2. Der Umbruch der Medienpolitik im digitalen Zeitalter

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Und jetzt also das Internet. Ich verwende den Begriff hier als Platzhalter für alle möglichen digitalen, paketvermittelnden Datennetze. Oder vielmehr Meta-Netze, denn das Internet setzt selbst ja auf einer Vielzahl höchst heterogener Netze und Netztechnologien auf. Insofern ist die Frage müßig, ob die Netzentwicklung in Richtung Integration oder Differenzierung/Fragmentierung verläuft. (Siehe dazu Hoffmann-Riem/Vesting 1994.) Das Internet und seine technisch-sozialen Geschwister werden mittelfristig - wie auch immer sie technisch noch mutieren werden - der Medienregulierung ihre Anknüpfungspunkte nehmen.

2.1 Vom Frequenzmangel zum Mangel an Bandbreite

An der Vergabe knapper Frequenzen in der Luft wie im Kabel hing und hängt bisher die Medienaufsicht. Zwar kann ich die Erwartung nicht teilen, daß mit digitaler Datenkompression das Ende der Knappheit eintreten wird. Dennoch werden sich die Knappheiten verschieben: Knapp wird künftig (wie auch heute schon) Bandbreite sein, also die Kapazität, Datenmengen in gegebener Zeit durch digitale, paketvermittelte Netze zu schaufeln. Früher oder später wird ein bestimmter Teil des Frequenzspektrums im vorhandenen Breitband-TV-Kabelbaum für paketorientierte Datenübertragung geräumt werden. Wieviel die Umstellung der heute vorhandenen Baumstruktur auf eine Netzstruktur tatsächlich kosten wird, ist eine interessante Frage: Hier werden die unterschiedlichsten Zahlen genannt, die Spannweite reicht von 500 bis 900 Millionen (inoffzielle Angabe eines Mitarbeiters der DeTeBerkom) zu 100 bis 300 Milliarden Mark für ein flächendeckendes Glasfasernetz (Bickel 1991, 140). Von der Ökonomie dieses Transformationsprozesses möchte ich hier ansonsten lieber schweigen.

Sobald dem Endnutzer auf diese Weise zwei MHz (also known as 2 MBit/s) zur Verfügung stehen und die Backbones dahinter den entsprechenden Datenverkehr vertragen, kann mit der Übertragung von Fernsehen in Echtzeit über Internet begonnen werden. Und das wird passieren, früher oder später. Denn das derzeitige Nutzungsmodell der teuren Kuperkabel ist eine gigantische Verschwendung von Bandbreite. Mit RealAudio steht heute bereits eine Technik zur Verfügung und im Gebrauch, die Radio in Echtzeit überträgt. Ob DAB hier übrigens noch Chancen hat, kann ich nicht beurteilen. Ob, wie und wann dann auch Abruffernsehen (also known as "video on demand") durch die Internet-Kanäle rauschen wird, ist von diesem Zeitpunkt an nur noch eine Frage der server-Techniken, nicht mehr der Netzbandbreite.

Medienregulierung kann dann also nicht mehr an der Frequenzknappheit ansetzen. (Für den Satellitenmarkt gilt das heute schon, hier hat Astra praktisch für Mitteleuropa die frequenzvergebende Rolle der Medienanstalten übernommen.)

Mit solchen Verbreitungstechniken schwindet auch die Bedeutung regional begrenzter Ausstrahlung. Oder andersherum: Es schwindet die regionale Begrenzung, wiederum umgekehrt proportional zur Vergrößerung der Bandbreite auf den Fernstrecken. Was künftig in irgendeinem internet-technisch hinreihend angebundenen Land dieser Erde zugelassen ist, kann überall dort empfangen werden, wo die Netzbandbreiten hinreichen. Damit werden Medienpolitiker noch viel Freude haben.

Wer will mich dann hindern, mein Fernsehprogramm aus den USA zu beziehen? Wer will Fernsehveranstalter daran hindern, ihr Programm aus einer Art "Daten-Schweiz" auszustrahlen?

2.2 Publizistische Relevanz als Regulierungskriterium

Bund und Länder, Medien- und Technologie-Politiker streiten mit Verve über den Rundfunkbegriff: Was ist Rundfunk, lautet die Frage, was liegt also im Kompetenzbereich der Länder? Ist Fernseh-Einkauf (also known as teleshopping) noch Rundfunk im Sinne des Rundfunkstaatsvertrages? Ist Heim-Bankverkehr (also known as homebanking) Rundfunk? (Ob schon jemand gefragt hat, ob Internet Rundfunk ist, weiß ich leider nicht.)

Hinter diesem Streit steht die Absicht, eine Regulierungsform zu retten, die von Ab- und Auflösung bedroht ist. Das ist an sich nicht unehrenhaft, könnte aber angesichts der oben geschilderten Tendenzen alsbald ins Leere laufen. Es würde sich vielmehr lohnen, um die Ziele medien- und kommunikationspolitischer Regulierung zu streiten und um Wege zu ihrer Realisierung im digitalen Zeitalter. Denn die Ziele sind ja keineswegs durch die Bank obsolet.

