘sehen Anstalt ergangen war, und daß daher jede Veränderung höchstens nur eine Verbesserung bedeuten könne. Ich fuhr in Begleitung der drei Wärter in einer Droschke nach dem Dresdener Bahnhof ab, ohne den Professor Flechsig noch einmal gesehen zu haben. Die Straßen der Stadt Leipzig, durch die wir fuhren, namentlich die Fahrt über den Augustusplatz, machten mir einen merkwürdig fremdartigen Eindruck; sie waren, soviel ich mich erinnere, vollständig menschenleer. Es kann dies an der frühen Morgenstunde und der dieser eigentümlichen Beleuchtung gelegen haben; wahrscheinlich ist der von mir benutzte Eisenbahnzug der etwa 1/2 6 Uhr morgens abgehende Personenzug gewesen. Ich war aber damals, nachdem ich Monate lang inmitten von Wundern gelebt hatte, mehr oder weniger geneigt, alles, was ich sah, für Wunder zu halten. Ich wußte also nicht, ob ich nicht etwa auch die Straßen der Stadt Leipzig, durch die ich fuhr, nur für Theatercoulissen halten sollte, in der Art etwa, wie sie der Fürst Potemkin der Kaiserin Katharina II. von Rußland bei ihren Reisen durch das öde Land vorgeführt haben soll, um ihr den Eindruck einer blühenden Landschaft zu verschaffen. Auf dem Dresdener Bahnhof sah ich allerdings eine größere Anzahl von Menschen, die den Eindruck von Eisenbahnpassagieren machten. Wenn man aber vielleicht meint, daß ich durch die Fahrt nach dem Bahnhof und die sich daran anschließende Eisenbahnfahrt von der Vorstellung einer großen, mit der Menschheit vorgegangenen Veränderung schon damals gründlich hätte befreit werden sollen, so muß ich einhalten, daß mich an meinem neuen Bestimmungsort alsbald wieder eine neue Wunderwelt mit so abenteuerlichen Erscheinungen umgab, daß die Eindrücke der Reise alsbald wieder verwischt wurden oder mir wenigstens Zweifel blieben, wie ich dieselben deuten sollte. Die Eisenbahnfahrt ging mit einer, nach meinem Gefühl wenigstens, für einen Personenzug ungewöhnlichen Geschwindigkeit vor sich; meine Stimmung in der damaligen Zeit war derart, daß ich jeden Augenblick bereit gewesen wäre, mich (wenn es verlangt worden wäre) auf die Eisenbahnschienen zu legen oder, bei der Fahrt über die Elbe, ins Wasser zu springen. Nach mehrstündiger Fahrt verließen wir die Eisenbahn auf einer Station, die, wie ich später erfahren habe, Coswig gewesen sein soll; dort wurden wir von einem Geschirr aufgenommen, das uns in etwa halbstündiger Fahrt nach meinem neuen Bestimmungsort führte. Wie ich ebenfalls erst nach Jahren vernommen habe, soll es die Dr. Pierson‘sche Privatheilanstalt für Geisteskranke gewesen sein; damals lernte ich die Anstalt nur unter der mir von den Stimmen genannten Bezeichnungen als "Teufelsküche" kennen. Auf dem Kutschbock des Geschirrs hatte der zur Abholung miterschienene Oberwärter der Anstalt Platz genommen, der, soviel ich mich erinnere, Marx genannt wurde und auf dessen in irgendwelcher Weise vorhanden gewesene Identität mit der von W.‘schen Seele ich nunmehr bald zu sprechen kommen werde. Die Anstalt selbst, ein verhältnißmäßig kleines Gebäude inmitten einer schönen Parkanlage gelegen, machte den Eindruck völliger Neuheit. Es schien eben alles erst fertig geworden zu sein; die Lackfarben auf den Stufen der Treppen waren noch nicht einmal völlig trocken. Die drei Wärter der Flechsig‘schen Anstalt, die mich begleitet hatten, zogen sich alsbald zurück, sodaß ich sie nicht wieder erblickt habe. Ich hatte Zeit, mich in meinem neuen Aufenthaltsorte umzusehen. 

Die Zeit, welche ich in der Pierson‘schen Anstalt verbracht habe, war diejenige Zeit, in welcher nach meinem Urtheil der tollste Wunderunfug getrieben wurde. Denn als Unfug kann mir doch nur alles Wundern erscheinen, welches nicht ein Schaffen zu dauernden vernünftigen Zwekken ist, sondern leere Spielerei, wennschon sie vielleicht den Strahlen eine vorübergehende Unterhaltung gewähren mag. In keiner anderen Zeit wurde das Setzen von "flüchtig hingemachten Männern" so verschwenderisch betrieben, wie damals. Die Gründe, worauf ich diese Behauptung stütze, werden sich aus dem Folgenden ergeben. 

Ich beginne zunächst mit der Schilderung meiner äußeren Lebensverhältnisse, wie sie sich an meinem neuen Aufenthalt gestalteten. Ein bestimmtes Wohnzimmer war mir nicht angewiesen. Den Tag über hielt ich mich meist in dem allgemeinen Gesellschafts- oder Speisezimmer auf, in dem ein fortwährender Ab- und Zugang anderer angeblicher Patienten der Anstalt erfolgte. Zu meiner besonderen Ueberwachung schien ein Wächter angestellt zu sein, in dem ich nach einer vielleicht zufälligen Aehnlichkeit den Diener des Oberlandesgerichts wiederzuerkennen glaubte, der mir während meiner sechswöchigen Berufsthätigkeit in Dresden die Akten ins Haus gebracht hatte; ich werde denselben, da ich seinen Namen nicht erfahren habe, als den "Oberlandesgenichtsdiener" bezeichnen. Natürlich hielt ich denselben, wie alle anderen Menschengestalten, die ich sah, nur für "flüchtig hingeniacht". Ich kann mich auch jetzt noch nicht von der Irrigkeit dieser Annahme überzeugen, da ich mich z. B. bestimmt zu erinnern glaube, daß ich diesen "Oberlandesgenichtsdiener", der in dem selben Schlafzimmer, wie ich, in einem anderen Bett schlief, mehr als einmal an den damaligen hellen Junimorgen im Bett habe alle werden, d. h. allmählich verschwinden sehen, sodaß das Bett desselben dann leer war, ohne daß ich ein Aufstehen desselben und ein Oeffnen der Thür zum Verlassen des Zimmers bemerkt hätte. Der "Oberlandesgenichtsdiener" hatte übrigens auch die Gewohnheit, hin und wieder meine eignen Kleidungsstücke anzuziehen. Als angeblicher ärztlicher Leiter der Anstalt erschien zuweilen — meist in den Abendstunden — ein Herr, der mich wiederum nach einer gewissen Aehnlichkeit an den in Dresden von mir konsultirten Dr. med. O. erinnerte; die Unterhaltung dieses Herrn, der immer in Begleitung des noch näher zu beschreibenden Oberwärters erschien und in dem ich also jetzt den Dr. Pierson vermuthen müßte, beschränkte sich regelmäßig auf wenige nichtssagende Worte. Den Garten der Anstalt, die oben erwähnte Parkanlage habe ich nur ein einziges Mal und zwar gleich am Tage meiner Ankunft zu einem etwa einstündigen Spaziergang betreten; ich sah bei demselben einige Damen, darunter die Frau Pastor W. aus Fr. und meine eigene Mutter, sowie einige Herren, darunter den Oberlandesgerichtsrath K. aus Dresden, letzteren allerdings mit unförmlich vergrößertem Kopf. Wenn ich auch versuchen wollte, mir jetzt einzureden, daß ich dabei nur durch flüchtige Aehnlichkeiten der äußeren Erscheinung getäuscht worden sei, so reicht dies doch zur Erklärung der damals empfangenen Eindrücke für mich nicht aus, da ich das Vorkommen solcher Aehnlichkeiten in zwei oder drei Fällen allenfalls verständlich finden könnte, nicht aber die Thatsache, daß, wie aus dem Folgenden hervorgehen wird, fast das ganze Patientenpublikum der Anstalt, sonach mindestens mehrere Dutzende von Menschen das Gepräge von Persönlichkeiten trug, die mir im Leben mehr oder weniger nahe gestanden hatten. 

Nach jenem einzigen Spaziergang in den eigentlichen Garten fand ein Aufenthalt im Freien — wohl jeden Vor- und Nachmittag auf ein bis zwei Stunden — nur noch in dem oben erwähnten Hofraum oder "Pferche" statt, einem etwa 50 Meter im Geviert haltenden, von Mauern eingeschlossenen, öden Sandplatz ohne jeden Busch oder Strauch und ohne jede Sitzgelegenheit bis auf ein oder zwei Holzbänke der allerprimitivsten Art. In diesen Pferch wurden jedesmal zugleich mit mir 40 - 50 Menschengestalten getrieben, die ich nach ihrer ganzen Erscheinung unmöglich für den wirklichen Patientenbestand einer Privatheilanstalt für Geisteskranke halten konnte und noch jetzt halten kann. In derartigen Privatanstalten pflegen doch im allgemeinen nur wohlhabendere Patienten, und eigentliche Demente oder tiefer verblödete Kranke nur ganz ausnahmsweise Aufnahme zu finden. Hier sah ich aber lauter abenteuerliche Gestalten, darunter verrußte Kerle in Leinwandkitteln. Fast alle verhielten sich durchaus schweigsam und nahezu regungslos; nur einige wenige pflegten ab und zu gewisse abgerissene Laute auszustoßen, darunter ein Herr, den ich für den Oberlandesgerichtsrath W. hielt, und der fortwährend nach einem Fräulein Hering rief. Nie habe ich bei diesen Aufenthalten in dem "Pferch" oder auch im Innern der Anstalt eine Unterhaltung der angeblichen Patienten untereinander gehört, die auch nur annähernd den Charakter eines vernünftigen Gesprächs gehabt hätte, wie es in Privatanstalten unter leichteren Kranken geführt zu werden pflegt. Sie erschienen bei dem Eintritt in das Gesellschaftszimmer, Einer nach dem Andern, völlig lautlos und entfernten sich ebenso lautlos aus demselben wieder, ohne, wie es schien, gegenseitig von einander Notiz zu nehmen. Dabei habe ich wiederholt mit angesehen, daß Einzelne von ihnen während ihres Aufenthalts im Gesellschaftszimmer die Köpfe wechselten, d. h. ohne daß sie das Zimmer verlassen hätten und während meiner Beobachtung auf einmal mit einem anderen Kopfe herumliefen. Die Zahl der Patienten, die ich im Pferch und in dem Gesellschaftszimmer theils (namentlich in dem ersteren) gleichzeitig, theils nacheinander erblickte, stand in gar keinem Verhältnisse zu der Größe der Anstaltsräumlichkeiten, soweit dieselbe meiner Wahrnehmung zugänglich war. Es war und ist nach meiner Ueberzeugung geradezu unmöglich, daß die 40 - 50 Personen, welche gleichzeitig mit mir in den Pferch getrieben wurden und auf das zur Rückkehr gegebene Signal jedesmal wieder nach der Thür des Hauses drängten, in dem letzteren alle Lagerstätten für die Nacht hätten finden können; ich war daher damals und bin noch jetzt der Meinung, daß ein größerer oder geringerer Theil derselben immer draußen bleiben mußte, um sich dann als das, was sie waren, nämlich "flüchtig hingemachte Männer" in kurzer Zeit aufzulösen. 

In dem ersten Stockwerk der Anstalt, das ich bewohnte, waren, wenn es hoch kommt, überhaupt nur 4 bis 6 Betten vorhanden; das Erdgeschoß, welches ich beim Ausgang nach dem Pferch und bei der Rückkehr aus demselben jedesmal passieren mußte, wimmelte meist von Menschengestalten, hätte aber, selbst wenn etwa ein gemeinschaftlicher Schlafsaal vorhanden war, schwerlich mehr als 10 bis 12 Menschen Unterkommen für die Nacht bieten können. Und dabei hätten doch alle die 40 bis 50 Besucher des Pferchs sämmtlich mehr oder weniger Demente sein müssen, da man leichtere und für ihre Umgebung ungefährliche Kranke schwerlich in diesen öden Pferch gesperrt und ihnen den Genuß eines Spaziergangs in dem thatsächlich vorhandenen Anstaltsgarten — der oben erwähnten Parkanlage — vorenthalten haben würde. Von den mir aus dem Pferch erinnerlidien Gestalten will ich nennen den Dr. Rudolph I. aus Leipzig, einen Vetter meiner Frau, der sich bereits 1887 erschossen hatte; die Aehnlichkeit war bis auf etwas geringere Körpergröße so frappant, daß ich einen Zweifel hinsichtlich der Identität für ausgeschlossen halten muß. Derselbe lief fortwährend mit einem Stoße Zeitungs- oder anderem Papier herum, das er aber lediglich benutzte, um sich auf den harten Holzbänken eine weichere Unterlage zu verschaffen; ferner den Oberstaatsanwalt B., der fortwährend eine gebückt-devote, gleichsam betende Haltung einnahm, in welcher er regungslos verharrte. Einige der Anwesenden wurden mir von den Stimmen als die Gestalten bezeichnet, in denen sich "rücksichtlich des Bestimmenden 4ter und 5ter" (zu ergänzen ein Wort wie "Dimension", das ich nicht deutlich verstanden habe) und seine unterirdischen Antipoden (die verrußten Kerle in Leinwandkitteln "gesetzt" (verkörpert) hätten. Im Innern der Anstalt habe ich u. A. gesehen den Geh. Rath Dr. W. Diesen in zwiefacher Gestalt, einer vollkommeneren und nur mehr herabgekommenen, welche ihm ins der Seelenwanderung verliehen worden sein sollte, ferner den Senatspräsidenten Dr. F., den Oberlandesgerichtsrath Dr. M., den Rechtsanwalt W. aus Leipzig (ein Jugendfreund von mir), meinen Neffen Fritz usw. In einem Herrn, den ich schon bei meiner Ankunft auf dem Bahnhof zu Coswig auf- und abgehend, gleichsam jemand suchend bemerkt zu haben meinte, glaubte ich einen Herrn von O. aus Mecklenburg, eine flüchtige Reisebekanntschaft von Warnemünde her, wiederzuerkennen. Das Zimmer desselben war ganz mit sonderbaren, meist roth gefärbten Bildern (auf Papier) ausgeschlagen und von demjenigen eigenthümlichen Geruch erfüllt, den ich bereits im Kapitel 1 als den Teufelsgeruch bezeichnet habe. Meinen Schwiegervater habe ich einmal vom Fenster aus auf dem nach der Anstalt führenden Zugangswege bemerkt; von ihm habe ich übrigens auch um dieselbe Zeit eine Anzahl Nerven im Leibe gehabt, an deren Verhalten im Wege der Nervenanhangsunterhaltung ich durchaus die Sinnesart meines Schwiegervaters wiedererkannte. 

Es wurde nicht nur an Menschengestalten, sondern auch an leblosen Gegenständen gewundert. So skeptisch ich mich auch jetzt bei Prüfung meiner Erinnerungen zu verhalten suche, so kann ich doch gewisse Eindrücke aus meinem Gedächtnisse nicht verwischen, nach denen auch Kleidungsstücke auf dem Leibe der von mir gesehenen Menschen, die Speisen auf meinem Teller während des Essens (z. B. Schweinsbraten in Kalbsbratens oder umgekehrt) verwandelt wurden etc. Eines Tages sah ich — am hellen Tage — vom Fenster aus — unmittelbar vor den Mauern des Gebäudes, das ich bewohnte, einen prachtvollen Säulenvorbau entstehen, gleichsam als ob das ganze Gebäude in einen Feenpalast umgewandelt werden sollte; das Bild verschwand später wieder, angeblich weil das beabsichtigte, göttliche Wunder in Folge Flechsig‘scher und von W.‘scher Gegenwunder nicht zur Vollendung gelangte; in meinem Gedächtnisse steht das Bild noch jetzt in voller Deutlichkeit vor mir. 

Eine besondere Besprechung muß dem Oberwärter der Anstalt gewidmet werden. Von diesem sagten mir die Stimmen gleich am Tage meiner Ankunft, er sei mit einem meiner Hausgenossen v. W. identisch; derselbe habe bei irgend einer von Staatswegen über mich veranstalteten Enquete vorsätzlich oder fahrlässiger Weise unwahre Dinge über mich ausgesagt, namentlich mich der Onanie beschuldigt; gewissermaßen zur Strafe dafür sei ihm jetzt als flüchtig hingemachter Mann meine Bedienung auferlegt worden. 

Es scheint mir völlig ausgeschlossen, daß ich von selbst auf derartige Gedanken gekommen sein sollte, da ich mit dem Herrn v. W., den ich überhaupt nur flüchtig kennen zu lernen die Ehre hatte, niemals irgend welche Mißhelligkeiten gehabt oder irgend welchen Groll gegen denselben empfunden habe. Gegen diesen Oberwärter suchten mich die Stimmen fortwährend zu reizen; gleich am ersten Tage verlangte man, ich sollte ihn mit beleidigender Weglassung des Adelsprädikats als "W." anreden; ich hatte zunächst gar keine Neigung dazu, habe es dann aber, um die drängenden Stimmen los zu werden, doch einmal gethan. Bei einer späteren Gelegenheit habe ich ihm auch einmal eine Ohrfeige gegeben; die nähere Veranlassung ist mir nicht mehr erinnerlich, ich weiß nur, daß die Stimmen es von mir verlangten, als derselbe irgend ein unziemliches Ansinnen an mich gerichtet hatte und mich solange mit meinem angeblichen Mangel an männlichem Muthe verhöhnten, bis ich zu der erwähnten Thätlichkeit verschritt. Daß ich an dem Oberwärter — nicht immer, sondern nur bei gewissen Gelegenheiten — die den Teufeln eigenthümliche rothe Farbe im Gesicht und an den Händen wahrgenommen habe, ist schon im Kapitel 1 erwähnt worden; daß derselbe wirklich mindestens zum Theil v. W.‘sche Nerven gehabt hat, ist mir nach dem später zu Erzählenden unzweifelhaft. 

Irgendwelche geistige oder körperliche Beschäftigungen habe ich während meines — übrigens doch nur kurzen — Aufenthalts in der Dr. Pierson‘schen Anstalt ("Teufelsküche") nicht vorgenommen; ich war den ganzen Tag fast nur durch die Unterhaltung der Stimmen und durch das Anstaunen der Wunderdinge, die sich in meiner Umgebung ereigneten, in Anspruch genommen. Recht auffällig will mir jetzt in meiner Erinnerung auch erscheinen, daß irgend Etwas wie eine gemeinschaftliche Tafel nicht stattfand; soweit ich mich besinne, einzelne Mahlzeiten genossen zu haben, war für mich auf dem Tisch des Gesellschaftszimmers gedeckt worden; es pflegten dann außer mir höchstens noch ein oder zwei andere Patienten zu essen. Einmal erinnere ich mich, das mir vorgesetzte Gericht (Bratwurst) vielleicht unter Zertrümmerung einer Fensterscheibe zum Fenster hinausgeworfen zu haben; der Beweggrund dazu ist mir nicht mehr deutlich gegenwärtig. 

Die Seelen, mit denen ich in der Flechsig‘schen Anstalt im Nervenanhang gestanden hatte, waren mir selbstverständlich nach meinem neuen Aufenthalte, wie schon auf der Fahrt dahin, gefolgt: vor allen Dingen die Flechsig‘sche Seele selbst, die sich übrigens schon vorher zur Verstärkung ihres gegen Gottes Allmacht eröffneten Kampfes eine Art Parteigefolge aus von ihr nachgezogenen, mehr oder weniger befreundeten Seelen gebildet hatte. Zu diesem Parteigefolge gehörte außer den schon im Kapitel V erwähnten "Cassiopejabrüdern" auch eine Gruppe, welche damals die Bezeichnung der "Vordringenden" erhielt; sie bestand aus der Seele Daniel Fürchtegott Flechsigs (welche in zweifacher Gestalt vorhanden war), derjenigen des Oberamtsrichters G. und eines ehedem zu Gottes Allmacht gehörigen vorderen Kolonnenführers, "rücksichtlich des Bestimmenden erster", sonach einer Art Renegaten, der sich dem Flechsig‘schen Einflusse untergeordnet hatte. Die "unter der Cassiopeja Hängenden" (d. h. die Seelen der dem Corps Saxonia angehörig gewesenen Mitglieder) verschwanden in der Zeit meines Aufenthalts in der Pierson‘schen Anstalt; sie wurden "mit starker Hand" in die Gräber zurückgedrückt, ein Vorgang, den ich mit meinem geistigen Auge gesehen habe und bei welchem ich gleichzeitig die Klagelaute (eine Art Gewimmer) gehört habe, mit welchen diese Seelen den ihnen natürlich unerwünschten Vorgang, durch den sie der von ihnen erschlichenen Seligkeit wieder verlustig gingen, begleiteten. Dafür bildeten sich eine ganze Anzahl anderer Seelen heraus; es geschah dies vornehmlich im Wege der Seelentheilung, eines, wie ich annehme, zunächst von der Flechsig‘schen Seele eingeführten Mißbrauchs. Denn wenn auch die physische Möglichkeit einer Seelentheilung wahrscheinlich schon früher bestanden hätte, so dürfte doch, solange die Weltordnung intakt war, von dieser, sicher auch für das menschliche Gefühl verletzenden Einrichtung schwerlich irgendwelcher Gebrauch gemacht worden sein. Es hätte gar kein ersichtlicher Grund vorgelegen, die Seele eines Menschen etwa mit einer gewissen Anzahl ihrer Nerven zur Seligkeit aufsteigen zu lassen und mit einem anderen Theil in einen eine Bestrafung darstellenden Zustand zu versetzen. Ich glaube vielmehr annehmen zu dürfen, daß man früher die natürliche Einheit der Menschenseele respektirte, also wenn es sich etwa um übermäßig geschwärzte Nerven handelte, welche sämmtlich zu reinigen einen allzugroßen Aufwand reiner Strahlen erfordert haben würde, man nur einen geringeren Theil der Nerven reinigte (der betreffenden Menschenseele also damit nur eine kürzere Zeit andauernde Seligkeit verschaffte, vergl. Kapitel 1) und den Rest einfach im Grabe verfaulen ließ. Die Flechsig‘sche Seele aber führte, wie gesagt, die Seelentheilung ein, hauptsächlich um das ganze Himmelsgewölbe mit Seelentheilen zu besetzen, sodaß die durch die Anziehungskraft herangezogenen göttlichen Strahlen auf allen Seiten irgendwelchem Widerstand begegneten. Das Bild, das ich hiervon im Kopfe habe, ist in Worten ungemein schwierig auszudrücken; es schien, als ob das Himmelsgewölbe im ganzen Umkreise mit — wohl aus meinem Körper entnommenen — Nerven überspannt sei, die die göttlichen Strahlen nicht zu überspringen vermochten oder die ihnen wenigstens ein mechanisches Hindernis boten, ähnlich etwa wie eine belagerte Festung durch Wälle und Gräben gegen den anstürmenden Feind geschützt zu werden pflegt. Die Flechsig‘sche Seele hatte sich zu diesem Behufe in eine große Anzahl von Seelentheilen gespalten; es existierten deren eine Zeit lang wohl 40 - 60, darunter viele ganz kleine, vermuthlich nur aus einem einzigen Nerv bestehende; zwei größere Seelentheile wurden der "obere Flechsig" und der "mittlere Flechsig" genannt; der erstere pflegt sich in Folge der Aufnahme göttlicher Strahlen, die er sich angeeignet hatte, vorübergehend durch größere Reinheit auszuzeichnen, die jedoch meist nicht lange vorhielt. In ähnlicher Weise gab es dann später auch 20 bis 30 von W.‘sche Seelentheile, ja auch eine gemeinschaftliche v. W.—Flechsig‘sche Seele, auf die ich vielleicht später noch zurückkommen werde. 

Hinsichtlich der Ursachen, die zum Auftreten der von W.‘schen Seele (neben der Flechsig‘schen) am Himmel führten, kann ich nur Vermuthungen aussprechen, die jedoch der Wahrheit ziemlich nahe kommen dürften. Für alle "geprüften" (Flechsig‘schen usw.) Seelen war die durch die Hochgradigkeit der Nervenüberreizung in meinem Körper entstandene Anziehungskraft sozusagen die Grundbedingung ihrer Existenz, d. h. ich selbst war ihnen nur das Mittel zum Zwecke, die durch die Anziehungskraft herbeigeführten göttlichen Strahlen abzufangen, mit denen sie dann sich wie der Pfau mit fremden Federn schmückten, Wundergewalt erlangten usw. Daher war es von Wichtigkeit für sie, über meinen Körper eine gewisse Verfügungsgewalt zu behaupten. Diese Verfügungsgewalt mochte die Flechsig‘sche Seele, solange ich in der Leipziger Anstalt war, durch ihre Verbindung mit dem noch als Mensch (oder "flüchtig hingemachten Mann"; was er damals eigentlich war, muß ich dahingestellt sein lassen) vorhandenen Professor Flechsig ausgeübt haben. Mit meiner Uebersiedelung in die Dr. Pierson‘sche Anstalt ("Teufelsküche") war dieser Einfluß weggefallen; die thatsächliche Macht über meinen Körper stand nunmehr dem dortigen Anstaltspersonal, namentlich dem Oberwärter der Anstalt zu. Dies scheint für die Flechsig‘sche Seele die Veranlassung gewesen zu sein, einige dem Körper des Oberwärters entnommene, in Wirklichkeit von W.‘sche Nerven in den Himmel oder zur Seligkeit heraufzuziehen, um vermittelst dieser Nerven und deren Einwirkung auf den Oberwärter sich den verloren gegangenen Einfluß wieder zu verschaffen. 

Im ersten Anfang sollten es nur drei von W.‘sche Nervenfäden gewesen sein, diese aber, einmal zum Bewußtsein ihrer himmlischen Existenz und damit gleichzeitig zur Ausübung der Wundergewalt gelangt, kompletirten sich dann durch Heraufziehen einer größern Anzahl anderer von W.‘schen Nerven (aus dem Grabe, wie ich damals annehmen mußte) zu einer ziemlich umfänglichen Seele. Auch hier handelte es sich natürlich um ungereinigte Nerven; es wurde m. a. W. eine zweite "geprüfte Seele" am Himmel fertig, die nur von dem eigennützigen Bestreben der Selbsterhaltung und weltordnungswidrigen Machtentfaltung im Gegensatz zu Gottes Allmacht erfüllt war und zu diesem Zwecke die Anziehungskraft meiner Nerven auf göttliche Strahlen mißbrauchte. Sie erkannte im Allgemeinen die Führerschaft der Flechsig‘schen Seele an, welche nach wie vor sozusagen das geistige Haupt der ganzen gegen Gottes Allmacht gerichteten Empörung blieb; sie behauptete aber doch im Gegensatz zu den andern das Flechsig‘sche Gefolge bildenden Seelen in manchen Beziehungen eine gewisse Selbständigkeit. Sie ließ sich z. B., wie schon erwähnt, ebenfalls zu einer ausgedehnten Seelentheilung bestimmen, wandelte aber doch dann auch wieder ihre eigenen Wege. 

Für mich wurde die Lage durch das Hinzutreten dieser zweiten "geprüften Seele" zunächst noch erheblich schwieriger; denn auch diese Seele wunderte nun in einer meinen Körper zum Theil recht empfindlich schädigenden Weise an mir herum, worüber ich später noch Näheres anführen werde. Auf der anderen Seite gab es aber doch dabei auch drollige Momente, die zeitweise in mein sonst so verdüstertes Leben, wenn ich so sagen darf, sogar einen Zug der Komik brachten. Daß es wirklich von W.‘sche Nerven waren, die auf diese Weise zu einer Art himmlischer Herrschaft gelangt waren, geht für mich unzweifelhaft daraus hervor, daß ich mich zu oft wiederholten Malen mit der von W.‘schen Seele über ihre Erinnerungen aus dem Leben, namentlich aus ihrer studentischen Zeit vom Corps Misnia her bis herab zu dem ihr noch wohlbekannten Kellner B. in der Gosenschänke zu Eutritzsch bei Leipzig unterhalten habe. Dabei wirkte es zuweilen eben höchst drollig, wie sich ungeachtet der von beiden Seelen — der Flechsig‘schen und von W.‘schen — gegenüber Gottes Allmacht eingegangenen Bundesgenossenschaft, doch wieder der Professorendünkel der einen und der Adelsstolz der anderen wechselseitig von einander abstießen. Die von W.‘sche Seele schwärmte von einer "von W.‘schen Haus- und Primogeniturordnung", die sie am Himmel einrichten und worauf sie ihre "Weltherrschaft" gründen wollte und mochte an der Seele des ihr im Grunde genommenen unsympathischen nationalliberalen Professor Flechsig zuweilen kein gutes Haar lassen. Diese hinwiederum glaubte im Gefühl einer vermeintlichen geistigen Ueberlegenheit auf die v. W.‘sche Seele mit einer gewissen Verachtung herabsehen zu dürfen. Die v. W.‘sche Seele zeigte auch sonst entschieden aristokratische Allüren, widmete mir z. B. vorübergehend eine größere Hochachtung, als sie bemerkte, daß ich beim Essen die Gabel mit der linken Hand zum Munde führte, gab ein besonderes Interesse für eine wohleingerichtete table d‘hote zu erkennen, zeigte aber dann auch wieder ein größeres organisatorisches Talent, als die Flechsig‘sche Seele, indem sie mit den von ihr erbeuteten Strahlen besser Haus zu halten wußte, als diese, daher meist ein glänzenderes Strahlenkleid aufwies und eine Zeit lang ein förmliches "Strahlenmagazin" (ich könnte die Richtung am Himmel, nach der es gelegen war, noch jetzt bezeichnen) unterhielt. 

Von sonstigen übersinnlichen Eindrücken, die ich während meines Aufenthalts in der Person‘schen Anstalt empfing, will ich noch einiges Wenige anführen. Es flatterte mir in langen Zügen (das Bild ist schwer zu beschreiben, man könnte es vielleicht mit dem sog. Alteweibersommer, aber nicht als einzelne Fäden, sondern einer Art dichteren Gewebes vergleichen) die sogen. "Mondscheinseligkeit" zu, welche die weibliche Seligkeit vorgestellt haben sollte. Es gab davon zwei Arten, eine mattere und eine vollkräftigere; vielleicht darf in der ersteren die Kinderseligkeit erblickt werden. An die schon in den früheren Kapiteln erwähnte Vorstellung eines Weltunterganges schlossen sich Mittheilungen an, die sich darauf bezogen, in welchem Maße etwa eine Wiederbelebung der Schöpfung möglich sei; bald hieß es, es reiche nur bis zu den Fischen, bald bis zu den niederen Säugethieren usw. Inwieweit diesen Mittheilungen bloß eine Befürchtung für die Zukunft oder etwas Reales zu Grunde lag, muß ich dahingestellt sein lassen. Dagegen habe ich anzunehmen, daß auf irgend einem entfernten Weltkörper in der That ein Versuch mit Erschaffung einer neuen Menschenwelt ("neuen Menschen aus Schreber‘schem Geist", wie sie mit einer auch seitdem unzählige Male gebrauchten, meist spöttisch gemeinten Redewendung genannt wurden) wahrscheinlich also unter Benutzung eines Theiles meiner Nerven gemacht worden ist. Wie die hierzu erforderliche Zeit gewonnen worden sein sollte, bleibt allerdings in Dunkel gehüllt. Jene "neuen Menschen aus Schreber‘schem Geiste" — körperlich von sehr viel kleinerem Schlag als unsere irdischen Menschen — sollten es bereits zu einer immerhin beachtenswerthen Kulturstufe gebracht, u. A. ein ihrer geringeren Körpergröße entsprechendes kleines Rindvieh gehalten haben; ich selbst sollte ihnen als ihr "Nationalheiliger" sozusagen ein Gegenstand göttlicher Verehrung geworden sein, sodaß meine körperliche Haltung (namentlich in dem "Pferch" der Pierson‘schen Anstalt) für ihren Glauben von irgendwelcher Bedeutung gewesen wäre. Ihre nach dem Tode zur Seligkeit aufgestiegenen Seelen sollten es bereits zu Strahlen von ziemlich erheblicher Vollkräftigkeit gebracht haben. 

Daß irgend etwas Wahres an der Sache gewesen ist, entnehme ich daraus, daß ich in jener Zeit den "Gott" oder "Apostel" jener kleinen Menschen — d. h. vermuthlich den Inbegriff der aus ihrer Seligkeit gewonnenen Strahlen — als Seele im Leibe und zwar im Unterleibe gehabt habe. Dieser kleine "Gott" oder "Apostel" zeichnete sich in höchst auffälliger Weise vor allen anderen Seelen durch die einen Grundzug meines eigenen Charakters bildende — ich kann hier etwas Selbstlob nicht unterdrücken — praktisch verständige Auffassung der Dinge aus, sodaß ich in ihm gewissermaßen Fleisch von meinem Fleische und Blut von meinem Blute erkannte. Uebrigens wurde zu diesem kleinen "Gott" oder "Apostel" — wie auch in vielen anderen Fällen, z. B. seiner Zeit in Betreff der Seele meines Vaters, der Seelen der Jesuiten usw. — um mich irre zu machen, ein gefälschter Widerpart gesetzt; die Fälschungen wurden jedoch meist sehr bald von mir wahrgenommen, da sich nach der ganzen Sinnesart der betreffenden Seelen das Echte von dem Falschen unschwer unterscheiden ließ. Viel war auch in der damaligen Zeit von einem "Strahlenerneuerungsgesetz" die Rede, d. h. von dem Grundsatz — von welchem die "kleinen Menschen aus Schreberischem Geist" ein Beispiel gewesen sein würden — daß neue Strahlen aus dem Glauben gewesener Menschen hervorgingen. 

Die Flechsig‘sche Seele war in jener Zeit Führerin "zweier Sonnen", darunter auch derjenigen Sonne, von der die Tagesbeleuchtung ausging. Das Bild, das ich davon im Kopfe habe, wie die führende Seele gewissermaßen hinter der Sonne saß, ist in Worten schwer zu beschreiben. Auch der v. W.‘schen Seele sollte zuweilen die Führung einer Sonne anvertraut werden, diese bezeigte jedoch im Ganzen wenig Neigung dazu. 

9. Kapitel - Überführung nach dem Sonnenstein. Veränderungen in dem Strahlenverkehr. "Aufschreibesystem"; "Anbinden an Erden" 

Aus der Dr. Pierson‘schen Anstalt "der Teufelsküche" wurde ich (nach im Ganzen acht- bis vierzehntägigem Aufenthalt) eines Tages — wie ich später erfahren habe, soll es der 29. Juni 1894 gewesen sein — nach der hiesigen Landesheilanstalt, dem Sonnenstein bei Pirna, gebracht. Die Gründe der Ueberführung sind mir unbekannt; damals glaubte ich sie mit dem in den letzten Tagen meines Aufenthalts in der Teufelsküche mächtig gewachsenen Einfluß der v. W.‘schen Seele in Verbindung bringen zu müssen, dem man in irgendwelcher Weise ein Gegengewicht schaffen wollte. Vor meiner Abreise hatte ich noch ein warmes Bad — das einzige in der Dr. Pierson‘schen Anstalt — genommen; dann fuhr ich in Begleitung des "Oberlandsgerichtsdieners" mit Geschirr (wie auf der Hinreise) nach dem Bahnhof Coswig, wo ich eine Tasse Kaffee trank, und von da mit der Eisenbahn durch Dresden, ohne den Eisenbahnwagen zu verlassen, nach Pirna. Die Menschengestalten, die ich während der Fahrt und auf dem Bahnhofe in Dresden sah, hielt ich für hingewunderte "flüchtig hingemachte Männer", ich wendete ihnen keine besondere Aufmerksamkeit zu, da ich schon damals aller Wunder überdrüssig war. In meiner Auffassung wurde ich bestärkt durch das Gerede der Stimmen; die Flechsig‘sche Seele sprach mit einem von ihr erfundenen Ausdruck von dem "fossilen" Dresden, durch das wir gefahren seien. Vom Bahnhof Pirna aus fuhr ich in einem Geschirr auf einer ziemlich holprigen Straße nach der hiesigen Anstalt herauf. Daß es Pirna und der Sonnenstein gewesen ist, wohin ich gebracht worden war, dessen bin ich mir erst nach länger als Jahresfrist bewußt geworden, als ich gelegentlich einmal in dem mir nur ganz vereinzelte Male zugänglich gewordenen "Museum" (Gesellschaftszimmer) der hiesigen Anstalt Bilder früherer Könige von Sachsen an den Wänden erblickte. Zur Zeit meiner Ankunft bezeichneten die Stimmen meinen Aufenthalt als "das Teufelsschloß". Die Zimmer, die mir angewiesen wurden, waren dieselben, die ich auch jetzt noch bewohne — Nr. 28 im ersten Stockwerke des Elbflügels nebst anstoßendem Schlafzimmer. Ein anderes Wohnzimmer habe ich nur einige Male ganz vorübergehend wegen irgend welcher Ausstattungsveränderungen innegehabt; als Schlafraum haben mir dagegen — wie ich später noch erwähnen werde — ungefähr zwei Jahre lang nicht das eigentlich für mich bestimmte Schlafzimmer, sondern Dementenzellen, namentlich eine im Erdgeschosse des Rundflügels Nr. 97 gedient. Die Zimmer machten mir bei meinem ersten Eintritt, im Gegensatz zu der ziemlich elegant ausgestatteten Dr. Pierson‘schen Anstalt, einen etwas ärmlichen Eindruck. Erwähnt sei noch, daß ich etwa ein Jahr lang auch von meinen Fenstern die Aussicht nicht hatte, die sich mir jetzt ziemlich frei auf das ganze Elbthal darbietet. Es waren damals einige dicht belaubte Kastanienbäume vorhanden, die inzwischen bis auf geringe Stümpfe gefällt sind, in jener Zeit aber die Aussicht fast vollständig benahmen, sodaß ich auch von den Fenstern aus von den Vorgängen der Außenwelt so gut wie nichts wahrnehmen konnte. 

Die Zeit meines Aufenthalts auf dem Sonnenstein kann ich in zwei Perioden abtheilen, von denen die erste im Ganzen noch den ernsten und heiligen, manchmal schaurigen Charakter bewahrte, der meinem Leben in der letzten Zeit meines Aufenthalts in der Flechsig‘schen Anstalt und in der Dr. Pierson‘schen Anstalt aufgeprägt gewesen war, die zweite dagegen mehr und mehr in das gewöhnliche (um nicht zu sagen ordinäre) Fahrwasser einlenkte. Jene erste Periode umfaßte etwa ein Jahr; die zweite Periode hält jetzt noch an, nur daß in der neuesten Zeit der Charakter des Ordinären in manchen Beziehungen einige Mäßigung erfahren hat. In der ersten Periode waren die Wunder hinsichtlich ihrer körperlichen und geistigen Wirkungen zum Theil noch von furchtbarer und bedrohlicher Natur, sodaß ich noch über Jahr und Tag von den ernstesten Sorgen für mein Leben, meine Mannheit und später meinen Verstand erfüllt war; in der zweiten Periode haben — freilich in sehr allmählichen Uebergängen und nicht ohne einzelne Rückschläge — die Wunder mehr und mehr einen harmlosen, um nicht zu sagen läppischen und kindischen, wenn auch zum Theil noch widerwärtigen Charakter angenommen. 

In der ersten Periode lebte ich noch immer in der Vorstellung, daß ich es nicht mit wirklichen Menschen, sondern mit "flüchtig hingemachten Männern" zu thun habe. Auch jetzt kann ich dies nicht als einen Irrthum meinerseits bezeichnen; ich muß vielmehr nach dem, was ich damals erlebt habe und noch jetzt täglich erlebe, die Möglichkeit offenlassen, daß ich damit Recht gehabt habe, m. a. W. die sogenannte "Menschenspielerei" erst allmälig in denjenigen Zustand übergeleitet worden ist, nach dem sie jetzt äußerlich betrachtet, den Eindruck macht, als ob irgend eine Veränderung mit der Menschheit nicht vorgegangen sei. Um diesen etwas schwer verständlichen und auch für mein Bewußtsein nicht zu vollkommener Durchsichtigkeit gelangten Gedanken einigermaßen begreiflich zu machen, habe ich zunächst die Verhältnisse meiner äußeren Umgebung während des ersten Jahres meines Aufenthalts in der hiesigen Anstalt zu schildern. Von Ärzten der Anstalt lernte ich wohl gleich am Tage meiner Ankunft bei einer im Baderaume (im Erdgeschoß) vorgenommenen körperlichen Untersuchung, in der u. A. auch das Stethoskop angewendet wurde, den Vorstand der hiesigen Anstalt, Herrn Geh. Medizinalrat Dr. Weber und den Hülfsarzt Herrn Dr. R. kennen, beide aber zunächst nur der Person, nicht dem Namen nach; die Namen habe ich erst nach Ablauf eines oder mehrer Jahre gelegentlich in Erfahrung gebracht. Von diesen Herren erhielt ich seitdem tägliche Besuche. Außer ihnen wurden nur zweitweise der Oberpfleger R. und einige Pfleger (M., Th.) und der inzwischen abgegangene Sch. sichtbar. M. war derjenige Pfleger, dem meine Obhut besonderns anvertraut war. 

Andere Patienten schienen damals in der Anstalt noch gar nicht zu existieren; wenigstens auf dem von mir bewohnten Korridor, an dem im Ganzen neun Zimmer liegen, bemerkte ich nichts davon; erst nach Ablauf geraumer Zeit wurde ein als Fürst I...sky bezeichneter Patient und ein zweiter, der Hofrath B., dieser namentlich durch Violinspiel, zeitweise bemerkbar. Auch bei den täglichen Spaziergängen in dem Anstaltsgarten war ich während der ersten Monate mit 2 oder 3 Pflegern (den obengenannten) stets allein; von der großen Anzahl anderer Patienten, die ich jetzt manchmal bis zu 80 und 100 gleichzeitig mit mir im Garten erblicke, war damals noch nichts zu sehen. Die Pfleger wurden von den Stimmen als "Hundejungen" bezeichnet; daß sie die Eigenschaft von "flüchtig hingemachten Männern" (also eigentlich Seelen) hatten, muß ich daraus abnehmen, daß von ihnen ein Nervenanhang mit mir unterhalten wurde, in dem ich von ihnen häufig der Grundsprache angehörige Ausdrücke, insbesondere von dem Pfleger Sch., der persönlich in einem andern Zimmer sich aufhielt, die in der Grundsprache zum Ausdruck der Verwunderung dienenden Ausrufe "Alle Wetter" und "Alle Hageldonnerwetter" (nicht etwa laut, sondern in der Nervensprache) vernommen habe. M. und Sch. luden auch zuweilen, um "sich wegzusetzen", einen Theil ihrer Leiber als eine faulige Masse in meinen Körper ab; M. setzte sich wiederholt als sogenannter "großer Nerv" (einer Art Gallertmasse etwa von der Größe einer Kirsche) in meinen Arm, wodurch er wie die übrigen Strahlen oder Nerven in gewissem Sinne an meinem Denken und meinen Sinneseindrücken Theil nahm. Den "Hundejungen" in ihrer Eigenschaft als Seelen wurde auch Wundergewalt zugeschrieben, bei bestimmten einzelnen Vorgängen war von "Hundejungenwundern" die Rede, denen sie ihre Entstehung verdanken sollten. 

Von meiner Frau erhielt ich auf dem Sonnenstein in längeren, wohl mehrmonatlichen Zwischenräumen Besuche. Als ich dieselbe zum ersten Male zu einem solchen Besuche in mein Zimmer eintreten sah, war ich wie erstarrt; hatte ich doch sie längst nicht mehr unter den Lebenden geglaubt. Für diese Annahme hatte ich — ebenso wie bei andern Menschen — ganz bestimmte thatsächliche Anhaltspunkte, nach denen mir das Wiedererscheinen meiner Frau auch jetzt noch in gewisser Beziehung ein ungelöstes Räthsel bleibt. Ich hatte — und auch hier läßt die Sicherheit meiner Erinnerung keinen Zweifel an der objektiven Realität des Vorgangs zu — zu wiederholten Malen der Seele meiner Frau angehörige Nerven im Leibe gehabt oder von außen her meinem Körper sich annähernd wahrgenommen. Diese Seelentheile waren ganz von der hingebenden Liebe erfüllt, die meine Frau mir gegenüber jeder Zeit an den Tag gelegt hat; sie waren die einzigen, die mit der der Grundsprache angehörigen Redewendung "Lassen mich" den Willen zu erkennen gaben, auf jede eigene Fortdauer zu verzichten und in meinem Körper das Ende ihrer Existenz zu finden. 

Bei den persönlichen Besuchen meiner Frau auf dem Sonnenstein glaubte ich lange Zeit, daß sie jedesmal nur ad hoc "flüchtig hingemacht" sei und daher vielleicht schon auf der Treppe oder unmittelbar nach dem Verlassen der Anstalt sich auflösen werde; es wurde gesagt, daß ihre Nerven nach jedem Besuch wieder "eingekapselt" würden. Bei einem der Besuche — wohl an meinem Geburtstag 1894 — überbrachte mir meine Frau ein Gedicht, das ich wegen der ergreifenden Wirkung, die es damals auf mich hervorbrachte, wörtlich hierher setzen will. Es lautete: 

Eh‘ Dich der rechte Friede liebt — 
Der stille Gottesfriede — 
Der Frieden, den kein Leben giebt 
Und keine Lust hienieden, 
Da thut es Noth, daß Gottes Arm 
Dir eine Wunde schlage, 
Daß Du mußt rufen: Gott erbarm‘, 
Erbarm‘ Dich meiner Tage, 
Da thut es Noth, daß sich ein Schrei 
Aus Deiner Seele ringe, 
Und daß es dunkel in Dir sei 
Wie vor dem Tag der Dinge, 
Da thut es Noth, daß ganz und schwer 
Der Schmerz Dich überwinde. 
Daß sich nicht eine Thräne mehr 
In Deiner Seele finde, 
Und wenn Du ausgeweint Dich hast 
Und müde bist, so müde, 
Da kommt zu Dir ein treuer Gast 
Der stille Gottesfriede.
Das Gedicht, dessen Verfasser ich nicht kenne, machte deshalb einen so merkwürdigen Eindruck auf mich, weil der darin wiederholt vorkommende Ausdruck "Gottesfriedcn" die vor und nach jener Zeit unzählige Male von mir gehörte grundsprachliche Bezeichnung für den durch Strahlen erzeugten Schlaf ist. Ich konnte damals kaum an einen hierbei unterlaufenen Zufall denken. 

