Erstmals waren auf den 44. Internationalen Berliner Filmfestspielen (``Berlinale'') im Rahmen des 24. Internationalen Forums des jungen Films, daher also nicht als Wettbewerbsbeiträge, mongolische Filme zu sehen.
Alle folgenden Ausführungen sind höchst subjektiver Natur, da ich kein Kinofachmann bin und die weiter unten beschriebenen Filme nur mit den Augen des interessierten Laien habe sehen können. Vorgeführt wurden sechs Filme (Umschrift aus den Programmankündigungen übernommen):
Aufgrund der unglücklichen Plazierung der Filme im Berlinale-Programm (die Vorführungen fanden morgens um 11 Uhr statt, keine Wiederholung zu anderen Uhrzeiten) konnte ich nur die letzten drei Filme sehen, weswegen Informationen zu den anderen Filmen nicht von mir stammen und nur der Vollständigkeit halber hier angegeben sind.
Die Bedingungen, unter denen die Filme vorgeführt wurden, waren leider nicht als ideal zu bezeichnen. In den offiziellen Dokumentationen zur Berlinale, dem Programmheft und der Filmübersicht, fehlte jede ergänzende Information, es wurden nur die cinematographischen Rohdaten (Titel, Regie, Produktionsjahr etc.) angegeben. Lediglich vor der jeweiligen Vorführung lag ein achtseitiges Faltblatt mit detaillierteren Beschreibungen aller Filme aus. Dieses Faltblatt enthielt auch zwei Artikel, die bereits für andere Publikationen geschrieben worden waren und hier nur übersetzt vorlagen: der erste Artikel, ``Auf der Suche nach dem mongolischen Kino'', stammt von Tudeviin Chimid. Bedauerlicherweise scheint der zweite Artikel ``Mongolische Filmgeschichte in Filmen'' von Tadao Sato nicht genau recherchiert zu sein, denn zumindest ein Filmtitel wird nur auf Englisch ohne weitere Angaben zu Regisseur etc. zitiert, auch wird sein Inhalt in der Zusammenfassung grob verfälscht.
Die Filme selbst wurden in mongolischer Originalfassung mit japanischen und englischen Untertiteln gezeigt. So konnte man wenigstens die mongolischen Dialoge hören. Die japanischen Untertitel gaben die mongolischen Texte sehr treu wieder, sie waren von einem Mongolen namens Huhbaatar (? - Name nach der japanischen Silbenschrift transkribiert) und dem bekannten japanischen Mongolisten Katsuhiko Tanaka angefertigt worden. Das Englische war dagegen oft ausgelassen, bisweilen sehr fehlerhaft und sichtbar nach der japanischen Version übersetzt worden. So wurde einmal aus dem mongolischen ``Ich weihe Sie in ein Geheimnis ein'' die englische Interpretation ``Ich habe eine Nachricht für Sie''. Dem interessierten Zuschauer wurden also unnötig Steine in den Weg zum Verständnis dieser Filme gelegt. Die japanischen Untertitel befanden sich auf den Kopien, weil die Filme vorher auf dem Fukuoka International Film Festival in Japan (September 1993) gezeigt worden waren. Die Kopien waren offensichtlich nicht direkt aus der Mongolei beschafft worden, sondern wurden mit Unterstützung des Festivals von Fukuoka (so der Hinweis in den Begleittexten) in Berlin gezeigt.
Doch nun zu den Filmen selbst.
wurde 1992 gedreht und ist eine Produktion der Mongolkino. Regie führten Zedendambaagin Zerendorsh und Luvsansharavyn Sharavdorsh. Kamera: L. Sharavdorsh, Ausstattung: Z. Boldsuch, Musik: Sh. Chuluun. Die Hauptdarsteller waren Tsch. Erdeniochir, B. Banzaragts, D. Sosorbaram, Th. Idshinhorloo, M. Dorshdagwaa und Z. Zerendorsh. Die Spieldauer beträgt 134 Minuten.
In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zerbrach die Einheit der mongolischen Stämme und die mandschurische Qing-Dynastie übernahm die Herrschaft über die Südliche (Innere) Mongolei. Der berühmte Mönch, Bildhauer und Schriftgelehrte Zanabazar versuchte mit Hilfe von Religion und der von ihm entwickelten Soyombo-Schrift, die Mongolei zu einigen, kam aber gegen die Intrigen, den Verrat und die politischen Machenschaften zwischen einzelnen Fürsten und dem Kaiserhaus der Qing (dessen Statthalter im Film die mongolischen Gesandten über Tage in Vorzimmern warten läßt, ohne sie jemals würdig zu empfangen) nicht an und mußte schließlich das Scheitern seiner Bemühungen anerkennen.
Der Film erzählt einen Schlüsselabschnitt mongolischer Geschichte von Bedeutung für die nationale Identität aller Mongolen bis zum jetzigen Tage. Die historischen Konsequenzen des gezeigten Auseinanderbrechens wirken bis heute in der Existenz der Mongolischen Republik und des Autonomen Gebiets Innere Mongolei in China nach.