Ob es in diesem Szenario weiterhilft, über den Rundfunkbegriff zu streiten, weiß ich nicht. Man könnte ja auch offen über Macht-, Zugangs- und Inhalts-Fragen debattieren. Ob es dagegen weiterhilft, sich auf § 2 Abs. 1 des Rundfunkstaatsvertrages zu berufen, bezweifle ich. § 2 Abs. 1 Rundfunkstaatsvertrag umfaßt auch pay-TV, pay-per-view und near-video-on-demand. In der "Negativliste" der Bundesländer zum Rundfunkbegriff (epd/Kifu 87/1995) heißt es daher: "Insofern ist ein aktueller Handlungsbedarf für den Rundfunkstaatsvertrag nicht gegeben." Auch das von den Ländern zur Zeit diskutierte Modell der "abgestuften Regelungstiefe" hat seine deutlichen Schwächen: So sollen Dienste, die nur von geringem Einfluß auf die öffentliche Meinungsbildung sind, zwar "nicht in vollem Umfang den engeren rundfunkrechtlichen Regelungen unterliegen", aber dann, wenn sie einen dem Rundfunk vergleichbaren Grad an Meinungsrelevanz erreichen, doch wieder dem Rundfunkrecht unterliegen. Ich fürchte, man wird sich vorher entscheiden müssen, wie ein digitaler Datenstrom regulativ eingebettet werden soll; ob regulative Umbettungen nach Jahren noch möglich sein werden, sei dahingestellt.

Wenn sich Bund und Länder nicht über die Kompetenzverteilung einigen können, dann wird demnächst sicherlich ein dreizehntes, vierzehntes oder fünfzehntes Karlsruher Rundfunkurteil notwendig werden. Vielleicht muß die überbordende Komplexität erst höchstrichterlich reduziert werden, bevor sie im politischen System weiterverarbeitet werden kann.

2.3 Laufende De- und Re-Regulierungsprozesse

Der Titel meines kurzen Statements, erfunden übrigens von Rainer Rilling, ist wenig originell. Interessanterweise hielt ausgerechnet der "Zukunftsminister" Jürgen Rüttgers einen ganz ähnlich betitelten Vortrag vor der Alfred-Herrhausen-Gesellschaft ("Politikfähigkeit medial bestimmter Demokratien"). Rüttgers macht sich gerade daran, ein "Multimedia-Gesetz" zu entwerfen, das eine Art Bundesmedienrechtsrahmengesetz werden könnte. Damit gerät er zwangsläufig in Kompetenzkonflikte mit den Ländern, erste Proteste hat es bereits gegeben. Diese Gesetzesinitiative soll mit der anstehenden Neuregulierung der Telekommunikation wenn nicht verknüpft, so doch synchronisiert werden. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck, der auch der Rundfunkkommission der Länder vorsitzt, nannte auch die Novellierung des Rundfunkstaatsvertrages in diesem Zusammenhang (epd/Kifu 1/1996). Wir werden sehen, wohin das führt. Interessant daran ist jedenfalls das erste deutliche Anzeichen dafür, daß die beiden Politikfelder nicht länger völlig getrennt behandelt werden.

2.4 Compu$erve und folkloristische Staatsanwälte

From: UZS106@ibm.rhrz.uni-bonn.de (Heiko Recktenwald)
Newsgroups: de.soc.netzwesen
Subject: Re: Staatsanwaltschaft vs. Compuserve
Date: Thu, 04 Jan 96 02:33:47 MEZ
Message-ID: <177042414S85.UZS106@ibm.rhrz.uni-bonn.de>

Alle Welt sagt, das Internet kann man nicht zaehmen und die Bayern sagen, frei nach William S. Borroughs (The electronic revolution): Machen wir doch einfach mal ein Experiment:)

In bester medienpolitischer Tradition der inhaltlichen Kontrolle befanden sich Compu$erve und Münchner Staatsanwaltschaft, als Compu$erve das Anraten der Staatsanwälte falsch verstand und zum Jahreswechsel weltweit über 200 Usenet-newsgroups sperrte. Dies hat sofort an die legendären bayerischen Separat-Programme in der ARD erinnert, in gewisser Weise auch an Edmund Stoibers Attacken auf die ARD. Doch aller Wahrscheinlichkeit nach kann dieses Thema unter dem Posten bayerischen Brauchtums und Folklore abgebucht werden.

Solche Versuche, die technisch verlorengehende Möglichkeit zu inhaltlicher Kontrolle und Zensur zu re-implementieren, dürfte es noch öfter geben. (Siehe auch Exon-Bill. Mit dieser Kurzformel wird der Communications Decency Act belegt, der zur Zeit im US-amerikanischen Kongreß behandelt wird und der die Verbreitung von undifferenziert als "indecent" bezeichnetem Material über Datennetze weitgehend untersagen will. ) Zum Scheitern verurteilt sind sie gleichwohl allesamt: Internet und Usenet haben den point of no return bereits überschritten, sie sind administrativ nicht mehr zu beseitigen, es sei denn um den Preis der obrigkeitsstaatlichen Re-Regulierung der Telekommunikation. Ein Preis, den zu zahlen sich wohl keine politischen Mehrheiten bereitfinden werden. Und solange es möglich sein wird, Kommunikationsleitungen zu mieten, solange ist es auch möglich, darüber Meta-Netze wie Internet und Usenet zu betreiben.

Der Kontrollimpetus der Medien- und Kommunikationspolitik läuft ins Leere. Der Regulierungsimpetus wird dagegen immer wichtiger. Wenn es das ist, was Wolfgang Hoffmann-Riem mit "Regulierung der Selbstregulierung" Hoffmann-Riem 1995 meint, dann bin ich völlig einverstanden.


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