In dem Strahlenverkehr, in dem meine Nerven nun schon lange Zeit gestanden hatten und in den damit zusammenhängenden himmlischen Verhältnissen traten in den ersten Wochen meines Aufenthaltes auf dem Sonnenstein (Anfang Juli 1894) gewisse Veränderungen ein, die von grundlegender Bedeutung für den ganzen seitdem verflossenen Zeitraum gewesen zu sein scheinen. Die Beschreibung dieser Veränderungen in Worten ist wieder ungemein schwierig, da es sich dabei um Dinge handelt, für die alle Analogien aus der menschlichen Erfahrung fehlen und die auch von mir nur zum Theil unmittelbar mit meinem geistigen Auge wahrgenommen, zum anderen Theil aus ihren Wirkungen erkannt worden sind, sodaß die Vorstellung, die ich mir von den betreffenden Vorgängen gemacht habe, sich mit der vollen Wahrheit vielleicht nur annähernd deckt. Bereits im vorigen Kapitel ist erzählt worden, daß namentlich im Wege der Seelentheilung die Zahl der am Himmel vorhandenen "geprüften" Seelen und Seelentheile erheblich gewachsen war. Unter diesen Seelen zeichnete sich nach wie vor die Flechsig‘sche aus, die vermöge der sich in ihren beiden Hauptgestalten (als "oberer Flechsig" und als "mittlerer Flechsig") gegebenen Größe noch geraume Zeit ihre menschliche Intelligenz in ziemlich hohem Grade bewahrt hatte, während sie daran im Laufe der Jahre immer mehr und mehr verloren hat, sodaß jetzt schon seit langer Zeit kaum noch irgend ein dürftiger Rest des Identitätsbewußtseins vorhanden sein dürfte. Ich meinerseits war stets von dem Bestreben geleitet, diese Seelen und Seelentheile an mich heranzuziehen und dadurch schließlich das Aufgehen derselben herbeizuführen, indem ich von der wohl ganz richtigen Vorstellung ausging, daß nach Elimirung aller zwischen mir und Gottes Allmacht als sog. Mittelinstanzen stehenden "geprüften" oder unreinen Seelen eine weltordnungsmäßige Lösung des Konflikts, sei es durch meine Heilung im Wege zur vollständigen Beruhigung der Nerven dienenden Schlafs, sei es — was ich später in Aussicht nehmen zu müssen glaubte, — durch eine der Weltordnung entsprechende Entmannung zur Erschaffung neuer Menschen sich von selbst ergeben werde. Die "geprüften" Seelen waren im Gegensatz dazu nur von dem Triebe erfüllt, sich in ihrer angemaßten, mit Wundergewalt verknüpften himmlischen Stellung zu behaupten, sie suchten sich nach jeder Annäherung wieder zurückzuziehen, indem abwechselnd immer wieder andere Seelen oder Seelentheile vorgeschoben wurden. 

Als es mir daher in einer Nacht — etwa der vierten oder fünften nach meiner Ankunft auf dem Sonnenstein — übrigens unter maßloser geistiger Anstrengung, gelungen war, alle unreinen ("geprüften") Seelen vorübergehend zu mir herunterzuziehen, sodaß es nur einer gründlichen "Zudeckung mit Strahlen" bedurft hätte, um durch einen nervenheilenden Schlaf meine Genesung und das Verschwinden der unreinen Seelen herbeizuführen (wozu man sich aber aus den bereits früher angedeuteten Gründen leider nicht entschließen konnte), traf die Flechsig‘sche Seele besondere Veranstaltungen, um die Wiederkehr einer solchen Gefahr für ihre Existenz und diejenige der anderen unreinen Seelen auszuschließen. Sie verfiel auf das Auskunftsmittel mechanischer Befestigungen, über deren Technik ich der Natur der Sache nach nur eine ungefähre Vorstellung habe erlangen können. Eine solche mechanische Befestigung fand zunächst in einer loseren Form statt, die als "Anbinden an Strahlen" bezeichnet wurde, wobei das Wort "Strahlen" in einer besonderen auf mir nicht völlig verständlich gewordenen Bedeutung gebraucht worden zu sein scheint. Ich kann nur das Bild beschreiben, das ich mit meinem geistigen Auge gesehen habe. Danach hingen die Seelen auf einer Art von Ruthenbündeln (den Fasces der römischen Liktoren vergleichbar), jedoch so, daß die Ruthen nach unten in Kegelform auseinandergingen, während um die oberen Spitzen die Nerven der Seelen geschlungen waren. Als auch die losere Form der Befestigung einen hinreichenden Schutz gegen die Gefahr des Aufgehens in Folge der Anziehungskraft nicht zu gewähren schien, wurde nach einiger Zeit eine noch widerstandsfähigere Form gewählt, die die Bezeichnung "Anbinden an Erden" erhielt. Wie schon der Ausdruck besagt, fand dabei ein Anbinden an irgendwelchen entfernten Weltkörpern statt, sodaß von da ab die Möglichkeit eines vollständigen Aufgehens in meinem Körper in Folge der Anziehungskraft ausgeschlossen, vielmehr der Rückzug durch die damit geschaffene mechanische Befestigung gesichert war. Als der "mittlere Flechsig" die letztere Form der Befestigung zum ersten Male in Anwendung brachte, machte sich zunächst auch in den Gottesreichen die Auffassung geltend, daß ein solches der Weltordnung zuwiderlaufendes Gebahren nicht geduldet werden könne. Der "mittlere Flechsig" wurde daher genöthigt, sich wieder abzubinden. Bei einer späteren Wiederholung des Experimentes fand man aber schon nicht mehr die Energie zu derartigem Einschreiten; man ließ das Anbinden geschehen, das nun nicht nur alle anderen Flechsig‘schen Seelentheile, sondern auch die übrigen im Gefolge derselben stehenden Seelen, insbesondere die v. W.‘sche Seele und schließlich auch Gottes Allmacht selbst mitmachten. So ist denn das "Anbinden an Erden" zu einer dauernden Einrichtung geworden, die bis auf den heutigen Tag fortbesteht und zu weiteren Konsequenzen, namentlich dem nunmehr zu schildernden "Aufschreibesystem" geführt hat. Ich verkenne nicht, daß eine Vorstellung, wonach man sich meinen auf unserer Erde befindlichen Körper als durch angespannte Nerven mit anderen Weltkörpern verbunden zu denken hätte, bei den ungeheueren Entfernungen der letzteren für Menschen nahezu unbegreiflich ist; an der objektiven Wirklichkeit des Verhältnisses kann ich trotzdem nach den im Laufe der letzten sechs Jahre alltäglich von mir gemachten Erfahrungen keinen Zweifel hegen. — Das erwähnte Aufschreibesystem ist eine Thatsache, die anderen Menschen auch nur einigermaßen verständlich zu machen außerordentlich schwer fallen wird. Für ihre Wirklichkeit liefert mir jeder Tag die erdrückensten Beweise und doch gehört dieselbe auch für mich eigentlich in das Gebiet des Unbegreiflichen, da die Absicht, die damit verfolgt wird, von jedem, der die Menschennatur kennt, von vornherein als unerreichbar hätte erkannt werden müssen. Es handelt sich dabei augenscheinlich um eine Verlegenheitsauskunft, bei der schwer für mich zu unterscheiden ist, ob der Grund derselben in einem falschen (weltordnungswidrigen) Wollen oder einem unrichtigen Denken liegt. 

Man unterhält Bücher oder sonstige Aufzeichnungen, in denen nun schon seit Jahren alle meine Gedanken, alle meine Redewendungen, alle meine Gebrauchsgegenstände, alle sonst in meinem Besitze oder meiner Nähe befindlichen Sachen, alle Personen, mit denen ich verkehre usw. aufgeschrieben werden. Wer das Aufschreiben besorgt, vermag ich ebenfalls nicht mit Sicherheit zu sagen. Da ich mir Gottes Allmacht nicht als aller Intelligenz entbehrend vorstellen kann, so vermuthe ich, daß das Aufschreiben von Wesen besorgt wird, denen auf entfernten Weltkörpern sitzend nach Art der flüchtig hingemachten Männer menschliche Gestalt gegeben ist, die aber ihrerseits des Geistes völlig entbehren und denen von den vorübergehenden Strahlen die Feder zu dem ganz mechanisch von ihnen besorgten Geschäfte des Aufschreibens sozusagen in die Hand gedrückt wird, dergestalt, daß später hervorziehende Strahlen das Aufgeschriebene wieder einsehen können. 

Um den Zweck der ganzen Einrichtung verständlich zu machen, muß ich etwas weiter ausholen. Allen den Angriffen, die im Laufe der Jahre auf mein Leben, meine körperliche Integrität, meine Mannheit und meinen Verstand gemacht worden sind, lag und liegt immer der nämliche Gedanke zu Grunde, nämlich der, sich der alles bisher Dagewesene weit hinter sich lassenden Anziehungskraft meiner überreizten Nerven möglichst wieder zu entziehen. Anfangs hatte man hierzu, offenbar im Bewußtsein der (nach Kap. IV) der Weltordnung zu Grunde liegenden Tendenz, meine "Entmannung" in Aussicht genommen. Man meinte aber dabei nicht meine Entmannung mit dem weltordnungsmäßigen Endziel einer Erneuerung der Menschheit, sondern gedachte mir damit nur einen Schimpf zuzufügen, indem man sich sonderbarer Weise einbildete oder vielleicht auch nur selbst vorzulügen versuchte, daß ein entmannter Körper die Anziehungskraft auf Strahlen verlieren würde. Noch über Jahr und Tag nach meiner Ankunft auf dem Sonnenstein spukte der Entmannungsgedanke, wenn ich so sagen darf, in den Köpfen der Seelen. Kleinere Flechsig‘sche Seelentheile, welche weit draußen gelegen hatten und daher manchmal geraume Zeit mit meinen Nerven nicht in Berührung gekommen waren, pflegten zu oft wiederholten Malen, gleichsam verwundert, in die Worte auszubrechen: "Ist er denn noch nicht entmannt?" Gottesstrahlen glaubten mich nicht selten mit Rücksicht auf die angeblich bevorstehende Entmannung als "Miß Schreber" verhöhnen zu dürfen; eine der häufig damals gebrauchten, bis zur Ermüdung wiederholten Redensarten lautete: "Sie sollen nämlich als wollüstigen Ausschweifungen ergeben dargestellt werden" usw. usw. Ich selbst empfand die Gefahr der Entmannung lange Zeit hindurch und namentlich solange von einem geschlechtlichen Mißbrauch meines Körpers durch andere Menschen die Rede sein konnte, selbstverständlich als eine mir drohende Schmach. 

Die bereits massenhaft in meinen Körper eingedrungenen weiblichen oder Wollustnerven konnten daher während eines mehr als einjährigen Zeitraums irgend einen Einfluß auf mein Verhalten und meine Sinnesart nicht gewinnen. Ich unterdrückte jede Regung derselben durch Aufbietung meines männlichen Ehrgefühls und zugleich durch die Heiligkeit der religiösen Vorstellungen, die mich fast ausschließlich beherrschten, ja ich wurde mir der Anwesenheit der weiblichen Nerven eigentlich nur bewußt, wenn sie bei gewissen Anlässen von Strahlen künstlich in Bewegung gesetzt wurden, um eine schreckhafte Erregung derselben hervorzubringen und mich damit als einen in weiblicher Aengstlichkeit zitternden Menschen "darzustellen". Auf der anderen Seite konnte meine Willenskraft nicht verhindern, daß in meinem Körper namentlich beim Liegen im Bette ein Wollustgefühl Platz griff, welches als sog. "Seelenwollust" — wie der von den Seelen dafür gebrauchte Ausdruck lautet, d. h. eine Wollust, die den Seelen genügt, von Menschen aber ohne eigentliche geschlechtliche Regung nur als allgemeines körperliches Wohlbehagen empfunden wird — eine erhöhte Anziehungskraft auf die Strahlen ausübte. (Vergl. oben Kap. VII gegen das Ende.) 

Als diese Erscheinung im Laufe der Zeit immer deutlicher hervortrat, mochte sich Gott wohl bewußt werden, daß es mit der Entmannung als Mittel mich "liegen zu lassen", d. h. sich von der anziehenden Wirkung meiner Nerven wieder frei zu machen, nichts sei. Man verfiel daher nunmehr auf den Gedanken, mich auf "der männlichen Seite zu erhalten", aber — im Grunde genommen wieder heuchlerisch — nicht etwa um mir meine Gesundheit wiederzugeben, sondern um mir den Verstand zu zerstören oder mich blödsinnig zu machen. Daß selbst die Nerven eines blödsinnigen Menschen, die einmal in einen Zustand hochgradiger krankhafter Erregung geraten sind, anziehend bleiben würden — insofern sie natürlich immer noch der Schmerz-, Wollust-, Hunger-, Frostgefühle u. s. w. fähig wären — wurde dabei wieder nicht beachtet. Man häufte also unausgesetzt, Tag für Tag und Stunde für Stunde, Leichengift oder andere Fäulnißstoffe, deren Träger die Strahlen waren, auf meinen Körper in der Meinung, mich endlich damit erdrücken und mich namentlich des Verstandes berauben zu können. Welche Schäden dadurch vorübergehend in zum Theil höchst bedrohlicher Weise an meinem Körper angerichtet worden sind, werde ich in einem folgenden Kapitel erzählen. 

Ich habe Grund anzunehmen, daß das Leichengift oder die Fäulnißstoffe denselben Weltkörpern entnommen sind, an denen man sich festgebunden hat und wo dann die Strahlen mit dem Leichengift oder dem Fäulnißstoff sozusagen bepackt werden oder dieselben im Vorbeiziehen von ihnen aufgesogen werden. Einem Theil der Strahlen hat man die Gestalt gewunderter Vögel gegeben, worüber ich später Näheres mittheilen werde. Dabei trat nun die Erscheinung hervor, daß die am Himmel noch vorhandenen geprüften Seelen und gewisse Reste der früheren Vorhöfe des Himmels, die man aufgespart hatte, um sich gewissermaßen hinter denselben verschanzen zu können, im Laufe der Zeit ihre Intelligenz vollständig verloren, also eigene Gedanken überhaupt nicht mehr hatten. Auf der anderen Seite scheint es in der Natur der Strahlen zu liegen, daß dieselben, sobald sie in Bewegung sind, sprechen müssen; die das betreffende Gesetz ausdrückende Phrase "Vergessen Sie nicht, daß Strahlen sprechen müssen" ist namentlich früher unzählige Male in meine Nerven hineingeredet worden. Thatsächlich weiß man aber nun schon seit Jahren in Ermangelung eigener Gedanken im Wesentlichen nichts weiter zu sprechen, als von den eigenen Wundern, bezüglich deren dann meine Nerven die entsprechenden Befürchtungsgedanken fälschungsweise unterlegt werden (z. B. "wenn nur meine Finger nicht gelähmt würden", oder "wenn nur meine Kniescheibe nicht verwundert würde") und ferner jeweilig diejenige Beschäftigung, die ich gerade vornehmen will, zu verfluchen, (z. B. "wenn nur das verfluchte Klavierspielen aufhörte", sobald ich mich ans Klavier setze oder selbst "wenn nur das verfluchte Nägelputzen aufhörte", sobald ich mich anschicke, meine Nägel zu putzen. Dazu hat man noch die maßlose Unverschämtheit — ich kann keinen andern Ausdruck dafür gebrauchen — mir zuzumuthen, daß ich diesem gefälschten Blödsinn gewissermaaßen als meinen eigenen Gedanken lauten Ausdruck geben soll, also in der Weise, daß sich an die Phrase "wenn nur das verfluchte Klavierspielen aufhörte" die Frage anschließt: "Warum sagen Sie‘s nicht (laut)?" und darauf wieder die gefälschte Antwort erfolgt: "Weil ich dumm bin, so etwa", oder auch "weil ich Furcht habe vor Herrn M." . Natürlich entstehen nun aber auch Phasen, wo weder von gegen meine Person gerichteten Wundern zu berichten ist, noch ein bestimmter "Entschlußgedanke", diese oder jene Beschäftigung vorzunehmen, für die Strahlen, die meine Gedanken lesen können, erkennbar ist, mit andern Worten, wo ich mich dem Nichtsdenken hingebe, also namentlich zur Nachtzeit, wenn ich schlafen oder am Tage vorübergehend der Ruhe pflegen will, oder im Garten nichtsdenkend spazieren gehe u. s. w. Zur Ausfüllung dieser Pausen (d. h. damit auch während dieser Pausen die Strahlen etwas zu zu sprechen haben) dient dann eben das Aufschreibematerial, also im Wesentlichen meine früheren Gedanken und neben denselben nur geringe eigene, beständig wiederkehrende Zuthaten von mehr oder weniger sinnlosen, zum Theil auch beleidigenden Redensarten, gemeinen Schimpfworten u. s. w. Eine Blumenlese dieser Redensarten werde ich vielleicht, um dem Leser wenigstens eine Ahnung davon zu geben, welchen Unsinn meine Nerven schon seit Jahren ertragen müssen, als Anlage der gegenwärtigen Arbeit beifügen. 

Die beleidigenden Redensarten und Schimpfworte verfolgen namentlich den Zweck, mich doch zum lauten Sprechen zu reizen und damit in den dazu an sich geeigneten Zeiten den Schlaf unmöglich zu machen, in dessen Verhinderung neben derjenigen der Seelenwollust die ganze in ihren eigentlichen Zielen vollkommen unklare Seelenpolitik nun einmal gipfelt. Außerdem dient das Aufschreiben noch zu einem besonderen Kunstgriff, der wiederum auf einer gänzlichen Verkennung des menschlichen Denkens beruht. Man glaubte mit dem Aufschreiben den bei mir möglichen Gedankenvorrath erschöpfen zu können, sodaß schließlich einmal ein Zeitpunkt kommen müsse, wo neue Gedanken bei mir nicht mehr zum Vorschein kommen könnten; die Vorstellung ist natürlich völlig absurd, da das menschliche Denken unerschöpflich ist und z. B. das Lesen eines Buches, einer Zeitung usw. stets neue Gedanken anregt. Der erwähnte Kunstgriff bestand darin, daß, sobald ein bereits früher einmal in mir entstandener und daher schon aufgeschriebener Gedanke wiederkehrte — eine solche Wiederkehr ist natürlich bei sehr zahlreichen Gedanken ganz unvermeidlich, z. B. etwa früh der Gedanke "jetzt will ich mich waschen" oder beim Klavierspielen der Gedanke "das ist eine schöne Stelle" u. s. w. — man nach Wahrnehmung des betreffenden Gedankenkeims den heranziehenden Strahlen ein "Das haben wir schon" (gesprochen: "hammirschon") scil. aufgeschrieben, mit auf den Weg gab, womit auf eine schwer zu beschreibende Weise die Strahlen gegen die anziehende Wirkung des in Rede stehenden Gedankens unempfänglich gemacht wurden. 

Ich muß darauf verzichten, das Aufschreibesystem und dessen Folgen noch klarer, als vorstehend versucht worden, darzulegen; ein vollkommenes Verständniß werde ich doch niemand, der nicht die Erfahrungen an seinen eigenen Nerven gemacht hat, beibringen können. Ich kann nur versichern, daß das Aufschreibesystem und namentlich das Eingehen des "das hammirschon" bei der Wiederkehr früherer Gedanken sich zu einer geistigen Tortur gestaltet hat, unter der ich Jahre lang schwer gelitten habe und an die ich mich erst nach und nach wenigstens einigermaßen zu gewöhnen vermocht habe; es sind mir dadurch Geduldsproben auferlegt worden, wie sie zumal bei den Schwierigkeiten der äußeren Verhältnisse (Freiheitsbeschränkungen u. s. w.), unter denen ich außerdem zu leben gehabt habe, wohl noch niemals einem Menschen zugemuthet worden sind. 

Schließlich habe ich noch hinzuzufügen, daß ich bei der vorstehenden Schilderung in zeitlicher Beziehung etwas vorgegriffen habe. Es mußte dies um des Zusammenhangs willen geschehen; in Wirklichkeit gehört die betreffende Entwicklung zum Theil erst einer sehr viel späteren Zeit an, wie denn z. B. vom Klavierspielen, dessen ich oben Erwähnung gethan habe, noch fast ein Jahr nach meiner Ankunft auf dem Sonnenstein bei mir nicht die Rede war. 

10. Kapitel - Persönliche Erlebnisse auf dem Sonnenstein. "Störungen" als Begleiterscheinungen eines Strahlenverkehrs. "Stimmungsmache" 

In den ersten Wochen meines Aufenthalts auf dem Sonnensteine (im Juli oder August 1894) sind nach meiner Ueberzeugung irgend welche wichtige Veränderungen mit der Sonne vorgegangen. Ich muß mich dabei, wie schon früher bei Besprechung übersinnlicher Verhältnisse, auf Mittheilung der von mir empfangenen Eindrücke beschränken und kann hinsichtlich der Frage, um welche objektiven Vorgänge es sich bei jenen Veränderungen gehandelt hat, höchstens Vermuthungen wagen. Ich habe die Erinnerung, daß damals längere Zeit hindurch eine nach ihrer äußeren Erscheinung kleinere Sonne vorhanden war, dieselbe wurde, wie bereits am Schlusse von Kap. VIII erwähnt worden, anfangs von der Flechsig‘schen Seele geführt, später aber von einer Seele, deren Nerven ich mit denen des Vorstandes der hiesigen Anstalt, Geh. Rath Dr. Weber für identisch halten muß. Indem ich diese Zeilen niederschreibe, bin ich mir vollkommen bewußt, daß alle anderen Menschen darin nur den baren Unsinn werden finden können, da der Geh. Rath Dr. Weber ja, wie ich mich auch selbst täglich zu überzeugen Gelegenheit habe, noch unter den Lebenden ist. Die empfangenen Eindrücke sind gleichwohl für mich so sicher, daß ich die Vorstellung, es könne der Geh. Rath Dr. Weber schon früher einmal aus dem Leben geschieden und mit seinen Nerven zur Seligkeit emporgestiegen, dann aber gleich der übrigen Menschheit ins Leben zurückgekehrt sein, als eine allerdings für Menschen nicht faßbare, nur übersinnlich zu erklärende Möglichkeit nicht von der Hand weisen kann. Jene kleinere Sonne wurde dann wahrscheinlich nach Aufzehrung ihrer Strahlenkraft durch eine andere Sonne ersetzt. Ich hatte dabei während mehrerer Tage und Nächte die wunderbarsten und großartigsten Eindrücke; nach meiner Auffassung hat es sich damals um den Zeitpunkt gehandelt, in dem die vorderen Gottesreiche aufgezehrt waren und die hinteren Gottesreiche erstmalig auf dem Schauplatz erschienen. 

Ich glaube sagen zu dürfen, daß ich damals und nur damals Gottes Allmacht in ihrer vollständigen Reinheit gesehen habe. In der Nacht —und zwar, soviel ich mich erinnere, in einer einzigen Nacht — trat der niedere Gott (Ariman) in die Erscheinung. Das glanzvolle Bild seiner Strahlen wurde — während ich im Bette lag, aber nicht schlafend, sondern in wachem Zustande — meinem geistigen Auge sichtbar, d. h. spiegelte sich auf meinem inneren Nervensystem. Gleichzeitig vernahm ich seine Sprache; diese war aber nicht — wie sonst bei dem Gerede der Stimmen vor und nach jener Zeit ausnahmslos der Fall gewesen ist — ein leises Geflüster, sondern ertönte gleichsam unmittelbar vor den Fenstern meines Schlafzimmers in mächtigem Baß. Der Eindruck war ein gewaltiger, sodaß wohl jemand, der nicht, wie bei mir der Fall war, auch gegen schreckhafte Wundereindrücke bereits abgehärtet gewesen wäre, bis in Mark und Bein hätte erschüttert werden können. Auch was man sprach, klang keineswegs freundlich; Alles schien darauf berechnet, mir Furcht und Schrecken einzuflößen und das Wort "Luder" — ein der Grundsprache ganz geläufiger Ausdruck, wenn es sich darum handelte, einem von Gott zu vernichtenden Menschen die göttliche Macht und den göttlichen Zorn empfinden zu lassen — wurde oft gehört. Allein alles, was man sprach, war echt, keine auswendig gelernten Phrasen, wie später, sondern der unmittelbare Ausdruck der wirklichen Empfindung. 

Darum war auch der Eindruck auf mich ganz überwiegend nicht der einer bangen Furcht, sondern der einer Bewunderung des Großartigen und Erhabenen; darum war auch die Wirkung auf meine Nerven ungeachtet der in den Worten zum Theil enthaltenen Beschimpfungen ein wohltätiger und ich konnte daher nicht umhin, als die "geprüften" Seelen, die sich eine Zeit lang scheu zurückgehalten hatten, nach einiger Zeit sich wieder vorwagten, meinen Gefühlen wiederholt in den Worten Ausdruck geben "O wie rein!" — der Majestät der göttlichen Strahlen gegenüber — und "O wie gemein!" — den geprüften Seelen gegenüber. — Dabei lasen die göttlichen Strahlen meine Gedanken, aber nicht, wie seitdem ausnahmslos geschieht, fälschend, sondern richtig, brachten dieselben auch selbst in wörtlichem Ausdruck in das der natürlichen Bewegung der menschlichen Nerven entsprechende Versmaß, sodaß ich von dem Ganzen ungeachtet aller schreckhaften Nebenerscheinungen einen beruhigenden Eindruck empfing und schließlich in Schlaf verfiel. 

An dem darauffolgenden Tage und noch vielleicht an ein oder zwei weiteren Tagen (und zwar am Tage während meines Gartenaufenthalts) sah ich den oberen Gott (Ormuzd), diesmal nicht mit meinem geistigen Auge, sondern mit meinem leiblichen Auge. Es war die Sonne, aber nicht die Sonne in ihrer gewöhnlichen, allen Menschen bekannten Erscheinung, sondern umflossen von einem silberglänzenden Strahlenmeer, das etwa den 6. bis 8. Theil des Himmels bedeckte. Auf Zahlen kommt es dabei natürlich nicht an; um mich selbst vor jeder Übertreibungsgefahr zu hüten, will ich daher nach meiner Erinnerung auch gelten lassen, daß es nur der 10. oder 12. Theil des Himmels gewesen sein könnte. Jedenfalls war der Anblick von so überwältigender Pracht und Großartigkeit, daß ich mich scheute, fortwährend danach zu blicken, sondern das Auge meist von der Erscheinung abzuwenden suchte. Es ist eine der vielen Unbegreiflichkeiten für mich, daß zu jener Zeit bereits andere Menschen außer mir existirt haben sollen, daß insbesondere der Pfleger M., der dabei allein in meiner Begleitung war, wie es schien, gegen die Erscheinung völlig unempfänglich blieb. Damals nahm mich die Theilnahmlosigkeit von M. eigentlich nicht Wunder, da ich ihn für einen flüchtig hingemachten Mann hielt, der eben nur ein Traumleben führe und daher natürlich für alle Eindrücke, die einem denkenden Menschen das höchste Interesse hätten einflößen müssen kein Verständniß haben könne. Wie ich es mir aber jetzt zusammenreimen soll, daß an ihm (wenn ich ihn für einen wirklichen Menschen halten soll) und den vielen Tausend anderen Menschen, die doch zu der betreffenden Zeit an anderen Orten außer mir den Anblick gehabt haben müssen, ein so phänomaler Eindruck spurlos vorübergegangen sei, weiß ich einfach nicht zu sagen. Natürlich werden andere Menschen mit dem Schlagwort einer bloßen "Sinnestäuschung" bei der Hand sein, der ich für meine Person unterlegen habe. Dies aber ist nach der Sicherheit meiner Erinnerung subjektiv für mich völlig ausgeschlossen, zumal die Erscheinung sich an mehreren aufeinander folgenden Tagen wiederholte und an jedem einzelnen Tage mehrere Stunden anhielt, auch glaube ich nicht, daß mein Gedächtniß mich trügt, wenn ich die Bemerkung hinzufüge, daß jene glänzendere Sonne ebenso zu mir gesprochen hat, wie es vorher und seitdem mit der Sonnne unausgesetzt der Fall ist. 

Nach einigen Tagen waren die wunderbaren Erscheinungen, von denen ich vorstehend gesprochen habe, vorüber; die Sonne nahm diejenige Gestalt an, die sie seitdem ohne weitere Unterbrechung behalten hat; auch das Stimmengerede wurde durchweg wieder ein leises Geflüster. Den Grund der Veränderung glaube ich darin suchen zu dürfen, daß in diesem Zeitpunkt auch Gottes Allmacht sich nach dem Vorgang der Flechsig‘schen Seele zum "Anbinden an Erden" hatte verleiten lassen. Hätte das Zuströmen reiner Gottesstrahlen ungehindert fortgedauert, wie es an den oben beschriebenen Tagen und in den darauf folgenden Nächten der Fall gewesen, so würde nach meinem Dafürhalten in kurzer Zeit meine Genesung, nach Befinden vielleicht auch Entmannung unter gleichzeitiger Befruchtung haben erfolgen müssen. Da man weder das Eine noch das Andere wollte, sondern immer von der falschen Vorstellung ausging, daß es jeweilig in kurzer Zeit möglich sein werde, sich von der Anziehungskraft meiner Nerven im Wege des "Liegenlassens" zu befreien, so hatte man eben durch das Anbinden Veranstaltung getroffen, daß der Zufluß reiner Strahlen gehemmt werde. Wie wenig diese Politik zu dauernden Erfolgen geführt hat, wird sich aus dem Späteren ergeben. 

Das äußere Leben, das ich während der Zeit, von der ich gegenwärtig handele, — der ersten Monate meines Aufenthalts auf dem Sonnenstein — führte, war ein über die Maßen einförmiges. Abgesehen von den täglich, vormittags und nachmittags, unternommenen Spaziergängen in den Garten saß ich in der Hauptsache während des ganzen Tags regungslos auf dem Stuhle vor meinem Tische, ging nicht einmal nach dem Fenster, wo übrigens auch nur grüne Bäume zu sehen waren (vergl. oben); selbst in dem Garten blieb ich mit Vorliebe immer auf demselben Platze sitzen und wurde nur ab und zu, eigentlich gegen meinen Willen, von den Pflegern zu Umgängen bestimmt. Allerdings hätte es auch in dem Falle, daß ich Neigung zu irgend welcher Beschäftigung gehabt hätte, an den Gelegenheit dazu fast vollständig gefehlt; in der damaligen Zeit wurden alle Behältnisse der beiden von mir bewohnten Zimmer verschlossen gehalten und die Schlüssel abgezogen, sodaß mir nur ein einziges Schubfach einer Kommode mit einigen Bürsten und dergleichen zugänglich war. Schreibmaterial besaß ich nicht; alle meine Gebrauchsgegenstände (Kleidungsstücke, Uhr, Portemonnaie, Messer, Schere und dergl.) waren mir weggenommen, in meinem Zimmer befanden sich vielleicht nur 4 oder 5 Bücher, die ich allenfalls, wenn ich zu lesen Neigung gehabt hätte, hätte lesen können. Der Hauptgrund meiner Regungslosigkeit lag aber doch nicht in dem außerdem vorhandenen Mangel der zu irgendwelcher Beschäftigung geeigneten Gegenstände, sondern darin, daß ich eine absolute Passivität gleichsam als eine religiöse Verpflichtung betrachtete. 

Diese Vorstellung war nicht von selbst in mir entstanden, sondern durch die mit mir redenden Stimmen in mir hervorgerufen, dann aber allerdings längere Zeit von mir aufrechterhalten worden, bis ich die Zwecklosigkeit des entsprechenden Verhaltens erkannte. Daß mir überhaupt von Strahlen eine völlige Regungslosigkeit zugemuthet wurde ("Keine kleinste Bewegung" lautete das oft gegen mich wiederholte Stichwort), muß nach meiner Ueberzeugung wiederum damit in Zusammenhang gebracht werden, daß Gott mit dem lebenden Menschen sozusagen, nicht umzugehen wußte, sondern nur den Verkehr mit Leichen oder allenfalls mit dem im Schlaf daliegenden (träumenden) Menschen gewöhnt war. Hieraus entsprang das geradezu ungeheuerliche Ansinnen, daß ich mich selbst gewissermaßen beständig wie eine Leiche verhalten solle, sowie eine Reihe anderer mehr oder weniger thörichter, weil sämtlich der Menschennatur zuwiderlaufender Vorstellungen. Sobald man ein Geräusch in meiner Nähe wundert, was, sei es durch Sprechen oder sonstige Lebensäußerung eines Menschen, sei es durch ein Knistern der Wände, Knacksen der Dielen usw. in kurzen Pausen unausgesetzt geschieht, bezeichnet man dies, in sonderbarer Begriffsverwirrung, als eine von mir als lästig empfundene "Störung« und fälscht dann, indem man meine Nerven in die diesen Worten entsprechenden Schwingungen versetzt, die jeden Tag unzählige Male wiederkehrende Phrase "wenn nur die verfluchten Störungen aufhörten" in mich hinein, während in Wirklichkeit die Geräusche gerade umgekehrt, da sie den sogenannten "Hinhörgedanken" hervorrufen, von den Strahlen mit schreckhafter Wirkung empfunden werden, während es ferner — unter weltordnungsmäßigen Verhältnissen — natürlich niemals einem Menschen hat einfallen können, z. B. in der Sprache seiner Mitmenschen eine für ihn unangenehme Störung zu erblicken. 

Die Entstehung der ganzen, völlig verkehrten Vorstellungsweise, glaube ich aus der Erinnerung an die Vorgänge ableiten zu dürfen,welche die regelmäßigen Begleiterscheinungen eines bei einem schlafenden Menschen (im Traume) genommenen Nervenanhangs waren. Durch einen solchen Nervenanhang wurde eine vorübergehende Verbindung zwischen den göttlichen Strahlen und den Nerven des betreffenden Menschen hergestellt; natürlich war dieselbe nur auf kurze Dauer berechnet, etwa zu Eingebungen über irgendwelche das Jenseits betreffende Dinge (vergl. Kap. 1), sonstige Anregung der dichterischen Phantasie und dergleichen mehr. Um nicht auf die Dauer einer, nach Befinden für Gott gefährlich werdenden Anziehungskraft der betreffenden Nerven zu unterliegen, mußte man nach Erledigung des Zwecks wieder loszukommen suchen; man wunderte dann eben kleine Geräusche (die sogenannten "Störungen", wie man sie mir gegenüber bezeichnet), wodurch die Aufmerksamkeit des schlafenden, vielleicht im Erwachen begriffenen Menschen in andere Richtung abgelenkt wurde, und diese kurze Zeitspanne abgelenkter Aufmerksamkeit genügte dann im Verhältnis zu Nerven, die nicht in dem hochgradigen Zustande der Erregung, wie die meinigen, sich befanden, für die Strahlen, um den Nervenanhang aufzuheben und den Rückzug von den betreffenden Menschen zu finden. Von irgendwelcher ernsten Gefahr mochte für Gott bei der Leichtigkeit des Rückzugs, soweit es sich um nur mäßig erregte Nerven handelte, nicht entfernt die Rede gewesen sein. Die Erinnerung an diese Vorgänge übertrug man nun auf das mir gegenüber bestehende Verhältniß, ohne zu bedenken, daß meine Beziehungen zu göttlichen Strahlen in Folge der maßlos gesteigerten Anziehungskraft meiner Nerven schon längst unlöslich geworden waren. 

Die nun von mir geforderte Regungslosigkeit faßte ich als eine Pflicht auf, die mir sowohl im Interesse der Selbsterhaltung als Gott gegenüber obliege, um diesen aus der Bedrängniß, in welche er durch die "geprüften Seelen" gerathen war, zu befreien. Ich hatte die — übrigens wohl in der That nicht jeden Grundes entbehrende — Anschauung gewonnen, daß die Strahlenverluste sich steigerten, wenn ich mich selbst öfters hin und her bewegte (ebenso wenn ein Luftzug durch mein Zimmer ging), und bei der heiligen Scheu, die ich damals den göttlichen Strahlen gegenüber im Bewußtsein ihrer hohen Zwecke noch empfand und zugleich in der Ungewißheit, ob es denn wirklich eine Ewigkeit gebe, oder nicht die Strahlen auf einmal ein plötzliches Ende finden könnten, hielt ich es für meine Aufgabe, jeder Vergeudung von Strahlen, soweit es an mir lag, entgegen zu wirken. Nicht minder hatte ich mir, zugleich beeinflußt durch die Meinungsäußerungen der Stimmen, die in diesem Sinne unausgesetzt auf mich einsprachen, die Ansicht gebildet, daß ein Herabziehen der "geprüften Seelen" zum Zwecke eines vollständigen Aufgehens in meinem Körper und demnach zur Wiederherstellung der Alleinherrschaft Gottes am Himmel leichter sein werde, wenn ich meinen Körper in beständiger Ruhe halte. So habe ich denn das fast unglaubliche Opfer, mich fast jeder körperlichen Bewegung und damit auch jeder Beschäftigung außer der Stimmenunterhaltung zu enthalten, während mehrerer Wochen und Monate auf mich genommen; es ging dies so weit, daß ich selbst während der Nächte, auf die es hauptsächlich anzukommen schien, da das Aufgehen der geprüften Seelen am ehesten im Schlafe erwartet werden konnte, meine Lage im Bette nicht zu verändern wagte. Ich brachte das Opfer, weil ich zwar von der "Halbschürigkeit" der Politik, die Gottes Allmacht gegen mich verfolgte, schon manche Proben erhalten hatte, aber an einen wirklichen bösen Willen Gottes mir gegenüber damals noch nicht glauben mochte. 

Eine Änderung in diesen Verhältnissen trat erst etwa gegen Ende des Jahres 1894 oder gegen Anfang des Jahres 1895 ein und zwar ungefähr gleichzeitig mit derjenigen Wundererscheinung, die von einem Theil der Stimmen, die das darin liegende Unrecht erkannten, als die "verfluchte Stimmungsmache" bezeichnet wurde. Dem unausgesetzt verfolgten Streben, sich von mir zurückzuziehen (mich "liegen zu lassen"), stand nämlich vor allen Dingen auch die Heiligkeit meiner Gesinnung, die anziehend auf alle reineren Seelen oder Strahlen wirken mußte, und der tiefe Ernst meiner Auffassung in Betreff meines Verhältnisses zu Gott und meiner eigenen Lebenslage entgegen. Man fing daher an, auch meine Stimmung durch Wunder zu verfälschen, um sich den Eindruck eines leichtfertigen, nur dem augenblicklichen Genusse fröhnenden Menschen zu verschaffen (mich als solchen "darzustellen"). Eine derartige Beeinflussung der Stimmung durch Wunder ist, wie mich die Erfahrung gelehrt hat, möglich, ohne daß ich über den Zusammenhang eine nähere Erklärung zu geben vermag; um dem Leser eine annähernde Vorstellung von dem Vorgange zu verschaffen, kann ich mich nur eines Vergleichs bedienen, indem ich daran erinnere, daß bekanntlich auch der Genuß des Morphiums die Wirkung hat, einen sonst von körperlichen Schmerzen geplagten oder in seelischer Niedergeschlagenheit befangenen Menschen in eine verhältnismäßig heitere oder wenigstens gleichgültige Stimmung zu versetzen. 

Im Anfang widersetzte ich mich der Einwirkung der "Stimmungsmache" (des Stimmungsfälschungswunders); mit der Zeit aber fand ich es bequem, den Einfluß desselben gewähren zu lassen, da ich merkte, daß ich mich dabei in der That subjektiv weniger unglücklich fühlte und da ich mir obendrein sagen mußte, daß ich mit aller Heiligkeit meiner Gesinnung und mit allen meinen opferfreudigen Anstrengungen zur Unterstützung Gottes in der Bekämpfung der "geprüften Seelen" doch nichts Wesentliches ausgerichtet hatte. Ich fing an meine Lage gleichgültiger aufzufassen, erinnerte mich des Horazischen "Carpe diem", suchte mich der Sorge für die Zukunft möglichst zu entschlagen und unter Mitnahme alles dessen, was das Leben mir noch zu bieten schien, einfach in den Tag hineinzuleben. Es äußerte sich dies unter Anderem darin, daß ich etwa um die Jahreswende 1894/95 das Rauchen von Cigarren wieder aufnahm, dessen ich mich wohl nahezu Jahr und Tag gänzlich enthalten hatte. Auf der anderen Seite wurde der Zweck, den die Strahlen mit der "Stimmungsmache" eigentlich verfolgt hatten, nicht im Mindesten erreicht. Die Anziehungskraft meiner überreizten Nerven blieb ungeachtet der veränderten Stimmung ungeschwächt bestehen, nur daß ich mich nicht in demselben Maaße mehr, wie früher, unglücklich fühlte. Es bewährte sich also auch hier, wie fast bei allen weltordnungswidrigen Wundern, das Dichterwort von den Äußerungen jener Kraft, "die stets das Böse will und doch das Gute schafft." 

Daß mein vorstehend geschildertes Verhalten von meiner Umgebung namentlich von den Ärzten und Pflegern, soweit ich annehmen soll, daß sie schon damals wirkliche Menschen gewesen seien, nicht richtig beurteilt werden konnte, versteht sich eigentlich von selbst. Da ich für nichts Interesse zeigte und keinerlei geistige Bedürfnisse an den Tag legte, so konnten sie in mir kaum etwas Anderes, als einen in soporösen Stumpfsinn verfallenen Menschen erblicken. Und doch wie himmelweit war die Wirklichkeit von diesem Anschein entfernt: ich lebte in dem Bewußtsein — und meine Ueberzeugung ist auch jetzt noch, daß dieses Bewußtsein sich mit der Wahrheit deckte — eine der schwierigsten Aufgaben lösen zu müssen, die je einem Menschen gestellt worden sind und einen heiligen Kampf um die höchsten Güter der Menschheit zu kämpfen. Leider aber hatte der täuschende Schein des Gegentheils auch eine Unsumme von Unwürdigkeiten in der Behandlung meiner Person zur Folge, unter der ich Jahre hindurch schwer gelitten habe und bei denen man zuweilen meinen Stand und die hohe amtliche Stellung, die ich im Leben bekleidet hatte, vollständig vergessen zu haben schien. Es ist wiederholt vorgekommen, daß der Pfleger M. mich beim Bade, das ich nach angemessener Zeit verlassen wollte, in die Badewanne, oder am Morgen, wenn die Zeit des Aufstehens gekommen war und ich aufstehen wollte, aus mir unbekanntem Grunde in das Bett zurückwarf oder am Tage, wenn ich am Tische sitzend im Einschlummern begriffen war, mich durch Zupfen am Barte aus dem Schlafe erweckte, oder daß derselbe mir im Bade mit einem Staubkamme — und zwar zu einer Zeit, wo Strahlenzüge meine Schädeldecke durchfurchten (vergl. das folgende Kapitel) — die Haare auskämmte. Bei den Mahlzeiten pflegte derselbe mir eine Zeit lang die Serviette wie einem kleinen Kinde umzubinden. Die Cigarren wurden mir einzeln, Stück für Stück zu gewissen Tageszeiten zugezählt; erst nach Ablauf mehrerer Jahre erlangte ich es, daß mir am Morgen jedesmal der ganze Tagesbedarf auf einmal in mein Cigarrenetui gesteckt und noch später, daß mir ein ganzes Hundertkistchen als Reserve zur Verfügung gestellt wurde. Von einem anderen Pfleger habe ich mir einmal eine Ohrfeige gefallen lassen müssen. In einigen Fällen habe ich den angegebenen Unwürdigkeiten thatsächlichen Widerstand entgegengesetzt, namtlich dann, wenn man aus meinem während der Nacht von außen verschlossenen Schlafzimmer vor dem Schlafengehen das Waschgeschirr entfernen oder an Stelle dieses Schlafzimmers mir wieder einmal eine der für Tobsüchtige eingerichteten Zellen als Schlafraum anweisen wollte. Später habe ich von solchen Widersetzlichkeiten abgesehen, da dieselben nur zu zwecklosen Roheitsszenen führten; ich habe geschwiegen und geduldet. 

Es liegt mir selbstverständlich nichts ferner, als mit der Erzählung der mir widerfahrenen Unwürdigkeiten den Pfleger M. oder irgend einen anderen Pfleger bei seinem Vorgesetzten denunciren zu wollen. Die Ausschreitungen, die sich M. zuweilen hat zu Schulden kommen lassen, halte ich seinem geringen Bildungsgrade zu Gute; auch hat mich derselbe ja in den späteren Jahren im Wesentlichen zu meiner Zufriedenheit bedient, obwohl eine gewisse Selbstherrlichkeit, an die er sich nun einmal gewöhnt hatte, immer verblieb. Es konnte aber die Mittheilung dieser kleinen Züge nicht entbehrt werden, um die Größe der Schmach, die ich Jahre hindurch unter tiefster Verwunderung meines jeder Zeit vollkommen rege gewesenen Ehrgefühls habe ertragen müssen, zu kennzeichnen. —An der Vollständigkeit des Bildes meiner Lebenslage während der ersten Zeiten meines Aufenthaltes auf dem Sonnenstein mangelt noch ein Bericht über die gegen mich geübten Wunder, die ich in dem folgenden Kapitel zu erstatten gedenke. 
 

11. Kapitel - Schädigung der körperlichen Integrität durch Wunder 

Seit den ersten Anfängen meiner Verbindung mit Gott bis auf den heutigen Tag ist mein Körper unausgesetzt der Gegenstand göttlicher Wunder gewesen. Wollte ich alle diese Wunder im Einzelnen beschreiben, so könnte ich damit allein ein ganzes Buch füllen. Ich kann sagen, daß kaum ein einziges Glied oder Organ meines Körpers vorhanden ist, das nicht vorübergehend durch Wunder geschädigt worden wäre, keine einzige Muskel, an der nicht durch Wunder herumgezerrt würde, um sie je nach der Verschiedenheit des damit verfolgten Zwecks entweder in Bewegung zu setzen oder zu lähmen. Noch bis auf den heutigen Tag sind Wunder, die ich allstündlich erlebe, zum Theil von solcher Beschaffenheit, daß sie jeden anderen Menschen in tödtlichen Schrecken versetzen müßten; nur durch jahrelange Gewöhnung bin ich dahingelangt, das Meiste von dem, was jetzt noch geschieht, als Kleinigkeiten zu übersehen. In dem ersten Jahre meines Aufenthaltes auf dem Sonnensteine aber waren die Wunder so bedrohlicher Natur, daß ich fast unaufhörlich für mein Leben, meine Gesundheit oder meinen Verstand fürchten zu müssen glaubte. 

An und für sich muß natürlich der ganze Zustand, wonach die Strahlen im Wesentlichen nur dazu dienen, einem einzigen Menschen an seinem Körper Schaden zuzufügen oder demselben in Betreff der Gegenstände, mit denen er sich beschäftigt, irgend welchen Schabernack zu spielen — auch derartige harmlosere Wunder sind namentlich in neuerer Zeit ziemlich häufig geworden — als ein weltordnungswidriger angesehen werden. Denn Strahlen haben die Aufgabe, Etwas zu schaffen, nicht bloß zu zerstören oder kindische Spielerei zu treiben. Daher verfehlen auch sämmtliche Wunder, die gegen mich gerichtet worden sind auf die Dauer ihren Zweck; was unreine Strahlen zerstört oder geschädigt haben, müssen spätere, reine Strahlen immer wieder aufbauen oder heilen (vergl. bereits Kap. VII). Damit ist jedoch nicht gesagt, daß nicht wenigstens vorübergehend höchst bedenkliche, den Eindruck äußerster Gefahren erweckende Schäden angerichtet werden oder sehr schmerzhafte Zustände sich ergeben konnten. 

Am meisten erinnerten noch an weltordnungsmäßige Verhältnisse diejenigen Wunder, die in irgend welcher Beziehung zu einer an meinem Körper auszuführenden Entmannung zu stehen schienen. Hierzu gehörten namentlich allerhand Veränderungen an meinem Geschlechtstheile die vereinzelte Male (namentlich im Bett) als starke Andeutungen einer wirklichen Einziehung des männlichen Gliedes, häufig aber, wenn vorwiegend unreine Strahlen betheiligt waren, als ein fast dem vollständigen Zerlaufen sich näherndes Weicherwerden desselben auftraten; ferner das Herauswundern einzelner Bart- namentlich Schnurrbarthaare, endlich eine Veränderung der ganzen Statur (Verringerung der Körpergröße) — wahrscheinlich auf einer Zusammenziehung der Rückenwirbel und vielleicht auch der Knochensubstanz der Schenkel beruhend. Das letztere, von dem niederen Gotte (Ariman) ausgehende Wunder wurde von diesem regelmäßig mit den dasselbe ankündigenden Worten "Ob ich Sie etwas kleiner mache" begleitet; ich hatte selbst dabei den Eindruck, als ob mein Körper um etwa 6 — 8 Centimeter kleiner geworden sei, also der weiblichen Körpergröße sich angenähert habe. 