Einem westlichen Zuschauer ohne historische Vorbildung ist diese Bedeutung des Films nur schwer zu vermitteln, da der Film sehr dialoglastig ist und speziell in der zweiten Hälfte lange, ruhige Einstellungen der bis heute beliebten Tätigkeit des xural xiix (`Versammlung abhalten') zeigt, mit ausgebauter Rede und Gegenrede und anschließender Negation aller scheinbar erzielten Übereinkünfte, wenn der Emissär aufgrund seiner eigenen unlauteren Absichten nach seiner Ankunft eine Botschaft übermittelt, deren einzelne Buchstaben noch unverfälscht sind, deren Sinn aber ins Gegenteil verkehrt ist.
Der Film kommt ohne Action-Szenen aus, gekämpft wird mit dem Wort und den Mitteln der Politik. Sehenswert wird der Film durch den Kontrast zwischen der Ebene des historischen Erzählkinos mit Schwerpunkt auf dem Zerfall der mongolischen Einheit einerseits und der Schilderung der Person Zanabazars andererseits. Zanabazar, der zwar ein Lebender Buddha ist, wird ohne jeden falschen Heiligenschein dargestellt. Er wird als nachdenklicher Idealist gezeigt, dessen politisches Scheitern bereits in seiner menschlichen Güte angelegt ist, die sich nicht gegen die Widerwärtigkeiten der politischen Welt durchsetzen kann. Er betätigt sich als Bildhauer und als Erfinder einer Schrift, die zur Schreibung der Sprache aller Mongolen verwendet werden und so die Kluft zwischen den verschiedenen Dialekten auch politisch überbrücken soll. Diese Schrift, Soyombo, hat allerdings (wie schon die ebenfalls politisch motivierte Phagspa-Schrift des 13. Jhd.s) keine langfristigen Erfolge verbuchen können.
Die Figur Zanabazars ist so angelegt, daß der Zuschauer trotz des Sieges der Intrigen über Zanabazars idealisierende Vorstellungen der Welt mit Zanabazar sympathisiert und die moderne Aussage dieses Filmes versteht, in der sich der heute in der Mongolei weitverbreitete Ekel gegen die Mitglieder der politischen Kaste artikuliert.
Die sprachlichen Barrieren in Verbindung mit dem schwer zu vermittelnden Inhalt und der statischen Kameraführung brachten es mit sich, daß etwa die Hälfte des Publikums den Kinosaal noch während der Vorführung verließ.
wurde 1991 durch das neu gegründete Kinderfilmstudio von Mongolkino produziert. Es handelt sich um das Regiedebut der jungen Regisseurin Nansalmaagin Uranchimeg, die 1956 geboren ist und bisher als Drehbuchautorin in Erscheinung getreten war. Sie schrieb auch das Buch zu diesem Film. Kamera: Shigshid Binder, Ausstattung: Tudew Goosh, Musik: Zeden-Isch Chinzorig. Die Darsteller waren Sodnomdorsh Gombo-Ochir, Njam Zegmid, Munchtur Tschuluunbaatar, Churlaat Tomur und Njamdawaa Badral. Schwarz-Weiß. Die Spieldauer beträgt 75 Minuten.
Der Titel ist etwas unglücklich ins Deutsche übersetzt und vermittelt eine ungenaue Vorstellung, da sich in der ersten Einstellung des Filmes ein kleiner Junge mit einem Seil an einem Hochhaus in Ulaanbaatar herabläßt, um durch ein offenes Fenster in eine Wohnung einzusteigen, die er Räubern öffnen wird. Dieses konkrete Seil ist nicht gemeint, vielmehr ist `Fessel' oder `Leibeigenschaft' die passendere Übersetzung. Der kleine Junge ist nach dem Tod seines Vaters von zu Hause fortgelaufen, weil er nicht erträgt, daß seine Mutter einen neuen Mann mit nach Hause bringt. Der Junge lebt zusammen mit anderen obdachlosen Jugendlichen im Keller eines Mietshauses und verdient sein Geld, indem er für eine Diebesbande in Häuser einsteigt und die Wohnungstüren öffnet. Er weiß, daß sein Handeln Unrecht ist, aber er möchte einen Grabstein für seinen Vater kaufen, den er anders nicht bezahlen kann. Eines Tages lernt er einen alten Mann kennen, dem er vertraut.
Der Mann erkennt die Not des Jungen und möchte ihm helfen, sein bisheriges Leben aufzugeben, aber die Diebe lassen den Jungen nicht gehen und zwingen ihn zu einem neuen Einbruch. Während der Junge gerade in der Wohnung ist, klingelt das Telephon, der Junge nimmt ab und verrät dem Anrufer, daß Einbrecher in der Wohnung sind. Die Diebe können zwar gerade noch entkommen, spüren aber den mittlerweile geflohenen Jungen auf, überfahren ihn mit dem Auto und lassen ihn verbluten.
