Das Programmheft nennt noch eine Reihe weiterer Filme, die jüngst in der Mongolei entstanden sind, und Tudeviin Chimid geht in seinem Artikel ``Auf der Suche nach dem mongolischen Kino'' auch auf die Produktionsbedingungen des mongolischen Films ein. Die erste Gründung eines Filmstudios in der Mongolei fand 1935 statt. Vorher (seit 1913) wurden englische, deutsche, chinesische und russische Filme in der Mongolei gezeigt, wobei letztere besonders in den 20er und 30er Jahren eine einflußreiche Rolle spielten. Der erste Spielfilm entstand 1936 in Zusammenarbeit mit Rußland: ``Mongol Chuu'' - ``Der Sohn der Mongolei'' (auf der Berlinale gezeigt), und kann daher eigentlich noch nicht als rein mongolischer Film bezeichnet werden.
Seit Mitte der 50er Jahre gibt es mongolische Filmemacher, die an der Filmhochschule in Moskau ausgebildet sind. 1961 wurde das Studio Mongolkino gegründet, das pro Jahr vier Spielfilme und über 40 Dokumentarfilme produzierte. In den 70er Jahren befaßten sich die mongolischen Filme verstärkt mit den Problemen der Jugendlichen, deren prozentualer Anteil in der Bevölkerung stetig zunimmt. Auch heute noch bildet diese Thematik einen Schwerpunkt des mongolischen Filmschaffens.
In den 80er Jahren war die staatliche Zensur besonders restriktiv. Trotzdem konnten einige Filme produziert werden, die eine herausragende Stellung im mongolischen Filmschaffen einnehmen, so ``Manduhai'' (1989, Regie: D. Balshinnyam), ein Film über das Leben Manduhais der Klugen, nach der Romanvorlage von Sch. Nazagdordsh. Dieser Film wird auch von einer hervorragenden Musik begleitet und hat in meinen Augen ohne weiteres (salopp formuliert) das Zeug zum großen Kultfilm.
Mit den 90er Jahren kam nicht nur die politische Reform und die Demokratisierung des Lebens, sondern auch eine ökonomisch tiefgreifende Wende. Mongolkino wurde weitgehend demontiert. Filmemacher drehten nun Werke, die sich erstmals kritisch mit der jüngsten Vergangenheit auseinandersetzten, und produzierten diese Filme auch zum ersten Mal im Alleingang, d.h. mit auf dem freien Markt aufgenommenen Kapital. Während dies sich zwar wie z.B. im Film ``Tschi Neg n' '' (``Auch Du bist so einer'') gelegentlich in technischen Unzulänglichkeiten bemerkbar macht, tut es der künstlerischen Qualität dieser Filme keinen Abbruch.
Es ist schade, daß ``Manduhai'' auf dieser Berlinale nicht zu sehen war. Meines Wissens wurde er nur einmal im Ausland aufgeführt (ich habe ihn im Frühjahr 1990 in Tokyo OmU gesehen), auch in der Mongolei ist er nur schwer zugänglich. Viele mongolische Kinos können es sich nicht mehr leisten, künstlerisch anspruchsvolle (gar mit Überlänge - ``Manduhai'' dauert vier Stunden) Filme zu vorzuführen, da sie mit dem kalten Wind des Kapitalismus um die Ohren erstmals Einspielergebnisse vorweisen müssen, die ihr wirtschaftliches Überleben garantieren.
Einige andere Filme scheinen es überhaupt nicht in die Kinos zu schaffen, so der 1991 (?) entstandene Film ``Tengeriin Sakil'' (``Gelübde des Himmels''), der die Geschichte eines Bruders und einer Schwester erzählt, die als Kinder in Kriegswirren auseinandergerissen werden, sich als Erwachsene gegenseitig unerkannt wieder treffen, sich ineinander verlieben und zu spät feststellen müssen, daß sie Geschwister sind.
Einer der ersten, wenn nicht sogar der erste frei finanzierte Film ist der eben schon erwähnte ``Tschi Neg n' '' (``Auch Du bist so einer''), 1991 von Cogzol mit einem kleinen Budget von nur 1 Mio. Tögrök produziert und gedreht. Der Regisseur, der bisher hauptsächlich als Ausstatter bei Mongolkino gearbeitet hatte, legte mit diesem Film die makabre Geschichte eines Sängers vor, der durch seine künstlerische Haltung (trotz offiziellen Verbots singt er Volksliedgut) seine Frau, seine kleine Tochter und zum Schluß sein Leben verliert. Er endet als Lehrskelett im Anatomielehrsaal der Universität.
Die mittlerweile herangewachsene Tochter studiert Medizin und wird eines Tages zufällig über die Herkunft des Skeletts aufgeklärt. Der Film kam im April 1992 in die mongolischen Kinos und erwies sich als sehr erfolgreich. Er bestätigte nicht nur, daß das Publikum ein großes Interesse an der Aufarbeitung der jüngeren Geschichte hat, sondern auch die Durchführbarkeit frei finanzierter, anspruchsvoller Filmprojekte.
Die sichtbaren technischen Mängel dieses Films erklären sich aus den finanziellen Produktionsbedingungen. Die meisten Szenen konnten nur wenige Male gedreht werden, ehe sie im Kasten waren, da das Filmmaterial sehr knapp war und seine Verwendung auf den Viertelmeter genau im Voraus geplant werden mußte. Auch wurde viel mit Handkameras gearbeitet, aber alle diese Einschränkungen lenkten das Publikum nie vom eigentlichen Film ab.
Inhaltlich in eine völlig andere Richtung zielt der Film ``Munch tengeriin chutschin door'' (Durch die Kraft des ewigen Himmels), der 1992 entstand. Dieses Epos über Chinggis Khan ist ein oberflächliches und unkritisches Produkt von Heldenbeschwörung in einer Zeit der politischen Orientierungslosigkeit und des wiederauflebenden Nationalismus, in dem Chinggis Khan als Zentralfigur gottgleiche Verehrung erfährt.