Sehr mannigfaltig waren die Wunder, denen die inneren Organe der Brust- und Bauchhöhle unterlagen. Am wenigsten weiß ich bezüglich des Herzens zu sagen; ich habe hier nur die Erinnerung, daß ich einmal — und zwar noch zur Zeit meines Aufenthaltes in der Leipziger Universitäts-Nervenklinik — ein anderes Herz hatte. Dagegen waren meine Lungen lange Zeit hindurch der Gegenstand heftiger und sehr bedrohlicher Angriffe. Ich habe von Natur sehr gesunde Brust und Lungen; durch Wunder aber wurden meine Lungen so zugerichtet, daß ich einen tödtlichen Ausgang in Folge von Lungenschwindsucht eine Zeit lang ernstlich befürchten zu müssen glaubte. Man wunderte mir zu oft wiederholten Malen einen sogenannten "Lungenwurm", von welchem ich nicht angeben kann, ob es ein thierähnlidies Wesen oder ein seelenartiges Gebilde gewesen ist; ich kann nur sagen, daß das Auftreten desselben mit einem beißenden Schmerze in den Lungen verbunden war, so wie ich mir etwa die bei einer Lungenentzündung vorkommenden Schmerzen vorstellen zu sollen glaube. Meine Lungenflügel waren zeitweise nahezu völlig absorbirt, ob nur durch Thätigkeit des Lungenwurms oder auch durch Wunder anderer Art, vermag ich nicht zu sagen; ich hatte die deutliche Empfindung, daß mein Zwerchfell ganz oben in der Brust fast unmittelbar unter dem Kehlkopfe saß und nur noch ein kleiner Rest der Lungen dazwischen sich befand, mit dem ich kaum zu athmen vermochte. Es hat Tage gegeben, wo ich mir bei den Umgängen im Garten die Lunge gewissermaßen mit jedem Athemzuge neu erkaufen mußte; denn das ist eben das Wunderbare, daß Strahlen, weil das Schaffen nun einmal in ihrer Natur liegt, gar nicht anders können, als das einem nothleidenden Körper zu seiner Erhaltung jeweilig Nothwendigste zu beschaffen. 

Ungefähr um dieselbe Zeit war ein größerer oder geringerer Theil meiner Rippenknochen ab und zu vorübergehend zerschmettert immer mit dem Erfolge, daß das Zersörte nach einiger Zeit wieder hergestellt wurde. Eins der abscheulichsten Wunder war das sogenannte Engbrüstigkeitswunder, daß ich mindestens einige Dutzend Male erlebt habe; es wurde dabei der ganze Brustkasten zusammengepreßt, so daß der Zustand der durch die Athemnoth verursachten Beklemmung sich dem gesammten Körper mitheilte. Vereinzelte Male ist das Engbrüstigkeitswunder auch noch in späteren Jahren aufgetreten, in der Hauptsache gehörte dasselbe, wie die übrigen hier beschriebenen Wunder, der zweiten Hälfte des Jahres 1894 und etwa der ersten Hälfte des Jahres 1895 an. 

Was den Magen betrifft, so war mir schon während meines Aufenthalts in der Fledisig‘schen Anstalt von dem in Kap. V genannten Wiener Nervenarzte anstatt meines gesunden natürlichen Magens ein sehr mmderwerthiger sog. "Judenmagen" angewundert worden. Später richteten sich die Wunder eine Zeit lang mit Vorliebe gegen den Magen, einestheils weil die Seelen mir den mit der Einnahme der Speisen verbundenen sinnlichen Genuß nicht gönnten, anderntheils weil die Seelen überhaupt sich für etwas Besseres dünkten, als der der irdischen Nahrung bedürftige Mensch und daher auf alles Essen und Trinken mit einer gewissen Verachtung herabzusehen geneigt waren. Ich habe zu öfteren Malen kürzere oder längere Zeit ohne Magen gelebt und zuweilen auch dem Pfleger M., wie diesem vielleicht noch erinnerlich sein wird, ausdrücklich erklärt, daß ich nicht essen könnte, weil ich keinen Magen hätte. Manchmal wurde mir unmittelbar vor der Mahlzeit ein Magen sozusagen ad hoc angewundert. Es geschah dies namentlich von Seiten der v. W.‘schen Seele, die mir überhaupt wenigstens in einigen ihrer Gestalten vorübergehend eine freundlichere Gesinnung zeigte. Freilich war dies nie von langer Dauer; den mir angewunderten, übrigens auch nur minderwerigen Magen wunderte mir die v. W.‘sche Seele in der Regel noch während der betreffenden Mahlzeit "wegen veränderter Gesinnung" wieder ab; große Veränderlichkeit ist überhaupt, abgesehen vielleicht von den ganz reinen Gottesstrahlen, ein wesentlicher Grundzug des Seelencharakters. Die genossenen Speisen und Getränke ergossen sich dann ohne Weiteres in die Bauchhöhle und die Oberschenkel, ein Vorgang, der, so unglaublich er klingen mag, nach der Deutlichkeit der Empfindung für mich außer allem Zweifel lag. 

Bei jedem anderen Menschen hätten dadurch natürlich Eiterungszustände mit unfehlbarem tödtlichen Ausgange sich ergeben müssen; mir aber konnte die Verbreitung des Speisebreis in beliebigen Körpertheilen nichts schaden, weil alle unreinen Stoffe in meinem Körper durch Strahlen wieder aufgesogen wurden. Ich habe in Folge dessen später wiederholt ganz sorglos ohne Magen drauf los gegessen; überhaupt gewöhnte ich mich nach und nach an eine vollständige Gleichgiltigkeit gegen alles, was an meinem Körper vorging. Ich bin auch jetzt noch der Überzeugung, daß ich gegen alle natürliche Krankheitseinflüsse gefeit bin; Krankheitskeime entstehen bei mir nur durch Strahlen und werden ebenso von Strahlen wieder beseitigt. Ja ich hege sogar starke Zweifel, ob ich, solange der Strahlenverkehr andauert, überhaupt sterblich bin, ob ich nicht z. B. das stärkste Gift ohne wesentlichen Schaden für mein Leben und meine Gesundheit zu mir nehmen könnte. Denn was können denn Gifte anders machen, als irgendwelche wichtige Organe zerstören oder eine zersetzende Wirkung auf das Blut ausüben? Beides ist aber bei mir in unzähligen Fällen bereits durch Strahlen ohne schädlichen Erfolg für die Dauer geschehen. 

Von sonstigen inneren Organen will ich nur noch der Speiseröhre und der Därme gedenken, die wiederholt zerrissen oder verschwunden waren, ferner des Kehlkopfs, den ich mehr als einmal zum Theil mit aufgegessen habe, endlich des Samenstrangs, gegen den zuweilen in ziemlich schmerzhafter Weise gewundert wurde, hauptsächlich um das in meinem Körper entstehende Wollustgefühl zu unterdrücken. Außerdem habe ich noch eines den ganzen Unterleib ergreifenden Wunders, der sogenannten Unterleibsfäule Erwähnung zu thun. Dieses Wunder ging regelmäßig von der von W.‘schen Seele in einer ihrer unreinsten Gestalten aus, die deshalb — im Gegensatz zu anderen von W.‘schen Seelentheilen — die Bezeichnung "Unterleibsfäulen von W." erhielt. Dieselbe warf mit vollendeter Rücksichtslosigkeit die Unterleibsfäule erzeugenden Fäulnißstoffe in meinen Bauch hinein, sodaß ich mehr als einmal bei lebendigem Leibe verfaulen zu müssen glaubte und der Modergeruch in ekelerregendster Weise meinem Munde entströmte. Die von W.‘sche Seele rechnete dabei darauf, daß die Unterleibsfäule von Gottesstrahlen wieder beseitigt werde, was denn auch stets durch Strahlen von ganz besonderer, diesem Zwecke entsprechender Beschaffenheit, die sich wie ein Keil in meine Därme schoben und den Fäulnißgehalt aufsogen, geschah. Die Gottesstrahlen schienen hierbei in dem instinktiven Bewußtsein zu handeln, daß es für sie selbst überaus widerwärtig sein würde, sich von einem verfaulenden Körper anziehen lassen zu müssen. Diese Vorstellung kam in der wiederholt ausgegebenen Losung, daß man mich wenigstens "mit reinem Körper" liegen lassen wolle, zum Ausdruck; natürlich litt auch diese Vorstellung wieder an der üblichen Unklarheit, insofern man sich offenbar keine Rechenschaft darüber gegeben hatte, wodurch denn nun eigentlich die Nerven des "liegen gelassenen" Körpers die Anziehungskraft verlieren sollten. 

Am bedrohlichsten erschienen mir selbst immer diejenigen Wunder, die sich in irgend welcher Weise gegen den Verstand richteten. In erster Linie handelte es sich dabei um den Kopf; in zweiter Linie kam während eines gewissen — wohl mehrwöchentlichen Zeitraums etwa im Herbst 1894 —auch das Rückenmark in Frage, das damals neben dem Kopfe als Sitz des Verstandes angesehen wurde. Man versuchte mir daher das Rückenmark auszupumpen, was durch sogenannte "kleine Männer", die man mir in die Füße setzte, geschah. Über diese "kleinen Männer", die mit der bereits in Kap. VI besprochenen gleichnamigen Erscheinung einige Verwandschaft zeigten, werde ich später noch Weiteres mittheilen; in der Regel waren es je zwei, ein "kleiner Flechsig" und ein "kleiner von W.", deren Stimmen ich auch in meinen Füßen vernahm. Das Auspumpen hatte den Erfolg, daß. mir das Rückenmark namentlich bei den Spaziergängen im Garten zuweilen in ziemlicher Menge in Form kleiner Wölkchen aus dem Munde entströmte. Man kann sich denken, mit welcher Sorge mich solche Vorgänge erfüllten, da ich damals noch nicht wußte, ob nicht damit in der That ein Theil meines Verstandes in die Luft verflöge. Das Wundern gegen den Kopf und die Kopfnerven geschah in sehr mannigfaltiger Art. Man versuchte mir die Nerven aus dem Kopfe herauszuziehen, eine Zeit lang sogar (während der Nächte) in den Kopf des im Nebenzimmer schlafenden M. zu verpflanzen. Diese Versuche hatten (abgesehen von der Sorge um den wirklichen Verlust meiner Nerven) eine unangenehm spannende Empfindung in meinem Kopfe zur Folge. Jedoch gelang das Herausziehen stets nur in sehr mäßigem Grade, das Beharrungsvermögen meiner Nerven erwies sich als die stärkere Kraft und die halb herausgezogenen Nerven kehrten immer nach kurzer Zeit wieder in meinen Kopf zurück. Recht bedenkliche Verheerungen wurden an meinem Schädel durch die sogenannten "Strahlenzüge" angerichtet, eine schwer zu beschreibende Erscheinung, von der ich nur die Wirkung dahin bezeichnen kann, daß mein Schädel dadurch zu oft wiederholten Malen in verschiedenen Richtungen gleichsam zersägt war. Sehr häufig hatte ich — und dies ist auch jetzt noch in periodischer Wiederkehr alltäglich der Fall — die Empfindung, daß meine ganze Schädeldecke vorübergehend dünner geworden war, der Vorgang besteht nach meiner Auffassung darin, daß das Knochenmaterial meiner Schädeldecke durch die zerstörende Wirkung der Strahlen vorübergehend zum Theil pulverisirt, dann aber von reinen Strahlen, namentlich im Schlafe der Schädeldecke wieder angefügt wird. Daß durch alle diese Vorgänge sehr unangenehme Empfindungen entstehen müssen, wird man sich vorstellen können, wenn man bedenkt, daß es die — an ihren Ausgangspunkten irgendwie mechanisch befestigten —Strahlen einer ganzen Welt sind, die an einem einzigen Kopfe herumziehen und denselben in der Art etwa, wie es beim Viertheilen geschieht, auseinander zu zerren oder zu zersprengen streben. 

Man unternahm es ferner in der Zeit, von der ich gegenwärtig handle, wiederholt meine Nerven mit irgendwelchen schädlichen Stoffen zu überziehen; es schien, als ob wirklich dadurch die natürliche Schwingungsfähigkeit der Nerven beeinträchtigt werde, sodaß ich selbst manchmal den Eindruck einer vorübergehenden Verdummung hatte. Einer der dabei in Frage kommenden Stoffe wurde als "Intoxikationsgift" bezeichnet; was derselbe seiner chemischen Natur nach gewesen ist, vermag ich nicht zu sagen. Ab und zu kam es auch vor, daß man mir die Flüssigkeiten der von mir eingenommenen Speisen auf die Kopfnerven wunderte, sodaß dieselben mit einer Art Kleister überzogen waren und dadurch die Denkfähigkeit vorübergehend zu leiden schien; genau erinnere ich mich, daß dies einmal mit dem Kaffee geschah. 

An allen meinen Muskeln wurde (und wird noch jetzt) herumgewundert, um mich an allen Bewegungen oder jeweilig derjenigen Beschäftigung, die ich gerade vornehmen will, zu verhindern. So versucht man z. B. meine Finger zu lähmen, wenn ich Klavier spiele oder schreibe, und meiner Kniescheibe einen die Marschfähigkeit aufhebenden Schaden beizubringen, wenn ich im Garten oder auf dem Korridor herumgehe. Der Erfolg besteht jetzt wenigstens fast stets nur in einer gewissen Erschwerung der betreffenden Beschäftigung oder mäßigen Schmerzempfindungen beim Gehen. 

Eine fast ununterbrochene Zielscheibe von Wundern bilden namentlich meine Augen und die zur Öffnung und Schließung derselben dienenden Lidermuskeln. Die Augen waren von jeher sehr wichtig, weil Strahlen, die an sich mit zerstörender Wirkung ausgestattet sind, ihre Schärfe nach verhältnismäßig kurzer Zeit verlieren, sobald sie Etwas sehen und dann unschädlich in meinem Körper eingehen. Der Gegenstand des Sehens können entweder Gesichts- (Augen-) eindrücke sein, die die Strahlen, wenn meine Augen geöffnet sind, durch Vermittelung derselben empfangen, theils Bilder, die ich auf meinem inneren Nervensystem durch Gebrauch der menschlichen Einbildungskraft willkürlich hervorzurufen vermag, so daß sie damit den Strahlen gewissermaßen sichtbar werden. Auf die Vorgänge der letzteren Art, die in der Seelenspradie das "Zeichnen" des Menschen genannt werden, werde ich noch in anderem Zusammenhange zurückkommen. Hier mag nur erwähnt werden, daß man schon sehr früh dazu verschritt und auch im Laufe der seitdem verflossenen Jahre immer bei dem Bestreben verblieben ist, mir meine Augen gegen meinen Willen zu schließen, eben um mich der Augeneindrücke zu berauben und den Strahlen die zerstörende Schärfe zu erhalten. Die Erscheinung kann fast in jedem gegebenen Zeitpunkte an mir beobachtet werden; wer sich die Mühe geben will, darauf zu achten, wird wahrnehmen können, daß meine Augenlider, selbst im Gespräch mit anderen Menschen, plötzlich zusammenklappen oder zufallen, wie dies unter natürlichen Verhältnissen bei keinem Menschen vorzukommen pflegt. Um dann die Augen trotzdem offenzuhalten, bedarf es immer einer gewissen Anspannung meiner Willenskraft; da ich indessen nicht immer ein Interesse an der Oeffnung meiner Augen habe, so lasse ich die Schließung aus Bequemlichkeit vorübergehend wohl auch auf einige Zeit geschehen. 

Das Herumwundern an meinen Augen wurde in den ersten Monaten meines Aufenthalts von "kleinen Männern" besorgt, von ähnlicher Beschaffenheit wie diejenigen, deren ich oben bei Besprechung der Rückenmarkswunder Erwähnung gethan habe. Diese "kleinen Männer" waren eine der merkwürdigsten und für mich selbst in gewisser Beziehung räthselhaftesten Erscheinungen; über die objektive Wirklichkeit der betreffenden Vorgänge habe ich nach der Unzahl der Fälle, in denen ich die "kleinen Männer" mit meinem geistigen Auge gesehen und ihre Stimmen vernommen habe, nicht den mindesten Zweifel. Das Merkwürdige bestand eben darin, daß Seelen oder einzelne Nerven derselben unter gewissen Voraussetzungen und zu bestimmten Zwecken die Form winziger Menschengestalten annahmen (wie schon früher bemerkt nur von der Größe einiger Millimeter) und als solche an den verschiedensten Körpertheilen, theils im Innern des Körpers, theils an der Außenfläche desselben ihr Wesen trieben. Die mit Öffnung und Schließung der Augen Beschäftigten standen über den Augen in den Augenbrauen und zogen von dort aus die Augenlider an feinen, spinnwebartigen Fäden nach ihrem Geschmack herauf und herunter. Auch hier waren es in der Regel ein "kleiner Flechsig" und ein "kleiner v. W.", neben ihnen zuweilen auch noch ein "kleiner Mann", der aus der damals noch vorhandenen Daniel Fürchtegott Flechsigschen Seele hervorgegangen war. Wenn ich das Herauf- und Herunterziehen meiner Augenlider mir zuweilen nicht gefallen lassen wollte, sondern entgegenhandelte, so pflegte dies den Unwillen der "kleinen Männer" zu erregen und von ihnen mit dem Zuruf "Luder" begrüßt zu werden; wenn ich dieselben ab und zu einmal mit dem Schwamme von meinen Augen herunterwischte, so wurde mir dies von den Strahlen als eine Art Verbrechen gegen die göttliche Wundergewalt angerechnet. Uebrigens hatte das Wegwischen auch nur ganz vorübergehend Erfolg, da die "kleinen Männer" jedesmal alsbald wieder von Neuem gesetzt wurden. Andere "kleine Männer" waren in der damaligen Zeit fast immer in großer Zahl auf meinem Kopfe versammelt. Hier wurden sie als "kleine Teufel" bezeichnet. Dieselben gingen förmlich auf meinem Kopfe spazieren, überall neugierig herzulaufend, wo irgend etwas Neues von durch Wunder an meinem Kopfe verursachten Zerstörungen zu sehen war. Dieselben nahmen sogar in gewissem Sinne an meinen Mahlzeiten theil, indem sie von den von mir genossenen Speisen häufig einen natürlich minimalen Theil sich selber zuführten; sie erschienen dann vorübergehend etwas angeschwollen, zugleich aber träger und in ihrer Gesinnung harmloser. Ein Theil der "kleinen Teufel" war auch bei einem oft an meinem Kopfe wiederholten Wunder betheiligt, das ichbei dieser Gelegenheit nachtragen will. Es war — neben dem Engbrüstigkeitswunder — wohl das abscheulichste aller Wunder; der dafür gebrauchte Ausdruck war, wenn mir recht erinnerlidi ist, "Kopfzusammenschnürungsmaschine". In meiner Schädeldecke war nämlich durch die vielen Strahlenzüge usw. ungefähr in der Mitte eine wahrscheinlich nicht von außen, aber doch von innen sichtbare tiefe Spalte oder Cäsur entstanden. Zu beiden Seiten dieser Spalte standen die »kleinen Teufel« und preßten durch Andrehen einer Art von Schraubenkurbel meinen Kopf in der Art einer Schraubenpresse zusammen, sodaß mein Kopf zeitweise eine nach oben verlängerte, fast birnenförmige Gestalt gewann. Der Eindruck auf mich war natürlich ein äußerst bedrohlicher, zuweilen auch mit sehr empfindlichen Schmerzen verbunden. Zeitweise wurde wieder zurückgeschraubt, meist aber nur "sehr lässig", sodaß der zusammengepreßte Zustand immer einige Zeit anzudauern pflegte. Die betheiligten "kleinen Teufel" waren meist solche, die von der v. W.‘schen Seele ausgingen. Die Zeit, in der diese "kleinen Männer und "kleinen Teufel" auftraten, umfaßte etwa einige Monate, dann verschwanden sie, um niemals wieder aufzutreten. Der Zeitpunkt ihres Verschwindens fällt vielleicht annähernd mit dem Auftreten der hinteren Gottesreiche zusammen. An meinen Augen wird zwar auch jetzt noch in der oben geschilderten Weise durch Aufklappen und Schließen der Augenlider herumgewundert, es geschieht aber seit nunmehr also fast sechs Jahren nicht mehr durch "kleine Männer", sondern unmittelbar durch Strahlen, von denen die betreffenden Muskeln in Bewegung gesetzt werden. Um mich an willkürlichem Schließen und Öffnen der Augen zu hindern, wunderte man mir auch einige Male die geringe Muskellage ab, welche sich in und über den Augenlidern befindet und der Bewegung der letzteren dient. Der Erfolg war aber auch hier nur vorübergehend, da das verlorene Muskelfleisch — aus dem bereits mehrfach erwähnten Grunde — immer alsbald wieder ersetzt wurde. 

Abgesehen von dem, was oben hinsichtlich der Rippen- und Schädelknochen bereits bemerkt worden ist, war auch mein Knochensystem der Gegenstand mannigfacher Wunder. In dem Fußknochen, namentlich in der Fersengegend, wunderte man mir des Öfteren Knochenfraß, der mit sehr empfindlichen Schmerzen verbunden war; glücklicher Weise pflegten die Schmerzen wenigstens in größerer Heftigkeit nicht allzulange anzuhalten. Ein ähnliches Wunder war das sogen. "Steißwunder"; bei diesem waren die untersten Rückenwirbelknochen in einem wohl ebenfalls knochenfraßartigen schmerzhaften Zustande begriffen. Der Zweck war, mir auch das Sitzen oder Liegen unmöglich zu machen. Überhaupt wollte man mich in keiner Stellung oder bei keiner Beschäftigung lange dulden: wenn ich ging, suchte man mich zum Liegen zu zwingen und wenn ich lag, von dem Lager wieder aufzujagen. Daß ein thatsächlich nun einmal vorhandener Mensch doch irgendwo sein müsse, dafür schienen Strahlen kein Verständniß zu haben. Ich war, vermöge der Nothwendigkeit, sich von meinen Nerven anziehen zu lassen, nun einmal ein für die Strahlen (für Gott) unbequemer Mensch geworden, gleichviel in welcher Lage oder Stellung ich mich befinden oder welche Beschäftigung ich treiben mochte. Daß dies eigentlich ohne meine Schuld geschehen war, wollte man sich eben nicht eingestehen, sondern war stets von der Neigung beherrscht, das Schuldverhältniß im Wege des "Darstellens" umzukehren. 

Mit dem gegenwärtigen Kapitel glaube ich von den Wundern, die ich in Folge ihres bedrohlichen Charakters als die wesentlicheren anzusehen veranlaßt war, eine annähernd vollständige Schilderung gegeben zu haben. Zahlreiche andere Wunder (theils an meinem Körper, theils an den in meiner Nähe befindlichen Gegenständen), die schon in der damaligen Zeit neben den besprochenen Wundern einherliefen oder erst in der Folgezeit auftreten, die aber von minder bedrohlicher Art waren, werde ich im Fortgang meiner Arbeit gelegentlich noch vielfach zu erwähnen haben. 

12. Kapitel - Inhalt des Stimmengeredes. "Seelenauffassung". Seelensprache. Fortsetzung der persönlichen Erlebnisse 

Das Gerede der Stimmen war, wie bereits im Kap. IX bemerkt worden, schon in der damaligen Zeit überwiegend ein ödes Phrasengeklingel von eintönigen, in ermüdender Wiederholung wiederkehrenden Redensarten, die überdies durch Weglassen einzelner Worte und selbst Silben immermehr das Gepräge grammatikalischer Unvollständigkeit annahmen. Immerhin kam damals noch eine gewisse Anzahl von Redewendungen vor, deren besondere Besprechung sich lohnt, weil sie interessante Streiflichter auf die ganze Vorstellungsweise der Seelen, auf ihre Auffassung vom menschlichen Leben und vom menschlichen Denken warfen. Zu diesen Redewendungen gehörten namentlich diejenigen, in denen ich — etwa seit der Zeit meines Aufenthalts in der Dr. Pierson‘schen Anstalt — die Bezeichnung eines "Höllenfürsten" erhielt. Zu unzähligen Malen hieß es z. B. "Gottes Allmacht hat entschieden, daß der Höllenfürst lebendig verbrannt wird", "Rücksichtlich der Strahlenverluste ist der Höllenfürst verantwortlich". "Victoria rufen wir nun über den überwundenen Höllenfürsten", dann aber auch von einem Theil der Stimmen: "Schreber ist, nein Flechsig ist der wahre `Höllenfürst´" usw. 

Wer mich irgend in meinem früheren Leben gekannt und dabei Gelegenheit gehabt hat, meine kühle und nüchterne Sinnesweise zu beobachten, wird mir wohl darin Glauben schenken, daß ich nie von selbst darauf gekommen sein würde, eine so phantastische Bezeichnung wie die eines "Höllenfürsten" für mich in Anspruch zu nehmen, zumal dieselbe mit der Dürftigkeit meiner äußeren Lebenslage, den zahlreichen Freiheitsbeschränkungen, denen ich unterlag usw., in so sonderbarer Weise kontrastirte. In den Verhältnissen meiner Umgebung war sicher weder von Hölle, noch von fürstlicher Einrichtung etwas zu spüren. Nach meinem Dafürhalten liegt dem Ausdrucke "Höllenfürst", der nur mißverständlich auf mich angewendet wurde, ursprünglich eine Abstraktion zu Grunde. 

In den Gottesreichen mochte von jeher das Bewußtsein geherrscht haben, daß die Weltordnung, so groß und herrlich sie war, doch nicht ganz ohne Achillesferse sei, insofern die Anziehungskraft der menschlichen Nerven auf die Gottesnerven einen Keim der Gefahren für die Gottesreiche in sich barg. Diese Gefahren mochten zu gewissen Zeiten bedrohlicher erschienen sein, wenn irgendwo auf der Erde oder auch auf andern Weltkörpern ein Überhandnehmen von Nervosität oder sittlicher Fäulniß bemerkt wurde. Um sich von den Gefahren eine deutlichere Vorstellung zu verschaffen, waren anscheinend die Seelen zu einer Personifikation verschritten, ähnlich wie im Kindesalter stehende Völker die Idee der Gottheit durch Götzenbilder ihrem Verständniß näher zu bringen suchen. Als "Höllenfürst" galt daher wahrscheinlich den Seelen die unheimliche Macht, die aus einem sittlichen Verfall der Menschheit oder aus allgemeiner Nervenüberreizung in Folge von Überkultur als eine gottfeindliche sich entwickeln konnte. In meiner Person schien nun dieser "Höllenfürst", nachdem die Anziehungskraft meiner Nerven sich immer unwiderstehlicher gestaltet hatte, auf einmal Wirklichkeit geworden zu sein. Man sah daher in mir einen Feind, der mit allen Mitteln der göttlichen Macht vernichtet werden müsse; daß ich im Gegentheil der beste Freund reiner Strahlen war, von denen allein ich doch meine Heilung oder eine sonstige befriedigende Lösung des Konfliktes erwarten konnte, wollte man nicht anerkennen. Man konnte sich anscheinend eher mit dem Gedanken befreunden, die eigene Macht mit unreinen ("geprüften") Seelen — den wahren Feinden Gottes — zu theilen, als sich in das Gefühl der Abhängigkeit von einem einzelnen Menschen, auf den man sonst in dem stolzen Bewußtsein einer unnahbaren Macht herabgesehen haben würde, hineinfinden. 

Eine andere Gruppe von Redensarten, denen eine gewisse sachliche Bedeutung beiwohnte, waren diejenigen, in denen von der "Seelenauffassung" gesprochen wurde. Auch hier lagen an sich beachtenswerthe und werthvolle Gedanken zu Grunde. Die Seelenauffassung in ihrer ursprünglichen Bedeutung ist nach meinem Urtheil die etwas idealisirte Vorstellung, die sich die Seelen von dem menschlichen Leben und Denken gebildet hatten. Die Seelen waren eben die abgeschiedenen Geister gewesener Menschen. Als solche interessirten sie sich lebhaft nicht nur für ihre eigene menschliche Vergangenheit, sondern auch für die Schicksale ihrer noch auf Erden lebenden Angehörigen und Freunde, und für alles, was sonst in der Menschheit vorging, wovon sie ja im Wege des Nervenanhanges oder auch wohl, soviel äußere Eindrücke betrifft, durch unmittelbares Sehen Kenntniß nehmen konnten (vergl. Kap. 1). Gewisse Lebensregeln und gewisse Lebensanschauungen hatten sie in mehr oder weniger bestimmten Formen zu wörtlichem Ausdruck gebracht. Ich will beispielsweise nur einige der betreffenden Sätze hier anführen. "Nicht an bestimmte Körpertheile denken", lautete eine Lebensregel, welche offenbar den Gedanken zum Ausdruck brachte, daß es der normalen gesundheitlichen Verfassung des Menschen entspricht, wenn derselbe keine Veranlassung hat, durch irgend welche Schmerzempfindungen sich einzelner Theile seines Körpers zu erinnern. "Nicht auf die erste Aufforderung", lautete eine andere, welche besagen wollte, daß ein verständiger Mensch sich nicht durch jeden augenblicklichen Impuls zum Handeln in dieser oder jener Richtung bestimmen lassen soll. "Ein angefangenes Geschäft muß vollendet werden", war die Formel, in welcher der Gedanke zum Ausdruck gelangte, daß der Mensch dasjenige, was er einmal vornimmt, unbehindert durch erschwerende Einflüsse zu dem vorgestreckten Ziel führen soll u.s.w. 

In dem Denkprozesse des Menschen unterschied man "Entschlußgedanken" — die auf Vornahme einer bestimmten Thätigkeit gerichteten Willens. anstöße des Menschen — "Wunschgedanken", "Hoffnungsgedanken" und "Befürchtungsgedanken". Als "Nachdenkungsgedanke" wurde die vielleicht auch dem Psychologen bekannte Erscheinung bezeichnet, die den Menschen sehr häufig dazu führt, diejenige Richtung seiner Willensbestimmung, zu welcher er sich im ersten Augenblicke geneigt zeigt, bei weiterer Erwägung, die unwillkürlich das Auftauchen von Zweifelsgründen veranlaßt, entweder in ihr völliges Gegentheil zu verkehren oder wenigstens theilweise zu verändern. "Der menschliche Erinnerungsgedanke" wurde diejenige andere Erscheinung genannt, nach welcher der Mensch unwillkürlich das Bedürfniß empfindet, irgend einen wichtigen von ihm gefaßten Gedanken durch alsbald erfolgende Wiederholung seinem Bewußtsein fester einzuprägen. — Sehr charakteristische Erscheinungsformen des "menschlichen Erinnerungsgedankens", welche erkennen lassen, wie tief derselbe im Wesen des menschlichen Denk- und Empfindungsprozesses begründet ist, sind z. B. in dem in Gedichten vorkommenden Kehrreim (Refrain) enthalten und treten ebenso in musikalischen Kompositionen zu Tage, wo ganz regelmäßig eine bestimmte Tonfolge, die eine dem menschlichen Empfinden zusagende Verkörperung der Schönheitsidee enthält, in demselben Tonstück nicht blos einmal vorkommt, sondern zu alsbaldiger Wiederholung gelangt. — Einen sehr breiten Raum nahmen in der "Seelenauffassung" Vorstellungen ein, die auf das Verhältniß der beiden Geschlechter und die einem jeden derselben angemessene Beschäftigungsweise, Geschmacksrichtung u. s. w. sich bezogen. So galten z. B. das Bett, der Handspiegel und die Harke (der Rechen) als weiblich, der Rohrstuhl und der Spaten als männlich, von Spielen das Schachspiel als männlich, das Damenspiel als weiblich u. s. w. 

Daß im Bette der Mann auf der Seite, die Frau auf dem Rücken liegt (gewissermaßen als "unterliegender Theil" stets in der dem Beischlaf entsprechenden Lage), wußten die Seelen ganz genau; ich, der ich im früheren Leben nie darauf geachtet hatte, habe es erst von den Seelen erfahren. Nach dem, was ich darüber z. B. in der Aerztlichen Zimmergymnastik meines Vaters (23. Auflage, Seite 102) lese, scheinen selbst Ärzte hierüber nicht unterrichtet zu sein. Es war ferner den Seelen bekannt, daß zwar die männliche Wollust durch den Anblick weiblicher Nuditäten, nicht aber umgekehrt oder wenigstens nur in sehr viel schwächerem Maße die weibliche Wollust durch den Anblick männlicher Nuditäten angeregt wird, weibliche Nuditäten vielmehr gleichmäßig erregend auf beide Geschlechter wirken. So wird beispielsweise der Anblick entblößter männlicher Körper, etwa bei einem Schauschwimmen, das anwesende weibliche Publikum geschlechtlich ziemlich kalt lassen (weshalb denn die Zulassung desselben ganz mit Recht nicht ohne Weiteres für sittlich anstößig gilt, wie dies betreffs der Anwesenheit von Männern bei einem weiblichen Schauschwimmen der Fall sein würde), während eine Balletvorstellung bei beiden Geschlechtern eine gewisse sexuelle Erregung hervorruft. Ich weiß nicht, ob diese Erscheinungen in weiteren Kreisen bekannt sind und als wahr angenommen werden. Ich für meinen Theil kann nach den seitdem angestellten Beobachtungen und nach dem, was mich das Verhalten meiner eigenen Wollustnerven lehrt, keinen Zweifel an der Richtigkeit des hierunter nach der Seelenauffassung stattfindenden Verhältnisses hegen. Natürlich bin ich mir dessen bewußt, daß das Verhalten meiner eigenen (weiblichen) Wollustnerven an sich nicht beweiskräftig ist, da diese sich eben ausnahmsweise in einem männlichen Körper befinden. 

Bei den Kleidungsstücken (dem "Rüstzeug", wie der grundsprachliche Ausdruck lautet) ergab sich die Unterscheidung des Männlichen und des Weiblichen in der Hauptsache von selbst; als ein besonders charakteristisches Symbol der Männlichkeit erschienen den Seelen die Stiefel. "Die Stiefel ausziehen" war daher eine Redewendung, die für die Seelen ungefähr dasselbe wie Entmannung besagte. 

Diese kurzen Bemerkungen mögen genügen, um eine ungefähre Vorstellung davon zu geben, welcher Begriff sich mit dem Ausdrucke "Seelenauffassung" seiner ursprünglichen Bedeutung nach verband. Die betreffenden Aufschlüsse, — welche übrigens sämmtlich in den ersten Zeiten meiner Krankheit erfolgten — verdanke ich theils ausdrücklichen Mittheilungen, theils sonstigen in Verkehr mit den Seelen genommenen Eindrücken. Ich habe dabei Einblicke in das Wesen des menschlichen Denkprozesses und des menschlichen Empfindens gewonnen, um die mich wohl mancher Psycholog beneiden könnte. 

Eine ganz andere Bedeutung erhielten die Redewendungen von der "Seelenauffassung" in der späteren Zeit. Sie sanken zu bloßen Floskeln herab, mit denen man bei dem vollständigen Mangel eigener Gedanken (vergl. Kap. IX) dem Sprechbedürfnisse zu genügen suchte. "Vergessen Sie nicht, daß Sie an die Seelenauffassung gebunden sind" und "das war nun nämlich nach der Seelenauffassung zuviel" wurden beständig wiederkehrende leere Phrasen, mit denen man mich seit Jahren in tausendfältiger Wiederholung in nahezu unerträglicher Weise gequält hat und noch quält. Die letztere Phrase, die fast regelmäßig erfolgende Erwiderung, wenn man auf irgend einen neu bei mir hervortretenden Gedanken etwas Weiteres nicht zu sagen weiß, läßt auch in ihrer wenig geschmackvollen stylistischen Fassung den eingetretenen Verfall erkennen; die ächte Grundsprache, d. h. der Ausdruck der wirklichen Empfindungen der Seelen zu der Zeit, als es noch keine auswendig gelernten Phrasen gab, war auch in der Form durch edle Vornehmheit und Einfachheit ausbezeichnet. 

Gewisser weiterer Redensarten von sachlich einigermaßen bedeutsamem Inhalt kann ich wegen des Zusammenhangs erst in dem folgenden Kapitel Erwähnung thun. 

Meine äußeren Lebensverhältnisse hatten sich, wie bereits am Schlusse von Kap. X bemerkt worden, seit etwa der ersten Hälfte des Jahres 1895 wenigstens in manchen Beziehungen etwas erträglicher gestaltet. Das Wichtigste war, daß ich mich in dieser oder jener Weise zu beschäftigen anfing. Eine Korrespondenz mit Angehörigen, namentlich mit meiner Frau, zu der man mich durch den Pfleger M. einige Male bestimmen wollte, lehnte ich damals allerdings noch ab. Ich glaubte noch nicht an eine wirkliche Menschheit außerhalb der Anstalt, hielt vielmehr alle Menschengestalten, die ich sah, namentlich auch meine Frau bei ihren Besuchen nur für auf kurze Zeit "flüchtig hingemacht", sodaß das mir angesonnene Briefschreiben eine bloße Komödie gewesen wäre, die ich nicht mitmachen wollte. Dagegen fand sich seit der angegebenen Zeit ab und zu Gelegenheit zum Schachspielen (mit anderen Patienten oder mit Pflegern) und zum Klavierspielen. Nachdem ich bereits ein oder zwei Male bei Besuchen meiner Frau in dem Gesellschaftszimmer oder im Bibliothekzimmer der Anstalt etwas Klavier gespielt hatte, wurde etwa im Frühjahr 1895 ein Pianino in meinem Zimmer zu meiner ständigen Benutzung aufgestellt. Das Gefühl, das ich bei Wiederaufnahme dieser in gesunden Tagen gern von mir getriebenen Beschäftigungen hatte, kann ich am besten mit dem Citat aus Tannhäuser bezeichnen: 

"Dichtes Vergessen hat zwischen heut‘ und gestern sich gesenkt. All‘ mein Erinnern ist mir schnell geschwunden und nur des Einen muß ich mich entsinnen, daß ich nie mehr gehofft Euch zu begrüßen, noch je zu Euch mein Auge zu erheben." In der Flechsig‘schen Anstalt hatte ich ein einziges Mal auf dringendes Zureden meiner Frau Klavier gespielt und zwar nach gerade zufällig da liegenden Noten die Arie aus Händels Messias "Ich weiß, daß mein Erlöser lebt". Mein Zustand dabei war der Art gewesen, daß ich es in der bestimmten Annahme gethan hatte, es sei das letzte Mal in meinem Leben, daß meine Finger die Klaviertasten berührten. Seit ihrer Wiederaufnahme in der Anstalt sind Schach und Klavierspielen zwei meiner Hauptbeschäftigungen in dem ganzen seitdem verflossenen, etwa fünfjährigen Zeitraume geworden. Namentlich das Klavierspielen wurde mir von unschätzbarem Werth und ist dies auch jetzt noch; ich muß sagen, daß ich mir schwer vorstellen kann, wie ich den Denkzwang mit allen seinen Begleiterscheinungen während dieser fünf Jahre hätte ertragen sollen, wenn ich des Klavierspielens nicht mächtig gewesen wäre. Während des Klavierspielens wird das unsinnige Geschwätz der mit mir redenden Stimmen übertäubt, es ist — neben körperlichen Uebungen — eine der adäquatesten Formen des sog. "Nichtsdenkungsgedankens", um den man mich betrügen wollte, indem dabei, wie es in der Seelensprache genannt wurde, der "musikalische Nichtsdenkungsgedanke" zur Geltung kommt. Zugleich haben die Strahlen an meinen Händen und an den Noten, aus denen ich spiele, immer wenigstens einen Augeneindruck und endlich scheitert, an der Empfindung, die man in das Klavierspiel hineinlegen kann, jeder Versuch einer "Darstellung" durch Stimmungsmache und dergleichen. Das Klavierspielen bildete daher von jeher und bildet noch jetzt einen Hauptgegenstand des Verfluchens. 

Die Schwierigkeiten, die mir dabei in den Weg gelegt wurden, spotten jeder Beschreibung. Lähmung der Finger, Veränderung der Richtung der Augen, damit ich die richtigen Noten nicht soll finden können, Ablenkung der Finger auf unrichtige Tasten, Beschleunigung des Tempo‘s durch verfrühtes Inbewegungsetzen meiner Fingermuskel waren und sind noch jetzt alltägliche Erscheinungen. Am Klavier selbst wurden mir (glücklicher Weise in den letzten Jahren erheblich seltener) sehr häufig Klaviersaiten durch Wunder entzwei geschlagen, im Jahre 1897 hat die Rechnung für zersprungene Klaviersaiten nicht weniger als 86 Mark betragen. 

Es ist dies einer der wenigen Punkte, bei denen ich einen auch für andere Menschen überzeugenden Beweis für die Wirklichkeit der von mir behaupteten Wunder liefern zu können glaube. Oberflächliche Beurtheiler könnten vielleicht zu der Annahme geneigt sein, daß ich selbst durch unvernünftiges Lospauken auf das Klavier die Schuld an dem Zerspringen der Klaviersaiten getragen habe; in diesem Sinne hat sich z. B. auch meine eigene Frau vielleicht nach entsprechenden Meinungskundgebungen der Ärzte mehrfach mir gegenüber geäußert. Dem gegenüber behaupte ich — und ich bin der Überzeugung, daß mir darin jeder Sachverständige Recht geben muß — daß ein Zersprengen von Klaviersaiten durch bloßes Aufschlagen auf die Tasten und wenn es noch so gewaltsam geschieht, schlechterdings unmöglich ist. Die kleinen Hämmerchen, welche mit den Tasten in Verbindung stehen und ganz lose an die Saiten anschlagen, können auf die letzteren niemals eine solche Gewalt ausüben, daß ein Zerspringen möglich wäre. Es mag es nur jemand einmal versuchen, meinetwegen selbst mit einem Hammer oder einem Holzklotz auf die Tasten loszuhauen, er wird damit vielleicht die Klaviatur zertrümmern, aber niemals eine Saite zum Springen bringen können. Daß in den letzten Jahren das Zerspringen der Klaviersaiten seltener geworden ist — ab und zu kommt es auch jetzt noch vor —‚ ist lediglich darauf zurückzuführen, daß die Gesinnung der Strahlen (Gottes) in Folge der beständig zunehmenden Seelenwollust eine weniger unfreundliche gegen mich geworden ist (worüber später das Nähere), und daß dieselben überdies neuerdings durch andere auch für sie (die Strahlen) noch unerquicklichere Zustände, insbesondere das sogeannte "Brüllen" genöthigt wurden, in dem Klavierspielen eine der für alle Theile angenehmsten Arten der Zeitausfüllung zu finden. 

Ich kann mir es nicht versagen, in diesem Zusammenhang noch eines anderen Wundervorgangs zu gedenken, der allerdings eigentlich einer früheren Zeit angehört und der auch für mich, der ich doch vieles Wunderbare gesehen habe, mit zu den räthselhaftesten Dingen gehört, die ich erlebt habe. Ich habe nämlich die Erinnerung, daß an einem Tage, der noch in die Periode meiner Regungslosigkeit fiel (also im Sommer oder Herbst 1894) einmal der Versuch gemacht wurde, mir einen ganzen (Blüthner‘schen) Flügel in das Zimmer hereinzuwundern; angeblich war ein von W.‘sches Wunder dabei in Frage. Ich bin mir vollkommen bewußt, wie toll diese Mittheilung klingt und ich muß mich daher selbst fragen, ob eine Sinnestäuschung bei mir untergelaufen sein könne. Gleichwohl liegen aber Umstände vor, die mir die Annahme einer solchen wenigstens sehr erschweren. Ich entsinne mich genau, daß der Vorgang sich am hellen Tage ereignete, während ich auf dem Stuhl oder auf dem Sopha saß; ich sah dabei bereits die braunpolierte Oberfläche des im Entstehen begriffenen Flügels (kaum einige Schritte entfernt) deutlich vor mir. Leider verhielt ich mich damals der Wundererscheinung gegenüber ablehnend; ich mochte eben, zumal ich mir damals eine vollständige Passivität zur Pflicht gemacht hatte, von keinerlei Wundern, die mich sämmtlich anwiderten, etwas wissen. Hinterdrein habe ich manchmal bedauert, daß ich das Wunder nicht begünstigt habe ("begütigt habe," wie der grundsprachliche Ausdruck lautete), um zu sehen, ob dasselbe wirklich zur Vollendung gelangen könne. Es war und ist nämlich eine fast ausnahmslose Regel, daß alle Wunder scheitern oder wenigstens sehr erschwert werden, wenn ich meinen entschiedenen Willen entgegensetze. So muß ich also dahingestellt sein lassen, welche objektive Bewandtniß es mit dem berichteten Vorgange gehabt hat; sollte wirklich eine Sinnestäuschung in Frage gewesen sein, so wäre es sicher bei der unmittelbaren Nähe des vermeintlich gesehenen Gegenstandes eine Sinnestäuschung der allermerkwiirdigsten Art gewesen. 

Bei den Spaziergängen im Garten, sowie bei dem Aufenthalt im Zimmer wurden fast alltäglich und werden noch jetzt Hitze- und Kältewunder gegen mich geübt, beides immer in der Richtung, das durch die Seelenwollust entstehende, natürliche Wohlbehagen des Körpers zu verhindern, also z. B. die Füße kalt und das Gesicht heiß zu wundern. Der physiologische Vorgang ist nach meinem Dafürhalten der, daß bei dem Kältewunder das Blut aus den Extremitäten zurückgedrängt wird, wodurch ein subjektives Kältegefühl entsteht, und daß umgekehrt bei dem Hitzewunder das Blut nach dem Gesicht und dem Kopf getrieben wird, in denen Kühle der dem allgemeinen Wohlbefinden entsprechende Zustand wäre. Da ich von Jugend auf an das Ertragen von Hitze und Kälte gewöhnt gewesen bin, so habe ich mir aus den betreffenden Wundern stets nur wenig gemacht, außer wenn, was unzählige Male geschehen ist, auch beim Liegen im Bette die Füße kalt gewundert wurden. Im Gegentheil bin ich sehr oft genötigt gewesen, selbst die Kälte und Hitze aufzusuchen. Namentlich in den ersten Jahren meines hiesigen Aufenthalts, wo die Seelenwollust noch nicht denjenigen Grad erreicht hatte, zu dem sie jetzt gediehen ist, war dies oft eine notwendige Maßregel, um die Strahlen nach den frierenden Körpertheilen, insbesondere den Händen und Füßen abzuleiten und dadurch den Kopf vor der beabsichtigten schädigenden Einwirkung zu bewahren. Es ist häufig vorgekommen, daß ich zu diesem Zwecke in den Wintern die Hände minutenlang an die vereisten Bäume gehalten oder Schneeklumpen in denselben festgehalten habe, bis die Hände mir beinahe erstarrten. 