Der Film ist schwarz-weiß gedreht und erzeugt eine düstere, bedrückende und unheimliche Stimmung, denn das extreme Licht des bewölkten Winterhimmels über den Hochhausvierteln von Ulaanbaatar ist hell und doch finster zugleich. Die Trostlosigkeit und Heimatlosigkeit, in der der Junge gefangen ist, könnte so nicht besser ausgedrückt werden. Die Hoffnungslosigkeit einer zerbrochenen Gesellschaft zeigt sich auch in den knappen Dialogen, die meistens damit enden, daß einer der Sprechenden einfach wegläuft. Der einzige, nur vage erscheinende Ausweg aus dem Elend scheint die Besinnung auf die Religion und die Heimat zu sein, die der alte Mann dem Jungen zu vermitteln versucht, aber die Kraft, die der Junge aus der Begegnung mit dem Alten schöpft, reicht nicht aus, um seine Fesseln zu lösen.
ebenfalls 1991 von Mongolkino produziert, entstand nach dem Drehbuch von D. Namsarai. Die Regie führte Naidangin Nyamdawaa, der 1944 geboren ist und bislang 16 Spielfilme gedreht hat. Kamera: N. Zondoi, Ausstattung: P. Sosorbaram, Musik: H. Biligshargal, Darsteller: E. Moncherdeni, D. Zerendarzav, L. Shamsaranshav, Sh. Zezeg. Farbe, Spieldauer 67 Minuten.
Der kleine Mönchtenger hört, daß eine Gruppe von Gesandten ausgezogen ist, um einen Nachfolger für den Dalai Lama zu suchen, und träumt davon, als Inkarnation auserwählt zu werden. Er lebt mit allein mit seiner Mutter, die sich mit Arbeiten für eine reiche Familie mühsam ihren Lebensunterhalt verdient, nachdem ihr Mann gestorben ist und sie den Heiratsantrag eines wohlhabenden Mannes ausgeschlagen hat. Der Junge wird regelmäßig von seinen Spielkameraden gehänselt und gequält, wohl, weil er mit seiner Mutter in nahezu symbiotischer Beziehung lebt.
Die Mutter läßt ihn nicht nur bei sich im Bett schlafen, sondern läßt ihn auch immer noch, wie traditionell zur Beruhigung von Kindern üblich, an die Brust. Als eines Tages die Gesandten auf der Suche nach dem Lebenden Buddha in seiner Nähe vorbeiziehen, versucht der Junge, die Aufmerksamkeit der Gruppe auf sich zu lenken, wird aber nicht beachtet.
Er läuft so lange hinter der Gesandtschaft her, bis er vor Erschöpfung im Sand liegenbleibt und einen Sonnenstich bekommt. Die Idee, ein Lebender Buddha zu werden, ergreift von ihm Besitz, nach und nach verliert der Junge den Verstand. Obwohl seine Mutter ihn pflegt, verwahrlost er und wird noch mehr Opfer des Gespötts und der Quälereien seiner ehemaligen Spielkameraden.
Die Mutter wird der Lage nicht mehr mächtig und erkrankt eines Wintertages so sehr, daß sie sich nicht mehr um den Jungen kümmern kann. Um dem Leiden, dem Spott und der Armut zu begegnen, beschließt die verzweifelte Mutter, ihrem Leben und dem ihres Sohnes ein Einde zu setzen. Die beiden wandern zu einem halb vereisten Fluß. Die Mutter geht vor, steht schon im eisigen Wasser und versucht, ihren Sohn ins Wasser zu locken, aber der Sohn bekommt plötzlich Angst. In diesem Moment entblößt die Mutter im Wasser ihre Brüste und lockt ihren Sohn zu sich, der sich der Übermacht des tröstenden Anblicks nicht entziehen kann und ihr ins Wasser folgt.
Der Junge ist ein lauterer Tor, der sein ganzes Schicksal in seine erhoffte Existenz als Lebender Buddha legt; in seinen Träumen möchte er den Armen helfen. Er isoliert sich von der Wirklichkeit und den Schlägen seiner Kameraden, indem er sich in seine Traumwelt und die Arme der Mutter flüchtet.
Man könnte diesen Film als religionskritischen Film verstehen, aber ich glaube, daß dies nicht das Anliegen des Regisseurs ist. Der Regisseur weist darauf hin, daß die Geschichte dieses Jungen immer als die Geschichte eines Helden erzählt werden wird. ``Nach der Legende werde der Entwicklungsweg eines Kindes durch einen Buddha bestimmt, der auf seiner rechten Schulter sitzt und für sein Glück betet, sowie einen bösen Geist, der auf seiner linken Schulter sitzt und das Kind zu bösen Taten anstiftet. Diese Legende spielt darauf an, daß ein Kind Lebensweisheit erst beim Heranwachsen erlangt bzw. von seiner Umgebung beeinflußt wird'', so der Regisseur Naidangin Nyamdawaa im Berlinale-Informationsblatt zu den Filmen.