Beitrag zur Gartenkonferenz 2000
Perspektiven der Garten- und Kleinstlandwirtschaft in Stadt und Land - zur sozialen und ökologischen Notwendigkeit einer "weiblichen Ökonomie"  vom 21. - 25. Juli 2000 in Berlin, AG Kleinstlandwirtschaft und Gärten in Stadt und Land, C/O Freie Universität Berlin, Institut für Soziologie, Elisabeth Meyer-Renschhausen, gartenkonferenz@gmx.de , http://userpage.fu-berlin.de/~garten/

 
 
 
 
 
 
 

Andrea Heistinger
Bozen/Wien

Pflanzenzüchtung und Saatgutzüchtung von Bäuerinnen in Südtirol: um die Gene geht es nicht

Die Pflanzenzüchtung und der Umgang mit der Saat, die ich bei den im Rahmen meiner Diplomarbeit besuchten Bäuerinnen in Südtirol kennen gelernt habe, ist eine, die gänzlich anders geprägt ist, als die Züchtung, die ich aus meiner naturwissenschaftlich-technischen Ausbildung kenne.

Sie baut auf Vielfalt und Beständigkeit, auf Geschmack (das gute Essen) und den Eigensinn der Bäuerinnen. Der Eigensinn – der die Erfahrungen der Bäuerinnen und ihre Vorlieben verkörpert – bestimmt, welche Sorten angebaut werden, welche Samen selektiert werden, ob das Mohnfeld rot oder bunt blüht. Angebaut wird, was auch gut schmeckt: Ist der neue Mohnsamen, den die Nachbarin aus der Schweiz mitgebracht hat, süßer, wird von nun an dieser angebaut, bewähren sich Sorten, werden sie in die Gärten aufgenommen. Doch zeigt sich oft gerade im Versuch und im Versuchen des Neuen, im Wettstreit des Neuen mit dem Alten, dass das sogenannte Alte nicht nur vertraut ist, sondern einfach besser schmeckt, besser gedeiht, besser gefällt. Die Krautsamen, die die Mutter nachgebaut hat, geben einfach den g`schmackigeren Krautsalat ab, die Herbstrüben, die die Großmutter auf den Hof gebracht hat, sind einfach nicht so hantig, wie die, die frau heutzutage zu kaufen bekommt.

Es wird angebaut, was Bestand hat, was sich bewährt hat, und was sich auch in Zukunft bewähren kann: samenfeste Sorten. Beständigkeit bedeutet, dass eine Sorte nie ein Endprodukt ihrer selbst sein kann, sondern dadurch, dass sie beständig angebaut wird, wandelt sie sich auch beständig. Sie ist offen für neue Nutzungen und NutzerInnen, sie wird beständig weiterge"zügelt". Denn das "Zügeln", wie die Bäuerinnen ihr züchterischen Tätigsein bezeichnen, ist auch gleichbedeutend mit Anbauen. Wer züchtet baut an und umgekehrt. Das Züchten wird nicht der unbekannten Hand unbekannter Experten an unbekannten Orten überlassen: Denn auf die ist kein Verlass: sie züchten Bohnen, die in den eigenen Gärten nicht mehr abreifen, Knoblauch, der nicht reift, sondern verfault, Kraut, das nur dicke Strünke bildet und verkaufen teuren Samen, der dann oft nicht aufgehen will. Außerdem verweigern die Experten den Bäuerinnen ihre züchterische Tätigkeit: Die Samen, die sie zum Verkauf anbieten, sind Hybridgezüchtet und nicht mehr nachbaufähig und neuerdings kann frau sich auch nicht mehr darauf verlassen, dass sie noch nicht gengeklemptnert sind. So verweigern die Bäuerinnen auch weiterhin die Endprodukte der modernen Züchtung, oder besinnen sich wieder auf die Sorten ihrer Mütter und Nachbarinnen zurück: Sie heben auch heuer wieder einen Krautkopf und die Samenrüben im erdigen Keller auf, um selber ihre Samen zu zügeln. Denn, wie mir eine Bäuerin erzählte: "Hurtig, hurtig, selber zügeln, da weiß man, was man hat!"
 

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Stand: 20.9.2002