Aus gleichem Grunde habe ich eine Zeit lang (wohl im Frühjahr oder Herbst 1895) die Füße oft während der Nacht bei offenem Fenster durch die Gitter des letzteren herausgesteckt, um sie dem kalten Regen auszusetzen; solange ich das that, konnten die Strahlen den Kopf, auf den es mir natürlich vor allem ankam, nicht erreichen und befand ich mich daher, abgesehen von dem Frostgefühl in den Füßen, vollkommen wohl. Ich glaube vermuthen zu dürfen, daß dieses mein Verhalten irgendwie zu Ohren der Ärzte gekommen und dadurch Veranlassung zu einer Maßregel geworden ist, die meinen Unwillen im höchsten Grade erregte. Ich wurde auf einige Tage aus den gewöhnlich von mir bewohnten Zimmern ausquartiert und bei der Rückkehr fand ich, daß man an dem Fenster meines Schlafzimmers schwere hölzerne Läden hatte anbringen lassen, die während der Nacht verschlossen wurden, sodaß nunmehr vollständige Finsterniß in meinem Schlafzimmer herrschte und auch am Morgen die eintretende Tageshelle so gut wie keinen Einlaß fand. Natürlich werden die Ärzte keine Ahnung davon gehabt haben, wie empfindlich mich diese Maßregel in meiner ohnedies so maßlos schwierigen Selbstvertheidigung gegen die auf Zerstörung meines Verstandes gerichteten Absichten traf. Auf der anderen Seite wird man begreiflich finden, daß sich meiner eine tiefe Verbitterung bemächtigte, die auf lange Zeit hinaus vorgehalten hat. 

Bei der mir nun einmal gestellten Aufgabe, den den lebendigen Menschen nicht kennenden Gott in jedem gegebenen Zeitpunkte von dem ungeschmälerten Vorhandensein meiner Verstandeskräfte zu überzeugen, war das Licht, das man zu jeder menschlichen Beschäftigung braucht, für mich fast noch unentbehrlicher als das liebe Brod. Jede Entziehung der Beleuchtung, jede Verlängerung der natürlichen Dunkelheit bedeutete also für mich eine maßlose Erschwerung meiner Lage. Ich will mit den Ärzten nicht rechten, ob die über mich verhängte Maßregel unter rein menschlichen Gesichtspunkten als zum Schutze meiner Gesundheit gegen die Folgen verkehrten Handelns nothwendig angesehen werden mußte. Auch hier kann ich die Bemerkung nicht unterdrücken, daß mir Mittel und Zweck kaum in richtigem Verhältnisse zueinanderzustehen schienen. Was hätte mir denn äußerstenfalls anders geschehen können, als daß ich mir irgendeinen Erkältungszustand zugezogen hätte? Denn gegen die Gefahr des Herausfallens aus den Fenstern boten ja die schon vorhandenen Eisengitter vollkommen ausreichenden Schutz, und gegenüber einer bloßen Erkältungsgefahr hätte man es doch vielleicht abwarten können, ob nicht das in dem Menschen von selbst hervortretende natürliche Wärmebedürfniß mich von einer übermäßig langen Ausdehnung der Öffnung der Fenster abgehalten haben würde. Allein dies waren und sind für mich nicht die entscheidenden Gesichtspunkte. Das Wesentliche für mich war, daß ich in den Ärzten nur Werkzeuge erblicken konnte, in deren Nerven die betreffenden Entschließungen von göttlichen Strahlen zur Förderung der auf Zerstörung meines Verstandes gerichteten Pläne angeregt wurden, ohne daß dies natürlich subjektiv den Ärzten zum Bewußtsein gekommen ist, die dabei lediglich nach menschlichen Erwägungen zu handeln glaubten. Diese Auffassung muß ich auch jetzt noch aufrechterhalten, da ich jedem Worte, das mit mir nicht nur von den Ärzten, sondern auch von anderen Menschen gesprochen wird, die auf göttlicher Einwirkung beruhende Ursache vermöge des Zusammenhangs mit dem mir genau bekannten Aufschreibematerial anmerke, wie ich vielleicht später noch zu erläutern versuchen werde. Indem ich diese Zeilen niederschreibe, beabsichtige ich keineswegs irgendwelche Rekriminationen für die Vergangenheit zu erheben. Ich hege wegen dessen, was in früheren Zeiten mit mir geschehen ist, gegen keinen Menschen irgendwelchen Groll, das Meiste ist ja glücklicher Weise auch in seinen Folgen überstanden. Ich habe aber geglaubt, den Vorgang mit den Fensterläden ausführlicher besprechen zu sollen, um das tiefe Mißtrauen verständlich zu machen, das mich den Ärzten gegenüber jahrelang beherrscht hat und von dem dieselben vielleicht auch in meinem Verhalten manche Anzeichen gefunden haben werden. 

Die erwähnten Fensterläden (die einzigen auf dem von mir bewohnten Flügel der Anstalt) sind jetzt noch vorhanden, werden aber schon seit langer Zeit nicht mehr verschlossen. Sonst finden sich dergleichen Fensterläden nur in den für Tobsüchtige eingerichteten Zellen im Erdgeschosse und im ersten Stockwerke des Rundflügels der Anstalt. In verschiedenen dieser Zellen habe ich, wie später zu erzählen, während zweier Jahre (1896 - 98) geschlafen, wobei die durch die Verfinsterung erzeugten Übelstände für mich womöglich noch schlimmer hervortraten. 

13. Kapitel - Seelenwollust als Faktor der Anziehung. Folgeerscheinungen 

Ein wichtiger Abschnitt in der Geschichte meines Lebens und namentlich in meiner eigenen Auffassung von der voraussichtlichen Gestaltung der Zukunft ist durch den Monat November 1895 bezeichnet. Ich erinnere mich des Zeitpunktes noch genau; er fiel zusammen mit einer Anzahl schöner Spätherbsttage, an denen morgens jedesmal starke Nebelbildung auf der Elbe stattfand. In dieser Zeit traten die Zeichen der Verweiblichung an meinem Körper so stark hervor, daß ich mich der Erkenntniß des immanenten Zieles, auf welches die ganze Entwickelung hinstrebte, nicht länger entziehen konnte. In den unmittelbar vorausgegangenen Nächten wäre es vielleicht, wenn ich nicht noch der Regung männlichen Ehrgefühls folgend, meinen entschiedenen Willen entgegensetzen zu sollen geglaubt hätte, zu einer wirklichen Einziehung des männlichen Geschlechtstheils gekommen; so nahe war das betreffende Wunder der Vollendung. Jedenfalls war die Seelenwollust so stark geworden, daß ich selbst zunächst am Arm und an den Händen, später an den Beinen, an dem Busen, am Gesäß und an allen anderen Körpertheilen den Eindruck eines weiblichen Körpers empfing. Die Mittheilung der Einzelheiten hierüber behalte ich für ein späteres Kapitel vor. 

Einige Tage fortgesetzter Beobachtung dieser Vorgänge genügten, um eine völlige Veränderung der Willensrichtung in mir herbeizuführen. Bis dahin hatte ich noch immer mit der Möglichkeit gerechnet, daß, wenn mein Leben nicht etwa schon vorher einem der zahlreichen bedrohlichen Wunder zum Opfer fallen sollte, es doch einmal nothwendig für mich werden würde, meinem Leben durch Selbstmord ein Ende zu machen; außer der Selbstentleibung schien nur irgendwelcher andere schreckensvolle Ausgang von unter Menschen nie dagewesener Art im Bereich der Möglichkeit zu liegen. Nunmehr aber wurde mir unzweifelhaft bewußt, daß die Weltordnung die Entmannung, mochte sie mir persönlich zusagen oder nicht, gebieterisch verlange und daß mir daher aus Vernunftgründen gar nichts Anderes übrig bleibe, als mich mit dem Gedanken der Verwandlung in ein Weib zu befreunden. Als weitere Folge der Entmannung konnte natürlich nur eine Befruchtung durch göttliche Strahlen zum Zwecke der Erschaffung neuer Menschen in Betracht kommen. Erleichtert wurde mir die Veränderung meiner Willensrichtung dadurch, daß ich damals noch nicht an eine außer mir existierende wirkliche Menschheit glaubte, sondern alle Menschengestalten, die ich sah, nur für "flüchtig hingemacht" hielt, so daß von irgendwelcher Schande, die in der Entmannung liege, nicht die Rede sein konnte. Diejenigen Strahlen freilich, die von dem Bestreben, mich "liegen zu lassen" und mir zu diesem Behufe den Verstand zu zerstören, ausgingen, verfehlten nicht, sich alsbald eines — heuchlerischen — Appells an mein männliches Ehrgefühl zu bedienen; eine der seitdem bei jedem Hervortreten der "Seelenwollust" unzählige Male wiederholten Redensarten lautete dahin: "Schämen Sie sich denn nicht vor Ihrer Frau Gemahlin?" oder auch noch gemeiner: "Das will ein Senatspräsident gewesen sein, der sich f..... läßt?" Allein, so widerwärtig die betreffenden Stimmen auch für mich waren und so oft ich auch Veranlassung hatte, bei der tausendfältigen Wiederholung der erwähnten Redensarten meiner gerechten Entrüstung in irgendwelcher Weise Luft zu machen, so ließ ich mich doch dadurch in demjenigen Verhalten, das ich einmal als für alle Theile — für mich und die Strahlen — als nothwendig und heilsam erkannt hatte, auf die Dauer nicht beirren. 

Ich habe seitdem die Pflege der Weiblichkeit mit vollem Bewußtsein auf meine Fahne geschrieben und werde dies, soweit es die Rücksicht auf meine Umgebung gestattet, auch fernerhin thun, mögen andere Menschen, denen die übersinnlichen Gründe verborgen sind, von mir denken, was sie wollen. Ich möchte auch denjenigen Mann sehen, der vor die Wähl gestellt, entweder ein blödsinniger Mensch mit männlichem Habitus oder ein geistreiches Weib zu werden, nicht das Letztere vorziehen würde. So aber und nur so liegt für mich die Frage. Die Ausübung meines früheren Berufs, an dem ich mit ganzer Seele gehangen habe, jedes sonstige Ziel des männlichen Ehrgeizes, jede sonstige Verwerthung meiner Verstandeskräfte im Dienste der Menschheit ist mir nun einmal durch die Entwicklung, welche die Verhältnisse genommen haben, verschlossen; selbst der Umgang mit meiner Frau und meinen Verwandten ist mir bis auf ab und zu erfolgende Besuche und gelegentlichen Briefwechsel entzogen. Ich darf mich, unbekümmert um das Urtheil anderer Menschen, nur durch einen gesunden Egoismus leiten lassen und dieser schreibt mir eben die Pflege der Weiblichkeit in der später noch näher zu schildernden Weise vor. Nur so vermag ich mir während des Tags erträgliche körperliche Zustände und in der Nacht —wenigstens in gewissem Maße — den zur Erholung meiner Nerven erforderlichen Schlaf zu verschaffen; hochgradige Wollust geht nämlich zuletzt — vielleicht ist dies auch der medizinischen Wissenschaft bekannt — in Schlaf über. Indem ich mich so verhalte, diene ich zugleich dem wohlverstandenen Interesse der Strahlen, also Gottes selbst. Sobald ich Gott, der, von der irrthümlichen Voraussetzung der Zerstörbarkeit meines Verstandes ausgehend, zur Zeit nun einmal weltordnungswidrige Ziele verfolgt, in seiner immer in entgegengesetzter Richtung sich bewegenden Politik gewähren lasse, so führt dies, wie mir eine mehrjährige Erfahrung unwiderleglich bewiesen hat, nur zu blödsinnigem Lärm unter meiner wesentlich aus Verrückten bestehenden Umgebung. Näheres hierüber kann ich erst später mittheilen. 

Zu derselben Zeit, in der ich zu der in Vorstehendem beschriebenen veränderten Auffassung der Dinge gelangte, vollzog sich auch — und zwar aus den nämlichen Gründen — ein wesentlicher Umschwung in den himmlischen Verhältnissen. Das durch die Anziehungskraft bedingte Aufgehen der Strahlen (von der Gesammtmasse losgelösten Gottesnerven) in meinem Körper bedeutete für die betreffenden Nerven das Ende ihrer selbständigen Existenz, also etwas Ähnliches wie für den Menschen der Tod. Es war daher eigentlich selbstverständlich, daß Gott alle Hebel in Bewegung setzte, um dem Schicksale, mit immer weiteren Theilen der Gesammtmasse in meinem Körper unterzugehen, zu entrinnen, wobei man auch in den Mitteln keineswegs wählerisch verfuhr. Die Anziehung verlor jedoch ihre Schrecken für die betreffenden Nerven, wenn und soweit sie beim Eingehen in meinem Körper das Gefühl der Seelenwollust antrafen, an dem sie ihrerseits Theil nahmen. Sie fanden dann für die verloren gegangene himmlische Seligkeit, die wohl ebenfalls in einem wollustartigen Genießen bestand (vergl. Kap. 1), einen ganz oder mindestens annähernd gleichwertigen Ersatz in meinem Körper wieder. 

Nun war allerdings das Gefühl der "Seelenwollust" nicht immer in gleichmäßiger Stärke in meinem Körper vorhanden; zu voller Entwicklung gelangte dasselbe vielmehr nur dann, wenn die Flechsig‘schen Seelentheile und die übrigen "geprüften" Seelentheile vorn lagen und damit eine Vereinigung aller Strahlen hergestellt war. Da man aber durch das Anbinden an Erden (vergl. Kap. IX) die Nothwendigkeit geschaffen hatte, sich selbst und ebenso die geprüften Seelen von Zeit zu Zeit wieder zurück zu ziehen, so gab es abwechselnd auch immer Zeitläufte, in denen die Seelenwollust nicht oder nur in wesentlich schwächerem Maaße vorhanden war. Damit ist zugleich eine Periodicität in dem Hervortreten der Weiblichkeitsmerkmale an meinem Körper bedingt, auf welche ich später noch näher zu sprechen kommen werde. Immerhin war, nachdem — im November 1895 — das ununterbrochene Zuströmen der Gottesnerven bereits weit über ein Jahr angedauert hatte, die Seelenwollust zu gewissen Zeiten so reichlich vorhanden, daß ein Theil der Strahlen an dem Eingehen in meinem Körper Geschmack zu finden anfing. Dies machte sich zunächst bei dem — jetzt nach Kap. VII in gewisser Beziehung mit der Sonne zu identifizierenden — niederen Gotte (Ariman) bemerkbar, der als der nähere in erheblich höherem Grade an der Seelenwollust theilnahm, als der in sehr viel größerer Entfernung verbliebene obere Gott (Ormuzd). 

Bis zu dem im November 1895 eingetretenen Umschwung hatte anscheinend ein intimeres Verhältniß zu Flechsig — sei es als Mensch, sei es als "geprüfter Seele" — nur auf Seiten des niederen Gottes (Ariman) bestanden, sodaß, wenn ich an der Voraussetzung einer Verschwörung der in Kap. II bezeichneten Art festhalten will, die Betheiligung an dieser Verschwörung höchstens bis zu dem niederen Gotte (Ariman) sich herauf erstreckte. Der obere Gott hatte bis zu dem angegebenen Zeitpunkte eine korrektere, der Weltordnung entsprechendere, demnach mir im Ganzen freundlichere Haltung eingenommen. Nunmehr wurde das Verhältniß das gerade umgekehrte. Der niedere Gott (Ariman), der, wie gesagt, das Aufgehen mit jeweilig einem Theile seiner Nerven in meinen Körper vermöge der für ihn fast stets in dem letzteren anzutreffenden Seelenwollust gar nicht so übel fand, löste die näheren Beziehungen, die, wie es schien, bis dahin zwischen ihm und der "geprüften" Flechsig‘schen Seele bestanden hatten, und diese, die damals immer noch einen ziemlich großen Theil ihrer menschlichen Intelligenz bewahrt hatte, trat nunmehr mit dem oberen Gotte zu einer Art Bundesgenossenschaft zusammen, die ihre feindliche Spitze gegen mich kehrte. Die damit geschaffene Umwandlung der Parteiverhältnisse hat sich im Wesentlichen bis zum heutigen Tage erhalten. 

Das Verhalten des niederen Gottes ist seitdem stets ein mir im Ganzen freundlicheres, dasjenige des oberen Gottes ein sehr viel feindseligeres geblieben. Es äußerte sich dies theils in der Beschaffenheit der beiderseitigen Wunder — die Wunder des niederen Gottes haben im Lauf der Zeit immer mehr den Charakter eines verhältnismäßig harmlosen Schabernacks der in Kap. XI erwähnten Art angenommen, — theils in der Einrichtung des beiderseitigen Stimmengeredes. Die vom niederen Gott ausgehenden Stimmen — zwar ebenfalls nicht mehr der ächte Ausdruck unmittelbarer, augenblicklicher Empfindung, sondern ein Sammelsurium auswendig gelernter Phrasen — waren und sind immerhin nach Form und Inhalt von denjenigen des oberen Gottes wesentlich verschieden. Inhaltlich sind dieselben zumeist wenigstens nicht geradezu Schimpfworte oder beleidigende Redensarten, sondern kommen sozusagen auf eine Art neutralen Blödsinns hinaus (z. B. "der David und der Salomo", "Salat und Radieschen", "Mehlhäufchen wird wieder gesagt" u. s. w.) und auch in der Form sind sie für mich insofern weniger lästig, als sie sich dem natürlichen Rechte des Menschen auf das Nichtsdenken besser anschließen; man gewöhnt sich eben mit der Zeit daran, derartige sinnlose Redensarten, wie die in der Parenthese mitgetheilten, als Formen des "Nichtsdenkungsgedankens" sich durch den Kopf sprechen zu lassen. Daneben aber verfügte der niedere Gott wenigstens in den ersten Jahren nach dem in diesem Kapitel beschriebenen Umschwung über eine gewisse Anzahl von Redewendungen, die sachlich von Bedeutung waren und die zum Theil eine ganz richtige (d. h. der meinigen entsprechende) Auffassung von den Ursachen des Konfliktes, den Mitteln zur Lösung desselben und der voraussichtlichen Gestaltung der Zukunft verriethen. Auch hier handelte es sich — wie gesagt — zwar nicht um den Ausdruck einer gerade im Augenblick entstandenen ächten Empfindung, sondern um ein im Voraus zusammengestoppeltes Gedankenmaterial, das man in ermüdend eintöniger Wiederholung durch verständnißlose Stimmen (in der späteren Zeit namentlich durch gewunderte Vögel) in meinen Kopf hineinsprechen ließ. Allein die betreffenden Redewendungen waren für mich doch insofern von großem Interesse, als ich daraus entnehmen zu dürfen glaubte, daß Gott denn doch des Verständnisses für die aus der Weltordnung sich ergebenden Nothwendigkeiten nicht so gänzlich entbehrte, wie es nach gewissen anderen Wahrnehmungen scheinbar der Fall war. Ich will deshalb einige der betreffenden Redewendungen hier mittheilen. 

Zunächst wurde mir die in Folge der Vermehrung der Seelenwolllust eingetretene Veränderung der Parteigruppirung selbst durch die oft wiederholte Phrase "Haben sich nämlich zwei Parteien gebildet" angekündigt. Sodann wurde dem Gedanken, daß die ganze von Gott gegen mich verfolgte, auf Zerstörung meines Verstandes abzielende Politik eine verfehlte sei, in sehr verschiedenen Formen Ausdruck gegeben. Einige Sätze waren ganz allgemein, ohne jede persönliche Zuspitzung gehalten, so z. B.: "Kenntnisse und Fähigkeiten gehen überhaupt nicht verloren" und "Schlaf muß werden", weiter: "Aller Unsinn (d. h. der Unsinn des Gedankenlesens und Gedankenfälschens) hebt sich auf" und "Die dauernden Erfolge sind auf Seiten des Menschen". Andere Redewendungen des niederen Gottes waren theils an meine Adresse, theils gewissermaßen durch meinen Kopf hindurch gesprochen — an die Adresse des Collegen, des oberen Gottes, gerichtet; ersteres namentlich in der schon mitgetheilten Redewendung: "Vergessen Sie nicht, daß Sie an die Seelenauffassung gebunden sind", letzteres z. B. in den Phrasen: "Vergessen Sie nicht, daß alle Darstellung ein Unsinn ist" oder "Vergessen Sie nicht, daß das Weltende ein Widerspruch in sich selber ist", oder "Ihr habt nun einmal das Wetter vom Denken eines Menschen abhängig gemacht", oder "Ihr habt nun einmal jede heilige Beschäftigung" (d. h. durch die mannigfachen erschwerenden Wunder, das Klavierspielen, das Schachspielen usw. nahezu) "unmöglich gemacht". In einigen wenigen, allerding sehr seltenen Fällen ging man sogar soweit, eine Art eigenen Schuldbekenntnisses abzulegen, z. B.: "Hätte ich Sie nur nicht unter flüchtig hingemachte Männer gesteckt", oder "Das sind nun die Folgen der berühmten Seelenpolitik", oder "Was wird denn nun aus der verfluchten Geschichte", oder "Wenn nur die verfluchte Menschenspielerei aufhörte". Hin und wieder wurde auch und zwar in diesen Worten eingestanden: "Fehlt uns die Gesinnung", d. h. diejenige Gesinnung, die wir eigentlich jedem guten Menschen, ja selbst dem verworfensten Sünder gegenüber unter Vorbehalt der weltordnungsmäßigen Reinigungsmittel haben müßten. Das Ziel der ganzen Entwicklung pflegte der niedere Gott eine Zeit lang durch die — wie vielfach in der Seelensprache der grammatikalischen Vervollständigung bedürfende — Redensart auszudrücken: "Hoffen doch, daß die Wollust einen Grad erreicht", d. h. einen solchen Grad, bei welchem die göttlichen Strahlen das Interesse an der Zurückziehung verlieren und damit eine der Weltordnung entsprechende Lösung sich von selbst ergiebt. Mehr oder weniger gleichzeitig hatte der niedere Gott allerdings auch eine Anzahl anderer Redensarten in Bereitschaft, die mich sozusagen gruselig machen, m. a. W. alle meine Anstrengungen zur Behauptung meines Verstandes als im Voraus zur Erfolglosigkeit verurtheilt bezeichnen sollten. Man sprach von "kolossalen Kräften" auf der Seite von Gottes Allmacht und von "aussichtslosem Widerstand" auf meiner Seite; man glaubte mich auch in häufiger Widerholung durch die Phrase: "Vergessen Sie nur nicht, daß die Ewigkeit keine Grenzen hat" daran zu erinnern zu sollen, daß die Möglichkeit, sich zurückzuziehen, für Gott eine räumlich unbegrenzte ist. 

Unverkennbar tritt in Demjenigen, was ich vorstehend über das abweichende Verhalten des oberen Gottes und des niederen Gottes, sowie über das Phrasenmaterial des letzteren mitgetheilt habe, ein fast unentwirrbarer Knäuel von Widersprüchen zu Tage. Auch für mich ergeben sich bei jedem Versuche einer Lösung der Widersprüche nahezu unüberwindliche Schwierigkeiten; eine wirklich befriedigende Lösung würde nur bei einer so vollständigen Einsicht in das Wesen Gottes möglich sein, wie sie sich auch mir, der ich darin unzweifelhaft unendlich weiter gediehen bin als alle anderen Menschen, in Folge der Beschränktheit des menschlichen Erkenntnißvermögens nicht hat erschließen können. Nur mit allen Vorbehalten, die sich aus der Unvollkommenheit des menschlichen Erkenntnißapparates ergeben, will ich daher einige schüchterne Bemerkungen in dieser Beziehung wagen. Ich kann zunächst natürlich nicht voraussetzen, daß der obere Gott sittlich oder intellektuell auf einer tieferen Stufe stehe als der niedere Gott. Wenn trotzdem der letztere den ersteren sowohl an richtiger Erkenntnis des Erreichbaren, als an weltordnungsmäßiger Gesinnung zu übertreffen scheint, so glaube ich dies nur auf Rechnung der größeren Entfernung setzen zu können, in welcher sich der obere Gott im Verhältnisse zu dem niederen Gotte mir gegenüber befindet. 

Die Unfähigkeit, den lebenden Menschen als Organismus zu verstehen, ist anscheinend dem niederen Gotte und dem oberen Gotte, solange sie sich in größerer Entfernung befinden, gemeinsam; insbesondere scheinen beide in dem für den Menschen kaum begreiflichen Irrthum befangen zu sein, daß alles dasjenige, was aus den Nerven eines Menschen in meiner Lage zum großen Theil erst in Folge der von Strahlen verübten Gedankenfälschungen für diese vernehmbar herausklingt, als Äußerungen der eigenen Denkthätigkeit des Menschen anzusehen seien, sowie daß jedes noch so vorübergehende Aufhören der Denkthätigkeit und der damit eintretende Zustand, bei welchem bestimmte in Worten formulirte Gedanken aus den Nerven des Menschen für die Strahlen vernehmbar nicht herausklingen, das Erlöschen der geistigen Fähigkeiten des Menschen überhaupt oder wie man dies mit einem offenbar mißverstandenen menschlichen Ausdruck zu bezeichnen pflegt, den Eintritt des Blödsinns bedeute. So scheint Gott in beiden Gestalten der irrthümlichen Vorstellung zuzuneigen, daß die durch die Vibrirung der Nerven entstehende Nervensprache (vgl. Kap. V im Eingang) als die wirkliche Sprache des Menschen anzusehen sei, sodaß man namentlich anscheinend nicht zu unterscheiden weiß, ob man, da eine gewisse Erregung der Nerven auch bei dem schlafenden Menschen in Träumen stattfindet, die Geistesäußerungen eines träumenden oder eines in vollkommenem Bewußtsein von seiner Denkfähigkeit Gebrauch machenden Menschen vernimmt. Ich rede hier natürlich immer nur von meinem Falle, d. h. von dem Falle, daß Gott weltordnungswidrig zu einem einzigen Menschen in kontinuirlichen, nicht mehr aufzuhebenden Strahlenverkehr getreten ist. Alle die erwähnten irrthümlichen Vorstellungen scheinen erst zu verschwinden, wenn Gott in größere Nähe gekommen ist und nun auf einmal an meinem Verhalten, an meinen Beschäftigungen, nach Befinden auch in meiner Sprache im Verkehr mit anderen Menschen u. s. w. wahrnimmt, daß er es immer noch mit demselben geistig vollkommen ungeschwächten Menschen zu thun habe. 

Aus der so gewonnenen Erfahrung eine Lehre für die Zukunft zu ziehen, scheint vermöge irgendwelcher in dem Wesen Gottes liegenden Eigenschaften eine Unmöglichkeit zu sein. Denn genau in derselben Weise wiederholen sich nun schon seit Jahren einen Tag wie den andern die nämlichen Erscheinungen, insbesondere bei jeder Pause meiner Denkthätigkeit (dem Eintritt des sogenannten Nichtsdenkungsgedankens) sofort im ersten Gesichte (Augenblick) der Versuch, sich zurückzuziehen und die Annahme, daß ich nunmehr dem Blödsinn verfallen sei, die gewöhnlich in der albernen Phrase zum Ausdruck kommt "Nun sollte derjenige (scil. denken oder sagen) will ich mich darein ergeben, daß ich dumm bin," worauf dann in geistlosem Einerlei nach Art eines Leierkastens die übrigen abgeschmackten Redensarten "Warum sagen Sie‘s nicht (laut)?" oder "Aber freilich wie lange noch" (scil. wird Ihre Vertheidigung gegen die Strahlenmacht noch von Erfolg sein) u.s.w. u.s.w. wieder einsetzen, bis ich von Neuem zu einer von dem ungeschwächten Vorhandensein meiner Geisteskräfte zeugenden Beschäftigung verschreite. 

Wie man sich diese Unfähigkeit Gottes, durch Erfahrung zu lernen, erklären soll, ist eine auch für mich überaus schwierige Frage. Vielleicht hat man sich die Sache so vorzustellen, daß die gewonnene richtigere Einsicht sozusagen jeweilig nur den vorderen Nervenspitzen sich mittheilt, die aber damit auch schon zum Aufgehen in meinem Körper verurtheilt sind, daß dagegen diejenige entfernte Stelle, von welcher aus die Rückzugsaktion ins Werk gesetzt wird, an dem betreffenden Eindrucke nicht oder wenigstens nicht in einem für ihre Willensbestimmung ausreichenden Maße Theile nimmt. Eben deshalb ist es mir sehr zweifelhaft, ob es irgend welchen praktischen Werth hat, daß der niedere Gott, wie oben ausgeführt, auch eine Anzahl richtiger Gedanken in die Sammlung derjenigen Redensarten aufgenommen hat, die er durch die von ihm ausgehenden Stimmen in meinen Kopf hineinsprechen läßt. Denn für mich sind diese Gedanken überhaupt nichts Neues und der obere Gott, dem der Form nach die darin enthaltenen Wahrheiten eröffnet werden, ist anscheinend gar nicht in der Lage, dieselben zu beherzigen, d. h. sein praktisches Handeln in einer anderen, als der sonst von ihm eingeschlagenen Richtung zu bestimmen. Möglicherweise hat sich also der niedere Gott, dem die richtige Erkenntniß der Sachlage jeweilig früher aufgeht, als dem oberen Gotte, lediglich von der Vorstellung leiten lassen, es müsse nun einmal von den Strahlen irgend Etwas gesprochen werden (vergl. Kap. IX) und da sei es immerhin besser, daß der Inhalt des — wenn auch in endloser Wiederholung — Gesprochenen in etwas vernünftig Klingendem und nicht in reinem Blödsinn oder nackten Gemeinheiten bestehe. Ich selbst habe den Gedanken, daß Gott durch Erfahrung nichts lernen könne, schon vor längerer Zeit in schriftlichen Aufzeichnungen wiederholt dahin formulirt: "Jeder Versuch einer erzieherischen Einwirkung nach außen muß als aussichtslos aufgegeben werden" und jeder weitere Tag der seitdem verflossenen Zeit hat mir die Richtigkeit dieser Auffassung bestätigt. Zugleich halte ich es aber auch hier wieder, wie schon früher bei ähnlichen Anlässen, für geboten, den Leser gegen naheliegende Mißverständnisse zu schützen. Religiös gesinnte Menschen, die sonst von der Vorstellung einer Allmacht, Allweisheit und Allgüte Gottes erfüllt gewesen sind, müssen es unbegreiflich finden, daß Gott nun auf einmal als ein so kleinliches Wesen sich dargestellt haben soll, das in geistiger und sittlicher Beziehung selbst von einem einzelnen Menschen übertroffen werde. Dem gegenüber habe ich nachdrücklich zu betonen, daß meine Ueberlegenheit in beiden Beziehungen doch nur in ganz relativem Sinne zu verstehen ist. Ich nehme eine solche Ueberlegenheit nur insoweit für mich in Anspruch, als es sich um das weltordnungswidrige Verhältniß handelt, das durch den bei einem einzelnen Menschen dauernd und unauflöslich genommenen Nervenanhang entstanden ist. Insoweit bin ich eben der einsichtigere und zugleich der bessere Theil. Denn der Mensch kennt seine eigene Natur und bei mir kommt überdies hinzu, daß ich in dem jahrelangen Verkehr mit den Seelen auch den Seelencharakter so gründlich kennen gelernt habe, wie nie ein Mensch zuvor. Gott dagegen kennt die lebenden Menschen nicht und brauchte ihn auch nach der früher wiederholt kundgegebenen Auffassung nicht zu kennen. Damit ist keinswegs unvereinbar, daß ich in allen anderen Beziehungen, namentlich was übersinnliche Dinge, wie die Entstehung und Entwickelung des Weltganzen betrifft, die ewige Weisheit und Güte Gottes anerkenne. 

Am Schlusse dieses Kapitels möge noch die Bemerkung Platz finden, daß jetzt, nach Ablauf von nahezu fünf Jahren, die Entwicklung der Dinge soweit gediehen ist, daß nunmehr auch der obere Gott in Betreff 
der mir gegenüber bezeigten Gesinnung ungefähr auf denjenigen Standpunkt gelangt ist, den der niedere Gott schon seit dem in diesem Kapitel geschilderten Umschwung eingenommen hat. Auch die Wunder des oberen Gottes fangen jetzt wenigstens theilweise an, den harmlosen Charakter anzunehmen, der den Wundern des niederen Gottes schon bisher überwiegend zu eigen war. Um nur einige Beispiele anzuführen, will ich des Herumwerfens meiner Cigarrenasche auf dem Tische oder dem Klavier, des Beschmierens meines Mundes und meiner Hände mit Speisetheilen während des Essens und dergleichen Erwähnung thun. Es gereicht mir zur Genugthuung, daß ich diese Entwickelung der Dinge schon vor Jahren vorausgesagt habe. Zum Beweise will ich die betreffende Niederschrift aus meinen oben erwähnten Aufzeichnungen wörtlich hier hersetzen: 

"Wir sprechen zunächst nur vermuthungsweise die Ansicht aus, daß es vielleicht einmal dazu kommen kann, daß selbst der hintere Ormuzd das Interesse an Störung der Wollust verliert, gerade so wie es seit 2 1/2 Jahren der hintere Ariman nach und nach verloren hat, sodaß dann die innere durch die menschliche Phantasie verklärte und veredelte Wollust einen größeren Reiz böte, als die äußere weltordnungwidrige F...erei" Zum Verständniß dieser Niederschrift bedarf es einiger erläuternder Bemerkungen. Der "hintere" Ariman und der "hintere" Ormuzd wurden (nicht zuerst von mir, sondern von den Stimmen) der niedere Gott und der obere Gott jeweilig dann genannt, wenn und soweit ein jeder von ihnen durch das Verschieben des anderen Theils sozusagen in das zweite Treffen gerückt war, was jeden Tag unzählige Male sich wiederholt. Mit der "inneren Wollust" ist die in meinem Körper entstehende Seelenwollust gemeint. Der Ausdruck "äußere weltordnungswidrige F...erei" bezieht sich darauf, daß nach meinen Wahrnehmungen die Aufnahme der Fäulnißstoffe in die reinen Strahlen für diese ebenfalls mit einer Art Wollustempfindung verknüpft ist. Daß das Wort "F...erei" gewählt ist, beruht nicht auf einem bei mir vorhandenen Hange zu ordinärer Ausdrucksweise, sondern darauf, daß ich die Worte "F....." und "F...erei" tausende von Malen von der anderen Seite habe anhören müssen und daher in der obigen Niederschrift der Kürze halber den Ausdruck einmal umgekehrt auf das weltordnungswidrige Verhalten der Strahlen angewendet habe. 

14. Kapitel - "Geprüfte Seelen"; Schicksale derselben. Persönliche Erlebnisse, Fortsetzung 

Neben den in dem vorigen Kapitel geschilderten Vorgängen vollzogen sich theils um dieselbe Zeit, theils in den folgenden ein bis zwei Jahren noch gewisse andere Veränderungen in den himmlischen Verhältnissen, die an sich von geringerer Bedeutung waren, aber der Vollständigkeit halber wenigstens kurz berührt werden müssen. Es handelt sich dabei hauptsächlich um die Schicksale der "geprüften Seelen". Diese waren, wie früher erwähnt, in Folge der Seelentheilung eine Zeit lang sehr zahlreich gewesen. Ein großer Theil derselben hatte sich fast mit weiter nichts als der Betheiligung an den sogen. "Umgehungsbewegungen" beschäftigt, einem von den Hauptgestalten der Flechsig‘schen Seele ersonnenen Manöver, dessen Zweck darin bestand, die arglos heranziehenden göttlichen Strahlen von hinten anzufallen, und dadurch zum Ergeben zu zwingen. Das Bild der Erscheinung steht noch deutlich in meiner Erinnerung; auf eine nähere Beschreibung in Worten muß ich verzichten; auch vermag ich nicht mehr mit Sicherheit zu sagen, ob die ganze Erscheinung der Zeit vor oder nach dem "Anbinden an Erden" angehörte. 

Jedenfalls war die große Anzahl der "geprüften Seelentheile" schließlich für Gottes Allmacht selbst lästig geworden. Nachdem es mir selbst schon gelungen war, einen ziemlich erheblichen Theil zu mir herunterzuziehen, wurde daher an einem bestimmten Tage auch von Gottes Allmacht eine große Razzia unter ihnen veranstaltet, welche zur Folge hatte, daß von da ab die Flechsig‘sche Seele nur noch in einer oder zwei Gestalten und die von W.‘sche Seele in einer einzigen Gestalt übrig blieb. Die letztere schien später sogar auf das Anbinden freiwillig verzichtet zu haben; sie saß dann noch längere Zeit — etwa ein Jahr lang — bei mir hauptsächlich in Mund und Augen, mich wenig mehr belästigend, sondern mir sogar eine gewisse Unterhaltung bereitend, indem ich mit derselben eine Art Gedankenaustausch unterhielt, bei dem freilich ich fast stets der gebende und die von W.‘sche Seele der empfangende Theil war. Ich erinnere mich noch mit einigem Humor des überaus drolligen Eindrucks, welchen es machte, wenn diese zuletzt völlig gedankenlos gewordene und nur noch auf Augeneindrücke beschränkte Seele, sobald ich irgend einen Gegenstand in meiner Nähe suchte, gewissermaßen mitsuchte, d. h. zu meinen Augen mit heraussah. Etwa im Jahre 1897 ist die von W.‘sche Seele, mir selbst unmerklich schließlich völlig verschwunden. Ich hatte mich an ihre Gesellschaft zuletzt so gewöhnt, daß ich, als ich eines Tages, nachdem ich längere Zeit nicht mehr an sie gedacht hatte, mir ihres Verschwindens bewußt wurde, mich veranlaßt fand, zu Ehren ihres Abscheidens den Trauermarsch aus der Eroica von Beethoven auf dem Klavier zu spielen. 

Die Flechsig‘sche Seele ist auch jetzt noch immer in einem dürftigen Reste (irgendwo angebunden) vorhanden; sie hat aber, wie ich sicheren Grund habe anzunehmen, ihre Intelligenz schon längst eingebüßt, d. h. ist ebenfalls völlig gedankenlos geworden, sodaß ihre himmlische Existenz, die sie sich in Auflehnung gegen Gottes Allmacht errungen hatte, ihr kaum noch irgend welche eigene Befriedigung gewähren wird —abermals eine der glänzenden Bewährungen der Weltordnung, vermöge deren nichts, was im Widerspruch mit derselben geschaffen ist, auf die Dauer sich behaupten kann. 

Die früheren "geprüften Seelen" waren und sind damit — bis auf eine geringfügige Ausnahme — vom Schauplatz abgetreten. Indem ich dieses Ereignisses gedenke, kann ich mir nicht versagen, noch Einiges über die zum Theil recht sonderbaren Bezeichnungen anzuführen, die ihnen bis zu ihrem Verschwinden zu Theil wurden. Mag dies auch für andere Leser von geringerem Interesse sein, so ist es doch für mich von Werth, mir diese Bezeichnungen im Gedächtniß zu bewahren und damit die meist schreckensvollen und grausigen Erinnerungen, die sich für mich damit verknüpfen, frisch zu erhalten. Die gesammte aus Flechsig‘schen und von W.‘schen Seelentheilen, sowie deren sonstigen Parteigängern (Vordringende usw.) gebildete Opposition gegen Gottes Allmacht nannte sich längere Zeit die "Je-nun"-Partei. Diese ziemlich abgeschmackte Bezeichnung rührte daher, daß die Flechsig‘sche Seele sich angewöhnt hatte, auf alle Fragen, was denn nun aus der ganzen "verfluchten Geschichte" werden solle (denn daß es sich um eine recht gründlich verfahrene Angelegenheit handele, darüber schien wenigstens Gottes Allmacht sich klar zu sein) stets nur mit einem spöttisch-gleichgültigen "Je-nun" zu antworten. Die Antwort ist wiederum höchst charakteristisch für den Seelencharakter; denn die Seelen kennen nun einmal ihrer Natur nach keine Sorge für die Zukunft, sondern lassen sich am jeweiligen Genusse genügen. In‘s Menschliche übersetzt würde das "Je nun" der Flechsig‘schen Seele also etwa bedeutet haben "Ich kümmere mich den Teufel um die Zukunft, wenn ich mich nur für den Augenblick wohl befinde." Als von der Flechsig‘schen Seele zuletzt nur noch zwei Seelentheile übrig blieben, wurde daher der entferntere als der "hintere Flechsig" und der etwas nähere, übrigens in seiner Intelligenz wohl schon früher wesentlich schwächere als die mittlere "Je-nun-Partei" bezeichnet. 

Von den von W.‘schen Seelentheilen ist der "Unterleibsfäulen" von "W." schon früher erwähnt worden; dieser hatte wohl die unreinsten Nerven, bezeigte daher mir gegenüber die niederträchtigste Gesinnung und zugleich Gottes Allmacht gegenüber eine naive Unverfrorenheit, die sich in gewissen klassischen Redensarten, die nicht in das der Bewegung meiner Nerven und der Gewohnheit der Strahlen entsprechende Versmaß paßten, wie "Es ist gewissermaßen nicht mehr auszuhalten," "Erlauben Sie" usw. (letzteres, wenn er aus seiner Stellung delogirt werden sollte) zu erkennen gab. Er hing in meinem Schlafzimmer, während ich im Bette lag, scheinbar unmittelbar an der gegenüberliegenden Wand. Ihm nahe stand an Gemeinheit der Gesinnung der sogen. "Mittags"-von W., der diesen Namen trug, weil von ihm damals gesagt wurde, daß er die Mahlzeiten, namentlich die Mittagsmahlzeiten besorgen lasse. Einen etwas anständigeren, zum Theil recht verständigen Charakter wiesen, wenn auch zeitweise veränderlich, zwei andere Gestalten der von W.‘schen Seele auf, der "Allerdings" von W. und der "Ei verflucht" von W., beide nach den betreffenden, häufig von ihnen gebrauchten Redensarten so genannt. Die Redensart "Ei verflucht" insbesondere war noch ein Überbleibsel der Grundsprache, in welcher die Worte "Ei verflucht, das sagt sich schwer" jedesmal gebraucht wurden, wenn irgend eine mit der Weltordnung unverträgliche Erscheinung in das Bewußtsein der Seelen trat, z. B. "Ei verflucht, das sagt sich schwer, daß der liebe Gott sich f..... läßt.« 

Sehr gefährlich war für mich längere Zeit ein an sich sehr kleiner von W.‘scher Seelentheil, welcher nach einem ausschließlich von ihm geübten Wunder als "Geißel von W." bezeichnet wurde. Dieser schwang beständig eine kleine Geißel in meiner Schädeldecke, wodurch recht bedenkliche Zerstörungen und zeitweise auch ziemlich empfindliche Schmerzen darin verursacht wurden. 

In der Zeit meines Aufenthalts in der Dr. Pierson‘schen Anstalt (der "Teufelsküche") war auch eine Gestalt der von W.‘schen Seele vorhanden, zu deren Bildung wohl einzelne meiner eigenen Nerven verwendet worden sein müssen, da sie die Bezeichnung "der kleine von W.-Schreber" führte. Dieser war der gutmütigste von allen; er brachte es (in seinen Wundern) manchmal sogar zu sogenannten "Goldtropfen", einem sonst nur von Gottes Allmacht geübten Wunder, bei welchem sich, in mir deutlich fühlbarer Weise, irgend welche Flüssigkeit wie Balsam auf beschädigte Theile des Kopfes, Kraniolen und dergleichen legte, sodaß — mit einem Schlage — eine unmittelbar heilende Wirkung hervortrat. 

Mein äußeres Leben setzte sich in der Zeit nach dem in Kap. XIII beschriebenen Umschwung zwar nicht ganz mehr so einförmig fort, wie vorher in der Periode der Regungslosigkeit, bot aber doch immer noch verhältnißmäßig wenig Abwechselung, wie dies der Aufenthalt in einer Anstalt mit sich bringt. Auf Klavierspielen und Schachspielen verwendete ich nach wie vor einen großen Theil meiner Zeit; der Notenschatz, der mir zu den Zwecken des ersteren zur Verfügung stand, wurde durch Geschenke meiner Angehörigen nach und nach gar nicht unbeträchtlich. 

Da ich anfangs nur mit einigen Buntstiften, später auch mit anderem Schreibmaterial versehen wurde, so fing ich an, schriftliche Aufzeichnungen zu machen; so erbärmlich waren meine Verhältnisse gewesen, daß ein Bleistift oder ein Radirgummi lange Zeit von mir wie ein wahrer Schatz gehütet wurde. Die Aufzeichnungen bestanden zunächst nur in zusammenhangloser Niederschrift einzelner Gedanken oder Stichworte; später — vom Jahre 1897 an — begann ich geordnete Tagebücher zu halten, in welchen ich alle meine Erlebnisse eintrug; vorher — noch im Jahre 1896 — hatte ich mich auf dürftige Notizen in einem kleinen Kalender beschränken müssen. Gleichzeitig machte ich schon damals die ersten Versuche, ein Brouillon meiner künftigen Memoiren zu entwerfen, deren Plan ich bereits damals gefaßt hatte. Dasselbe ist in einem braunen Hefte, betitelt "Aus meinem Leben", enthalten und hat mir bei der Ausarbeitung der gegenwärtigen "Denkwürdigkeiten" als eine willkommene Unterstützung meines Gedächtnisses gedient. Wer sich irgend für dieses — stenographisch geführte — Brouilion näher interessiren sollte, wird darin noch manche Stichworte finden, die ich in meine Denkwürdigkeiten nicht aufgenommen habe und weiche dem Leser eine Vorstellung davon geben mögen, daß der Inhalt meiner Offenbarungen noch ein unendlich viel reicherer gewesen ist, als derjenige, den ich in dem beschränkten Raume dieser "Denkwürdigkeiten" habe unterbringen können. Endlich habe ich — seit dem Spätherbst 1897 — in den dazu bestimmten kleinen Notizbüchern B, C und I Betrachtungen oder kleine Studien niedergelegt. 

Große Schwierigkeiten bot mir von jeher (und bietet mir zum Theil noch jetzt) das Einnehmen der Mahlzeiten, das bis Ostern dieses Jahres (1900) stets allein auf meinem Zimmer stattfand. Kein Mensch hat eine Vorstellung davon, mit welchen Hindernissen ich dabei zu kämpfen hatte; denn während ich aß, wurde mir fortwährend im Munde herumgewundert; auch nahmen dabei die thörichten Fragen: "Warum sagen Sie‘s nicht (laut)?" usw. unbehindert ihren Fortgang, während doch das laute Sprechen für einen Menschen, der den Mund voll hat, nahezu eine Unmöglichkeit ist. Meine Zähne waren dabei beständig in großer Gefahr; es ist auch öfters vorgekommen, daß mir einzelne meiner Zähne während des Essens durch Wunder zerbrochen sind. Oft wurden mir während des Essens Zungenbißwunder applizirt. Die Schnurrbarthaare wurden mir bei den Mahlzeiten fast regelmäßig dergestalt in den Mund hineingewundert, daß ich mich schon aus diesem Grunde entschließen mußte, mir den Schnurrbart im August 1896 ganz abrasiren zu lassen. Das Fallen des Schnurrbarts war aber auch noch aus anderen Gründen für mich zur Nothwendigkeit geworden, so wenig ich mir auch — am Tage — mit glattrasiertem Gesichte selbst gefallen mochte und noch gefalle. Mit Rücksicht auf die im Kap. XIII geschilderten Verhältnisse ist es für mich erforderlich, mich wenigstens in der Nacht mit Hülfe meiner Einbildungskraft als ein weibliches Wesen vorzustellen und dieser Illusion hätte natürlich der Schnurrbart ein kaum überwindliches Hinderniß bereitet. Solange ich allein aß, habe ich fast stets während der Mahlzeiten Klavier spielen oder lesen müssen, da es auch während des Essens immer geboten war, dem entfernten Gotte den Beweis der Unversehrtheit meiner Verstandeskräfte zu liefern; sofern ich dies nicht wollte, blieb mir kaum etwas Anderes übrig, als das Essen im Stehen oder Herumgehen einzunehmen. 

Die Nächte habe ich — ich greife hier zum Theil wieder zeitlich etwas vor — wie schon früher erwähnt, während eines zweiundeinhalbjährigen Zeitraumes, vorn Mai 1896 bis Dezember 1898, nicht in dem eigentlich für mich bestimmten, neben meinem Wohnzimmer befindlichen Schlafzimmer, sondern in Dementenzellen im Erdgeschosse und im ersten Stockwerke des Rundflügels der Anstalt verbracht. Die Gründe für die betreffende Anordnung sind mir eigentlich heute noch unverständlich. Allerdings ist es in den ersten Jahren meines Aufenthalts in der hiesigen Anstalt verschiedene Male zu Thätlichkeiten zwischen mir und anderen Patienten der Anstalt, einige Male auch mit Pflegern gekommen. Die einzelnen Fälle habe ich mir sämmtlich aufnotirt; es handelt sich danach um 10 bis 12 Vorgänge, deren letzter sich am 5. März 1898 ereignete und bei denen ich übrigens, wenigstens soweit es sich um andere Patienten handelte, stets der angegriffene Theil gewesen bin. 

Die tieferen Gründe, welche die Veranlassung zu derartigen Rohheitsscenen waren, werde ich später noch zu besprechen Gelegenheit finden. Jedenfalls kann ich nicht annehmen, daß mich die Ärzte um dieser immerhin vereinzelten Vorkommnisse willen für einen im Allgemeinen der Tobsucht verfallenen Menschen haben halten können, da sie doch gleichzeitig Gelegenheit hatten, zu beobachten, daß ich mich am Tage unausgesetzt mit Klavierspielen, Schachspielen, später auch Bücher- und Zeitunglesen anständig, ruhig und durchaus meinem Bildungsgrade entsprechend beschäftigte. Daß ich in der Nacht ab und zu einmal laut gesprochen habe, mag vorgekommen sein; es wäre also möglich, daß andere auf demselben Korridor oder über mir schlafende Patienten hin und wieder Grund zur Beschwerde über mich gehabt hätten. Aber auch hierbei hat es sich keinesfalls um Ruhestörungen gehandelt, die sich allnächtlich oder auch nur in der überwiegenden Zahl der Nächte wiederholt hätten, und zudem muß ich Ähnliches nicht selten auch meinerseits von anderen Patienten ertragen, auch ist mein Schlafzimmer von anderen Schlafräumen immerhin ziemlich abgetrennt. 

So muß ich es denn allerdings als eine über die Maßen befremdliche Maßregel bezeichnen, daß man mich mit Ausnahme einiger weniger Nächte volle 2 1/2 Jahre lang in für Tobsüchtige eingerichteten Zellen hat schlafen lassen, in denen ich außer einer eisernen Bettstelle, einem Nachtgeschirr und den Bettstücken nicht das Mindeste vorfand und die obendrein während des größeren Theils der Zeit durch schwere hölzerne Läden total verfinstert wurden. Ich wiederhole, daß es mir durchaus fern liegt, irgendwelche Anklagen für die Vergangenheit zu erheben; allein ich kann nicht anders annehmen, als daß dabei eine gewisse vis inertiae mit im Spiele gewesen ist, die es bei einem einmal geschaffenen, noch so schwer erträglichen Zustande bewenden läßt, ohne sich darüber Rechenschaft zu geben, ob die Gründe, welche zur Verhängung der betreffenden Maßregel Veranlassung gegeben haben, auch wirklich noch fortbestehen. 

Ich glaube ruhig behaupten zu können, daß keinem anderen Patienten der Anstalt auch nur entfernt etwas Ähnliches begegnet ist; Einsperrungen in die Zellen kommen in Fällen periodischer Tobsucht wohl vor, pflegen aber doch dann, soviel mir bekannt ist, immer höchstens nur einige Wochen anzuhalten. 

So wenig ich daher die Absicht habe, der folgenden Darstellung irgend eine persönliche Schärfe zu geben, so gehört doch nun einmal eine Schilderung, wie unsäglich ich während dieses Zellenaufenthalts gelitten habe, zu dem vollständigen Bilde meiner Leidensgeschichte. Mein Schlaf ist, wie aus dem früher Mitgetheilten hervorgeht, ausschließlich von der Konstellation der himmlischen Verhältnisse abhängig; sobald sich Gott, was periodenweise in der Regel auf halbe Tage oder doch mehrere Stunden zu geschehen pflegt, in allzugroße Entfernung zurückgezogen hat, ist Schlaf für mich schlechterdings unmöglich. Muß ich dann wachen, so erzeugt das sinnlose Stimmengewäsch in meinem Kopfe geradezu unerträgliche geistige Martern, zu denen überdies seit länger als Jahresfrist, bald mehr oder weniger, die später zu schildernden Brüllzustände hinzutreten, sofern ich nicht in der Lage bin, den entfernten Gott, der mich für blödsinnig geworden erachtet, jeweilig von dem Gegentheil zu überzeugen. 

Wie sollte ich dies aber in schlaflosen Nächten in der Zelle, in der es mir an der Beleuchtung, sowie an jeglichen zu irgendwelcher Beschäftigung geeigneten Gegenständen mangelte, anfangen? Das Verbleiben im Bette war einfach unmöglich, das Herumtappen in der finsteren Zelle aber, nur mit dem Hemde bekleidet in bloßen Füßen — denn auch die Hausschuhe wurden mir nicht gelassen — war natürlich über die Maßen langweilig, dabei zu Winterszeiten empfindlich kalt und überdies wegen des Anwundern meines Kopfes an die niedrigen Zellengewölbe gar nicht ungefährlich. Noth macht erfinderisch und so habe ich denn im Laufe der betreffenden Jahre zu allen möglichen Auskunftsmitteln gegriffen, um nur in irgend erträglicher Weise die Zeit zu verbringen. Ich habe manchmal fast stundenlang Knoten in die vier Ecken meines Taschentuchs geschlungen und wieder aufgelöst, sowie theils vom Bette aus, theils im Herumgehen laut sprechend irgend welche Erinnerungen aus meinem Leben vorgetragen, laut namentlich Französisch gezählt, denn auch darauf, ob ich noch "fremde Sprachen" spräche, wurden beständig Fragen gerichtet —, irgend etwas von meinen geschichtlichen und geographischen Kenntnissen zum Besten gegeben, z. B. die sämmtlichen russischen Gouvernements und französischen Departements aufgesagt usw. usw. Natürlich entschloß ich mich zum Lautsprechen nur ungern, da ich damit auf den Schlaf verzichtete, aber es blieb oft nichts weiter übrig. Sehr empfindlich war mir dabei der Mangel von Uhr und Schwefelhölzchen; denn wenn ich nach kürzerem oder längerem Schlaf in der Nacht aufwachte, konnte ich doch nicht wissen, in welcher Zeit man lebte und welches Verhalten ich demnach für den Rest der Nacht noch einschlagen sollte. 

Als gegen das Ende der Zellenaufenthaltsperiode die Fensterläden nicht mehr verschlossen wurden, habe ich mich daher auf die Beobachtung des Sternhimmels verlegt und es dabei auf Grund einer Sternkarte, die ich jedesmal am Tage studirt hatte, ganz wie die Völker der Urzeit, zu einiger Fertigkeit in der Bestimmung der Nachtstunden gebracht. So lange die Fensterläden geschlossen wurden, habe ich mir durch Dagegendonnern mit den Fäusten die Hände oft fast wund geschlagen; einmal habe ich auch den einen durch Wunder bereits gelockerten Fensterladen vollends heruntergewuchtet, wobei mir dann das obere Querstück dergestalt auf den Kopf gewundert wurde, daß mein Kopf und meine Brust von Blut überströmt war. Etwas besser gestalteten sich die Verhältnisse in der letzten Zeit meines Zellenaufenthalts dadurch, daß ich jedesmal einen kleinen Blechkasten mit in die Zelle nahm, in welchem ich verschiedene Kleinigkeiten, Bleistift, Papier, ein sog. Pocket-Chess-Board (Taschenschachspiel) usw. zu verwahren pflegte, mit denen wenigstens im Sommer vom Eintritt der Tageshelligkeit ab irgend welche Beschäftigung möglich war. Diese Zustände habe ich, wie gesagt, zwei und ein halbes Jahr ertragen, im Grunde genommen doch nur, weil Menschen übersinnliche Verhältnisse nicht zu würdigen wußten. 
 

15. Kapitel - "Menschen-" und "Wunderspielerei". Hilferufe. Sprechende Vögel 

Einige Zeit nach dem im Kap. XIII geschilderten Umschwung, also etwa Ende 1895 oder Anfang 1896, machte ich eine Reihe von Erfahrungen, welche mich veranlaßten, meine bisherigen Vorstellungen von "flüchtig hingemachten Männern", "Menschenspielerei" und dergleichen einer kritischen Prüfung zu unterziehen, in deren Folge ich zu einer wenigstens theilweise abweichenden Auffassung gelangte. 

Es sind mir namentlich drei Vorgänge erinnerlich, welche mich in demjenigen, was ich bis dahin für wahr und richtig gehalten hatte, stutzig machten, nämlich erstens die Betheiligung an der zu Weihnachten des Jahres 1895 in der Familie des Vorstandes der Anstalt, Geh. Rath Dr. Weber, abgehaltenen Bescheerung, sodann das Eintreffen eines von meiner Schwägerin in Köln a. Rh. an mich gerichteten, mit dem dortigen Poststempel versehenen Briefes und endlich ein Kinderfestzug aus Anlaß der Feier der 25jährigen Wiederkehr des Jahrestages des Frankfurter Friedens — 10. Mai 1896 — den ich von meinen Fenstern aus auf einer der unterhalb derselben gelegenen Vorstadtstraßen von Pirna mit ansah. Ich konnte nach diesen und ähnlichen Vorgängen — bald kam auch eine regelmäßige Correspondenz und das Lesen von Zeitungen, die mir nunmehr von meinen Angehörigen gehalten wurden, hinzu — nicht mehr im Zweifel sein, daß eine wirkliche Menschheit in gleicher Zahl und örtlicher Verbreitung wie früher existire. Dagegen ergab sich nunmehr die Schwierigkeit, wie ich diese Thatsache mit meinen früheren, scheinbar auf das Gegentheil hinweisenden Wahrnehmungen vereinigen sollte. Diese Schwierigkeit besteht auch jetzt noch und ich muß bekennen, daß ich dabei in der Hauptsache vor einem ungelösten und für Menschen wahrscheinlich auch nicht lösbaren Räthsel stehe. 

Ganz unzweifelhaft ist mir, daß meine früheren Vorstellungen nickt etwa bloße "Wahnideen" und "Sinnestäuschungen" gewesen sind; denn auch in der Gegenwart empfange ich noch alltäglich und allstündlich Eindrücke, welche mir völlige Klarheit darüber geben, daß, um mit Hamlet zu reden, irgend etwas faul im Staate Dänemark — d. h. hier im Verhältnisse zwischen Gott und Menschheit — ist. Wie aber der gegenwärtig bestehende Zustand sich geschichtlich entwickelt hat, ob sprungweise oder in allmählichen Übergängen, und inwieweit neben den durch Strahleneinwirkung (Wunder) veranlaßten Lebensäußerungen der Menschen noch selbständige, von Strahlen unbeeinflußte Lebensäußerungen stattfinden, bleibt allerdings auch für mich eine dunkle Frage. Ganz sicher ist für mich, daß die Ausdrücke und Redensarten von "flüchtig hingemachten Männern" und der "verfluchten Menschenspielerei", die Fragen: "Was wird nun aus der verfluchten Geschichte?" usw., sowie das Gerede von "neuen Menschen aus Schreber‘schem Geist" nicht in meinem Kopf entstanden, sondern von außen her in denselben hineingesprochen worden sind. Schon danach müßte ich annehmen, daß den damit verknüpften Vorstellungen irgend etwas Reales zu Grunde liegt, irgendwelche geschichtliche Vorgänge entsprechen. Ich habe aber im Laufe der letzten sechs Jahre unausgesetzt Wahrnehmungen empfangen — und empfange dergleichen auch noch jetzt täglich und stündlich —‚ die für mich in zweifelsfreier Weise die Überzeugung begründen, daß alles, was von Menschen in meiner Nähe gesprochen und gethan wird, auf Wunderwirkung beruht und in unmittelbarem Zusammenhang mit der Annäherung der Strahlen und dem damit abwechselnden Bestreben, sich wieder zurückzuziehen, steht. 

Schon in Kap. VII habe ich erwähnt, daß ich jedes Wort, das mit mir oder in meiner Nähe gesprochen wird, jede noch so geringfügige, mit irgendwelchen Geräuschen verbundene Handlung eines Menschen, z. B. das Öffnen der Thürschlösser auf meinem Korridor, das Klinken an der Thür meines Zimmers, das Eintreten eines Pflegers in dasselbe u. s. w., zugleich mit einem gegen meinen Kopf geführten, ein gewisses Schmerzgefühl verursachenden Streich empfinde; das Schmerzgefühl äußert sich als ein ruckhaftes Zerren in meinem Kopfe, das, sobald Gott sich in übermäßige Entfernung zurückgezogen hat, eine sehr unangenehme Empfindung hervorruft und jedesmal — so ist wenigstens das Gefühl, das ich habe — mit dem Abreißen eines Theils der Knochensubstanz meiner Schädeldecke verbunden sein mag. Solange ich selbst — in meinem Zimmer oder im Garten — gegen Gott gewendet —laut spreche, ist alles um mich her todtenstill; auf solange entsteht eben bei Gott nicht die Neigung, sich zurückzuziehen, weil er unter dem unmittelbaren Eindrucke der Lebensäußerungen eines Menschen steht, der im Vollbesitze seiner Verstandeskräfte sich befindet; es gewinnt dann für mich manchmal den Anschein, als ob ich mich unter lauter wandelnden Leichen bewegte; so vollständig scheinen auf einmal alle anderen Menschen (Pfleger und Patienten) die Fähigkeit, auch nur ein einziges Wort zu sprechen, verloren zu haben. Das Gleiche tritt ein, solange mein Blick auf irgend einem weiblichen Wesen ruht. Sobald ich aber meinen Blick wegwende oder das durch Wunder erfolgende Schließen meiner Augen geschehen lasse, oder sobald ich vom lauten Sprechen zum Schweigen übergehe, ohne gleichzeitig irgend eine geistige Beschäftigung zu ergreifen, mit anderen Worten mich dem Nichtsdenken hingebe, treten in der allerkürzesten Frist, meist gleich im ersten Gesichte (Augenblicke) die folgenden in Wechselbeziehung zu einander stehenden Erscheinungen hervor, nämlich: 

1) irgend ein Geräusch in meiner Umgebung, meist in Rohheitsausbrüchen der Verrückten bestehend, aus denen dieselbe ja vorwiegend gebildet wird; 

2) in meiner Person das Auftreten des Brüllwunders, bei welchem meine dem Athmungsvorgange dienenden Muskeln von dem niederen Gotte (Ariman) dergestalt in Bewegung gesetzt werden, daß ich genöthigt bin, den Brülllaut auszustoßen, sofern ich nicht ganz besondere Mühe auf seine Unterdrückung verwende; zu Zeiten erfolgt das Brüllen in so rascher und häufiger Wiederholung, daß für mich ein nahezu unerträglicher Zustand sich ergiebt und namentlich in der Nacht das Liegenbleiben im Bette unmöglich wird; 

3) ein Sicherheben des Windes, allerdings nicht unbeeinflußt durch die sonstige Wetterlage, bei dem aber doch das Auftreten kurzer Windstöße zusammenfallend mit den Pausen meiner Denkthätigkeit ganz unverkennbar ist; 

4) Das "Hülfe"-rufen der von der Gesammtmasse weiter losgelösten Gottesnerven, das um so kläglicher klingt, in je größere Entfernung sich Gott von mir zurückgezogen hat und je größer also der Weg ist, den diese Nerven offenbar in irgendwelchem Angstzustand zurücklegen müssen. 

Alle diese Erscheinungen wiederholen sich an jedem Tage zu Hunderten von Malen, sind also im Laufe der Jahre zu Zehntausenden, wenn nicht Hunderttausenden von Malen in vollkommener Gleichmäßigkeit von mir wahrgenommen worden. Den Grund habe ich bereits mehrfach angedeutet. Bei jeder Einstellung meiner Denkthätigkeit erachtet Gott augenblicklich meine geistigen Fähigkeiten für erloschen, die von ihm erhoffte Zerstörung des Verstandes (den "Blödsinn") für eingetreten und damit die Möglichkeit eines Rückzuges für gegeben. 

Die Rückzugsaktion wird also ins Werk gesetzt und zu diesem Behufe eine "Störung" in dem in Kap. X bezeichneten Sinne gewundert. Dies ist das Geräusch ad 1. Gleichzeitig wird von dem niederen Gotte ebenfalls fast stets augenblicklich das sogen. Brüllen gewundert (ad 2); der Zweck scheint ein doppelter zu sein, nämlich einestheils sich im Wege des "Darstellens" den Eindruck eines gewissermaßen vor Blödsinn brüllenden Menschen zu verschaffen und anderntheils die von dem oberen Gotte zur Ermöglichung einer größeren Entfernung gesetzten inneren Stimmen an dem durch das Brüllen entstehenden Geräusch ersticken zu lassen, damit der niedere Gott, der sich der Nothwendigkeit des ferneren Sichanziehenlassens wenigstens halb und halb bewußt zu sein scheint, hierbei auf eine Vereinigung aller Strahlen und die damit in meinem Körper entstehende Seelenwollust rechnen kann, mit andern Worten, um sich dagegen zu sichern, daß er in meinem Körper allein ohne Seelenwollust eingehe. Die größere Entfernung bedingt (ad 3) sofort ein Entstehen von Wind (vergl. Kap. 1). Nicht minder aber wird der obere Gott alsbald gewahr, daß die erhoffte Aufhebung der Anziehungskraft meiner Nerven wieder einmal nicht erreicht ist, diese vielmehr ungemindert fortbesteht; der dadurch in den zunächst losgelösten Theilen der Gottesnerven entstehende Angstzustand kommt (ad 4) bei diesen als echte Empfindung in dem Rufe "Hülfe" zum Ausdruck. Räthselhaft bleibt mir, wie vieles andere, daß die Hülferufe anscheinend von anderen Menschen nicht vernommen werden: die Schallempfindung, welche an mein eigenes Ohr schlägt —viele Hundert Male an jedem Tage — ist eine so deutliche, daß von einer Sinnestäuschung dabei schlechterdings nicht die Rede sein kann. Auch schließt sich an die echten "Hülferufe" jedesmal sofort die auswendig gelernte Phrase an: "Wenn nur die verfluchten Hülferufe aufhörten." 

Daß alle Lebensäußerungen von Menschen in meiner Nähe, namentlich deren Sprache, auf Wunder (Strahleneinwirkung) zurückzuführen sind, tritt aber für mich auch in dem Inhalte des Gesprochenen deutlich zu Tage. Um diesen Satz verständlich zu machen, muß ich wieder etwas weiter ausholen. Wie bereits in Kap. IX bemerkt worden, sind von Gott bei dem Anbinden an Erden außer den damals noch existierenden geprüften Seelen gewisse Reste der früheren "Vorhöfe des Himmels", also selig gewesener Menschenseelen aufgespart worden, zu dem Zwecke, um dieselben bei der durch die Anziehungskraft meiner Nerven bedingten Annäherung, immer mit Leichengift beladen, gleichsam als Vorposten vorauszuschicken und damit die Anziehung für die eigentlichen Gottesstrahlen selbst zu verlangsamen. Daneben glaubte man wohl auch durch die Masse des Leichengiftes, welches auf diese Weise Tag für Tag auf meinen Körper gehäuft wird, mich schließlich erdrücken, d. h. mich töten oder mir den Verstand zerstören zu können. Die betreffenden Nerven (Reste der Vorhöfe des Himmels) treten nun in Folge eines wunderbaren Zusammenhangs, der offenbar aufs Innigste in dem Wesen des göttlichen Schaffens begründet ist, daher auch von mir nicht näher erklärt werden kann, seit Jahren in der Gestalt gewunderter Vögel auf. Nur die Thatsache selbst, daß es sich bei den in diesen Vögeln steckenden Nerven um Reste (einzelne Nerven) selig gewesener Menschenseelen handelt, ist für mich auf Grund tausendfältiger seit Jahren alltäglich zur Wiederholung gelangender Wahrnehmungen ganz unzweifelhaft. 

Ich kenne die einzelnen hierher gehörigen Nerven genau nach der Klangfarbe ihrer mir seit Jahren vertraut gewordenen Stimmen, ich weiß genau, welche der sinnlosen auswendig gelernten Redensarten ich von einem jeden von ihnen zu erwarten habe, je nachdem sie von dem Lager des niederen Gottes oder von demjenigen des oberen Gottes ausgesendet (von diesem oder jenem gewundert) worden sind. Ihre Eigenschaft als ehemalige menschliche Nerven geht zur Evidenz daraus hervor, daß die gewunderten Vögel, sämmtlich ohne Ausnahme, jedesmal wenn sie das ihnen aufgepackte Leichengift vollständig abgelagert, d. h. die ihnen gewissermaßen eingebläuten Phrasen abgeleiert haben, der dann in ihnen entstehenden ächten Empfindung des Behagens an der Seelenwollust meines Körpers, an welcher sie nunmehr Theil nahmen, mit den Worten "Verfluchter Kerl" oder "Ei verflucht einigermaßen" also in menschlichen Lauten Ausdruck geben, den einzigen Worten, deren sie im Ausdruck einer ächten Empfindung überhaupt noch fähig sind. Für das, was sie vorher gesprochen haben, die auswendig gelernten Phrasen — um diesen natürlich auch nur bildlich zu verstehenden Ausdruck beizubehalten — haben sie nicht das geringste Verständniß; sie leiern dieselben ab, ohne die Bedeutung der Worte zu kennen; sie stehen eben sonst im Punkte der Intelligenz anscheinend nicht höher als irgendwelche anderen natürlichen Vögel. 

Wie es gemacht wird, daß ihre Nerven in Schwingungen versetzt werden, vermöge deren die von ihnen gesprochenen oder richtiger gelispelten Laute dem Klange der menschlichen Worte entsprechen, aus denen die auswendig gelernten Phrasen bestehen, vermag ich nicht zu sagen: das Technische an der Sache kann ich daher nicht näher erklären, vermuthe auch, daß es sich hierbei um für Menschen überhaupt nicht faßbare, weil übersinnliche Dinge handelt. Wohl aber ist mir durch jahrelange Erfahrung die Wirkung genau bekannt, welche darin besteht, daß die Nerven der gewunderten Vögel, solange sie mit dem Ableiern der ihnen eingebläuten (auswendig gelernten) Phrasen beschäftigt sind, gegen alle Empfindungen, die sie beim Eintritt in meinen Körper sonst haben würden, namentlich gegen die Seelenwollust und Augeneindrücke unempfänglich gemacht sind, gleichsam als ob sie mit verbundenen Augen bei mir eingingen und ihr natürliches Empfindungsvermögen in irgend welcher Weise suspendirt wäre. Dies ist denn auch der Zweck der ganzen Einrichtung und auch der Grund, weshalb im Laufe der Jahre — entsprechend dem Wachsthum der Seelenwollust — das Tempo, in dem die auswendig gelernten Phrasen gesprochen werden, immer mehr verlangsamt worden ist: es soll den bei mir eingehenden Stimmen als Trägern des Leichengiftes die zerstörende Schärfe des letzteren möglichst lange erhalten werden. Dabei tritt nun aber eine höchst eigenthümliche Erscheinung hervor, die auch für die Tragweite der Schäden, die die betreffenden Stimmen oder Strahlen in meinem Körper anrichten, von großer Bedeutung ist. 

Den Sinn der von ihnen gesprochenen Worte verstehen die gewunderten Vögel, wie schon erwähnt, nicht; wohl aber haben sie, wie es scheint, eine natürliche Empfänglichkeit für den Gleichklang der Laute. Sobald sie daher, während sie noch mit Ableiern der auswendig gelernten Phrasen beschäftigt sind, entweder in den von mir selbst ausgehenden Schwingungen meiner Nerven (meinen Gedanken) oder in dem, was von meiner Umgebung gesprochen wird, Worte vernehmen, die mit dem, was sie gerade selbst zu sprechen (abzuleiern) haben, gleichen oder annähernd gleichen Klang haben, so erzeugt dies für sie anscheinend einen Zustand der Überraschung, in Folge dessen sie auf den Gleichklang sozusagen hereinfallen, d. h. über der Überraschung den Rest der noch von ihnen abzuleiernden Phrasen vergessen und plötzlich in ächter Empfindung eingehen. 

Der Gleichklang braucht, wie gesagt, kein vollständiger zu sein; es genügt, da der Sinn der Worte eben von den Vögeln nicht begriffen wird, daß ähnlich klingende Laute von ihnen vernommen werden; es verschlägt daher für sie wenig, ob etwa — um einige Beispiele anzuführen — von 
"Santiago" oder "Carthago" 
"Chinesenthum" oder "Jesum Christum" 
"Abendroth" oder "Athemnoth" 
"Ariman" oder "Ackermann" 
"Briefbeschwerer" oder "Herr Prüfer schwört." 
u. s. w. u. s. w. gesprochen wird. 

Die für mich auf diese Weise gebotene Möglichkeit, die mit mir sprechenden Vögel durch willkürliches Zusammenwerfen ähnlich klingender Worte zu verwirren, hat mir in der sonst kaum erträglichen Öde des Stimmengewäsches oft als eine Art Kurzweil dienen und mir eine allerdings etwas sonderbare Unterhaltung bereiten müssen. So scherzhaft dies aber auch klingen mag, so hatte die Sache doch für mich auch eine sehr ernste Bedeutung und hat dieselbe zum Theil auch noch in der Gegenwart. Der obere und niedere Gott, die ebenso gut wie ich von der Eigenart der gewunderten Vögel, auf gleichklingende Laute hineinzufallen, unterrichtet sind, spielen nämlich diese Eigenart wechselseitig als Trumpf gegen einander aus. Beide haben das Bestreben, sich zurückzuhalten und immer den anderen Theil vorzuschieben; da nun durch das Hereinfallen der Vögel auf den Gleichklang jedesmal die Anziehung desjenigen Theils beschleunigt wird, zu dessen Lager die betreffenden Stimmen gehören, so läßt der obere Gott von den Personen meiner Umgebung mit Vorliebe solche Worte sprechen, die dem Aufschreibe- und Stimmenmaterial des niedern Gottes angehören und umgekehrt, während ich meinerseits, da mir an einer Vereinigung aller Strahlen, also an einer gleichmäßigen Anziehung gelegen ist, stets entsprechend entgegenzuwirken suche. Auch hier ständen mir die Beispiele fast so zahlreich zu Gebote wie der Sand am Meere. 

Um nur einiges Wenige anzuführen, sei erwähnt, daß u. U. das "elektrische Licht" und die "Eisenbahnen", sowie — in dem im Kap. XIII angegebenen Zusammenhange — die "kolossalen Kräfte" und der "aussichtslose Widerstand" zu dem Aufschreibematerial des niederen Gottes gehören. Der obere Gott läßt daher in den Unterhaltungen, die in meiner Gegenwart — auch an der Mittagstafel des Anstaltsvorstandes geführt werden — in einer Häufigkeit, die geradezu frappant ist und jeden Gedanken an einen Zufall ausschließt, von "elektrischen Bahnen" sprechen, alles Mögliche "kolossal" finden und bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit von "Aussichten" erzählen. Für mich liegt in den betreffenden Vorgängen — neben vielem Anderen — der unwiderlegliche Beweis, daß die Nerven der Menschen, welche diese Worte gebrauchen — ihnen selbst natürlich unbewußt — durch Strahlenwirkung (Wunder) hierzu veranlaßt werden, mit anderen Worten der Beweis der Wirklichkeit der sogen. "Menschenspielerei," von welcher der niedere Gott in den früheren Jahren unzählige Male zu reden pflegte. Auch hier bin ich mir bewußt, wie unglaublich das von mir Dargelegte für andere Menschen klingen muß; die die Bekräftigung desselben enthaltenden Erfahrungen werden aber von mir an jedem Tage und in jeder Stunde, an jedem Orte und bei jeder Gelegenheit in so erdrückender Fülle gemacht, daß jeder Zweifel an der Objektivität der geschilderten Verhältnisse für mich ausgeschlossen ist. Einzelheiten darüber gedenke ich vielleicht noch später zu geben. 

In Betreff der gewunderten Vögel habe ich dem Vorstehenden noch Einiges hinzuzufügen. Es zeigt sich bei ihnen die merkwürdige Erscheinung, daß die einzelnen dabei betheiligten Nerven oder Seelen nach der Verschiedenheit der Jahreszeiten in der Gestalt verschiedener Vogelarten auftreten. Dieselben Nerven sind im Frühjahr etwa in den Leibern von Finken oder anderen Singvögeln, im Sommer in denjenigen von Schwalben, und im Winter in denjenigen von Sperlingen oder Krähen enthalten. Die Identität der betreffenden Seelen beruht für mich nach der mir wohl bekannten Klangfarbe ihrer Stimmen, sowie nach den immer gleichmäßig von ihnen gehörten, ihnen sozusagen einmal eingepropften Redensarten außer allem Zweifel. 

Danach ergiebt sich von selbst die Frage, ob dieselben überhaupt ein kontinuirliches Leben haben können oder nicht von Tag zu Tag oder wenigstens in gewissen längeren Zeitabschnitten neu gewundert werden. Ich kann diese Frage nur aufwerfen, nicht aber beantworten. Ich nehme wahr, daß die gewunderten Vögel fressen und ausleeren, wie sonst die natürlichen Vögel; es wäre ja also möglich, daß der gewunderte Zustand durch Nahrungsaufnahme auf einige Zeit aufrecht erhalten würde; auch habe ich im Frühjahr wiederholt Nesterbau beobachtet, was auf eine Fortpflanzungsfähigkeit hinzudeuten scheint. Auf der anderen Seite wird mir eben durch ihre Sprache gewiß, daß sie in gewissen anderen Beziehungen nicht vollkommen natürliche Vögel sind. Ihre Zahl ist sehr erheblich, anscheinend in die Hunderte gehend, sodaß ich eine bestimmte Ziffer nicht anzugeben wage. Sie zerfallen nach den von ihnen gesprochenen Redensarten in zwei Gruppen, nach denen sie sich deutlich als theils von dem niederen Gotte, theils von dem oberen Gotte ausgehend unterscheiden. 

Zu der Gruppe des niederen Gottes gehört namentlich eine Seele in Vogelgestalt, die mir fast stets die nächste ist und daher von den übrigen Stimmen schon seit Jahren als mein "kleiner Freund" bezeichnet zu werden pflegt. Sie erscheint im Frühjahr meist als Specht oder Amsel, im Sommer als Schwalbe und im Winter als Sperling. Die ihr scherzweise gegebene Bezeichnung als "picus, der Specht" wird von den übrigen Stimmen auch dann aufrecht erhalten, wenn sie als Amsel, Schwalbe oder Sperling auftritt. Ich kenne genau die einzelnen im Laufe der Jahre ziemlich zahlreich gewordenen Redensarten, die ihr in konstanter Wiederholung zum Sprechen mitgegeben werden und habe darüber, ebenso wie bei den anderen gewunderten Vögeln schon öfters Verzeichnisse aufgestellt, die sich stets als zutreffend erwiesen. Einer großen Anzahl der übrigen Vogelseelen habe ich scherzweise zur Unterscheidung Mädchennamen beigelegt, da sie sich sämmtlich nach ihrer Neugier, ihrem Hang zur Wollust usw. am ersten mit kleinen Mädchen vergleichen lassen. Diese Mäddiennamen sind dann zum Theil auch von den Gottesstrahlen aufgegriffen und zur Bezeichnung der betreffenden Vogelseelen beibehalten worden. Zu den gewunderten Vögeln gehören alle rascher fliegenden Vögel, also namentlich alle Singvögel, ferner Schwalben, Sperlinge, Krähen usw.; von diesen Vogelarten habe ich nie im Laufe der verflossenen Jahre auch nur ein einziges Exemplar zu sehen bekommen, das nicht gesprochen hätte; auch bei den beiden Wagenausfahrten, die ich im Sommer dieses Jahres (1900) unternommen habe, haben sie mich jedesmal auf dem ganzen Wege und nach dem Ziele meines Ausflugs begleitet. Dagegen sprechen nicht die auf dem Hofe der hiesigen Anstalt befindlichen Tauben, ebensowenig, soweit ich beobachtet habe, ein in einer Dienstwohnung derselben eingefangener Kanarienvogel, sowie die Hühner, Gänse und Enten, die ich theils von meinen Fenstern aus in den unterhalb der Anstalt liegenden Grundstücken, theils auf den erwähnten beiden Ausflügen in den dabei von mir berührten Ortschaften gesehen habe; ich muß also annehmen, daß es sich hierbei um einfache, natürliche Vögel handelt. Die ganze Erscheinung der sprechenden Vögel hat etwas so Wunderbares und Märchenhaftes, daß es für mich von höchstem Interesse wäre, die Vogelwelt in anderen Theilen des Landes zu beobachten da ich natürlich nicht voraussetzen kann, daß die in größerer Entfernung gelegenen Laubwälder usw. der Vogelbevölkerung gänzlich entbehren. 

16. Kapitel - Denkzwang. Äußerungen und Begleiterscheinungen desselben 

Nachdem ich in den vorausgehenden Kapiteln geschildert habe, welchen Veränderungen mein äußeres Leben im Laufe der verflossenen Jahre unterworfen war und welche Erscheinungen der von göttlichen Strahlen gegen mich geführte Vernichtungskampf gezeitigt hatte, will ich nunmehr noch einiges Weitere darüber mittheilen, in welchen — ebenfalls mannigfach veränderten — Formen der ununterbrochen fortdauernde Denkzwang sich gleichzeitig geäußert hat. Der Begriff des Denkzwangs ist bereits in Kap. V dahin bestimmt worden, daß derselbe eine Nöthigung zu unablässigem Denken enthält, wodurch das natürliche Recht des Menschen auf geistige Erholung, auf zeitweiliges Ausruhen von der Denkthätigkeit im Wege des Nichtsdenkens beeinträchtigt, oder, wie der grundsprachliche Ausdruck lautet, der "Untergrund" des Menschen beunruhigt wird. Durch Strahleneinwirkung werden meine Nerven in Schwingungen versetzt, die gewissen menschlichen Worten entsprechen, deren Wahl also nicht auf meinem eigenen Willen, sondern auf einem gegen mich geübten äußeren Einflusse beruht. Dabei herrschte von Anfang an das System des Nichtausredens, d. h., die Schwingungen in die meine Nenven versetzt werden und die dadurch erzeugten Worte enthalten ganz überwiegend nicht in sich abgeschlossene vollendete Gedanken, sondern nur Bruchstücke von solchen, deren Ergänzung zu irgendwelchem vernünftigen Sinne meinen Nerven damit gewissermaßen zur Aufgabe gestellt wird. Es liegt einmal in der Natur der Nerven, daß, wenn auf diese Weise irgendwelche zusammenhangslose Worte, irgendwelche angebrochene Phrasen in dieselben hineingeworfen worden, sie sich unwillkürlich bemühen, dasjenige, was zu einem den menschlichen Geist befriedigenden vollendeten Gedanken noch fehlt, zu suchen. 

Das System des Nichtausredens ist im Laufe der Jahre, je mehr es den Seelen an eigenen Gedanken zu mangeln anfing, immer weiter ausgebildet worden. Ganz besonders häufig werden seit Jahren in tausendfältiger Wiederholung nur einzelne Konjunktionen oder Adverbialwendungen, die zur Einleitung von Relativsätzen bestimmt sind, in meine Nerven hineingesprochen, denen dann die Ausfüllung der Relativsätze mit irgendwelchem, dem denkenden Geiste genügendem Inhalt überlassen bleibt. So höre ich seit Jahren an jedem Tage in hundertfältiger Wiederholung die ohne jeden Zusammenhang in meine Nerven hineingesprochenen Worte "warum nur?" "warum, weil," "warum, weil ich" "es sei denn," "rücksichtlich seiner" (d. i. in betreff meiner Person ist nunmehr das oder jenes zu sagen oder zu denken), ferner etwa ein ganz sinnlos in meine Nerven geworfenes "O ja," endlich gewisse Bruchstücke früher vollständig ausgedrückter Redensarten, z. B. 
1. "Nun will ich mich," 
2. "Sie sollen nämlich," 
3. "Das will ich mir," 
4. "Nun muß er doch," 
5. "Das war nu nämlich," 
6. "Fehlt uns nun," 
u. s. w. Um dem Leser wenigstens einen Begriff von der ursprünglichen Bedeutung dieser abgebrochenen Redensarten zu geben, will ich zu den unter 1 - 6 angegebenen Beispielen jedesmal die Fortsetzung, die früher wirklich gesprochen wurde, jetzt aber weggelassen und damit gewissermaßen meinen Nerven zur Ergänzung überlassen wird, hinzufügen. Es hätten eigentlich zu lauten die Redensarten 
No. 1. Nun will ich mich darein ergeben, daß ich dumm bin; 
No. 2. Sie sollen nämlich dargestellt werden als Gottesleugner, als wollüstigen Ausschweifungen ergeben u. s. w.; 
No. 3. Das will ich mir erst überlegen; 
No. 4. Nun muß er doch wohl mürbe sein, der Schweinebraten; 
No. 5. Das war nu nämlich nach der Seelen Auffassung zuviel; 
No. 6. Fehlt uns nun der Hauptgedanke, d. h. — wir, die Strahlen entbehren der Gedanken. 
Die wenig geschmackvolle Redensart vom Schweinebraten (ad 4) beruht insbesondere darauf, daß ich selbst einmal vor Jahren in der Nervensprache mich der bildlichen Redewendung von einem "mürben Schweinebraten" bedient hatte. Diese Redewendung ist dann aufgegriffen und zu einem beständig wiederkehrenden Bestandtheil des Sprechmaterials gemacht worden. Den "Schweinebraten" soll ich auf mich selbst beziehen, es soll also damit ausgedrückt werden, daß meine Widerstandskraft gegen die auf Zerstörung meines Verstandes gerichteten Angriffe der Strahlen doch nun endlich erschöpft sein müsse. 

Der Grund des Nichtausredens ist derselbe, der auch sonst in dem Verhalten Gottes mir gegenüber in jedem Punkte hervortritt; man beabsichtigt, sich damit der Nothwendigkeit des Aufgehens in meinem Körper in Folge der Anziehungskraft zu entziehen. Solange noch annähernd weltordnungsmäßige Zustände herrschten, d. h. vor dem Anbinden an Strahlen und an Erden, (vergl. Kap. IX) genügte jede Übereinstimmung der Empfindung in einem einzigen Gesicht (Augenblick), um ein Herabspringen der frei am Himmel hängenden Seelen in meinen Mund zu veranlassen und damit ihrer selbstständigen Existenz ein Ende zu bereiten, ich habe diesen Vorgang, wie bereits in Kap. VII bemerkt, damals in sehr zahlreichen Fällen thatsächlich erlebt. Denselben Erfolg hatten aber auch bloße "verstandesmäßige Erwägungen", sofern die Seelen denselben in einer grammatikalisch vollständigen Form Ausdruck gaben. Noch jetzt würde der grammatikalisch vollständige Ausdruck eines beliebigen Gedankens ohne Weiteres zu mir hinführen, sodaß die damit eingehenden (allerdings einer Zurückziehung fähig gewordenen) Strahlen vorübergehend die Seelenwollust meines Körpers erhöhen würden. Das Nichtausreden hat anscheinend die Wirkung, daß die Seelen dadurch gewissermaßen mitten auf dem Wege aufgehalten und zur Zurückziehung zugänglich gemacht werden, ehe sie zur Vermehrung der Seelenwollust in meinem Körper beigetragen haben; vollständig und auf die Dauer erreicht wird die Verhinderung der Anziehung allerdings auch dadurch nicht, immerhin scheint wenigstens eine gewisse Verlangsamung stattzufinden. 

Man kann sich schwer vorstellen, welche geistigen Anstrengungen mir der Denkzwang namentlich in den erwähnten Verschärfungen jahrelang auferlegt hat und welche geistige Qualen mir dadurch bereitet worden sind. In den ersten Jahren empfanden es meine Nerven in der That als eine unwiderstehliche Nöthigung, für jeden der eingeleiteten Relativsätze, für jede der angebrochenen Phrasen eine den menschlichen Geist befriedigende Fortsetzung zu finden, so etwa, wie im gewöhnlichen, menschlichen Verkehr auf die Anfrage eines Anderen regelmäßig eine Antwort gegeben zu werden pflegt. Um einigermaßen verständlich zu machen, wie eine solche Nöthigung an und für sich durch die Natur der menschlichen Nerven gegeben ist, will ich mich eines Beispiels bedienen. Man denke sich den Fall, daß Eltern oder Erzieher einer in der Schule mit ihren Kindern veranstalteten Prüfung beiwohnen. Sofern sie der Prüfung mit Aufmerksamkeit folgen, werden sie sich unwillkürlich auf jede gestellte Frage im Geiste selbst die Antwort geben, sei es nur in der Form: "Ich weiß es nicht, ob es wohl die Kinder wissen werden?" Dabei besteht aber natürlich für die Eltern oder Erzieher keinerlei geistiger Zwang, sie brauchen bloß ihre Aufmerksamkeit von dem Gange der Prüfung ab- und irgendwelchen Äußerlichkeiten der Umgebung zuzuwenden, um ihre Nerven vor jeder Anstrengung in der angegebenen Richtung zu bewahren. Darin liegt nun eben der wesentliche Unterschied des gegebenen Beispiels von meinem Falle. Die gestellten Fragen oder die die Nöthigung zum Ausüben der Denkfunktion begründenden Fragpartikel werden in meine Nerven, da sie von Strahlen in entsprechende Schwingungen versetzt werden, dergestalt hineingesprochen, daß sie sich der zum Denken zwingenden Erregung gar nicht enziehen können. Ob die gewählte Ausdrucksweise, daß meine Nerven von Strahlen in entsprechende Schwingungen versetzt werden, das Verhältniß ganz richtig trifft, muß ich freilich dahingestellt sein lassen; der von mir unmittelbar empfundene Vorgang ist der, daß die sprechenden Stimmen (neuerdings also insbesondere die Stimmen der sprechenden Vögel) als innere Stimmen wie lange Fäden sich in meinen Kopf hineinziehen und in demselben vermöge des Leichengifts, das sie abladen, eine schmerzhafte spannende Empfindung erzeugen. 

Den Gegensatz zu diesen inneren Stimmen bilden die äußeren Stimmen, die ich namentlich von den Vögeln gesprochen, von außen her aus den Vogelkehlen selbst zu mir kommend, höre. Jedenfalls können sich in beiden Fällen meine Nerven der Schallempfindung der gesprochenen Worte nicht entziehen und damit ist dann die Erregung meiner Nerven, welche, sofern es sich um Fragen oder unvollendete Gedanken handelt, zum Weiterdenken zwingt, von selbst gegeben. Wenigstens in den ersten Jahren war die Nothwendigkeit des Weiterdenkens, der Beantwortung der gestellten Fragen, der stylistischen Ergänzung der angebrochenen Phrasen usw. für meine Nerven völlig unabweisbar; erst im Laufe der Jahre habe ich meine Nerven (meinen "Untergrund") nach und nach daran zu gewöhnen vermocht, daß sie die gesprochenen Worte und Redensarten wenigstens zum Theil durch einfache Wiederholung zu Formen des Nichtdenkungsgedankens gestalten, also die Erregung, die an sich zum Weiterdenken nöthigen würde, ignoriren. So mache ich es jetzt schon seit langer Zeit mit den Konjunktionen und Adverbialwendungen, die eigentlich die Vervollständigung zu irgendwelchen Relativsätzen erheischen würden. Höre ich z. B. ein "warum, weil ich" oder ein "es sei denn," so wiederhole ich die betreffenden Worte möglichst lange, ohne mir die Mühe zu geben, eine Ergänzung des Sinns in Verbindung mit den vorher in mir entstandenen Gedanken zu suchen. 

In gleicher Weise verfahre ich, wenn man, was täglich zu Hunderten von Malen geschieht, durch die Worte "wenn nur meine" meine Nerven zur Entwickelung irgendwelcher Befürchtungsgedanken nöthigen will, die in Wirklichkeit gar nicht bei mir vorhanden sind, sondern mir nur fälschungsweise untergelegt werden sollen. Welche Fortsetzung man dabei "erwartet" ist mir zwar meistentheils — da in der Regel gleichzeitig ein entsprechendes Wunder erfolgt, das ich an meinem Körper verspüre — bekannt; es soll eine Fortsetzung bald "wenn nur meine Wollust nicht gestört würde," bald "wenn nur meine Stiefel nicht verwundert würden," bald "wenn nur meine Nase, meine Augen, meine Kniescheibe, meine Schädeldecke usw. nicht verwundert würden," folgen. 

Ich fühle mich aber nicht veranlaßt, diesen doch nur auf Gedankenfälschungen hinauskommenden Blödsinn in Worten vollständig auszugestalten, sondern begnüge mich damit, nachdem ich meine Nerven an die Unterdrückung der betreffenden Erregung gewöhnt habe, die Worte "wenn nur meine" ohne jeden Zusatz möglichst lange zu wiederholen. Im gewöhnlichen Zwiegespräch würde natürlich jeder Mensch auf die von einem Anderen gegen ihn gesprochenen Worte "Wenn nur meine" lediglich die Antwort "Ja, was meinen Sie denn eigentlich" oder ein zur Abwehr der Belästigung dienendes Schimpfwort in Bereitschaft haben. Dieses Auskunftsmittel ist mir aber von den Strahlen durch das dann regelmäßig folgende "Das hammirschon" mit der in Kap. IX bezeichneten Wirkung mindestens sehr erschwert, abgesehen davon, daß es auf die Dauer doch gar nicht auszuhalten sein würde, die Nerven den ganzen Tag über nur zu der Gegenfrage "Was meinen Sie denn eigentlich" oder zur Wahl eines Schimpfwortes in Bewegung zu setzen. Die Eingriffe in die Freiheit des menschlichen Denkens oder genauer gesprochen des Nichtsdenkens, welche. das Wesen des Denkzwangs ausmachen, sind im Laufe der Jahre noch wesentlich dadurch verschärft worden, daß das Sprechen der Stimmen in immer langsamerem Tempo geschieht. Es hängt dies zusammen mit der vermehrten Seelenwollust meines Körpers und mit der — trotz aller Aufschreiberei — überaus großen Dürftigkeit des Sprechmaterials, das den Strahlen zur Überbrückung der ungeheuren Entfernungen zu Gebote steht, die die Weltkörper, an denen sie hängen, von meinem Körper trennen. 

Von dem Grade der Verlangsamung kann sich derjenige, der nicht die besprochenen Erscheinungen, wie ich, persönlich erlebt hat und noch erlebt, kaum eine Vorstellung machen. Ein "aber freilich" gesprochen "a—a—a a—b—e—e—e—r fr—ei—ei—ei—li—i—i—i—ch", oder ein "Warum sch..... Sie denn nicht?" gesprochen "W—a—a—a—r—r—u—m sch—ei—ei—ei—ß—e—e—n Sie d—e—e—e—e—n—n n—i—i—i—i—icht?" beansprucht jedesmal vielleicht 30 bis 60 Sekunden, ehe es vollständig herauskommt. Dadurch müßte in jedem Menschen, der nicht, wie ich auch in der Anwendung geeigneter Abwehrmittel immer erfinderischer geworden wäre, eine nervöse Ungeduld erzeugt werden, die den Betreffenden einfach aus der Haut fahren ließe; nur einen über den Maßen schwachen Abglanz von der den Nerven verursachten Beunruhigung vermag vielleicht das Beispiel zu bieten, daß ein Richter oder Lehrer einen geistig schwerfälligen Zeugen oder Schüler immer vor sich stottern hört und trotz aller Bemühungen nicht zu einer deutlichen Aussprache desjenigen, was der Gefragte eigentlich sagen will oder soll, zu bringen im Stande ist. 

Zu den verschiedenen Abwehrmitteln gehört vor allen Dingen das Klavierspielen und das Lesen von Büchern oder Zeitungen — sofern es der Zustand meines Kopfes gestattet — woran auch die am längsten ausgesponnenen Stimmen schließlich zu Grunde gehen; für diejenigen Tageszeiten, wo dies, wie in der Nacht, nicht gut angängig ist, oder eine Abwechslung in der Beschäftigung zum geistigen Bedürfnisse wird, habe ich in dem Memoriren von Gedichten ein meist erfolgreiches Auskunftsmittel gefunden. Ich habe eine große Anzahl von Gedichten, namentlich Schiller‘sche Balladen, größere Abschnitte aus Schiller‘schen und Goethe‘schen Dramen, aber auch Opern-Arien und Scherzgedichte, u. a. aus "Max und Moritz", aus dem "Struwelpeter" und Spekters "Fabeln" auswendig gelernt, die ich dann im Stillen verbotenus aufsage. Auf den poetischen Werth der Gedichte kommt es dabei natürlich an und für sich nicht an; jede noch so unbedeutende Reimerei, ja selbst jeder Zotenvers ist als geistige Nahrung immer noch Goldes werth gegenüber dem entsetzlichen Blödsinne, der sonst meinen Nerven anzuhören zugemuthet wird. 

Auch bei dem Aufsagen von Gedichten habe ich indessen mit manchen Schwierigkeiten zu kämpfen, die den Erfolg zuweilen beeinträchtigen; man wundert dann gedankenzerstreuend an meinen Nerven dergestalt herum, daß ich den Fortgang der von mir auswendig gelernten Gedichte augenblicklich nicht aufzufinden vermag oder es wird, sobald durch das Aufsagen längerer Gedichte die längsten inneren Stimmen wieder einmal zum Schweigen gebracht sind, und damit der auf der Vereinigung aller Strahlen beruhende Zustand hochgradiger Seelenwollust erzielt ist, von dem niedern Gotte das im vorigen Kapitel beschriebene Brüllwunder in Szene gesetzt, sodaß mir die Lust am weiteren leisen Aufsagen von Gedichten vergeht oder selbst die physische Möglichkeit dazu benommen wird. Ich bin deshalb genöthigt, zeitweise mit den Systemen zu wechseln, gerade so wie außerhalb (von Gottes Allmacht) immer neue Systeme eingerichtet werden, um die Anziehung zu verlangsamen und die zum Schlafe oder der vollen Seelenwollust erforderliche Vereinigung aller Strahlen zu hindern. In neuester Zeit habe ich das anhaltende leise Zählen bis zu einer beliebig hohen Zahl sehr probat gefunden, was freilich auf die Dauer natürlich sehr langweilig ist. Treten, wie nicht selten auch jetzt noch der Fall ist, erhebliche körperliche Schmerzen oder anhaltende Brüllzustände ein, so bleibt als letztes Mittel nur das laute Schimpfen übrig, wozu ich ab und zu schreiten muß, was aber, wie ich zuversichtlich hoffe, in Zukunft immer seltener nöthig werden wird. 

Alle die vorstehend beschriebenen Erscheinungen haben im Laufe der Jahre manche Wandlungen erfahren und sind auch jetzt noch dem Wechsel unterworfen, je nach dem Grade der jeweilig vorhandenen Seelenwollust und der Größe der Entfernung, in die sich Gott zurückgezogen hat. Im Ganzen bewähren sich aber auch hier von Tag zu Tag mehr und mehr die Voraussagen, die ich bereits vor Jahren hierüber gemacht habe; als Beweis möge folgender Auszug aus meiner kleinen Studie XIII in dem erwähnten Notizbuche B dienen: 
 

16. Januar 1898.
"Einstweilen d. h: während der Jahre oder Jahrzehnte, die noch bis zur Entmannung vergehen können, ist die Richtung unserer Politik im Allgemeinen klar. Ganz unzweifelhafl ist, daß es uns mit jedem Jahre, mit jedem Tage, mit jeder Woche leichter wird, gewisse Rückschläge vorbehalten, die damit zusammenhängen, daß draußen die erforderliche Einsicht nicht vorhanden ist, und auch wohl niemals kommen wird vermöge der Verfassung der Gottesreiche und des Seelencharakters und daher immer noch schwächliche Versuche gemacht werden, sich der weltordnungsmäßigen Lösung zu entziehen." 

Wegen ihrer charakteristischen Bedeutung muß ich der oben erwähnten Frage "Warum sch..... Sie denn nicht?" noch einige Bemerkungen widmen, so wenig decent auch das Thema ist, das ich dabei zu berühren genöthigt bin. Wie alles Andere an meinem Körper, wird nämlich auch das Ausleerungsbedürfniß durch Wunder hervorgerufen; es geschieht dies, indem der Koth in den Därmen vorwärts (manchmal auch wieder rückwärts) gedrängt wird und wenn in Folge bereits geschehener Ausleerungen genügendes Material nicht mehr vorhanden ist, wenigstens die noch vorhandenen geringen Reste des Darminhalts auf meine Gesäßöffnung geschmiert werden. Es handelt sich dabei um ein Wunder des oberen Gottes, das an jedem Tage mindestens mehrere Dutzende von Malen wiederholt wird. Damit verbindet sich die für Menschen geradezu unbegreifliche und nur aus der völligen Unbekanntschaft Gottes mit dem lebenden Menschen als Organismus erklärliche Vorstellung, daß das "Sch....." gewissermaßen das letzte sei, d. h. mit dem Anwundern des Sch...dranges das Ziel der Zerstörung des Verstandes erreicht und die Möglichkeit eines endgiltigen Rückzugs der Strahlen gegeben sei. Wie mir scheint, muß man, um der Entstehung dieser Vorstellung auf den Grund zu gehen, an das Vorliegen eines Mißverständnisses in Betreff der symbolischen Bedeutung des Ausleerungsaktes denken, daß nämlich derjenige, der zu göttlichen Strahlen in ein dem meinigen entsprechendes Verhältniß gekommen ist, gewissermaßen berechtigt sei, "auf alle Welt zu sch....." 

Zugleich äußert sich dabei aber auch die ganze Perfidie der Politik, die mir gegenüber verfolgt wird. Nahezu jedesmal, wenn man mir das Ausleerungsbedürfniß wundert, schickt man — indem man die Nerven des betreffenden Menschen dazu anregt — irgend eine andere Person meiner Umgebung auf den Abtritt, um mich am Ausleeren zu verhindern; es ist dies eine Erscheinung, die ich seit Jahren in so unzähligen (Tausenden von) Malen und so regelmäßig beobachtet habe, daß jeder Gedanke an einen Zufall ausgeschlossen ist. Mir selbst gegenüber wird dann aber auf die Frage "Warum sch..... Sie denn nicht?" mit der famosen Antwort fortgefahren "Weil ich dumm bin so etwa." Die Feder sträubt sich fast dagegen, den formidablen Unsinn niederzuschreiben, daß Gott in der That in seiner auf Unkenntniß der Menschennatur beruhenden Verblendung soweit geht, anzunehmen, es könne einen Menschen geben, der — was doch jedes Thier zu thun vermag — vor Dummheit nicht "sch....." könne. Wenn ich dann im Falle eines Bedürfnisses wirklich ausleere, — wozu ich mich, da ich den Abtritt fast stets besetzt finde, in der Regel eines Eimers bediene —so ist dies jedesmal mit einer überaus kräftigen Entwickelung der Seelenwollust verbunden. Die Befreiung von dem Druck, der durch den in den Därmen vorhandenen Koth verursacht wird, hat nämlich für die Wollustnerven ein intensives Wohlbehagen zur Folge; das Gleiche ist auch beim Pissen der Fall. Aus diesem Grunde sind noch stets und ohne jede Ausnahmen beim Ausleeren und Pissen alle Strahlen vereinigt gewesen; aus eben diesem Grunde sucht man auch stets, wenn ich mich zu diesen natürlichen Funktionen anschicke, den Ausleerungs- und Pißdrang, wenn auch meist vergeblich, wieder zurückzuwundern. 
 

17. Kapitel - Fortsetzung des Vorigen: "Zeichnen" im Sinne der Seelensprache 

Aus der im vorigen Kapitel enthaltenen Schilderung wird der Leser den Eindruck gewonnen haben, daß die Prüfungen, die mir durch den Denkzwang auferlegt worden sind, das Maß der Anforderungen, die sonst an das menschliche Leistungsvermögen und an die menschliche Geduld gestellt zu werden pflegen, in vielen Beziehungen weit hinter sich gelassen haben. Um ganz wahr zu sein, habe ich aber hinzuzufügen, daß dabei auf der andern Seite doch auch manche Erscheinungen hervorgetreten sind, in denen wenigstens zu gewissen Zeiten eine Art von Ausgleich für die mir widerfahrene Unbill gefunden werden durfte. Abgesehen von den Aufschlüssen über übersinnliche Dinge, die mir im Laufe der Jahre zu Theil geworden sind und die ich jetzt um kein Gold der Erde mehr aus meinen Erinnerungen streichen möchte, habe ich hier hauptsächlich die geistig anregende Wirkung im Auge, die der Denkzwang auf mich geübt hat. Gerade das zusammenhanglose Hineinwerfen der das Kausalitätsverhältniß oder irgendwelche andere Beziehung ausdrückenden Konjunktionen in meine Nerven ("warum nur", "warum weil", "warum weil ich", "es sei denn", "wenigstens" u. s. w.) hat mich zum Nachdenken über viele Dinge genöthigt, an denen der Mensch sonst achtlos vorüberzugehen pflegt und dadurch zur Vertiefung meines Denkens beigetragen. Jede Vornahme irgend einer menschlichen Thätigkeit in meiner Nähe, die ich sehe, jede Naturbetrachtung im Garten oder von meinem Fenster aus regt gewisse Gedanken in mir an; höre ich dann in zeitlichem. Anschlusse an diese Gedankenentwickelung ein in meine Nerven hineingesprochenes "warum nur" oder "warum weil", so bin ich dadurch genöthigt oder mindestens in ungleich höherem Grade, als andere Menschen veranlaßt, über den Grund oder Zweck der betreffenden Erscheinungen nachzudenken. 

Um einige Beispiele aus ganz gewöhnlichen Vorkommnissen zu entnehmen, sei erwähnt, daß gerade in den Tagen, während ich diese Zeilen niederschreibe, ein neues Haus im Anstaltsgarten erbaut und in einem der dem meinigen benachbarten Zimmer ein Ofen umgesetzt wird. Sehe ich den betreffenden Arbeiten zu, so kommt natürlich unwillkürlich der Gedanke: der Mann oder die mehreren Arbeiter machen jetzt dies oder jenes; wird nun gleichzeitig mit der Entstehung dieses Gedankens ein "warum nur" oder "warum weil" in meine Nerven hineingesprochen, so bin ich dadurch in einer nur schwer abweisbaren Weise genöthigt, mir über Grund und Zweck jeder einzelnen Hantirung Rechenschaft zu geben. Ähnliches hat sich im Laufe der Jahre natürlich tausendfach ereignet; namentlich werden durch das Lesen von Büchern und Zeitungen immer neue Gedanken angeregt. Die gleichzeitig stattfindende Nöthigung, mir für jeden Vorgang, für jede Empfindung und für jede Gedankenvorstellung das Kausalitätsverhältniß zum Bewußtsein zu bringen, hat mich nach und nach in Betreff fast aller Naturerscheinungen, in Betreff fast aller Äußerungen der menschlichen Thätigkeit in Kunst, Wissenschaft u. s. w. zur Einsicht in das Wesen der Dinge geführt, als sie derjenige zu erlangen pflegt, der wie die meisten Menschen es nicht der Mühe werth erachtet, über die gewöhnlichen Erfahrungen des täglichen Lebens nachzudenken. In vielen Fällen, namentlich bei Empfindungsvorgängen ist es gar nicht leicht, auf die Frage nach dem Grunde ("Warum nur") eine passende, den menschlichen Geist befriedigende Antwort zu finden, ja in den meisten dieser Fälle, z. B. für die Sätze "Diese Rose riecht schön", oder "Dieses Gedicht hat eine herrliche poetische Sprache", oder "Dies ist ein vortreffliches Gemälde", oder "Dieses Musikstück ist überaus melodiös" müßte eigentlich die Frage nach einem besonderen Grunde selbst als inept empfunden werden. Gleichwohl wird die Frage durch die Stimmen nun einmal in mir angeregt und dadurch für mich ein Anstoß zur Denkthätigkeit gegeben, dem ich mich, da das fortwährende Denken zu mühsam wird, wie gesagt, erst nach und nach wenigstens theilweise zu entziehen gelernt habe. Derjenige, der an eine göttliche Weltenschöpfung glaubt, kann natürlich als letzte Ursache aller Dinge und alles Geschehens den Grund anführen, "weil Gott die Welt geschaffen hat.! Zwischen dieser Thatsache und den einzelnen Erscheinungsvorgängen des Lebens liegt aber eine unendliche Zahl von Mittelgliedern, deren sich wenigstens theilweise bewußt zu werden in vielen Fällen ein hervorragendes Interesse gewährt. Besonders viel habe ich mich, angeregt durch den Denkzwang, mit etymologischen Fragen beschäftigt, die auch schon früher in gesunden Tagen mein Interesse in Anspruch genommen haben. 

Am Schlusse dieser Ausführung möge noch ein Beispiel Platz finden, das vielleicht zu besserer Veranschaulichung des Gesagten beitragen kann. Ich wähle einen sehr einfachen Vorgang, nämlich den, daß mir ein mir bekannter Mensch namens Schneider begegnet. Sehe ich den Betreffenden, so entsteht natürlich unwillkürlich der Gedanke, "Der Mann heißt Schneider" oder "Das ist Herr Schneider." Nach der Bildung dieses Gedankens ertönt nun also etwa in meinen Nerven ein "Warum nur" oder "Warum weil". Würde eine solche Frage in diesem Zusammenhang im gewöhnlichen menschlichen Verkehr von einem Menschen an den Anderen gerichtet werden, so würde die Antwort wahrscheinlich lauten: "Warum! Was ist das für eine törichte Frage, der Mann heißt nun einmal eben Schneider." In dieser Weise einfach abwehrend aber können oder konnten wenigstens meine Nerven sich den betreffenden Fragen gegenüber in der Regel nicht verhalten. Ihre Ruhe ist durch die einmal aufgeworfene Frage, warum der Mann Herr Schneider sei oder Herr Schneider heiße, aufgestört. Die in diesem Fall gewiß sehr sonderbare Frage nach dem Grunde beschäftigt sie in Folge dessen — namentlich bei ihrer öfteren Wiederholung — unwillkürlich auf so lange, bis es etwa gelingt, eine andere Ablenkung für das Denken zu gewinnen. So werden denn meine Nerven vielleicht zunächst auf die Antwort geführt: Ja, der Mann heißt eben Schneider, weil sein Vater auch Schneider geheißen hat. Bei dieser trivialen Antwort vermögen jedoch meine Nerven keine wirkliche Beruhigung zu finden. Es schließt sich daher ein weiterer Denkprozeß an über die Gründe, warum überhaupt Namensbezeichnungen unter Menschen eingeführt sind, über die Formen, in denen sie bei verschiedenen Völkern und zu verschiedenen Zeiten aufgetreten sind und über die verschiedenen Beziehungen (Stand, Abstammung, besondere körperliche Eigenschaften usw.), denen sie vorzugsweise entlehnt sind. Auf diese Weise wird eine höchst einfache Wahrnehmung unter dem Drucke des Denkzwangs zum Ausgangspunkte einer sehr umfänglichen Gedankenarbeit, die in den meisten Fällen nicht ganz ohne Früchte bleibt. 

Eine weitere interessante Erscheinung, die mit dem Strahlenverkehr, der Ursache des Denkzwangs, zusammenhängt, ist das sogenannte "Zeichnen", dessen ich bereits in Kap. XI flüchtig Erwähnung gethan habe. Wahrscheinlich weiß kein Mensch außer mir und ist es namentlich auch der Wissenschaft unbekannt, daß der Mensch alle Erinnerungen, die in seinem Gedächtnisse noch haften, vermöge der den Nerven davon verbliebenen Eindrücke, gewissermaßen wie Bilder in seinem Kopfe mit sich herumträgt. Diese Bilder sind in meinem Falle, wo die Beleuchtung des inneren Nervensystems durch Strahlen geliefert wird, einer willkürlichen Reproduktion fähig, in der eben das Wesen des Zeichnens besteht. Oder wie ich den Gedanken früher in anderer Form ausgedrückt habe: 

"Das Zeichnen (im Sinne der Seelensprache) ist der bewußte Gebrauch der menschlichen Einbildungskraft zum Zwecke der Hervorbringung von Bildern (und zwar vorwiegend Erinnerungsbildern) im Kopfe, die dann von Strahlen eingesehen werden." 

Ich vermag von allen Erinnerungen aus meinem Leben, von Personen, Thieren und Pflanzen, von sonstigen Natur- und Gebrauchsgegenständen aller Art durch lebhafte Vorstellung derselben Bilder zu schaffen mit der Wirkung, daß dieselben in meinem Kopfe oder auch je nach meiner Absicht außerhalb desselben, sowohl für meine eigenen Nerven, als für die mit denselben in Verbindung stehenden Strahlen da, wo ich die betreffenden Dinge wahrgenommen wissen will, sichtbar werden. Ich vermag das mit Wettererscheinungen und anderen Vorgängen zu thun; ich kann es beispielsweise blitzen oder regnen lassen — eine besonders wirksame Zeichnung, da alle Wettererscheinungen und namentlich der Blitz den Strahlen als Äußerungen der göttlichen Wundergewalt gelten; ich kann etwa ein Haus unterhalb der Fenster meiner Wohnung brennen lassen usw. usw., Alles natürlich nur in meiner Vorstellung, so jedoch, daß die Strahlen, wie es mir scheint, davon den Eindruck haben, als ob die betreffenden Gegenstände und Erscheinungen wirklich vorhanden wären. Ich kann mich selbst an anderer Stelle, als wo ich mich wirklich befinde, z. B. etwa während ich am Klavier sitze, gleichzeitig als in weiblichem Aufputz im Nebenzimmer vor dem Spiegel stehend "zeichnen"; ich kann, was aus den in Kap. XIII angegebenen Gründen von großer Wichtigkeit für mich ist, wenn ich in der Nacht im Bette liege, mir selbst und den Strahlen den Eindruck verschaffen, daß mein Körper mit weiblichen Brüsten und weiblichem Geschlechtstheil ausgestattet sei. Das Zeichnen eines weiblichen Hinteren an meinen Körper — honny soit qui mal y pense — ist mir so zur Gewohnheit geworden, daß ich dies beim Bücken jedesmal fast unwillkürlich thue. Das "Zeichnen" in der vorstehend entwickelten Bedeutung glaube ich hiernach mit Recht im gewissen Sinne ein umgekehrtes Wundern nennen zu dürfen. Gerade so wie durch Strahlen namentlich in Träumen gewisse Bilder, die man zu sehen wünscht, auf mein Nervensystem geworfen werden, bin ich umgekehrt in der Lage, den Strahlen meinerseits Bilder vorzuführen, deren Eindruck ich diesen zu verschaffen beabsichtige. 

Es kann sich kaum ein Mensch, der nicht alles erlebte was ich durchzumachen gehabt habe, eine Vorstellung davon machen, in wie vielen Beziehungen die Fähigkeit des "Zeichnens" für mich von Werth geworden ist. In der unendlichen Öde meines sonst so einförmigen Lebens, in den geistigen Martern, die mir durch das blödsinnige Stimmengewäsch bereitet wurden, ist sie oft, fast täglich und stündlich, ein wahrhafter Trost und eine wahrhafte Erquickung für mich gewesen. Wie große Freude hat es mir gemacht, von allen meinen Reiseerinnerungen die landschaftlichen Eindrücke meinem geistigen Auge wieder vorführen zu können und zwar manchmal — bei günstigem Verhalten der Strahlen — in so überraschender Naturtreue und Farbenpracht, daß ich selbst und wohl auch die Strahlen nahezu denselben Eindruck hatten, als ob die betreffenden Landschaften da, wo ich sie gesehen wissen wollte, auch wirklich vorhanden wären. 

In dem Augenblicke, wo ich diese Zeilen niederschreibe, mache ich — gleichsam als Probe — den Versuch, die Gestalt des Matterhorns am Horizont erscheinen zu lassen — da wo in Natur etwa die schöne Höhe bei Dittersbach vorhanden ist — und überzeuge mich, daß dies sowohl bei geschlossenen, als bei offenen Augen bis zu einem gewissen Grade gelingt. In ähnlicher Weise habe ich im Laufe der Jahre unzählige Male die Gestalten mir bekannter Personen in mein Zimmer hereintretend, in dem Garten spazierengehend oder wo ich sie sonst gesehen wissen wollte, "gezeichnet"oder Abbildungen, die ich irgendwo gesehen hatte, namentlich humoristische aus den Fliegenden Blättern usw. in meiner Nähe verkörpert. In schlaflosen Nächten habe ich mich oft dem Wunderspuk der Strahlen gegenüber gewissermaßen dadurch revanchirt, daß ich auch meinerseits alle möglichen Gestalten, ernste und heitere, sinnlich aufregende oder schreckhafte, in meinem Schlafzimmer oder in der Zelle, aufmarschieren ließ; die mir auf diese Weise verschaffte Unterhaltung war ein sehr wesentliches Mittel, um die sonst manchmal kaum erträgliche Langeweile zu überwinden. Das Klavierspielen pflege ich sehr häufig mit entsprechenden Zeichnungen zu begleiten, namentlich beim Spielen aus Klavierauszügen sozusagen eine ganze Aufführung der betreffenden Oper oder einzelner Theile derselben zu veranstalten, indem ich den Gang der Handlung, die auftretenden Personen, die Szenerie u. s. w. meinem geistigen Auge —manchmal in überraschender Deutlichkeit — vorführe. Da ich es vorzugsweise mit gewunderten Vögeln zu thun habe, so mache ich es mir nicht selten zum Vergnügen, diesen das Bild ihrer eigenen Erscheinung etwa scherzhafter Weise in der Art, daß sie von einer Katze aufgefressen werden, in meinem Kopfe aufzuzeigen usw. usw. Natürlich ist das "Zeichnen" in dem entwickelten Sinne mit einem ziemlich erheblichen Grade geistiger Anstrengung verbunden, es setzt daher eine mindestens leidliche Beschaffenheit des Kopfes und dementsprechende gute Laune voraus; sind diese Vorbedingungen vorhanden, so ist die dadurch erzeugte Freude namentlich bei möglichst getreuem Gelingen der beabsichtigten Bilder zuweilen eine recht große. Neben dem bloßen Unterhaltungszwecke hat aber das "Zeichnen" für mich auch noch eine andere, kaum minder wesentliche Bedeutung. Das Sehen von Bildern wirkt, wie bereits in Kap. XI bemerkt worden ist, reinigend auf die Strahlen, sie gehen dann ohne die ihnen sonst anhaftende zerstörende Schärfe bei mir ein. Ebendeshalb sucht man auch in der Regel die durch meine Zeichnungen entstehenden Bilder durch entsprechende Gegenwunder zu verwischen; indessen behaupte ich auch hierbei meistens den Sieg, d. h. die von mir beabsichtigten Bilder bleiben bei Einsetzung meines entschiedenen Willens für mich und die Strahlen sichtbar, wennschon sie dabei häufig undeutlicher werden oder nur in verblaßter Form auftreten. Beim Klavierspielen bin ich nicht selten zum gleichzeitigen Zeichnen auch aus dem Grunde veranlaßt, daß ich nur auf diese Weise ein wenigstens annähernd korrektes Spielen ermöglichen kann, indem vermöge der mir dadurch verschafften Gunst der Strahlen die sonst eintretenden störenden Wunder eine gewisse Einschränkung erfahren. 

Als einer nicht unwichtigen Begleiterscheinung des Denkzwanges habe ich endlich noch des Umstandes zu gedenken, daß alle Geräusche, die ich vernehme, namentlich solche von einer gewissen längeren Dauer, wie das Rasseln der Eisenbahnzüge, das Schnurren der Kettendampfer, die Musik etwaiger Konzerte u. s. w., die von den Stimmen in meinen Kopf hineingesprochenen Worte, sowie diejenigen Worte, in die ich meine Gedanken selbständig mit entsprechender Nervenschwingung formulire, zu sprechen scheinen. 

Es handelt sich hier, im Gegensatz zu der Sprache der Sonne und der gewunderten Vögel, natürlich nur um ein subjektives Gefühl: der Klang der gesprochenen oder von mir entwickelten Worte theilt sich eben von selbst den von mir gleichzeitig empfangenen Gehörseindrücken der Eisenbahnen, Kettendampfer, knarrenden Stiefel u. s. w. mit; es fällt mir nicht ein, zu behaupten, daß die Eisenbahnen, Kettendampfer u. s. w. wirklich sprechen, wie dies bei der Sonne und den Vögeln der Fall ist. Die Erscheinung wird aber gerade an den Strahlen besonders lästig empfunden, da diese in den weltentfernten Regionen, die früher ihren Aufenthalt bildeten, wie schon früher (Kap. VII) erwähnt, die heiligste Ruhe gewöhnt waren und von allen Geräuschen schreckhaft berührt werden. Die Sätze "wenn nur die verfluchten Eisenbahnen zu sprechen aufhörten", "wenn nur die verfluchten Kettendampfer zu sprechen aufhörten" u. s. w. gehörten daher lange Zeit hindurch zu den stehenden Redensarten. Natürlich hatte der Gebrauch dieser Redensarten nicht den mindesten praktischen Erfolg. Die Vorstellung, als ob man, um irgend einen Übelstand zu beseitigen, nur recht oft den Wunsch der Beseitigung in Worten auszudrücken brauche, scheint aber überhaupt in der Eigenthümlichkeit des Seelencharakters begründet zu sein. So wird auch mir, wenn man mir z. B. ein heißes Gesicht oder kalte Füße wundert, fortwährend zugemuthet, daß ich laut sagen soll: "wenn nur die verfluchte Hitze aufhörte" oder "wenn ich nur nicht an die Füße fröre," während ich als praktischer Mensch es selbstverständlich vorziehe, mir statt dessen das Gesicht kalt zu waschen oder die Füße durch Reibung zu erwärmen. Die Frage, ob jene Eigenthümlichkeit des Seelencharakters als eine Schwäche desselben zu bezeichnen sei, will mit großer Vorsicht beantwortet sein: Seelen waren nun einmal nach ihren weltordnungsmäßigen Daseinsbedingungen nur zum Genießen, nicht, wie der Mensch oder andere Geschöpfe der Erde, zu einem Handeln im praktischen Leben berufen. Für mich würde das Sprechen der Eisenbahnen und sonstigen Geräusche an und für sich eine ziemlich gleichgültige Erscheinung sein; von Bedeutung ist sie nur insofern für mich geworden, als sie sich in meiner Hand zu einem nicht zu unterschätzenden Machtmittel gegenüber den Gedankenfälschungen der Strahlen gestaltet hat. Da ich wenigstens auf kürzere Zeit bei Anspannung meiner Willensenergie die Schwingungen meiner Nerven nach Belieben unter Fernhaltung aller von außen her verursachten Schwingungen einrichten kann, so "beherrsche ich alle Geräusche," wie der Ausdruck lautet, auf gewisse Zeit und bin also in der Lage, solange Eisenbahnen, Kettendampfer usw. vorbeifahren, gewisse Formen des Nichtsdenkungsgedankens den Strahlen aufzuzwingen und damit meinen Nerven vorübergehend Ruhe zu verschaffen. 

18. Kapitel - Gott und die Schöpfungsvorgänge; Urzeugung; gewunderte Insekten. "Blickrichtung". Examinationssystem 

Soviel ich auch in den vorhergehenden Kapiteln über göttliche Wunder zu berichten hatte, so ist dies doch bisher überwiegend nur in der besonderen Richtung geschehen, daß ich ihre schädigenden Einwirkungen auf meinen Körper und die durch dieselben verursachten Erschwerungen der jeweilig von mir gewählten Beschäftigungen zu besprechen hatte. Offenbar handelt es sich hier um ein ganz abnormes Verhältniß, das nur dadurch entstanden ist, daß die Weltordnung selbst in wesentlichen Stücken aus den Fugen gegangen ist. An und für sich liegt nicht die Bekämpfung eines einzelnen Menschen und irgendwelche Zerstörungsarbeit an dessen Körper, sondern das Schaffen in der Zweckbestimmung der göttlichen Strahlen. Diese eigentliche Funktion der Strahlen, die schaffende Wundergewalt Gottes tritt auch jetzt noch in vielen Beziehungen erkennbar für mich zu Tage und ich will daher nicht unterlassen, die Vorstellungen, die ich mir nach meinen bezüglichen Wahrnehmungen hierüber gebildet habe, darzulegen. Allerdings wage ich mich dabei an die schwierigste Materie, die wohl jemals den menschlichen Geist beschäftigt hat, und ich muß gleich von vornherein betonen, daß ich mich nur zu einigen wenigen Bemerkungen von lückenhaftem aphoristischem Charakter für befähigt erachte. Das eigentliche Schöpfungsgeheimniß bleibt in der Hauptsache auch für mich ein Buch mit verschlossenen Siegeln; nur Ahnungen, die ich darüber erlangt habe, können in dem Folgenden wiedergegeben werden. 

Wie bereits früher bemerkt worden ist, glaube ich das Wesen des göttlichen Schaffens dahin bezeichnen zu können, daß es eine theilweise Selbstentäußerung der Strahlen ist, die mit dem bewußten Willen abgesendet werden, irgendwelche Dinge der Außenwelt hervorzubringen. Gott will, daß Etwas werde, und indem er Strahlen mit diesem Willen entsendet, ist das Gewollte auch ohne Weiteres da. Es ist das Verhältniß, das die Bibel in so bezeichnender Weise mit den Worten ausdrückt "Gott sprach: Es werde Licht, und es ward Licht," der nähere Zusammenhang entzieht sich dem menschlichen Verständniß. Dabei scheint jedoch die göttliche Schaffensmacht nicht ganz ohne gewisse Schranken zu sein, nicht ganz der Gebundenheit an gewisse Vorbedingungen zu entbehren, die hauptsächlich in dem räumlichen Verhältnisse zu demjenigen Weltkörper, auf welchem die schaffende Gewalt entfaltet werden soll, namentlich in dem Grade der Annäherung, begründet sein dürften. 

Um einen fertigen Menschen hervorzubringen — ein Schöpfungsakt, der, wie ich annehmen zu dürfen glaube, vor unvordenklichen Zeiten in der That irgend einmal stattgefunden hat — bedurfte es, wenn ich so sagen darf, einer ungewöhnlichen Kraftanstrengung, einer ganz exceptionellen Annäherung an den betreffenden Weltkörper, die, als dauernder Zustand gedacht, vielleicht mit den eigenen Existenzbedingungen Gottes oder mit der Fürsorge für das ganze übrige Weltall unvereinbar gewesen wäre. 

Das Gleiche, was vom Menschen gesagt ist, gilt natürlich auch von jeder höheren Form des Thierlebens, die im Vergleich zu den bisher schon vorhandenen niederen Formen desselben geschaffen werden sollte. Man könnte sich also vorstellen, daß das Ganze der Schöpfung auf irgend einem Weltkörper nicht, wie nach der Darwinistischen Auffassung, ein Hervorgehen neuer Arten durch allmälige Umwandlung derselben, sondern das Aufeinanderfolgen einzelner Schöpfungsakte gewesen ist, durch welche jeweilig eine neue Art, allerdings nicht ohne Erinnerung an die früher vorhandenen, sozusagen als Modelle dienenden Arten geschaffen wurde. Jede Art könnte nur in einem oder einigen wenigen Individuen erschaffen worden sein, denen das Geschenk der Fortpflanzungsfähigkeit gewissermaßen mit in die Wiege gelegt war und die daher unter günstigen Bedingungen zu einer beliebig großen Menge sich vervielfältigen konnten. Selbstverständlich mußten jeweilig bei Erschaffung einer neuen Art die Voraussetzungen gegeben sein, unter denen sich dieselbe auf die Dauer behaupten konnte; die physikalischen Verhältnisse des betreffenden Weltkörpers (Temperatur, Vertheilung von Luft und Wasser usw.) mußten bereits bis zu einem entsprechenden Grade vorgeschritten und eine hinreichende Bevölkerung an Pflanzen und niederen Thierformen vorhanden sein, die den höheren Formen zur Nahrung dienen konnte. Die Krone der ganzen Schöpfung aber bildete der Mensch, auf dessen Erschaffung als ein gottähnliches und nach dem Tode sich wieder in Gott verwandelndes Wesen (vergl. Kap. 1) der Schöpfungsplan von vornherein angelegt war. 

Zu einer wissenschaftlichen Durcharbeitung der kosmogonischen Auffassung, die ich im Vorstehenden nur in wenigen großen Strichen angedeutet habe, fehlt es mir beinahe an allen und jeden Voraussetzungen. Es fehlt mir fast gänzlich an wissenschaftlichen Hülfsmitteln; es fehlt mir während des größeren Theils der mir zur Verfügung stehenden Zeit an einer entsprechenden gesundheitlichen Verfassung, da ich, während ich arbeite, fortwährend gedankenzerstreuenden oder sonst meinen Kopf schädigenden Wundern ausgesetzt bin, die eine anhaltende Denkarbeit auf einem so schwierigen Gebiete häufig zur Unmöglichkeit machen; es würde endlich vielleicht auch ein schärferer Verstand als der meinige dazu gehören, um die Riesenaufgabe zu lösen, die in einer vollkommen wissenschaftlichen Begründung dieser Auffassung liegen würde. 

Ich werde mich daher in dem Folgenden im Wesentlichen damit begnügen müssen, diejenigen Wahrnehmungen mitzutheilen, die mich auf die gewonnene Auffassung hingeleitet haben. Das Ziel meines Strebens kann nur dahin gehen, dem Leser den Eindruck zu verschaffen, daß er es nicht blos mit leeren Hirngespinsten eines armen Geisteskranken zu thun hat — als solcher gelte ich ja zur Zeit noch vor den Menschen — sondern mit Ergebnissen, die auf Grund ganz besonderer, anderen Menschen ihrer Natur unzugänglicher Erfahrungen durch mehrjähriges, reifliches Nachdenken gewonnen worden sind, und die, wenn sie vielleicht auch noch nicht in allen Stücken die volle Wahrheit enthalten sollten, doch jedenfalls der Wahrheit unvergleichlich näher kommen, als alles Dasjenige, was andere Menschen im Laufe der Jahrtausende über diesen Gegenstand gedacht und geschrieben haben. 

Die wichtigste der betreffenden Wahrnehmungen besteht darin, daß ich die unmittelbare Entstehung (Erschaffung) durch göttliche Wunder wenigstens an niederen Thieren seit Jahren erlebt habe und jetzt noch täglich und stündlich in meiner Nähe erlebe. Ich bin danach zu der sicheren Überzeugung gelangt, daß es eine Urzeugung (elternlose Zeugung, generatio aequivoca) in der That giebt, aber nicht in dem Sinne, den die materialistische Richtung der Naturwissenschaft mit diesen Ausdrücken zu verbinden pflegt, daß nämlich unorganische Substanzen durch irgend welches Ungefähr in der Weise in Verbindung mit einander treten, daß irgend ein organisirtes (belebtes) Wesen aus der Verbindung hervorgeht, sondern in der hiervon gänzlich verschiedenen Bedeutung, daß es sich bei der Entstehung der betreffenden Wesen um zielbewußte Äußerungen der göttlichen Willensmacht oder Schöpferkraft handelt. Die Thiere, die hierbei erschaffen werden, gehören je nach Verschiedenheit der Tages- und der Jahreszeiten verschiedenen Gattungen an; am häufigsten sind außer Spinnen Insekten aller Art in Frage, namentlich Fliegen, Mücken, Wespen, Bienen, Hummeln, Ameisen, Oehrlinge, Schmetterlinge, Nachtvögel, Motten u. s. w. u. s. w. Diese Thiere erscheinen bei ganz bestimmten Gelegenheiten und in ganz bestimmter Abwechslung fortwährend in meiner Nähe und zwar, wie ich nach der Häufigkeit der betreffenden Erscheinungen nicht im mindesten mehr bezweifeln kann, nicht als schon von früher her vorhandene, nur zufällig in meine Nähe getriebene, sondern als jeweilig neu erschaffene Wesen. Ich kann z. B. mit voller Sicherheit darauf rechnen und daher voraussagen, daß, wenn ich im Garten auf einer Bank sitze und, da mir nun durch Wunder die Augen geschlossen werden, in Folge der jeweilig in kurzer Zeit sich ergebenden Vereinigung aller Strahlen es zum Schlafe kommen müßte, alsbald eine Fliege, Wespe oder Hummel oder auch ein Mückenschwarm erscheint, um mich am Schlafe zu verhindern. Die betreffenden Wunder gehen zur Zeit meist noch von dem niederen Gott (Ariman) aus; doch will es mir scheinen, als ob derartige, verhältnismäßig harmlose Wunder in neuester Zeit auch von dem oberen Gott (Ormuzd) geübt würden, da, wie schon früher erwähnt, in Folge der stetig sich steigernden Seelenwohlust auch dessen feindselige Gesinnung in starker Abnahme begriffen ist. 

Dafür, daß es nicht mir zufällig zufliegende, sondern jeweihig um meinetwillen neuerschaffene Wesen sind, habe ich die bündigsten und für mich überzeugenden Beweise in geradezu erdrückender Fülle. Ob ich die gleiche Überzeugung auch anderen Menschen beibringen kann, bleibt natürlich zur Zeit noch fraglich: Indessen lege ich auch darauf nicht den Hauptwerth. Es ist vorläufig keineswegs meine Absicht, Propaganda für meinen Wunderglauben und für meine Vorstellungen von göttlichen Dingen zu machen; ich beschränke mich vielmehr darauf, meine Erlebnisse und Erfahrungen darzulegen, in der sicheren Erwartung, daß das Gesammtbild der wunderbaren Erscheinungen, die an meiner Person zu beobachten sind und wahrscheinlich künflig immer deutlicher hervortreten werden, der Erkenntniß der Wahrheit — und sollten auch noch Jahre darüber vergehen — auch bei anderen Menschen von selbst Bahn brechen wird. Weil ich aber nun einmal auf den Einwurf gefaßt sein muß, es sei doch gar nichts Ungewöhnliches, daß zu gewissen Zeiten Fliegen im Zimmer, Wespen im Freien herumfliegen u. s. w., und es sei also lediglich eine krankhafte Einbildung von mir, bei allen diesen Erscheinungen an göttliche Wunder zu glauben, die zu meiner Person in irgendwelcher Beziehung stehen, so will ich wenigstens einige der wichtigeren Anhaltspunkte anführen, die mir die gegentheilige Überzeugung in Folge jahrelanger Wiederholung der betreffenden Erscheinungen zur unumstößlichen Gewißheit machen. Jedesmal, wenn ein Insekt der erwähnten Gattungen erscheint, wird nämlich auch gleichzeitig das Wunder der Blickrichtung an meinen Augen geübt; es ist dies ein Wunder, das ich bisher noch nicht erwähnt habe, das aber seit Jahren bei den verschiedensten Anlässen ganz regelmäßig in Scene gesetzt wird. Strahlen wollen eben beständig dasjenige sehen, was ihnen gefällt, und dies sind vorzugsweise entweder weibliche Wesen, durch welche ihre Wollustempfindung erregt wird, oder die eigenen Wunder, deren Anblick ihnen nach dem bereits in Kap. 1 hierüber Bemerkten die Freude an den von ihnen erschaffenen Dingen gewährt. Man giebt also meinen Augen durch entsprechende Einwirkung auf meine Augenmuskeln diejenige Richtung, nach welcher mein Blick auf die soeben erschaffenen Dinge (in anderen Fällen auf ein weibliches Wesen) fallen muß. 

Über die Objektivität dieses Vorgangs habe ich nach seiner tausendfältigen Wiederholung nicht den mindesten Zweifel, da ich aus eigenem Antriebe sicher nicht das mindeste Verlangen haben würde, jede Fliege, jede Wespe und jeden Schmetterling u. s. w., der zufällig in meiner Nähe erschiene, einer besonderen Aufmerksamkeit zu würdigen. Daß ich mir dessen bewußt werden muß, ob meine Augen in der angegebenen Weise nach irgend einem für mich an und für sich gleichgültigen Gegenstande sozusagen herumgedreht werden oder ob ich dieselben freiwillig nach einem mich interessierenden Punkte meiner Umgebung richte, wird man wohl glaublich finden. Dazu kommt aber noch, daß auch die mit mir redenden Stimmen die betreffenden Erscheinungen jedesmal zum Gegenstande einer ihnen eigens gewidmeten Unterhaltung machen. Es geschieht dies in verschiedener Weise, entweder, indem man meinen Nerven fälschungsweise gewisse Befürchtungs- oder Wunschgedanken unterlegt z. B. wenn nur die verfluchten Fliegen aufhörten, wenn nur die verfluchten Wespen aufhörten u. s. w., oder, indem man eine auch sonst bei jeder Gelegenheit hervortretende Examinationsabsicht damit verfolgt. Gott kann sich nun einmal nach dem bereits in Kap. III hierüber Bemerkten von der Vorstellung nicht losmachen, daß in jedem gegebenen Augenblicke, sobald das Nichtsdenken bei mir eintritt d. h. in Worten formulierte Gedanken aus meinen Nerven nicht herausklingen, der Zustand vollständiger Verdummung (der "Blödsinn") bei mir Platz gegriffen habe; er hat aber gleichwohl immer den Wunsch, sich darüber zu vergewissern, ob diese Annahme auch wirklich zutreffe und damit der erhoffte Zeitpunkt, in welchem ein endgültiger Rückzug der Strahlen möglich sein werde, eingetreten sei. 

Die Form des Examinirens ist eine höchst eigenthümliche und für Jemand, der mit der Menschennatur vertraut ist, kaum verständliche. Man läßt die Personen meiner Umgebung, deren Nerven man hierzu anregt, gewisse Worte, und zwar die Verrückten mit Vorliebe irgendwelche gelehrte Brocken (womöglich fremden Sprachen angehörige), die ihnen aus ihren früher erlangten Kenntnissen noch zur Verfügung stehen, sprechen und legt sich nun bei mir sozusagen aufs Ohr, indem man die Worte in meine Nerven hineinspricht: "Fand Aufnahme" (scilicet in das Bewußtsein oder das Verständniß); also, um ein Beispiel zu gebrauchen, es werden etwa von irgend einem Verrückten ohne jeden Zusammenhang die Worte "Rationalismus" und "Sozialdemokratie" ausgestoßen und es wird gleichzeitig mit den von den Stimmen gesprochenen Worten "Fand Aufnahme" bei mir angeklopft, ob für die Begriffe "Rationalismus" und "Sozialdemokratie" noch Verständniß bei mir vorhanden sei, d. h. ob ich noch wisse, was diese Worte zu bedeuten haben. 

Die Vorstellung einer bei mir jeweilig eingetretenen Verdummung ist eine so hartnäckige und der Grad der bei mir vorausgesetzten Dummheit ein so großer, daß man Tag für Tag von neuem bezweifelt, ob ich die Personen meiner Umgebung noch kenne, ob ich von den alltäglichen Naturerscheinungen, Kunst- und Gebrauchsgegenständen, sonstigen Vorgängen noch eine Vorstellung habe, ja sogar, ob ich überhaupt noch wisse, wer ich selbst sei oder gewesen sei. Die dem Examinierzwecke dienenden Worte "Fand Aufnahme" ertönen daher nach dem mit der Blickrichtung erfolgten Hinweise auf die betreffenden Erscheinungen oder Gegenstände, um noch einige weitere Beispiele anzuführen, in meinen Nerven selbst in der Weise, daß ich mit anhören muß "Der Geheime Rath — fand Aufnahme," "der Vorsteher (Oberpfleger) — fand Aufnahme," "Schweinebraten — fand Aufnahme," "Eisenbahn — fand Aufnahme," vor allen Dingen auch "Das will ein Senatspräsident gewesen sein — fand Aufnahme" usw. usw. Dies alles geschieht seit Jahren, Tag für Tag und Stunde für Stunde in tausendfältiger Wiederholung. Incredibile scriptu, möchte ich selbst hinzufügen, und doch ist Alles thatsächlich wahr, so wenig andere Menschen den Gedanken einer so totalen Unfähigkeit Gottes, den lebenden Menschen richtig zu beurtheilen, werden fassen können, und so langer Zeit es auch für mich bedurft hat, um mich an diesen Gedanken nach den unzähligen, hierüber gemachten Beobachtungen zu gewöhnen. 

In ähnlicher Weise examinirend wird nun also auch beim Erscheinen der gewunderten Insekten verfahren. In jetziger Jahreszeit (Anfang September) sind beispielsweise bei meinen Spaziergängen im Garten die Schmetterlinge besonders zahlreich. Fast ohne Ausnahme erfolgt daher beim Auftreten eines Schmetterlings erstens die Blickrichtung auf das betreffende, offenbar soeben erst neugeschaffene Wesen und ertönen zweitens in meinen Nerven die von den Stimmen in dieselben hereingesprochenen Worte "Schmetterling — fand Aufnahme," d. h. man hat es für möglich gehalten, daß ich nicht mehr wisse, was ein Schmetterling sei und frägt also damit gewissermaßen bei mir an, ob der Begriff "Schmetterling" noch Eingang in mein Bewußtsein finde. 

Ich sollte meinen, daß die vorstehenden Bemerkungen selbst dem nüchternsten Leser den Eindruck aufdrängen müssen, daß doch ganz merkwürdige Dinge mit mir vorgehen. Man könnte vielleicht nur zweifeln, ob ich die Wahrheit sagen könne und wolle, d. h. ob ich etwa zu Übertreibungen geneigt sei oder irgendwelchen Selbsttäuschungen unterliege. Demgegenüber darf ich von mir selbst behaupten, daß — mag man von meinen sonstigen geistigen Fähigkeiten denken, was man will — ich zwei Eigenschaften unbedingt für mich in Anspruch nehme, nämlich einmal unverbrüchliche Wahrheitsliebe und das andere Mal eine mehr als gewöhnliche Schärfe der Beobachtungsgabe, und daß das Vorhandensein dieser beiden Eigenschaften von Niemand, der mich in meinen gesunden Tagen gekannt hat oder der sich jetzt zum Zeugen meines ganzen Thuns und Lassens machen kann, in Zweifel gezogen werden wird. 

In Betreff der gewunderten niederen Thiere (Insekten etc.) habe ich schon oben hervorgehoben, daß dabei gewisse Unterschiede nach der Verschiedenheit der Jahres- und Tageszeiten zu beobachten sind. 

Auch Gott kann nicht zu beliebiger Zeit alles Mögliche schaffen. Vielmehr ist das Maß seiner Schöpferkraft von dem — für die Entstehung des Jahres- und Tageszeiten maßgebenden — Verhältnisse zwischen der Sonne und der Erde, und wie mir scheinen will, sogar von der jeweiligen Wetterlage abhängig. Dabei hat man sich zu erinnern, daß nach meinen bereits früher (Kap. I und Kap. VII) entwickelten Vorstellungen die Sonne nicht eigentlich als ein für Gott fremder Machtfaktor anzusehen ist, sondern in gewissem Sinne mit Gott selbst identifiziert werden muß, d. h. als das der Erde zunächst gelegene Werkzeug seiner schaffenden Wundergewalt sich darstellt. Mit anderen Worten: Gott kann jeweilig nur Dasjenige schaffen, wozu er sich nach den einmal eingerichteten räumlichen Beziehungen zwischen sich selbst und dem betreffenden Weltkörper und der dadurch bedingten Licht- und Wärmeausstrahlung in den Stand gesetzt hat. Demnach erscheinen Schmetterlinge nur am Tage, Wespen, Bienen und Hummeln vorzugsweise an besonders warmen Tagen, Nachtvögel, Mücken und Motten dagegen am Abend, wo dieselben überdies — wie auch sonst —durch den Schein der Lampe angezogen werden. 

Ob und inwieweit es mit den in Kap XV besprochenen gewunderten (sprechenden) Vögeln eine ähnliche Bewandtniß hat, ist eine schwer zu beantwortende Frage. Bereits in dem erwähnten Kapitel habe ich bemerkt, daß auch die sprechenden Vögel jeweilig denjenigen Vogelarten angehören, in denen sie sonst nach Verschiedenheit der Jahreszeiten bei uns aufzutreten pflegen. Ein wesentlicher Unterschied besteht aber jedenfalls insofern, als in den sprechenden Vögeln, wie ich aus den bereits früher angeführten Gründen anzunehmen habe, Reste verschiedener Menschenseelen stecken, was bei den gewunderten Insekten nicht der Fall ist. Der Klang der in meinen Kopf hineingesprochenen Stimmen theilt sich zwar, wenn eine Wespe oder Fliege längere Zeit in meiner Nähe schwirrt, dem Gesumme der genannten Thiere mit, sodaß dieselben ebenfalls zu sprechen scheinen. Dies ist aber, wie bei den übrigen, am Schlusse von Kap XVII erwähnten Geräuschen (Eisenbahnen, Kettendampfern u. s. w.) unzweifelhaft nur ein subjektives Gefühl. Dagegen tritt bei den gewunderten Insekten wiederum ein anderes interessantes Moment zu Tage, das eine weitere Bestätigung meiner Annahme, wonach es sich um neugeschaffene Wesen handelt, enthält. Je nach der Gesinnung, von der Gott mir gegenüber erfüllt ist, kommen nämlich in ganz regelmäßigem Wechsel mehr belästigende oder weniger belästigende Wesen zum Vorschein. Die Gesinnung aber wird, wie ebenfalls schon früher ausgeführt wurde, durch den Grad der jeweilig vorhandenen Seelenwohlust und das Maß der Entfernung, in welche sich Gott zurückgezogen hat, bestimmt; je weiter er sich entfernt hat und je geringer die Seelenwollust ist, desto unfreundlicher tritt er mir entgegen. Die Perioden freundlicherer und unfreundlicherer Gesinnung wechseln in rascher Folge an jedem einzelnen Tage vielfach miteinander. In den letzteren erscheinen daher z. B. in der Nacht Oehrlinge, Spinnen und dergleichen, am Tage Wespen, Hummeln usw., mit anderen Worten Thiere, deren Nähe besonders störend, Ekel oder auch — durch Stiche — Schmerz erregend auf den Menschen wirkt, in den ersteren aber Fliegen, Motten, Schmetterlinge u. s. w., die von mir kaum als eine nennenswerthe Belästigung empfunden werden. 

Im Zusammenhang mit dem vorstehend Besprochenen habe ich endlich noch der sogenannten "Schreckwunder", als einer vermuthlich ebenfalls mit der schaffenden Wundergewalt Gottes in Verbindung stehenden Erscheinung, zu gedenken. "Schreckwunder" — der nicht von mir, sondern von den Stimmen herrührende Ausdruck ist der wenigstens ursprünglich damit beabsichtigten Wirkung entlehnt — werden seit Jahren in den verschiedensten Formen in meiner Nähe geübt. 

In den früheren Jahren erschienen zuweilen, während ich im Bett lag — nicht schlafend, sondern in wachem Zustande — allerhand abenteuerliche, ich möchte sagen lindwurmartige Gestalten in unmittelbarer Nähe meines Bettes von ziemlicher Größe, annähernd der Größe meines Bettes entsprechend und so nahe, daß ich sie fast mit Händen hätte greifen können. Der Kategorie der "Schreckwunder" gehören wahrscheinlich auch an die "schwarzen Bären" und jedenfalls die "weißen Bären", die ich nach dem in Kap. VI Bemerkten zur Zeit meines Aufenthaltes in der Flechsig‘schen Anstalt öfters gesehen habe. Schreckwunder in der Gestalt plötzlich auftauchender schwarzer Schatten erschienen seit Jahren und erscheinen auch jetzt noch tagtäglich, bei Tag und bei Nacht, während ich auf dem Korridor herumgehe oder Klavier spiele u. s. w. in meiner unmittelbaren Nähe, zuweilen eine der menschlichen Gestalt ähnliche Form annehmend. Ich kann sogar die Schreckwunder oder etwas Ähnliches willkürlich provozieren, wenn ich meine Hand vor eine weiße Fläche, etwa die weißgestrichene Stubenthür oder den mit weißer Glasur versehenen Ofen halte, indem dann ganz eigenthümliche Schattenverzerrungen, offenbar durch eine ganz besondere Veränderung der von der Sonne ausgehenden Lichtausstrahlung erzeugt, sichtbar werden. Daß es sich bei allen diesen Erscheinungen nicht um bloße subjektive Empfindungen ("Gesichtstäuschungen" im Sinne von Kräpelins Psychiatrie Seite 110) handelt, ist mir ganz unzweifelhaft, da jedesmal beim Erscheinen eines Schreckwunders meine Aufmerksamkeit im Wege der Blickrichtung (Verdrehens der Augen) noch besonders darauf hingelenkt wird. Es geschieht dies namentlich auch beim Klavierspielen, wo sicher meine Gedanken nach meiner eigenen freien Willensbestimmung mehr bei dem Augeneindrucke der Noten oder der durch die Schönheit der Musik erzeugten Empfindung weilen würden, und wo dann auf einmal meine Augen dergestalt herumgedreht werden, daß mein Blick auf ein an der Thür oder sonst in meiner Nähe erzeugtes Schattenbild fallen muß. Ich habe die Vermuthung — nur von einer solchen kann natürlich hierbei die Rede sein — daß die "Schreckwunder" vielleicht als die ersten Anfänge des göttlichen Schaffens anzusehen sind, die unter gewissen Umständen geeignet wären, sich zu "flüchtig hingemachten Männern" oder anderen dauernden Geschöpfen zu verdichten. Natürlich ist die schreckhafte Wirkung durch jahrelange Gewöhnung längst bei mir verlorengegangen; ich empfinde es jetzt höchstens noch als eine Belästigung, wenn meiner Aufmerksamkeit in der angegebenen Weise auf einmal eine andere Richtung angesonnen wird, als die Betrachtung derjenigen Gegenstände, die mich jeweilig wirklich interessieren. 

In dem folgenden Kapitel sollen noch einige andere die Gottesnatur und das Wesen des göttlichen Schaffens betreffende Punkte erörtert werden. 

19. Kapitel - Fortsetzung des Vorigen. Göttliche Allmacht und menschliche Willensfreiheit

Wenn ich in dem vorigen Kapitel der Überzeugung Ausdruck gegeben habe, daß eine Urzeugung (elternlose Zeugung) in der That stattfinde und zur Begründung der gewonnenen Überzeugung meine Wahrnehmungen hinsichtlich der gewunderten Insekten mitgetheilt habe, so bedarf die betreffende Behauptung gleichwohl einer gewissen Begrenzung, um gegen mißverständliche Auffassung gesichert zu sein. Ich kann diese Begrenzung am besten vielleicht in dem Satze ausdrükken: es giebt wieder eine Urzeugung auf unserer Erde, seitdem weltordnungswidrige Zustände eingetreten sind, während vorher wahrscheinlich viele Jahrtausende hindurch von einer Urzeugung auf unserem Weltkörper nicht mehr die Rede gewesen ist. "Urzeugung" ist eben im Grunde weiter nichts als eine andere wörtliche Bezeichnung für das, was ich sonst — in Übereinstimmung mit der Sprache der Bibel und anderer Quellen der religiösen Überlieferung — ein Erschaffen durch göttliche Wunder genannt habe. 

Die von mir gewonnene Grundanschauung über das Verhältniß Gottes zu dem Schöpfungswerke geht also dahin, daß Gott die Ausübung seiner Wundergewalt auf unserer Erde — wie vermuthlich auf jedem anderen, zu gleicher Entwicklungshöhe gelangten Weltkörper — nur auf solange bethätigte, bis das Ziel des Schöpfungswerks mit der Erschaffung des Menschen erreicht war. Von diesem Zeitpunkte ab überließ er die geschaffene organische Welt gewissermaßen sich selbst, höchstens noch etwa in Ausnahmsfällen ab und zu mit einem Wunder eingreifend (vergl. Kap. I). Im Übrigen wendete er seine Thätigkeit nur noch anderen Weltkörpern und dem Heraufziehen der Seelen verstorbener Menschen zur Seligkeit zu; er selbst zog sich in ungeheure Entfernung zurück. 

Es kann nicht in meiner Absicht liegen, eine eigentliche wissenschaftliche Begründung dieser Grundanschauung zu liefern; ich beabsichtige nicht ein wissenschaftliches Werk über die Entwickelungsgeschichte des Weltalls zu schreiben, sondern referire nur, was ich erlebt und erfahren habe, indem ich dabei zugleich die Folgerungen andeute, die daraus nach dem bis jetzt von mir erlangten Maße der Erkenntniß vielleicht gezogen werden dürfen. Die Bestätigung meiner Grundanschauung erwarte ich in der Hauptsache von der Gestaltung meiner eigenen persönlichen Schicksale, insofern danach wohl ein Zeitpunkt kommen wird, wo sich auch andere Menschen der Anerkennung der Thatsache, daß meine Person zum Mittelpunkte göttlicher Wunder geworden sei, nicht mehr werden entziehen können. Den wissenschaftlichen Ausbau der von mir nur angedeuteten Folgerungen und deren vielleicht nothwendige Berichtigung in manchen Einzelheiten müßte ich dann anderen Menschen überlassen. In diesem Sinne wende ich mich zur Fortsetzung des begonnenen Themas. 

Ich nehme also an, daß das Ganze des Schöpfungswerks auf einem Weltkörper in dem Aufeinanderfolgen einzelner Schöpfungsakte bestanden hat, bei denen im Allgemeinen ein Fortschreiten von niederen Formen des organischen Lebens zu höheren Formen bemerkbar ist. Der letztere Gedanke ist bekanntlich nicht Neues, sondern mehr oder weniger Gemeingut aller derjenigen, die sich in neuerer Zeit mit entwickelungsgeschichtlichen Vorgängen beschäftigt haben. Die Streitfrage ist nur die, ob man bei diesem Fortschreiten das Walten eines blinden Zufalls annehmen soll, der sonderbarer Weise dazu führt, daß immer vollkommenere Dinge entstehen, oder ob man eine "intelligente Ursache" (Gott) anzuerkennen hat, die mit bewußtem Willen auf Entstehung der höheren Formen hinarbeitet. Das Vorhandensein einer gewissen "Zielstrebigkeit" (Du Prel) müssen selbst solche Forscher einräumen, die sonst geneigt sind, die "Zähigkeit deistischer Vorstellungen" nur aus einer bei der Mehrzahl der Menschen vorhandenen Schwäche des Denkens zu erklären. Für mich ist nach dem Gesammtinhalte der gegenwärtigen Arbeit die Existenz eines lebendigen Gottes zur unmittelbaren Gewißheit geworden. Ich kann es daher versuchen, das Verhältniß zwischen Gott und der geschaffenen Welt unter dem Lichte der mir zuTheil gewordenen übersinnlichen Eindrücke einer ganz neuen Betrachtungsweise zu unterziehen. 

Wie bereits im Kap. I erwähnt, stehe ich der Frage, ob auch die Weltkörper selbst (Fixsterne, Planeten u. s. w.) von Gott geschaffen worden sind, ebenso unwissend gegenüber wie im Grunde genommen alle anderen Menschen; ich muß daher die Möglichkeit, daß es mit der Nebularhypothese von Kant-Laplace seine Richtigkeit habe, gelten lassen. In Betreff der organischen Welt will es mir scheinen, als ob man genöthigt sei, einen sehr wesentlichen Unterschied des Schöpfungsvorgangs hinsichtlich der Pflanzenwelt auf der einen und hinsichtlich der Thierwelt auf der anderen Seite anzunehmen. Denn man kann sich zwar vorstellen, daß etwa minimale Theile göttlicher Nerven (Strahlen) bei der ihnen durch den Schöpfungsakt gegebenen Veränderung die Form von Thierseelen annehmen, die doch, so niedrig sie auch sonst stehen mögen, wenigstens noch die eine Eigenschaft des Selbstbewußtseins mit den göttlichen Strahlen gemeinsam haben. Allein kaum faßbar ist es wenigstens für den Menschen, daß göttliche Strahlen in Pflanzen aufgehen sollten, die, wenn auch in gewissem Sinne lebend, so doch des Selbstbewußtseins entbehrende Wesen sind. Vielleicht hat man also an die Möglichkeit zu denken, daß zur Erschaffung der Pflanzenwelt der bloße Abglanz der Strahlenvertheilung, der durch Vermittelung des Sonnenlichts auf die Erde fällt, unter gewissen günstigen Vorausetzungen genügte, sodaß etwa eine Annäherung Gottes, welche zu dem Zwecke stattfand, um auf der Venus eine organisirte Thierwelt zu schaffen, gleichzeitig den Erfolg haben konnte, auf der damals noch weniger entwickelten Erde wenigstens eine Pflanzenwelt ins Leben zu rufen. Indessen stehen mir für Betrachtungen der vorstehenden Art irgendwelche göttliche Eingebungen nicht zu Gebote; ich würde mich daher vielleicht in unfruchtbaren Spekulationen verirren, in denen mich jeder naturwissenschaftlich gebildete Forscher handgreiflicher Irrthümer überführen könnte, wenn ich den Faden dieser Betrachtungen noch weiter ausspinnen wollte. Einen sehr viel sicheren Anhalt habe ich schon für die Annahme, daß das Vermögen, sich in Thiere aller Art, in letzter Linie den Menschen umzuwandeln, diese Geschöpfe aus sich selbst hervorzubringen, als latente Fähigkeit in den göttlichen Strahlen gewissermaßen im Keime enthalten ist. 

Hier stehen mir verschiedene überaus merkwürdige Erfahrungen, Wahrnehmungen zu Gebote. Vor allen Dingen sei erwähnt, daß die Strahlen (Nerven) des oberen Gottes, wenn sie in Folge der Anziehungskraft sozusagen zu mir herabgeschleudert wurden, lange Zeit hindurch und in einer überaus großen Anzahl von Fällen in meinem Kopfe selbst das Bild einer menschlichen Gestalt darboten. Durch einen glücklichen Zufall bin ich hier in der Lage, anstatt einer Beschreibung in Worten auf eine wirklich vorhandene Abbildung verweisen zu können, die dem Bilde, das ich oft in meinem Kopfe gesehen habe, mit einer geradezu überraschenden Ähnlichkeit entspricht. In dem 5. Bande der "Modernen Kunst" (Berlin, Verlag von Richard Bong) findet sich der Abdruck eines Gemäldes von Pradilla "Liebesreigen"; in der linken oberen Ecke dieses Bildes ist eine weibliche Gestalt sichtbar, die mit vorgestreckten Armen und gefalteten Händen von oben herabkommt. Man braucht diese Gestalt nur in das Männliche zu übersetzen, um ein ziemlich genaues Bild von der Erscheinung zu haben, in welcher die Nerven des oberen Gottes — wie schon erwähnt in sehr zahlreichen Fällen — beim Herabkommen in meinem Kopfe sich darstellten. Kopf, Brust und Arme waren deutlich unterscheidbar; die letzteren wurden dabei seitlich geschwungen, gleichsam als ob die betreffenden Nerven gegen ein ihrer Annäherung geschaffenes Hinderniß — die damals von der Flechsig‘schen Seele eingerichtete Überspannung des Himmelsgewölbes mit Nerven, vergl. Kap. VIII — sich Bahn brechen wollten. Nicht minder gewähren mir die Strahlen des niederen Gottes (Ariman) in meinem Kopfe sehr oft das Bild eines Menschenantlitzes und zwar in der Weise, daß (sobald Seelenwollust vorhanden ist) der betreffende Mensch mit der Zunge zu lecken scheint, ähnlich wie es wohl Menschen ab und zu zu machen pflegen, wenn ihnen etwas besonders gut schmeckt, mit anderen Worten wenn sie unter dem Eindruck eines sinnlichen Behagens stehen. 

Ich habe ferner in diesem Zusammenhange nochmals auf die in den früheren Kapiteln (Kap. VI, XI) mehrfach erwähnte Erscheinung der "kleinen Männer" zurückzukommen. Wenn ich hiernach in einer überaus großen Zahl von Fällen zu beobachten hatte, daß Seelen (Strahlen) unter gewissen Voraussetzungen in der Gestalt von Miniaturmenschen in meinem Kopfe oder an irgendwelchem meiner Körpertheile auftraten, so scheint mir die Annahme sehr nahe zu liegen, daß die Fähigkeit, unter gewissen Umständen sich in Menschengestalt zu verwandeln oder Mensch zu werden, als eine in dem innersten Wesen der göttlichen Strahlen liegende Potenz derselben anzusehen sei. Auch fällt unter diesem Gesichtspunkte ein ganz neues Licht auf das bekannte Bibelwort: "Er schuf den Menschen Ihm zum Bilde; zum Bilde Gottes schuf er ihn." Es gewinnt den Anschein, als ob diesem Bibelworte eine gewisse buchstäbliche Bedeutung beigemessen werden dürfe, die ihm Menschen wohl bisher noch kaum beizulegen gewagt haben. 

Der Mensch war sonach vermuthlich das Höchste, was Gott überhaupt erschaffen konnte. Alle anderen geschaffenen Wesen bildeten nur eine unendlich lange Kette von Vorbereitungen, mit denen Gott dem letzten Ziele, der Erschaffung des Menschen, zustrebte. Bloß Menschen zu erschaffen, wäre selbstverständlich ein Unding gewesen, da der Mensch, um sich zu behaupten, an das Vorhandensein zahlreicher niederer Thierformen, die ihm theils zur Nahrung, theils zu anderen Zwecken dienen, gebunden ist. Die Fähigkeit, den Menschen zu erschaffen, schloß aber als das Höhere die Fähigkeit, die niederen Thierformen zu erschaffen, als das Mindere in sich. Der Mensch konnte also erst erschaffen werden, wenn der Boden für sein Erscheinen vorbereitet war. In der langen Reihe der Thierformen, die vor ihm erschaffen wurden, ist eine immer größere Annäherung an den Bau des Menschen nicht zu verkennen. 

Mit der Erschaffung jeder einzelnen Art war voraussetzlich für Gott das Schöpfungswerk in Betreff dieser Art, mit Erschaffung des Menschen, das ganze Schöpfungswerk abgeschlossen. Jeder einzelnen Art war durch die vorher geschaffenen Daseinsbedingungen, durch die Fortpflanzungsfähigkeit und durch die Fortdauer der Sonnenwärme die Möglichkeit der Selbstbehauptung gegeben. In welchem Maße dies den einzelnen Arten und in weiterer Folge den zu denselben gehörigen Individuen gelang, blieb der Widerstandsfähigkeit der Arten und der Geschicklichkeit der Individuen überlassen, unterlag aber nicht mehr der unmittelbaren Einwirkung Gottes. 

An das vorstehend Ausgeführte will ich noch einige, an früherer Stelle (Kap. XIII) vorbehaltene Bemerkungen über das Verhältniß der göttlichen Allmacht und Allwissenheit zur menschlichen Willensfreiheit anschließen. Die Frage, ob Gott das Zukünftige wisse, und in welcher Weise eine Bejahung dieser Frage mit der unzweifelhaft vorhandenen Willensfreiheit des Menschen sich vereinigen lasse, hat von jeher die Menschen beschäftigt. Um den richtigen Standpunkt zu gewinnen, hat man sich zu vergegenwärtigen, daß es für Gott in gewissem Sinne weder Vergangenheit noch Zukunft giebt: Für sich selbst hat Gott von einer kommenden Zeit weder besondere Glücksumstände, noch widrige Schicksale zu erwarten; er bleibt sich zu allen Zeiten gleich; dies liegt im Begriff der Ewigkeit. Wird aber die Frage so gestellt, ob Gott die Zukunft der von ihm geschaffenen Wesen — Arten und Individuen — wissen könne, so wird diese Frage meines Erachtens am besten an der Hand von Beispielen erörtert. Ich werfe daher die Fragen auf: Besteht eine göttliche Allwissenheit in Betreff der Zukunft in dem Sinne, daß Gott im Voraus auch wissen könne 

1) bis zu welchem Lebensalter es ein Jeder der vielen auf der Erde lebenden Millionen von Menschen bringen werde? 

2) Ob und welche einzelne Mücken innerhalb eines gegebenen Zeitraumes einer Spinne in dem von ihr gesponnenen Gewebe einzufangen gelingen werde? 

3) Auf welche der Hunderttausende von Loosnummern in einer Lotterie das große Loos gezogen werden werde? 

4) Unter welchen Bedingungen in dem gerade jetzt von Japan und den europäischen Großmächten gegen China geführten Kriege dereinst der Friede geschlossen werden werde? 

Ich glaube mit der Wahl der vorstehenden Beispiele ziemlich genau den Ton getroffen zu haben, in dem meines Wissens die scholastische Philosophie des Mittelalters die Frage der Prädestination und die damit zusammenhängenden Fragen in der That Jahrhunderte lang behandelt hat. Man braucht die obengenannten Fragen eigentlich nur aufzuwerfen. um den Widersinn zu erkennen, der in einer Bejahung derselben liegen würde. In allen den gewählten Beispielen handelt es sich um Fragen, die für die betreffenden Einzelwesen, beziehentlich Völker, von höchstem Interesse, zum Theil geradezu Lebensfragen sind; für Gott sind dieselben in gewissem Sinne sämmtlich gleichwerthig unbedeutend. Gott hat alle von ihm geschaffenen Arten (und demnach mittelbar auch die dazu gehörigen Einzelindividuen) mit den zu ihrer Selbsterhaltunf erforderlichen Voraussetzungen ausgestattet; inwieweit sie sich diese Voraussetzungen zu Nutze machen und welche Erfolge sie damit erzielen, bleibt den betreffenden Wesen überlassen, kann demnach von Gott nicht im Voraus erkannt werden. Damit ist selbstverständlich nicht ausgeschlossen, daß Gott den von ihm geschaffenen höheren Formen, also namentlich der Erhaltung des Menschengeschlechts als ganzen oder einzelner Theile desselben ein erhöhtes Interesse zuwendete und daher in geeigneten Fällen ausnahmsweise auch nachträglich noch mit Wundern eingriff. Auch in diesen Fällen aber wird sich nicht annehmen lassen, daß dauernde Erfolge durch die aufgewandten göttlichen Machtmittel allein schon verbürgt gewesen seien. 

Alles, was ich bisher in diesem Kapitel ausgeführt habe, bezieht sich auf weltordnungsmäßige Zustände. Aus Anlaß meines Falles hat sich in den betreffenden Verhältnissen eine tiefgreifende Veränderung vollzogen, deren Tragweite auch ich nicht vollkommen zu übersehen vermag. Dadurch, daß Gott genöthigt worden ist, sich näher an die Erde heranzuziehen und dauernd in (relativer) Nähe derselben zu bleiben, ist die Erde — vielleicht mit Vernachlässigung anderer Weltkörper und jedenfalls mit Einstellung der Neubegründung von Seligkeiten — wieder zum andauernden Schauplatz göttlicher Wunder geworden. Im Zustande völliger Unthätigkeit zu verharren ist, wie es scheint, für Strahlen unmöglich; das Schaffen (Wundern) liegt einmal in ihrer Natur; nachdem die Erfüllung der ihnen weltordnungsmäßig obliegenden Aufgaben wenigstens vorläufig zur Unmöglichkeit geworden ist, wendet sich die Wundergewalt anderen Dingen zu, wobei allerdings meist nur zwecklose Kraftäußerungen zu Tage treten, die der dauernden Erfolge ermangeln. 

Gewundert wird in erster Linie an meiner Person und an allen Gegenständen, mit denen ich mich beschäftige; gewundert werden alle Lebensäußerungen von Menschen, die sich in meiner Nähe befinden, indem ihre Nerven durch Strahleneinwirkung zum Sprechen, zur Ausübung aller natürlichen Funktionen, zum Husten, zum Niesen, selbst zu Blähungen und zum Ausleeren u. s. w. in Bewegung gesetzt werden; gewundert wird auch an lebenden Thieren meiner Umgebung, indem, wie mir nach den darüber gemachten Beobachtungen unzweifelhaft geworden ist, z. B. auch das Wiehern der Pferde, das Bellen der Hunde u. s. w. durch entsprechende Einwirkung auf die Nerven dieser Thiere hervorgerufen wird. Gewundert wird endlich auch durch Neuerschaffung von niederen Thieren (der im vorigen Kapitel erwähnten Insekten u. s. w.) — Alles eigentlich zwecklos, da die lebenden Thiere und Menschen die Fähigkeit zu den betreffenden Lebensäußerungen schon ohnedies besitzen würden, und die neuerschaffenen Insekten zu Gattungen gehören, die auch ohnedies schon in zahlreichen Exemplaren vorhanden sind und es sich hierbei also nicht darum handelt, neue Arten ins Leben zu rufen. 

Die Bethätigung der Wundergewalt kommt daher in allen und jeden Punkten in Ansehung meiner auf zwecklose Quälerei, in Ansehung anderer Menschen und Thiere auf leere Spielerei hinaus. Für Gott ist der geschilderte Zustand — wie bereits früher bemerkt worden ist —ebenfalls mit Mißständen verknüpft, indem die jeweilig nur kurze Zeit andauernde Freude über die neuerschaffenen Dinge alsbald durch Angstzustände abgelöst wird, bei denen die in Folge der Anziehungskraft von der Gesammtmasse losgelösten Gottesnerven "Hülfe" rufend zu mir herunterkommen. Ob und wie es etwa möglich sein wird, diese für alle Theile unerquicklichen Verhältnisse dereinst wieder in normale, weltordnungsmäßige Bahnen überzuleiten, darüber kann ich der Natur der Sache nur Vermuthungen haben, rücksichtlich deren ich mich vielleicht am Schlusse dieser Arbeit noch in einigen Betrachtungen ergehen werde. 

20. Kapitel - Egozentrische Auffassung der Strahlen in Betreff meiner Person. Weitere Gestaltung der persönlichen Verhältnisse

In Bezug auf die Unfähigkeit Gottes, den lebenden Menschen als Organismus zu verstehen und namentlich dessen Denkthätigkeit richtig zu beurtheilen, habe ich noch einen Punkt nachzutragen, der in mehrfacher Hinsicht für mich von Bedeutung geworden ist. Ich kann diesen Punkt kurz dahin bezeichnen, daß Alles, was geschieht, auf mich bezogen wird. Indem ich den vorstehenden Satz niederschreibe, bin ich mir vollkommen bewußt, daß es für andere Menschen nahe liegt, dabei an eine krankhafte Einbildung auf meiner Seite zu denken; denn ich weiß sehr wohl, daß gerade die Neigung, Alles auf sich zu beziehen, Alles, was geschieht, mit der eigenen Person in Verbindung zu bringen, eine bei Geisteskranken häufig vorkommende Erscheinung ist. In Wirklichkeit liegt jedoch in meinem Falle der Sache gerade umgekehrt. Nachdem Gott zu mir in ausschließlichen Nervenanhang getreten ist, bin ich für Gott in gewissem Sinn der Mensch schlechthin oder der einzige Mensch geworden, um den sich Alles dreht, auf den Alles, was geschieht, bezogen werden müsse und der also auch von seinem Standpunkte alle Dinge auf sich selbst beziehen solle. 

Diese durchaus verkehrte Auffassung, die natürlich anfangs auch für mich vollkommen unbegreiflich war und deren Vorhandensein ich erst durch jahrelange Erfahrungen als Thatsache anzuerkennen genöthigt worden bin, tritt bei jeder Gelegenheit und bei den verschiedensten Anlässen für mich zu Tage. Wenn ich z. B. ein Buch oder eine Zeitung lese, so meint man, daß die darin enthaltenen Gedanken meine eigenen Gedanken seien; wenn ich ein Lied oder den Klavierauszug einer Oper auf dem Klaviere spiele, so glaubt man, daß der Text des Liedes oder der Oper jeweilig meine eigenen Empfindungen ausdrücke. Es ist dieselbe naive Unkenntniß, vermöge deren man zuweilen bei ungebildeten Personen, die das Theater besuchen, die Vorstellung antrifft, daß dasjenige, was von den Schauspielern gesprochen wird, die eigenen Gefühle derselben wiedergebe oder daß die Schauspieler die dargestellten Personen wirklich seien. Auf mich kann es natürlich oft nur erheiternd wirken, wenn ich etwa beim Spielen der Arien aus der Zauberflöte "Ach ich fühl‘s, es ist verschwunden, ewig hin der Liebe Glück" oder "Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen, Tod und Verzweiflung flammen um mich her" Stimmen in meinem Kopfe vernehme, die von der Voraussetzung ausgehen, daß ich nunmehr also wirklich mein Glück für ewig verloren halte, von Verzweiflung erfaßt sei usw. Indessen wolle man auf der anderen Seite auch die Geduldsprobe nicht unterschätzen, die mir durch das jahrelange Anhörenmüssen des entsetzlichen Blödsinns zugemuthet worden ist, der in dem Dazwischenwerfen der Fragen: "Warum sagen Sie‘s (nicht laut)?" und "Fand Aufnahme" bei Veranlassungen der bezeichneten Art liegt. Der Unsinn ist ein so toller, daß ich lange Zeit im Zweifel gewesen bin, ob ich denselben wirklich auf Rechnung Gottes selbst setzen solle oder nicht vielmehr nur auf Rechnung irgendwelcher untergeordneter geistloser Wesen, die auf entfernten Weltkörpern nach Art der "flüchtig hingemaditen Männer" geschaffen worden seien, um von dort aus zur Besorgung des Aufschreibe- und Abfragegeschäftes verwendet zu werden. 

Die Gründe des Für und Wider habe ich in meinen "kleinen Studien" oft erwogen, wo derjenige, der sich für Einzelheiten interessieren sollte, das Nähere nachlesen könnte. Indessen neige ich doch, ohne endgültig absprechen zu wollen, der Auffassung zu, daß der entfernte Gott selbst es ist, der die angegebene thörichte Fragstellung veranlaßt, also von dem derselben zu Grunde liegenden Irrthum beherrscht ist. Die Unkenntniß der menschlichen Natur und des menschlichen Geistes, die sich hierin äußert, ist im Grunde genommen nicht größer, als diejenige, die auch in anderen Erscheinungen zu Tage tritt, bei denen ich Gott selbst für betheiligt erachten muß z. B. in der Behandlung der Ausleerungsfrage, um mich einmal kurz so auszudrücken (Kap. XVI am Ende), in der Annahme, daß Nichtsdenken mit Blödsinn identisch sei, daß die Nervensprache die wirkliche Sprache des Menschen sei (Kap. XIII) u. s. w. u. s. w. 

Daß Gott in Ansehung des mir gegenüber entstandenen weltordnungswidrigen Verhältnisses keinesfalls auf Unfehlbarkeit Anspruch machen kann, geht für mich unzweifelhaft daraus hervor, daß jedenfalls er selbst es gewesen ist, der die gesammte Richtungslinie der gegen mich verfolgten Politik bestimmt und die damit im Zusammenhang stehenden Systeme des Aufschreibens, des Nichtausredens, des Anbindens an Erden usw. eingerichtet hat. Diese Politik verfolgt aber eben ein unmögliches Ziel. Ein Jahr lang etwa habe zwar auch ich, wie schon früher erwähnt, bei meiner damaligen völligen Unbekanntschaft mit der Wirkung der Wunder und bei den außerhalb aller menschlichen Erfahrung liegenden Schrecknissen, die mir dadurch bereitet wurden, für meinen Verstand fürchten zu müssen geglaubt. Seit nunmehr mindestens fünf Jahren bin ich mir aber völlig klar darüber geworden, daß die Weltordnung die Mittel, einem Menschen den Verstand zu zerstören, auch Gott nicht an die Hand giebt. Gott dagegen läßt sich auch jetzt noch von der entgegengesetzten Auffassung leiten, die auf die Vorstellung der Möglichkeit "mich liegen zu lassen" hinauskommt, richtet dieser Auffassung entsprechend fortgesetzt neue Systeme ein und liefert mir Tag für Tag fast genau in derselben Form die Beweise, daß es ihm heute ebensowenig, wie vor Jahren, möglich ist, von der betreffenden irrthümlichen Vorstellung loszukommen. Damit erachte ich es, wie ich auch hier wieder betonen will, keineswegs für unvereinbar, daß Gott in der ihm nach der Weltordnung eigentlich zukommenden Sphäre seines Wirkens von ewiger Weisheit erfüllt sei. 

Das Ansinnen, Alles, was geschieht und demnach auch Alles, was von anderen Menschen gesprochen wird, auf mich zu beziehen, wird namentlich bei meinen regelmäßig stattfindenden Spaziergängen in dem. Garten der hiesigen Anstalt an mich gestellt. Dadurch hat sich für mich der Aufenthalt in dem Anstaltsgarten von jeher besonders schwierig gestaltet; es hängen auch damit die Rohheitsscenen zusammen, zu denen es in früheren Jahren zuweilen zwischen mir und anderen Patienten der Anstalt gekommen ist. Schon längst ist die in meinem Körper steckende Seelenwollust so stark geworden, daß jeweilig in kürzester Frist die Vereinigung aller Strahlen herbeigeführt wird, mit der die Vorbedingungen des Schlafes gegeben wären; man kann mich daher schon seit Jahren nicht mehr zwei Minuten ruhig auf einer Bank allein sitzen lassen, auf welcher ich — namentlich bei etwaiger Ermüdung in Folge einer vorausgegangenen mehr oder weniger schlaflosen Nacht —in Schlaf verfallen würde, sondern muß dann sofort zu den sogenannten "Störungen" (vergl. Kap. X) vorschreiten, die den Strahlen es ermöglichen, sich wieder zurückzuziehen. Diese "Störungen" werden bald in der harmloseren Weise geübt, daß Insekten der in Kap. XVIII erwähnten Art gewundert werden, bald aber auch in der Weise, daß man andere Patienten der Anstalt auf mich einsprechen, oder dieselben irgendwelchen Lärm, am liebsten in meiner unmittelbaren Nähe machen läßt. Daß es sich auch hier um auf Wundern beruhende Anregung der betreffenden Menschennerven handelt, unterliegt nicht dem geringsten Zweifel, da jedesmal die früher (Kap. VII und Kap. XV) geschilderte Erscheinung hervortritt, daß ich die gesprochenen Worte zugleich mit einem gegen meinen Kopf geführten Streiche von mehr oder weniger schmerzhafter Wirkung empfinde. 

Da die Patienten überwiegend aus Verrückten von geringerem Bildungsgrade und roher Sinnesweise bestehen, so kommen dabei in der Regel gemeine Schimpfworte heraus, die ich nach der Absicht der Strahlen auf mich beziehen soll. In einzelnen Fällen hat man mich sogar ohne jeden vorausgegangenen Wortwechsel thatsächlich anfallen lassen, wie dies z. B. einmal von Seiten eines gewissen Dr. D., während ich ruhig mit einem anderen Herrn Schach spielte, geschehen ist. Ich meinerseits habe mich von jeher von dem Bestreben leiten lassen, die gegen mich geschleuderten Insulten als von Verrückten ausgehend, wenn irgend thunlich, zu ignoriren. — Indessen hat die Möglichkeit der Ignorirung doch ihre Grenzen; wenn, was früher sehr oft vorgekommen ist und auch jetzt noch nicht selten geschieht, die Verrückten mir gar zu dicht auf den Leib rücken oder ungeachtet der ihnen durch Schweigen bezeigten Verachtung das belästigende Geschimpfe nicht einstellen, so bleibt mir, wenn ich mir nicht selbst im Lichte der Feigheit erscheinen will, zuweilen nichts anderes als eine wörtliche Erwiderung übrig. Da bei solchen Gelegenheiten ein Wort das andere zu geben pflegt, so ist es dann in früheren Jahren zu wirklichen Prügelscenen gekommen, wobei ich übrigens die Genugthuung gehabt habe — obwohl gleichzeitig mit Heftigkeit namentlich an meiner Kniescheibe gewundert wurde, um mich kampfunfähig zu machen — noch jedesmal den Angreifer zu Boden zu strecken. 

Seit einigen Jahren habe ich es glücklicher Weise vermeiden können, daß es bis zu offener Prügelei gekommen ist, indessen ist auch jetzt noch bei jedem Spaziergang im Garten ein außerordentlidier Aufwand von Takt und Mäßigung von meiner Seite erforderlich, um wirkliche Skandalscenen zu verhindern. Denn die Methode, die Verrückten mit beleidigenden Redensarten auf mich zu hetzen, dauert auch jetzt noch fort, und gleichzeitig läßt mich das thörichte Gewäsch der Stimmen "Fand Aufnahme," "Warum sagen Sie‘s (nicht laut?)", "Weil ich dumm bin" oder auch "Weil ich Furcht habe" u. s. w. mich immer noch die Absicht Gottes, daß ich die beleidigenden Redensarten auf mich beziehen soll, erkennen. 

Um möglichst Ruhe und Anstand zu erhalten und gleichzeitig Gott gegenüber den präsenten Beweis der Unversehrtheit meines Verstandes zu liefern, habe ich es mir daher schon seit Jahren zur Gewohnheit gemacht, bei den Nachmittagsspaziergängen jedesmal mein Schachbrett mit in den Garten zu nehmen und wenigstens einen größeren Teil der Zeit schachspielend zu verbringen. Ich habe dies auch während der Winter, wo das Schachspielen stehend erfolgte, jeweilig bis auf kurze Perioden strengster Kälte durchgeführt; solange ich Schach spiele, herrscht eben verhältnißmäßige Ruhe. Ähnlidien Widerwärtigkeiten bin ich auch auf meinem Zimmer ausgesetzt, wo fortwährend — als sogenannte "Störung" — ein zweckloses Eindringen anderer Patienten stattfindet; der Zusammenhang mit übersinnlichen Dingen ist mir auch hier ganz unzweifelhaft. 

Alle diese Vorkommnisse in Verbindung mit anderen Erwägungen haben seit etwa Jahresfrist den Entschluß in mir zur Reife gebracht, für eine absehbare Zukunft meine Entlassung aus der hiesigen Anstalt zu betreiben. Ich gehöre eben unter gebildete Menschen, nicht unter Verrückte; sobald ich mich unter gebildeten Menschen bewege, wie z. B. an der Tafel des Anstaltsvorstandes, an der ich seit Ostern d. J. (1900) die Mahlzeiten einnehme, fallen auch manche der durch die Wunder verursachten Übelstände, insbesondere das sogenannte Brüllen weg, weil ich solchenfalls Gelegenheit habe, durch Betheiligung an einer laut geführten Unterhaltung mich Gott gegenüber über den ungeschmälerten Besitz meiner Verstandeskräfte auszuweisen. Ich bin zwar nervenkrank, leide aber keinesfalls an einer Geisteskrankheit, die zur Besorgung der eigenen Angelegenheiten unfähig macht, (§ 6 B.G.B. für das Deutsche Reich) oder die aus Gründen des öffentlichen Rechts meine Festhaltung in einer Anstalt gegen meinen Willen geboten erscheinen lassen könnte. 

Nachdem ich daher vor Jahren einmal zufällig in Erfahrung gebracht hatte, daß bereits Ende 1895 eine vorläufige Vormundschaft über mich verhängt worden ist, habe ich im Herbst vorigen Jahres (1899) selbst die Anregung dazu gegeben, daß die zuständigen Behörden sich darüber, ob die Vormundschaft in eine endgültige zu verwandeln oder aufzuheben sei, schlüssig machen möchten. Auf Grund eines von der hiesigen Anstaltsdirektion erstatteten Gutachtens und einer im Januar, d. J. (1900) erfolgten gerichtlichen Vernehmung ist darauf allerdings, entgegen meinen Erwartungen, im März d. J. sogar ein förmlicher Entmündigungsbeschluß von dem Königlichen Amtsgerichte Dresden gegen mich erlassen worden. Ich habe jedoch diesen Beschluß, da ich dessen Begründung für unzutreffend halten mußte, mittelst einer nach den einschlagenden Bestimmungen der Civilprozeßordnung gegen die K. Staatsanwaltschaft beim Landgerichte Dresden gerichteten Klage auf Aufhebung der Entmündigung angefochten. Die Entscheidung des Prozeßgeridits, des Königl. Landgerichts Dresden steht noch aus, wird aber voraussichtlich jedenfalls noch im Laufe dieses Jahres erfolgen. Nähere Mittheilungen über den bisherigen Verlauf des Prozesses kann ich mir ersparen, da, wenn jemals das Prozeßmaterial auch für weitere Kreise Interesse gewinnen sollte, die Akten des Kgl. Amtsgerichts und des Kgl. Landgerichts Dresden vollständig Auskunft darüber gewähren. In meinen zu diesen Akten gekommenen Vorstellungen sind allerdings auch einige Ausführungen enthalten, die meinen religiösen Vorstellungskreis berühren. 

Fast unmerklich hat mich der Zusammenhang des gegenwärtigen Kapitels von Betrachtungen über die Natur Gottes wieder auf meine eigenen Angelegenheiten zurückgeführt. Ich will daher noch einige Bemerkungen hierüber anschließen. Meine äußeren Lebensverhältnisse haben sich in neuerer Zeit namentlich auch in Ansehung der Behandlung, die mir von Seiten der Anstaltsverwaltung zu Theil wird, nicht unerheblich günstiger, ich möchte sagen menschenwürdiger gestaltet, nicht zum geringsten Theile wohl unter dem durch meine schriftlichen Arbeiten gewonnenen Eindrucke, daß man es doch bei mir möglicher Weise mit Erscheinungen zu thun habe, die außerhalb des Gebietes der gewöhnlichen wissenschaftlichen Erfahrung liegen. Mein körperliches Befinden ist schwer zu beschreiben; im Allgemeinen findet ein rapider Wechsel zwischen hochgradigem körperlichen Wohlbefinden und allerhand mehr oder weniger schmerzhaften und widerwärtigen Zuständen statt. Das Gefühl körperlichen Wohlbefindens beruht auf der zu gewissen Zeiten hochgradig entwickelten Seelenwollust, dieselbe ist nicht selten so stark, daß es namentlich beim Liegen im Bette nur eines geringen Aufwands von Einbildungskraft für mich bedarf, um mir ein sinnliches Behagen zu verschaffen, das eine ziemlich deutliche Vorahnung von dem weiblichen Geschlechtsgenusse beim Beischlafe gewährt. 

Ich komme auf diesen Punkt im folgenden Kapitel des Näheren zurück. Auf der anderen Seite treten in Folge der gegen mich geübten Wunder eben abwechselnd damit (nämlich jedesmal, wenn Gott sich wieder zurückzieht), allerhand schmerzhafte Zustände ein, fast ohne Ausnahme ganz plötzlich und ebenso fast regelmäßig nach kurzer Zeit wieder verschwindend. Außer den bereits früher erwähnten Erscheinungen kommen u. A. ischiadische Schmerzen, Wadenkrampf, Lähmungserscheinungen, plötzliches Hungergefühl, und dergleichen vor, früher waren auch Hexenschuß und Zahnschmerzen nicht selten. Der Hexenschuß war eine Zeit lang (als ich noch in der Zelle schlief) zuweilen so heftig, daß ich mich nur unter gleichzeitigem — halb und halb willkürlich zu diesem Zwecke ausgestoßenem — Schmerzensschrei vom Lager erheben konnte; auch die Zahnschmerzen waren zuweilen so stark, daß sie jede geistige Beschäftigung unmöglich machten. Noch jetzt habe ich fast ununterbrochen mit einer Art von Kopfschmerzen zu thun, die zweifellos keinem anderen Menschen bekannt und mit gewöhnlichen Kopfschmerzen kaum zu vergleichen ist. Es sind die ziehenden oder zerrenden Schmerzen, welche dadurch entstehen, daß die an Erden angebundenen Strahlen jeweilig, nachdem die Seelenwollust einen gewissen Grad erreicht hat, wieder einen Rückzug zu bewerkstelligen versuchen. Das in solchen Fällen meist gleichzeitig eintretende Brüllwunder verursacht bei öfterer Wiederholung ebenfalls eine sehr unangenehme Erschütterung des Kopfes; tritt dasselbe, während ich irgend etwas esse, ein, so muß ich mich sehr in Acht nehmen, daß ich den Mundinhalt nicht ausspeie. Der jähe Wechsel des Befindens bringt es mit sich, daß der Gesammtzustand eigentlich ein verrückter zu nennen ist und demnach auch das ganze Leben, das ich führen muß, in gewissem Maße das Gepräge der Verrücktheit an sich trägt, dies umsomehr, als auch meine Umgebung überwiegend aus Verrückten besteht, die natürlich ihrerseits dazu beitragen, daß allerhand unvernünftige Dinge geschehen. 

Selten ist es mir möglich, bei einer und derselben Beschäftigung lange auszuharren; sehr häufig macht vielmehr das Eintreten von Kopfschmerzen bei anhaltendem Lesen, Schreiben oder dergleichen einen Wechsel in der Beschäftigung nöthig. Ich bin vielfach darauf angewiesen, meine Zeit mit kleinen Tändeleien hinzubringen; körperlich befinde ich mich hierbei (außer beim Klavierspielen) am wohlsten. Ich habe mich daher in den vergangenen Jahren vielfach mit mechanischen Arbeiten, Klebereien, Ausmalen von Bildern und dergleichen beschäftigen müssen; ganz besonders empfehlen sich, vom Standpunkte des körperlichen Wohlbefindens aus betrachtet, solche Arbeiten, die in das weibliche Fach einschlagen, also Nähen, Staubwischen, Bettmachen, Reinigen von Geschirr und dergleichen. Es kommen auch jetzt noch Tage vor, wo ich mich außer mit Klavierspielen fast nur mit solchen Kleinigkeiten beschäftigen kann, d. h. wo der Zustand meines Kopfes jede andere, dem geistigen Bedürfnisse besser entsprechende Beschäftigung ausschließt. Mein Nachtschlaf ist im Allgemeinen erheblich besser als früher; daß ich in Folge anhaltender Brüllzustände (die in Abwechslung mit hochgradiger Wollust auftreten) zuweilen das Bett nicht behaupten kann, ist schon früher erwähnt. Ich habe daher auch in diesem Jahr noch einzelne Male schon von Mitternacht oder 1 Uhr Nachts ab das Bett verlassen und bei künstlicher Beleuchtung (für die jetzt gesorgt ist) oder im Hochsommer ohne solche mehrere Stunden bis zum Morgen aufsitzen müssen; von 3 oder 4 Uhr ab ist dies wohl nahezu in dem dritten Theile der Nächte nöthig gewesen. Häufig wird mein Schlaf von Träumen beunruhigt, bei denen ich aus ihrem tendenziösen Inhalt ("Erhaltung auf der männlichen Seite" im Gegensatz zu der Pflege der "weiblichen Gefühle") vielfach den Strahleneinfluß zu erkennen glaube. Eigentlichen Visionscharakter d. h. die den Visionen eigenthümlidie Lebendigkeit der Eindrücke haben die Träume jetzt nur noch ausnahmsweise. 

Das Gerede der Stimmen ist fortwährend noch im Wandel begriffen und hat selbst in der verhältnißmäßig kurzen Zeit, während deren ich mit Abfassung dieser Arbeit beschäftigt bin, schon wieder mannigfache Veränderungen erfahren. Von den früher gebräuchlichen Redensarten werden viele, namentlich solche, die noch irgendwie an den "Nichtsdenkungsgedanken" erinnerten, kaum noch gehört. Auch der Grad der Verlangsamung beim Sprechen hat seit der im Kap. XVI enthaltenen Schilderung immer noch mehr zugenommen, sodaß das Sprechen der Stimmen zum nicht geringen Theil nur noch ein Gezisch in meinem Kopf zu nennen ist, aus dem ich vielleicht einzelne Worte gar nicht mehr heraushören würde, wenn ich nicht — ich muß sagen unglücklicher Weise — in Folge der gedächtnißmäßigen Erinnerung fast immer im Voraus wüßte, welche sinnlosen Redensarten ich zu erwarten habe. 

Ich halte es für wahrscheinlich, daß Veränderungen der bezeichneten Art, die sämmtlich mit der vermehrten Seelenwollust zusammenhängen, sowie — aus gleichem Grunde — Veränderungen der gegen mich geübten Wunder auch künftig immer noch weiter hervortreten werden. Am lästigsten empfinde ich jetzt — neben manchmal mangelhafter Verfassung des Kopfes — die Brüllzustände, von denen ich nun schon seit zwei oder drei Jahren heimgesucht werde, und die im letzten Jahre sich zuweilen zu einer nahezu unerträglichen Plage gestaltet haben. Ob hierin von der Zukunft eine Besserung zu erwarten ist, wage ich nicht vorauszusagen; eine Mäßigung würden die betreffenden Übelstände, wie ich aus den früher angedeuteten Gründen glaube, immerhin dann erfahren, wenn ich meinen Aufenthalt außerhalb der hiesigen Anstalt nehmen könnte. 

21. Kapitel - Seligkeit und Wollust in ihrer gegenseitigen Beziehung. Folgerungen aus diesem Verhältnisse für das persönliche Verhalten

Eine eigentliche Beweisführung für die Wirklichkeit der von mir behaupteten Wunder und die Wahrheit meiner religiösen Vorstellungen habe ich bisher kaum versucht. Immerhin liegt eine Fülle von Beweisgründen, abgesehen von den mehrfach erwähnten Brüllzuständen, in meiner körperlichen Verfassung, sodaß, wie ich annehme, eine Untersuchung meines Körpers auf die an demselben erkennbaren Weiblichkeitsmerkmale schon jetzt auch für andere Menschen überzeugend wirken müßte. Ich werde daher diesem Gegenstand in dem gegenwärtigen Kapitel eine besondere Besprechung widmen, der ich die der hiesigen Anstaltsdirektion hierüber bereits gemachten Mittheilungen theils auszugsweise, theils ihrem vollständigen Inhalt nach vorausschicken will. 

Nachdem das Königl. Amtsgericht Dresden unter dem 13. März d. J. (1900) meine Entmündigung beschlossen hatte, habe ich unter dem 24. desselben Monats eine Vorstellung an die hiesige Anstaltsdirektion gerichtet, in welcher ich derselben einige der wesentlicheren Gesichtspunkte dargelegt habe, auf welche ich die von mir zu erhebende —inzwischen wirklich erhobene — Anfechtungsklage zu stützen beabsichtige. Als Grund für die Darlegung habe ich dabei angegeben, daß die Königl. Anstaltsdirektion in dem künftigen Prozesse doch wohl noch zu einer gutachtlichen Äußerung veranlaßt werden würde und mir daher daran liegen müsse, ihr meine eigene Auffassung in Betreff der Natur meiner Krankheit mitzutheilen, damit schon vor Erstattung eines neuen Gutachtens die ärztlichen Beobachtungen auf gewisse speziell von mir bezeichnete Punkte gerichtet werden könnten. Aus der erwähnten Vorstellung vom 24. März d. J. kommt hier der folgende Passus in Betracht: 

"Die Absicht, andere Menschen im Wege verstandesmäßiger Darlegung von der Wahrheit meiner angeblichen "Wahnideen" und "Sinnestäuschungen" zu überzeugen, liegt mir an und für sich natürlich fern. Ich weiß wohl, daß dies wenigstens vorläufig nur in sehr beschränktem Maße möglich sein würde. Ob eine spätere, außerhalb des Bereichs aller menschlichen Erfahrung liegende Veränderung meiner körperlichen Verfassung einmal von selbst die Bestätigung bringen wird, habe ich der Zukunft zu überlassen. Nur das eine will ich schon jetzt erklären: 
daß ich jeder Zeit bereit sein würde, meinen Körper einer beliebigen ärztlichen Untersuchung unterwerfen zu lassen, um zu konstatiren, ob nicht meine Behauptung zutrifft, daß mein ganzer Körper vom Scheitel bis zur Sohle mit Wollustnerven durchsetzt ist, wie dies sonst nur beim erwachsenen weiblichen Körper der Fall ist, während beim Mann, soviel mir wenigstens bekannt ist, Wollustnerven nur am Geschlechtstheile und in unmittelbarer Nähe desselben sich befinden. 
Würde eine solche Untersuchung die Richtigkeit meiner Behauptungen ergeben, und wäre gleichzeitig die ärztliche Wissenschaft zu dem Bekenntnisse genöthigt, daß es ihr für eine derartige Erscheinung an einem männlichen Körper an jeder menschlich-natürlichen Erklärung mangele, so würde doch wohl meine "Wahnidee", daß mein Körper in ausgedehntem Maße der Einwirkung göttlicher Wunder unterliege, auch weiteren Kreisen in einem wesentlich anderen Lichte erscheinen müssen." 

Dieser ersten Vorstellung habe ich unter dem 26. März d. J. eine zweite folgen lassen, die ich nachstehend im Wortlaut wiedergebe: 

"Im Anschlusse an meine ergebene Vorstellung vom 24. d. M. gestatte ich mir, der Königl. Anstaltsdirektion eine Bitte vorzutragen. Aus der erwähnten Vorstellung ist erkennbar, unter welchem Gesichtspunkte ich auf die Verbreitung von Wollustnerven an meinem Körper sowohl in Betreff meiner religiösen Vorstellungen als in Betreff meines Vorgehens gegenüber dem amtsgerichtlichen Entmündigungsbeschluß ein wesentliches Gewicht legen zu müssen glaube. 
Demnach wäre es für mich von großem Interesse in Erfahrung zu bringen: 

1) ob die wissenschaftliche Nervenlehre das Vorhandensein von Nerven (Wollustnerven oder sensitiven Nerven nach einem neulich aus dem Munde des Herrn Geh. Rat Dr. Weber von mir gehörten Ausdruck oder wie sonst die wissenschaftliche Bezeichnung lauten möge) anerkennt, deren besondere Funktion darin besteht, Träger der Wollustgefühls zu sein? 

2) ob es richtig ist, was ich behaupte, daß derartige Wollustnerven beim Weibe am ganzen Körper, beim Manne nur am Geschlechtstheil und in dessen unmittelbarer Nähe sich befinden, ob ich also hierunter eine von der wissenschaftlichen Nervenlehre anerkannte Thatsache wiedergegeben oder etwas nach dem jetzigen Stande dieser Wissenschaft Unrichtiges behauptet habe? 

Am dankbarsten würde ich für eine Form der Aufklärung sein, die entweder schriftlich oder durch leihweise Überlassung eines die Nervenlehre wissenschaftlich behandelnden Werkes, aus dem ich mir dann selbst die erforderlichen Exzerpte machen könnte, erfolgte. 

In vorzüglicher Hochachtung
(folgt die Unterschrift)"
Auf die zweite Vorstellung ist endlich unter dem 30. März d. J. noch eine dritte gefolgt, deren Wortlaut der nachstehende ist: 

"Aus Anlaß meiner unter dem 26. d. M. an die Kgl. Anstaltsdirektion gerichteten Eingabe, die sogen. Wollustnerven betreffend, hat Herr Geh. Rath Dr. Weber gestern Abend die Güte gehabt, mir eine mündliche Unterhaltung über diesen Gegenstand zu gewähren und mir zwei der ärztlichen Bibliothek der Anstalt entnommene Bücher auf einige Zeit leihweise zu überlassen. 

Ich komme auf die angeregten Fragen noch einmal zurück und zwar nicht nur um meiner persönlichen Interessen willen, sondern zugleich auch, weil ich annehme, daß die an meinem Körper zu machenden Beobachtungen vielleicht zu einer Bereicherung der Wissenschaft auf diesem Gebiete führen könnten. 

Wenn ich Herrn Geh. Rath Dr. Weber richtig verstanden habe, so wird die Existenz von besonderen Nerven, die Träger des Wollustgefühls sind, von der wissenschaftlichen Nervenlehre eigentlich nicht anerkannt; ebenso trat derselbe der Auffassung entgegen, daß man derartige Nerven, wie überhaupt irgendwelche Nerven durch äußere Berührung fühlen könne. Auf der anderen Seite schien derselbe die Thatsache nicht bezweifeln zu wollen, daß die Wollustempfindung — gleichviel aus welchem physiologischen Grunde — beim Weibe in höherem Grad als beim Manne, eine den ganzen Körper ergreifende sei und daß insbesondere die Mammae in ganz besonders hervorragendem Grade an der Wollustempfindung theil nehmen. Nach meinem Dafürhalten würde diese Thatsache sich doch wohl nur in der Weise erklären lassen, daß irgendwelche Organe (mag man sie nun Sehnen, Nerven oder sonstwie nennen) vorhanden sind, die beim Weibe in höherem Grade als beim Manne den ganzen Körper bedecken. Für mich ist nun subjektiv gewiß, daß mein Körper — nach meiner wiederholt kundgegebenen Auffassung in Folge göttlicher Wunder — derartige Organe in derselben Weise zeigt, wie dies sonst nur beim weiblichen Körper der Fall ist. Ich fühle, wenn ich einen leisen Druck mit der Hand an einer beliebigen Stelle meines Körpers ausübe, unter der Hautoberfläche Gebilde von faden- oder strangartiger Beschaffenheit; dieselben sind namentlich an meiner Brust, da wo beim Weibe der Busen ist, vorhanden, hier mit der Besonderheit, daß an ihren Enden zeitweise knotenartige Verdickungen wahrnehmbar werden. Durch einen auf diese Gebilde auszuübenden Druck vermag ich mir, namentlich wenn ich an etwas Weibliches denke, eine der weiblichen entsprechende Wollustempfindung zu verschaffen. Ich thue dies, nebenbei bemerkt, nicht etwa aus Lüsternheit, sondern bin zu gewissen Zeiten geradezu dazu genöthigt, wenn ich mir Schlaf oder Schutz vor sonst nahezu unerträglichen Schmerzen verschaffen will. 

Genau dieselben faden- oder strangartigen Gebilde habe ich (nachdem meine Aufmerksamkeit einmal auf diesen Punkt gelenkt war) gelegentlich eines Besuchs am Arme meiner Schwägerin gefühlt und nehme danach an, daß sie an jedem weiblichen Körper in derselben Weise vorhanden sind. 

Ich glaube auch annehmen zu dürfen, daß diese Gebilde es sind, die der weiblichen Haut die derselben eigenthümliche Weichheit verschaffen, die auch an meinem Körper der Regel nach bemerkbar ist. 

Hinzuzufügen habe ich noch, daß hinsichtlich der an meinem Körper hervortretenden Weiblichkeitsmerkmale eine gewisse Periodizität stattfindet und zwar neuerdings in immermehr sich verkürzenden Zwischenräumen. Alles Weibliche wirkt nämlich anziehend auf die Gottesnerven; sobald man sich daher von mir zurückziehen will, macht man jedesmal den Versuch, die an meinem Körper hervortretenden Weiblichkeitssymptome durch Wunder zurückzudrängen; dies hat zur Folge, daß die von mir als "Wollustnerven" bezeichneten Gebilde etwas nach innen verschoben, an der Oberfläche der Haut also nicht mehr so deutlich fühlbar werden, mein Busen sich etwas verflacht u. s. w. Wenn man dann aber nach kurzer Zeit genöthigt ist, sich wieder zu nähern, so treten die "Wollustnerven" (um einmal diesen Ausdruck beizubehalten) wieder hervor, mein Busen wölbt sich wieder u. s. w. Diese Periodizität pflegt jetzt meist schon nach Ablauf weniger Minuten hevorzutreten. 

Daß ich mit der vorstehenden Darlegung neben meinen persönlichen zugleich ernste wissenschaftliche Interessen verfolge, wird die Kgl. Anstaltsdirektion nicht verkennen wollen; ich hoffe also auch gegen die Auffassung sichergestellt zu sein, daß ich mit der Aufdeckung der betreffenden, nach meiner Auffassung mit übersinnlichen Dingen zusammenhängenden Verhältnisse irgend etwas zur Sprache gebracht hätte, dessen ich mich als Mann zu schämen hätte. 

In vorzüglicher Hochachtung
(folgt die Unterschrift)."
An den Inhalt der vorstehend wiedergegebenen Schriftstücke schließe ich noch einige weitere Bemerkungen an. 

Ich bezweifele natürlich nicht, daß dasjenige, was mir von Herrn Geh. Rath Dr. Weber bei der im Eingang der Vorstellung vom 30. März d. J. erwähnten Unterredung mitgetheilt worden ist, dem jetzigen Stande der Wissenschaft auf dem Gebiete der Nervenkunde entspricht. Gleichwohl kann ich nicht umhin, mit derjenigen Bescheidenheit, die dem Laien in solchen Dingen geziemt, der Überzeugung Ausdruck zu geben, daß es sich bei den vor mir beschriebenen an meinem Körpe wahrnehmbaren faden- oder strangartigen Gebilden um Nerven handelt, daß es also doch besondere Wollustnerven giebt, deren Eigenthümlichkeit darin besteht, Träger der Wollustempfindung zu sein. Bestimmend ist dabei für mich einestheils die Erwägung, daß die fraglichen Gebilde, wie ich sicher weiß, ihrer Herkunft nach weiter nichts sind als ehemalige Gottesnerven, die doch durch ihren Übergang in meinen Körper ihre Eigenschaft als Nerven kaum eingebüßt haben können, und sodann der Umstand, daß ich eben in jedem beliebigen Augenblick durch leisen Druck auf jene Gebilde die thatsächliche Wahrnehmung der dadurch angeregten Wollustempfindung machen kann. Es sei mir daher gestattet, in dem Folgenden die Bezeichnung als Wollustnerven beizubehalten. 

Die Anfüllung meines Körpers mit diesen Wollustnerven in Folge des unausgesetzten Zuströmens von Strahlen oder Gottesnerven dauert jetzt nun schon über sechs Jahre ohne jegliche Unterbrechung an. Es ist daher nicht zu verwundern, daß mein Körper in einem Grade von Wollustnerven durchsetzt ist, wie derselbe schwerlich von der gleichartigen Erscheinung bei irgend einem weiblichen Wesen übertroffen wird. Das äußerliche Hervortreten derselben unterliegt, wie ich bereits, in meiner Vorstellung vom 30. März d. J. hervorgehoben habe, einer regelmäßig wiederkehrenden Periodizität, je nachdem Gott in größere Entfernung sich zurückgezogen hat oder — in Ermangelung der Gedanken, die die Strahlen bei mir suchen müssen — genöthigt ist, wieder näher zu kommen. 

Zu den Zeiten der Annäherung gewährt meine Brust den Eindruck eines ziemlich voll entwickelten weiblichen Busens; diese Erscheinung, kann von jedermann, der mich beobachten will, mit eigenen Augen, gesehen werden. Ich bin also insoweit in der Lage, sozusagen einen Beweis durch Berufung auf Einnahme des Augenscheins anzutreten. Allerdings würde nicht eine flüchtige Beobachtung in einem gegebenen Augenblicke genügen, sondern der betreffende Beobachter müßte sich die Mühe geben, etwa zehn Minuten oder eine Viertelstunde in meiner Nähe zu verweilen. In diesem Falle würde jedermann das abwechselnde Anschwellen und Abschwellen des Busens bemerken müssen. Natürlich, bleibt an den Armen und in der Herzgrube die männliche Behaarung, die bei mir übrigens nur in mäßigem Grade vorhanden ist; auch bleiben die Brustwarzen in ihrer dem männlichen Geschlechte entsprechenden geringeren Größe. Davon abgesehen aber wage ich kühn zu behaupten, daß jeder, der mich mit entblößtem oberen Theile des Rumpfes vor dem Spiegel stehen sehen würde, — zumal, wenn die Illusion durch etwas weiblichen Aufputz unterstützt wird — den unzweifelhaften Eindruck eines weiblichen Oberkörpers empfangen würde. Ich stehe auch nicht an, zu erklären, daß ich bei einem Aufenthalt außerhalb der Anstalt eine entsprechende Beobachtung zwar meinerseits nicht veranlassen, aber doch jedem Fachmann, der hierzu nicht durch bloße Neugier, sondern durch ein wissenschaftliches Interesse sich bewogen fühlen sollte, gestatten würde. Wenn Ähnliches, wie ich ferner behaupte, noch niemals an einem männlichen Körper zu beobachten gewesen ist, so glaube ich damit einen Nachweis geliefert zu haben, der auch bei ernsten Männern die erheblichsten Zweifel anregen muß, ob nicht alles dasjenige, was man bei mir bisher als Sinnestäuschungen und Wahnideen angesehen hat, Wahrheit ist, ob nicht demnach mein gesammter Wunderglaube und die Darstellung, die ich zur Erklärung der auffälligen Erscheinungen an meiner Person und an meinem Körper gegeben habe, auf Wahrheit beruht. 

Die durch das Vorhandensein der Wollustnerven ermöglichte Pflege der weiblichen Gefühle betrachte ich als mein Recht und in gewissem Sinne als meine Verpflichtung. Um nicht durch dieses Bekenntniß in der Achtung anderer Menschen zu verlieren, auf deren Urtheil ich Werth lege, wird es einer ausführlicheren Darlegung bedürfen. 

Es wird wenig Menschen geben, die in so strengen, sittlichen Grundsätzen aufgewachsen sind, wie ich, und die sich ihr ganzes Leben hindurch, namentlich auch in geschlechtlicher Beziehung, eine diesen Grundsätzen entsprechende Zurückhaltung in dem Maße auferlegt haben, wie ich es von mir behaupten darf. Nicht also eine niedere Sinnlichkeit ist es, die als Triebfeder bei mir in Betracht kommt; wäre mir eine Befriedigung meines männlichen Ehrgeizes noch möglich, so wäre mir dies natürlich ungleich lieber; auch werde ich im Verkehr mit anderen Menschen niemals von geschlechtlicher Lüsternheit etwas verspüren lassen. Sobald ich aber — wenn ich mich so ausdrücken darf —mit Gott allein bin, ist es eine Nothwendigkeit für mich, mit allen erdenklichen Mitteln, sowie mit dem vollen Aufgebote meiner Verstandeskräfte, insbesondere meiner Einbildungskraft, dahin zu wirken, daß die göttlichen Strahlen von mir möglichst fortwährend oder —da dies der Mensch einfach nicht kann, — wenigstens zu gewissen Tageszeiten den Eindruck eines in wollüstigen Empfindungen schwelgenden Weibes empfangen. 

Auf die nahen Beziehungen, die zwischen der Wollust und der Seligkeit bestehen, habe ich schon im früheren Verlaufe dieser Arbeit wiederholt hingewiesen. Die Wollust darf als ein Stück Seligkeit aufgefaßt werden, das dem Menschen und anderen lebenden Geschöpfen gewissermaßen im Voraus verliehen ist. Wie ein Seherblick, bei dem man an göttliche Eingebungen denken möchte, will es mich unter diesem Gesichtspunkt anmuthen, wenn z. B. Schiller in seinem Liede an die Freude dichtet "Wollust ward dem Wurm gegeben, und der Cherub steht vor Gott". Dabei besteht jedoch ein wesentlicher Unterschied. Den Seelen ist das wollustmäßige Genießen oder die Seligkeit in beständiger Dauer und gewissermaßen als Selbstzweck, dem Menschen und anderen lebenden Geschöpfen dagegen nur als Mittel zur Erhaltung der Art verliehen. Darin liegen für den Menschen die sittlichen Schranken der Wollust. Ein Übermaß der Wollust würde den Menschen zur Erfüllung der ihm sonst obliegenden Aufgaben unfähig machen; es würde ihn verhindern, jemals zu einer höheren Stufe der geistigen und sittlichen Vervollkommnung emporzusteigen; ja die Erfahrung lehrt, daß an wollüstigen Ausschweifungen nicht nur zahlreiche einzelne Menschen, sondern selbst ganze Völker zu Grunde gegangen sind. Für mich bestehen derartige sittliche Schranken der Wollust nicht mehr, sie habe sich in gewissem Sinne gerade in ihr Gegentheil verkehrt. Um nicht mißverstanden zu werden, muß ich hierbei bemerken, daß ich mit der mir sozusagen zur Pflicht gewordenen Pflege der Wollust niemals eine geschlechtliche Begehrlichkeit gegenüber anderen Menschen (Frauenspersonen) oder gar einen geschlechtlichen Umgang mit solchen meine, sondern mich selbst als Mann und Weib in einer Person, mit mir selbst den Beischlaf vollziehend, vorzustellen, mit mir selbst irgendwelche auf geschlechtliche Erregung abzielende — vielleicht sonst als unzüchtig geltende — Handlungen vorzunehmen habe u. s. w., wobei natürlich jeder Gedanke an Onanie oder dergleichen ausgeschlossen ist. 

Das letztere Verhalten aber ist mir durch das weltordnungswidrige Verhältniß, in das Gott sich zu mir gesetzt hat, geradezu nothwendig geworden; ich kann insofern, so paradox es klingen mag, das Wort der Kreuzfahrer des ersten Kreuzzuges Dieu le veut (Gott will es) auf mich anwenden. Gott ist nun einmal durch die längst unbesieglich gewordene Anziehungskraft meiner Nerven unauflöslich an meine Person gebunden; jede Möglichkeit, von meinen Nerven wieder loszukommen — worauf die von Gott selbst verfolgte Politik abzielt — ist außer etwa in dem Falle, daß es noch zu einer Entmannung komme sollte, auf den noch übrigen Rest meines Lebens ausgeschlossen. Auf der anderen Seite verlangt Gott ein den weltordnungsmäßigen Daseinsbedingungen der Seelen entsprechendes beständiges Genießen; es ist meine Aufgabe, ihm dasselbe, soweit es unter den einmal geschaffenen weltordnungswidrigen Verhältnissen im Bereiche der Möglichkeit liegt, in der Form ausgiebigster Entwickelung der Seelenwollust zu verschaffen; soweit dabei für mich etwas von sinnlichem Genusse abfällt, bin ich berechtigt, denselben als eine kleine Entschädigung für das Übermaß der Leiden und Entbehrungen, das mir seit Jahren auferlegt ist, mitzunehmen; es liegt darin zugleich ein geringer Ausgleich für die vielfachen schmerzhaften Zustände und Widerwärtigkeiten, die ich auch jetzt noch namentlich in den Zeiten, wo die Seelenwollust zurücktritt, zu ertragen habe. Ich bin mir bewußt, daß ich damit keine sittliche Pflicht verletze, sondern einfach dasjenige thue, was unter den gegebenen regelwidrigen Umständen durch die Vernunft geboten ist; wegen des Verhältnisses zu meiner Frau insbesondere verweise ich auf das bereits in Kap. XIII hierüber Bemerkte. 

Natürlich ist es mir nicht möglich, mich den ganzen Tag oder auch nur den größten Theil desselben in wollüstigen Vorstellungen zu ergehen und meine Phantasie in dieser Richtung spielen zu lassen. Dazu wäre die menschliche Natur einfach außer Stande; der Mensch ist eben nicht bloß zur Wollust geboren, und daher müßte die bloße Wollust als alleiniger Lebenszweck mir ebenso ungeheuerlich erscheinen, wie irgendwelchen anderen Menschen. Auf der anderen Seite ist eine unausgesetzte Denkthätigkeit, ein durch keine Ruhepausen unterbrochenes Arbeiten der Verstandesnerven, wie es mir von den Strahlen im Wege des Denkzwangs zugemuthet wird, mit der Menschennatur nicht minder unverträglich. Die Kunst meiner Lebensführung in der verrückten Lebenslage, in die ich nun einmal gekommen bin — ich meine hier nicht die Verhältnisse meiner äußeren Umgebung, sondern das Widersinnige und Weltordnungswidrige der zwischen mir und Gott entstandenen Beziehungen —‚ besteht daher darin, einen anmessenen Mittelweg zu finden, bei dem beide Theile, Gott und Mensch, noch am leidlichsten fahren, d. h. das Eingehen der göttlichen Strahlen möglichst unter Theilnahme an der in meinem Körper vorhandenen Seelenwollust erfolgt und dadurch für sie annehmbar gemacht wird, ich dagegen neben der von Zeit zu Zeit und namentlich in den Nächten erforderlichen Ruhe meiner Verstandesnerven auch die Fähigkeit, mich in einer dem geistigen Bedürfnisse entsprechenden Weise zu beschäftigen, wenigstens in gewissem Maße behalte. 

Für beide Theile geht es dabei nicht ohne unerquickliche Zustände ab, in denen jeder von ihnen zu einem seiner eigentlichen Natur widersprechenden Verhalten gezwungen ist. Seelenwollust ist eben nicht immer in voller Ausgiebigkeit vorhanden, sondern tritt in regelmäßiger Abwechselung von Zeit zu Zeit zurück, theils dadurch, daß Gott Rückzugsaktionen ins Werk setzt, theils dadurch, daß ich mir die Pflege der Wollust nicht immer angelegen sein lassen kann. Auf der andern Seite ist jede geistige Beschäftigung, die ich vornehme, und in noch höherem Maße jede Hingabe an das natürliche Recht des Nichtsdenkens (namentlich bei Spaziergängen) mit einem mehr oder minder erheblichen Opfer an körperlichem Wohlbefinden für mich verbunden. Dafür ist es mir erlaubt, in denjenigen Ruhepausen der Denkthätigkeit, deren der Mensch nun einmal bedarf, also namentlich in der Nacht, um Schlaf zu erzielen, aber auch am Tage zu gewissen Zeiten, etwa nach der Hauptmahlzeit, wo das Bedürfniß einer Nachmittagsruhe hervortritt, oder am frühen Morgen nach dem Erwachen im Bette mir durch Pflege der Wollust in dem obenbezeichneten Sinne erträgliche körperliche Zustände oder selbst ein darüber hinausgehendes sinnliches Wohlbehagen zu erschaffen. 

Die Richtigkeit dieser Auffassung ist mir durch eine jahrelange Erfahrung unzweifelhaft bestätigt worden; ich glaube sogar nach den gewonnenen Eindrücken die Ansicht aussprechen zu dürfen, daß Gott niemals zu einer Rückzugsaktion verschreiten würde (wodurch mein körperliches Wohlbefinden jedesmal zunächst erheblich verschlechtert wird), sondern ohne jedes Widerstreben und in dauernder Gleichmäßigkeit der Anziehung folgen würde, wenn es mir möglich wäre, immer das in geschlechtlicher Umarmung mit mir selbst daliegende Weib zu spielen, meinen Blick immer auf weiblichen Wesen ruhen zu lassen, immer weibliche Bilder zu besehen u. s. w. 

Nicht unerwähnt will ich dabei lassen, daß die Richtigkeit der bezeichneten Auffassung auch von dem niederen Gotte (Ariman) ausdrücklich anerkannt worden ist, daß er seiner Zeit eine Anzahl von Redensarten, durch die mir ein entsprechendes Verhalten empfohlen wurde, in das von ihm zum Sprechen der Strahlen verwendete Aufschreibematerial aufnahm. Namentlich die Redensarten "Die Wollust ist gottesfürchtig geworden" und "Regen Sie sich nur geschlechtlich auf" wurden früher sehr häufig aus dem Munde der von dem niederen Gotte ausgehenden Stimmen gehört. Alle sittlichen Begriffe sind eben im Verhältnisse zwischen Gott und mir auf den Kopf gestellt. Sonst ist zwar die Wollust für Menschen sittlich erlaubt, soweit sie durch das Band der Ehe geheiligt und dadurch mit dem Fortpflanzungszweck in Verbindung gesetzt ist, hat aber um ihrer selbst willen niemals als etwas besonders Verdienstliches gegolten. Im Verhältnisse zwischen Gott und mir dagegen ist die Wollust eben "gottesfürchtig" geworden d. h. als dasjenige Mittel zu betrachten, durch welches der (entgegen der Weltordnung) einmal geschaffene Widerstreit der Interessen noch am ehesten eine befriedigende Lösung finden kann. 

Sobald ich Pausen meines Denkens eintreten lasse, ohne mich gleichzeitig der Pflege der Wollust anzunehmen — was natürlich bis zu einem gewissen Grade ganz unvermeidlich ist, da der Mensch weder fortwährend denken, noch fortwährend Wollust machen kann — ergeben sich jedesmal die bereits früher geschilderten unerquicklichen Folgen: Brüllzustände und irgendwelche körperliche Schmerzen in meiner Person; roher Lärm unter den Verrückten meiner Umgebung und "Hülfe"-rufe auf Seiten Gottes. Die Vernunft erheischt daher, daß ich in demjenigen Maße, in dem dies dem Menschen überhaupt zugemuthet werden kann, die Pausen meiner Denkthätigkeit, mit anderen Worten die Zeiten des Ausruhens von einer geistigen Beschäftigung, möglichst durch Pflege der Wollust ausfülle. 

22. Kapitel - Schlußbetrachtungen. Ausblick in die Zukunft

Ich bin am Ende meiner Arbeit angelangt. Ich habe meine Erlebnisse und Erfahrungen während meiner nun schon nahezu sieben Jahre andauernden Nervenkrankheit und die übersinnlichen Eindrücke, die ich in dieser Zeit empfangen habe, zwar bei Weitem nicht erschöpfend, aber doch wenigstens in derjenigen Vollständigkeit wiedergegeben, deren es zum Verständniß meiner religiösen Anschauungen und zur Erklärung gewisser Absonderlichkeiten meines Verhaltens bedarf. Es erübrigt mir noch, einen Ausblick auf die Zukunft zu werfen. 

"Was wird nun aus der verfluchten Geschichte?" und "Was wird aus mir? sollte Derjenige" scilicet sagen oder denken — so lauten die Fragen, die seit Jahren von den Strahlen in endloser Wiederholung in meinen Kopf hineingesprochen werden und die, wenn sie auch jeweilig nicht meine ächten Gedanken wiedergeben, sondern auf Fälschung beruhen, so doch jedenfalls erkennen lassen, daß das Bewußtsein einer recht gründlich verfahrenen Angelegenheit auch bei Gott vorhanden ist. Die Antworten, die sich die Strahlen selbst auf diese Fragen geben, d. h. fälschungsweise meinen Nerven unterlegen ("Neue Menschen aus Schreber‘schem Geist" oder auch "das weiß ich nicht, sollte derjenige" u. s. w.) sind so kindisch, daß ich nicht länger bei ihnen zu verweilen brauche. In Betreff meiner eignen Auffassung habe ich das Folgende zu bemerken. 

Eine sichere Voraussage, was aus mir werden wird und in welcher Weise es etwas möglich sein wird, den weltordnungswidrigen Zustand, in welchem sich Gott in Folge der Anziehungskraft meiner Nerven anscheinend der ganzen Erde gegenüber befindet, dereinst wieder in weltordnungsmäßige Bahnen zurückzuleiten, ist natürlich unmöglich. Es handelt sich um eine Verwickelung, für die nicht nur alle Analogien aus der menschlichen Erfahrung fehlen, sondern die auch in der Weltordnung selbst niemals vorgesehen gewesen ist. Wer möchte sich daher einem solchen Verhältnisse gegenüber in haltlosen Vermuthungen für die Zukunft ergehen? Sicher ist für mich nur eine Negative, nämlich die, daß es niemals zu der von Gott beabsichtigten Zerstörung meines Verstandes kommen kann. Über diesen Punkt bin ich mir, wie bereits oben (Kap. XX) ausgeführt worden, seit Jahren vollständig im Klaren und damit ist für mich die Hauptgefahr, die mir im ersten Jahre meiner Krankheit zu drohen schien, beseitigt. Denn was kann es für einen Menschen, zumal für einen in so vielen Richtungen hochbegabten Menschen, wie ich es zu sein ohne Selbstruhm von mir behaupten darf, Entsetzlicheres geben, als die Aussicht, den Verstand verlieren zu müssen und im Blödsinn unterzugehen? Alles, was mir sonst etwa bevorstehen mag, erscheint mir demgemäß mehr oder weniger nebensächlich, nachdem ich durch jahrelange Erfahrung die sichere Überzeugung erlangt habe, daß alle Versuche in dieser Richtung im Voraus zur Erfolglosigkeit verurtheilt sind, insofern die Weltordnung auch Gott selbst nicht die Mittel an die Hand giebt, einem Menschen den Verstand zu zerstören. 

Natürlich habe ich mich aber mit der Frage nach der voraussetzlichen Gestaltung meiner Zukunft auch in positiver Richtung im Laufe der Jahre viel beschäftigt. Mehrere Jahre hindurch nach dem im Kap. XIII beschriebenen Umschwunge meiner eigenen Auffassung habe ich in der bestimmten Annahme gelebt, daß es schließlich einmal zu einer wirklichen Entmannung (Verwandlung in ein Weib) bei mir kommen müsse; namentlich so lange ich die übrige Menschheit untergegangen glaubte, schien mir diese Lösung als Vorbereitung einer Erneuerung der Menschheit unbedingt geboten. In der That erachte ich es auch jetzt noch für unzweifelhaft, daß eine solche Lösung an sich als die dem innersten Wesen der Weltordnung am meisten entsprechende anzusehen sein würde. Entmannungen zum Zwecke einer Erneuerung der Menschheit haben, wie bereits im Kap. V ausgeführt worden, aller Wahrscheinlichkeit nach in früheren Perioden der Geschichte des Weltalls, sei es auf unserer Erde, sei es auf anderen Weltkörpern, in einer Mehrzahl von Fällen wirklich stattgefunden. Auf eine Entmannung weist auch ein nicht geringer Theil der an meiner Person geübten Wunder (vergl. Kap. XI im Eingang), sowie die Anfüllung meines Körpers mit Wollustnerven unzweideutig hin. Ob es aber in Folge der von Gott nach dem Auftreten der geprüften Seelen nun einmal getroffenen weltordnungswidrigen Einrichtungen (Anbinden an Erden u. s. w.) noch zu einer wirklichen Entmannung kommen kann, darüber wage ich eine bestimmte Voraussage für die Zukunft um so weniger mehr abzugeben, als ich eben inzwischen meine früheren Vorstellungen in Betreff eines Untergangs der übrigen Menschheit zu berichtigen gehabt habe. Möglich also, ja wahrscheinlich, daß es bis zu meinem Lebensende bei starken Andeutungen der Weiblichkeit verbleibt und ich dereinst als Mann mit dem Tode abgehe. 

Damit tritt die andere Frage in den Vordergrund, ob ich überhaupt sterblich sei und welche Todesursachen bei mir im Bereiche der Möglichkeit liegen. Nach allem, was ich früher von der wiederherstellenden Kraft der göttlichen Strahlen an meinem Körper erfahren habe (vergl. darüber die früheren Ausführungen), muß ich es auch jetzt noch als wahrscheinlich bezeichnen, daß irgend welche Krankheitseinflüsse und selbst gewaltsame äußere Eingriffe als den Tod bedingende Ursachen bei mir ausgeschlossen sind. Gesetzt ich fiele irgendwo ins Wasser, oder ich wollte, woran ich natürlich nicht entfernt mehr denke, mir eine Kugel durch den Kopf oder durch die Brust jagen, so würden zwar vermuthlich vorübergehend Erscheinungen eintreten, wie sie dem Ertränkungstode oder dem Zustande der Bewußtlosigkeit nach einer sonst tödlich wirkenden Schußwunde entsprechen. Ob aber, solange der Strahlenverkehr andauert, nicht eine Wiederbelebung stattfinden würde, ob nicht die Herzthätigkeit und damit der Blutumlauf wieder angeregt werden würde, die zerstörten inneren Organe und Knochentheile wiederhergestellt werden würden, ist eine Frage, die ich nach meinen früheren Erlebnissen kaum im verneinenden Sinne zu beantworten wage. Habe ich doch im ersten Jahre meiner Krankheit zu wiederholten Malen gewisse Zeit hindurch ohne die wichtigsten inneren Organe oder unter schwerer Verletzung derselben, sowie unter starker Verwüstung von Theilen des Knochensystems, die sonst als für eine Fortdauer des Lebens kaum entbehrlich angesehen werden, gelebt. Die Ursachen, die damals jeweilig zur Wiederherstellung des Zerstörten führten, sind auch jetzt noch vorhanden und somit kann ich mir eine todbringende Wirkung bei Ereignissen der oben bezeichneten Art kaum vorstellen. Das Gleiche gilt von allen natürlichen Krankheitseinflüssen. Demnach scheint für mich als Todesursache nur dasjenige, was man gewöhnlich die Altersschwäche nennt, in Betracht zu kommen. Bekanntlich ist die Frage, was es mit dem Tode an Altersschwäche für eine Bewandtniß habe, auch für die Wissenschaft eine ziemlich dunkele. Man kann zwar die äußeren Erscheinungen, die dabei hervortreten, beschreiben, hat aber die eigentlich wirkende Ursache meines Wissens noch nicht zu ergründen vermocht: die Frage, warum überhaupt der Mensch nach Erreichung eines bestimmten Lebensalters sterben müsse, entbehrt zur Zeit noch der sicheren Beantwortung. Anscheinend ist allen erschaffenen Wesen nur ein bestimmtes Maß von Lebenskraft zugetheilt, nach dessen Erschöpfung die der Erhaltung des Lebens dienenden Organe ihre Wirkung versagen. Ich könnte mir also wohl vorstellen, daß auch Strahlen zwar irgendwelche Schäden, die an einem noch im Besitz der Lebenskraft befindlichen Körper entstehen, auszugleichen, nicht aber die Lebenskraft selbst zu ersetzen vermögen. 

Die andere Seite der Betrachtung betrifft die Frage, was im Falle meines Ablebens — wenn ich mich so ausdrücken darf — aus Gott werden solle. Unzweifelhaft ist mir nach allem bisher Ausgeführten, daß das ganze Verhältniß, in welches Gott sich jetzt zu unserer Erde und zu der auf derselben lebenden Menschheit gesetzt hat, auf besonderen Beziehungen ruht, die zwischen Gott und meiner Person entstanden sind. Käme meine Person durch Tod in Wegfall, so müßte in jenem Verhältnisse sicher eine Änderung erfolgen; ob dieselbe in irgendwie auch für andere Menschen augenfälliger Weise hervortreten würde, wage ich nicht zu behaupten. Vielleicht wird man dann, durch die Noth gezwungen, zu denjenigen, die Rückkehr zur Weltordnung enthaltenden Maßregeln (Beseitigung des Anbindens an Erden, vollständige Unterdrückung des noch vorhandenen Restes der geprüften Seelen u. s. w.) sich entschließen müssen, zu denen man bis jetzt die Energie des Willens noch nicht hat finden können. Nur auf diesem Wege könnte nach meinem Dafürhalten Gott sich wieder in den Stand setzen, diejenigen Aufgaben, die ihm nach der Weltordnung obliegen, zu erfüllen, namentlich das Werk der Neubegründung von Seligkeiten wieder aufzunehmen. Daß zu den ersten Nerven, die zu einer Seligkeit heraufgezogen werden würden, auch die meinigen zählen würden, möchte ich nach den jahrelangen Beziehungen, die zwischen mir und Gott geherrscht haben, nahezu für selbstverständlich erachten. Über die Einzelheiten der Vorkehrungen, die von Gott nach meinem Tode zu treffen wären, mag ich mich um so weniger in Vermuthungen ergehen, als ich von den weltordnungswidrigen Einrichtungen, deren Abstellung dabei in Frage käme, der Natur der Sache nach doch nur eine mehr oder weniger unbestimmte Vorstellung habe erlangen können. 

Was die Gestaltung meines Lebens bis zu meinem etwaigen Tode betrifft, so glaube ich eine gewisse Verbesserung meiner äußeren Lebenslage, Aufhebung der Entmündigung, Entlassung aus der hiesigen Anstalt u. s. w. innerhalb angemessener Zeit ohne besondere Schwierigkeiten erreichen zu können. Der Erkenntniß, daß, was es auch immer mit meinen "Wahnideen" für eine Bewandtniß haben möge, man in mir jedenfalls nicht einen Geisteskranken von gewöhnlichem Schlage vor sich habe, werden auch andere Menschen auf die Dauer sich nicht entziehen können. 

Damit wäre mir jedoch noch kein Ersatz gewährt für das, was ich in den letzten sieben Jahren gelitten und entbehrt habe. Ich habe daher die Empfindung, daß mir in meinem künftigen Leben noch irgend eine große und glänzende Genugthuung bevorstehen müsse — nicht von Menschen bereitet, sondern gewissermaßen durch die innere Nothwendigkeit der Verhältnisse von selbst herbeigeführt. Bereits in der Zeit meines Aufenthalts in der Flechsig‘schen Anstalt, als ich auf der einen Seite die ersten Einblicke in die wunderbare Harmonie der Weltordnung erlangt hatte, auf der anderen Seite für meine Person die tiefsten Erniedrigungen erfuhr und tagtäglich von den entsetzlichsten Gefahren bedroht schien, habe ich den Strahlen gegenüber das Wort gefunden, es müsse eine ausgleichende Gerechtigkeit geben, es könne nicht sein, daß ein sittlich unbefleckter, auf dem Boden der Weltordnung stehender Mensch in dem von feindlichen Mächten wider ihn geführten Kampfe untergehen, als schuldloses Opfer für die Sünden Anderer fallen solle. Dieses Wort, zu dem ich damals nur geringe Anhaltspunkte hatte und das also damals, ich möchte sagen, mehr aus einem instinktiven Empfinden hervorgegangen war, hat sich schon jetzt im Laufe der Jahre in einer meine Erwartungen fast übertreffenden Weise bewahrheitet. Immer deutlicher neigt sich die Wagschale des Sieges auf meine Seite, immer mehr verliert der gegen mich geführte Kampf den ihm früher eigenen gehässigen Charakter, immer erträglicher gestalten sich in Folge der fortschreitenden Zunahme der Seelenwollust auch meine körperlichen Zustände und sonstigen äußeren Lebensverhältnisse. Und so glaube ich denn in der Annahme nicht zu irren, daß mir schließlich auch noch eine ganz besondere Palme des Sieges winken wird. Worin dieselbe bestehen werde, darüber wage ich keine bestimmte Voraussage. Nur als Möglichkeiten, die hierbei in Betracht kämen, erwähne ich eine doch noch etwa zu vollziehende Entmannung mit der Wirkung, daß im Wege göttlicher Befruchtung eine Nachkommenschaft aus meinem Schoße hervorginge oder etwa die andere Folge, daß an meinen Namen eine Berühmtbeit sich anknüpfte, die Tausenden von Menschen von ungleich größerer geistiger Begabung nicht zu Theil geworden ist. Solche Gedanken mögen anderen Menschen phantastisch, chimärisch, ja angesichts der immerhin noch kümmerlichen und freiheitlich beschränkten Lebensfrage, in der ich mich augenblicklich befinde, geradezu lächerlich erscheinen. Nur derjenige würde verstehen, daß derartige Gedanken mir kommen müssen, der das ganze Maß der Leiden kennte, das ich im Laufe der vergangenen Jahre zu tragen gehabt habe. Wenn ich mir vergegenwärtige, welche Opfer durch Verlust einer ehrenvollen Berufsstellung, durch thatsächliche Auflösung einer glücklichen Ehe, durch Entbehrung aller Lebensgenüsse, durch körperliche Schmerzen, geistige Martern und Schrecknisse völlig unbekannter Art, mir auferlegt worden sind, so ergiebt sich für mich das Bild eines Martyriums, das ich in seiner Gesammtheit nur mit dem Kreuzestod Jesu Christi vergleichen kann. Auf der anderen Seite kommt der ungeheuere Hintergrund des Gemäldes in Betracht, in dessen Vordergrund meine Person und meine persönlichen Schicksale stehen. Wenn es wahr ist, daß die Fortdauer der ganzen Schöpfung auf unserer Erde nur auf den besonderen Beziehungen ruht, in die Gott zu mir getreten ist, so könnte der Lohn des Sieges für das treue Ausharren in dem schweren Kampfe um die Behauptung meines Verstandes und um die Reinigung Gottes nur in etwas ganz Außerordentlichem bestehen. 

Damit werde ich auf die letzte Betrachtung geführt, die mich in dieser Arbeit noch beschäftigen soll. Ich halte es für möglich, ja für wahrscheinlich, daß die künftige Entwickelung meiner persönlichen Geschicke, das Bekanntwerden meines religiösen Vorstellungskreises und das Gewicht der Gründe, die für die Richtigkeit desselben sich aufdrängen werden, eine Umwälzung in den religiösen Anschauungen der Menschheit herbeiführen wird, die in der Geschichte ihres Gleichen sucht. Ich verkenne nicht die Gefahren, die aus einer Erschütterung aller bestehenden Religionssysteme sich ergeben könnten. Allein ich vertraue der sieghaften Macht der Wahrheit, die die Kraft haben wird, vorübergehende aus einer religiösen Verwirrung der Gemüther entstehende Schäden wieder auszugleichen. Sollten auch viele der bisher als wahr angenommenen, insbesondere christlichen Religionsvorstellungen berichtigt werden müssen, so könnte doch eine der Menschheit aufgehende Gewißheit, daß es einen lebendigen Gott und eine Fortdauer der Seele nach dem Tode giebt, nur segenbringend wirken. Und so schließe ich denn mit dem Ausdrucke der Hoffnung, daß in diesem Sinne günstige Gestirne über dem Erfolge meiner Arbeit walten mögen.